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Forts. S. XXVII |
III. Transscendente Wissenschaften. |
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Der hier gewählte Name für diese Wissenschaften
ist neu, der Streit über sie sehr alt. Einen wahren Abgrund von
Mißverständnissen eröfnet dieser Streit, und jede Partei nennt
andre, hieher gehörige, Wissenschaften. Darum wurde jener Name
gewählt, denn was auch irgend eine Partei als hieher gehörig genannt
hat, trägt doch unverkennbar den angegebenen Charakter an sich, den
Charakter der Wissenschaft im strengsten Sinne, die nicht aus
Erfahrung geschöpft ist und nicht daraus geschöpft seyn kann, weil
sie alle Erfahrung übersteigt (transscendit). Alle bisher namhaft
gemachten beruhten auf äußerer oder innerer Erfahrung, waren das
Werk der Abstraction und Reflexion: die, welche hieher gehören,
sollen weder die Erfahrung zur Basis haben, noch durch Abstraction
und Reflexion gebildet seyn. Zwei Fragen müssen hier aufgeworfen
werden: Was ist es, das über alle Erfahrung hinaus liegt? Und auf
welche Weise entsteht dadurch ein Wissen in mir? — Eine dritte Frage
wurde, wie wir gleich sehen werden, erst viel später aufgeworfen,
und es geht mit ihr wie mit dem Ei des Kolumbus. Viele haben
gemeint, diese dritte Frage hätte zuerst aufgeworfen werden müssen;
allein es muß wol dem Entwickelungsgange unserer Natur gemäß seyn,
daß sie in der angegebenen Ordnung aufgeworfen wurden, weil man sie
überall so aufwarf. Weil man sie aber wirklich auch überall aufwarf,
muß in unserm Geist ein natürliches Bedürfniß dazu liegen, und sie
können nicht von einer blos grüblerischen Neugier seyn ersonnen
worden. |
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Wir haben gefunden, daß das höchste Interesse
menschlicher Forschung sich vereinigte in der Erkentniß der Natur
der Dinge und der Bestimmung des Menschen, und aus diesem Interesse
entsprangen die beiden vorigen Classen der Wissenschaften: die
Natur- und anthropologischen Wissenschaften. Diese beiden können
völlig selbständig behandelt werden, und in der That laufen sie bis
zu einem Punkte neben einander hin, ohne sich im Mindesten zu
berühren. Aber auch nur bis zu einem gewissen Punkte. Wäre der
Mensch ein blos erkennendes Wesen, so würde er bis zu diesem Punkte
niemals kommen: allein er ist auch ein handelndes, ein für Lust und
Schmerz empfängliches Wesen, und als solches kann er nicht umhin,
Betrachtungen über die Natur in Beziehung auf sich, und über sich in
Beziehung auf die Natur anzustellen. Er findet sich, im
Zusammenhange mit der allgemeinen Natur der Dinge, als einen Theil
derselben, und bemerkt doch zugleich, daß er von einer andern Seite
mit ihr im entschiedensten Gegensatz stehe, denn in der Natur
herrscht mit der strengsten Konsequenz das Gesetz der
Nothwendigkeit, Er aber ist sich bewußt, für eigenthümliche Zwecke
sich mit Freiheit bestimmen zu können. Nun geräth aber diese
Freiheit theils mit der Nothwendigkeit, theils mit fremder Freiheit,
in oft sehr harten Zusammenstoß, und mit diesem drängt sich dem
Menschen die Idee des Schicksals auf, worüber |
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S. XXVIII |
er zu seiner Beruhigung Aufschluß verlangt. Wo
aber soll der Mensch diese finden? Ins Unendliche die Reihe des
Bedingten hinablaufen kann er nicht, ohne am Ende bei einer
Bedingung stehen zu bleiben. Diese Bedingung aber, die nicht selbst
wieder bedingt seyn darf, entzieht sich aller seiner Wahrnehmung,
und hier tritt uns die schon früher gemachte Beobachtung, daß sowol
die Natur-Wissenschaften als die anthropologischen Wissenschaften,
ja selbst die Geschichte uns am Ende ganz auf denselben Punkt
stellen, als höchst merkwürdig entgegen. Die Naturwissenschaft muß
am Ende alles Sinnliche anknüpfen an ein Übersinnliches, denn sie
kann keine Wirkung denken ohne Ursache, und kann die letzte Ursache
nur in das Absolute setzen. Eben dieses Übersinnliche weiset die
Anthropologie in dem Menschen selber nach, denn wäre nicht auch
schon sein Denken etwas Übersinnliches, so ist es doch die Freiheit
seines Willens. Eben diese Willensfreiheit aber weiset ihn wieder
zurück auf eine noch höhere, die ihm als Schicksal unter dem
Charakter der Nothwendigkeit erscheint, und eben darum wieder als
übersinnliche absolute Ursache. Nur wer oberflächlich und
leichtsinnig denkt, kann in beiden Fällen bei dem Zufalle stehen
bleiben, aber weder die Vernunft des tieferen Denkers, noch ein
nicht verwahrlostes Herz finden dabei Befriedigung, und die
Wissenschaften führen von allen Seiten unausbleiblich auf diesen
Punkt, der schon darum als der wichtigste erscheinen müßte, weil in
ihm alles unser Nachdenken zusammen trifft. |
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Und dies ist denn der Punkt, auf den es hier
ankommt. Daß die Erfahrung uns über ihn nicht belehren könne,
springt in die Augen, denn das Absolute ist kein Gegenstand der
Erfahrung. Dieses aber soll dargethan werden, sowohl in Beziehung
auf den Urgrund (philosophia prima) als den Endzweck der Dinge
(Teleologie der Natur und des Menschenlebens). |
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Wie nun von dem, was über alle Erfahrung hinaus
liegt, gleichwol ein Wissen in dem Menschen entstehen könne, ist die
zweite Frage. Man nennt als einzige Quelle dieser Wissenschaft die
Vernunft, die nicht, wie der auf das Gebiet der Erfahrung
beschränkte Verstand, ein Wissen hervorbringe mittelst der Reflexion
durch Begriffe, sondern mittelst der Speculation durch Ideen. Die
eigentliche Bedeutung hievon anzugeben, bleibt einem andern Orte
vorbehalten, wir müssen uns hier auf die einzige Bemerkung
beschränken, daß zwar die Vernunft wol überall das Bedürfniß nach
diesem Wissen anregte, daß sie aber doch es keineswegs war, die auch
dieses Bedürfniß befriedigte. Rechnen wir einige Versuche in Indien
ab, so ist nicht zu leugnen, daß im ganzen Orient allein die
Einbildungskraft das angeregte Vernunftbedürfniß befriedigte, und
wol auch zu allen Zeiten befriedigen helfen wird und muß. Erst
nachdem der tiefsinnige Herakleitos die trostlose Lehre von dem
ewigen Fluß aller Dinge aufgestellt hatte, kam man zu andern
Versuchen das größte aller Probleme zu lösen und nach göttlicher
Wissenschaft zu streben; denn wie anders könnte, man diese
Wissenschaft nennen? |
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In dem Streben nach ihr konnte man, wie sich
leicht ergibt, entweder von dem Menschen, oder von der Natur
ausgehen; wovon man aber auch ausging, mußte man immer auf das
Andre |
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S. XXIX |
kommen. Aus dem sehr natürlichen Grunde, weil die
Aufmerksamkeit des Menschen früher angezogen wird von der Außenwelt
als der geheimeren Welt in seinem Innern, ging man bei den ersten
Versuchen von der Natur aus, und weil man über das Wissen von der
Natur als Inbegriffs der sinnlichen Erscheinungen hinaus gehen
mußte, nannte man diese Wissenschaft des Absoluten |
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Metaphysik. |
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Wäre man dabei von dem Menschen ausgegangen, so
würde man sie ohne Zweifel Metanoëtik genannt haben, aber würde eben
so von dem Menschen auf die Natur gekommen seyn, wie man jetzt von
der Natur auf den Menschen kam. Die bloße Anzeige dessen, was man
gewöhnlich in dieser Metaphysik vortrug, beweist dies: |
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1) Ontologie (Lehre von dem Dinge, den
allgemeinen Eigenschaften, die allem zukommen müssen, was Ding
heißt), |
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2) Kosmologie |
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als Resultat der Speculation über die Sinnenwelt,
so wie |
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3) Rationale Psychologie (wol auch Pneumatologie,
Geisterlehre), |
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4) Rationale Theologie, |
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als Resultat der Speculation über die
übersinnliche Welt, mit Inbegrif der Beweise für Unsterblichkeit der
Sele. |
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Es dauerte Jahrhunderte lang, ehe man den
entgegengesetzten Weg einschlug, wozu es einer ungleich genauern und
reineren Psychologie bedurfte, als man hatte. Mit Locke's Versuch
über den menschlichen Verstand begann eine neue Epoche, denn das
Resultat seiner Untersuchungen, daß der menschliche Geist die Dinge
nicht erkennt, wie sie an sich sind, sondern lediglich auf die Art
und Weise, wie seine Organe von ihnen afficirt werden, dieses
Resultat verrückte den ganzen bisherigen Standpunkt, und nöthigte zu
völlig neuen Untersuchungen. Nach dem zweifelnden Forscher Hume
führte diese keiner weiter und tiefer als Kant, den man häufig den
alles Zertrümmernden genannt hat, ohne zu bedenken, daß er nicht
blos niederriß, sondern auch neu aufbaute, nur freilich nicht das
Alte wieder. Seine Untersuchung endigte mit einem entschiedenen
Leugnen der Möglichkeit aller Metaphysik, die er geradezu für das
Ding erklärte, was nicht ist. An ihre Stelle aber setzte er |
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die Transscendental-Philosophie |
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als Wissenschaft von dem, was ursprünglich (a
priori) der Wirksamkeit aller Vermögen des menschlichen Gemüths zum
Grunde liege, und woraus sich ergeben müsse, einerseits was bei der
Erkentniß der menschliche Geist nur empfange und was er daraus kraft
seiner natürlichen Anlagen und Vermögen, deren inwohnenden Gesetzen
gemäß, bilde, und andererseits, wie weit die Grenzen dieser
Erkennbarkeit sich erstrecken. — Man sieht leicht, daß Kant es war,
der die oben berührte dritte Frage aufgeworfen hatte, die Frage
nämlich: wie weit ist dem menschlichen Geist Erkennbarkeit möglich?
Vermag er etwas zu wissen von dem, was über den Kreis der Erfahrung
hinaus liegt? Kants Leugnen war das Resultat einer scharfgeführten
Untersuchung der menschlichen Geistesvermögen selbst, und einer
Schei- |
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S. XXX |
dung dessen, was in der Erkentniß dem Geiste
selbst und was dem erkannten Gegenstand angehört, woraus sich ergab,
die Philosophie habe bisher die Gesetze des menschlichen Geistes auf
die Natur übergetragen, und der übersinnlichen Welt nur des Menschen
Inneres geliehen. |
⇧ Inhalt |
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Von jetzt an faßte die Philosophie den
subjectiven (anthropologischen) statt des ehemaligen objectiven
Gesichtspunktes (von der Natur aus). Zweifel und Bedenklichkeiten
mußten vielfach erwachsen, theils über das Absolute selbst und das
Wissen von demselben, theils über das wechselseitige Verhältniß des
Geistes zu der Natur, und der Natur zu dem Geiste. Fichte, ein
kühner Denker, aber auch so einseitig als kühn, suchte den
Gordischen Knoten auf Alexanders Weise zu lösen; er faßte blos das
Subjective ins Auge, völlig unbekümmert um das Objective, welches in
seiner Speculation für ihn gar nicht vorhanden war; über das
Hinsehen auf die Welt in ihm verschwand ihm die Welt außer ihm.
Genug, er sah blos auf die Thätigkeiten des Geistes, den Geist fand
er als ein lebendig Handelndes, die Vorstellungen als Handlungen,
selbstthätige Erzeugnisse des Geistes: und weil er über der
Vorstellung das Vorgestellte, über dem Gedachten das Seyende vergaß;
so wurde das Erzeugniß der Vorstellungen in dem Ich bei ihm zum
Schöpfungsacte, das Ich zum Absoluten, das Handeln des Ich zur Welt,
und in dem Wissen des absoluten Ich von seinem absoluten Handeln war
alles beschlossen. So kam Fichte darauf, an die Stelle alles
bisherigen seine |
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Wissenschaftslehre |
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zu setzen. Nach aller Fichteschen Strenge gab es
jetzt nur Eine Wissenschaft, nämlich die Wissenschaft des Wissens
selbst. Nicht blos die Natur würde darüber verloren gegangen seyn,
sondern auch alles Praktische, hatten dies Letztere nicht Fichte's
lebendig moralischer Sinn und zwei Wortspiele gerettet. Da das
Vorstellen als Handeln aufgefaßt war, so konnte nun Fichte um das
Handeln nicht verlegen seyn, und hiebei erklärte er noch, es gebe
nichts Gewisseres als das Gewissen. |
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Schelling erkannte, was bei Fichte fehlte, daß
die eine Welt verlorengegangen sey, und stellte daher zuerst dem
Fichteschen Idealismus wieder einen Realismus zur Seite in einer
Naturphilosophie, so daß nun, was man ehedem Metaphysik genannt
hatte, jetzt bestand aus |
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Ideal- |
} Philosophie |
und Natur- |
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bis er späterhin diese beiden in Eins verschmolz,
und nun an die Stelle von allem ein |
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Identitätssystem |
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trat, dessen Möglichkeit in der Idee aus dem
bisherigen bald einleuchtet. Wir sahen, daß die beiden Hauptzweige
der Wissenschaften in Einem Punkte zusammen liefen. Diesen ergrif
Schelling als den gemeinsamen Mittelpunkt, von dem alle Untersuchung
ausgehen müsse, wenn sie zum wahren Wissen führen solle, und machte
von da die doppelte Aufgabe zu einer einzigen, suchte zu zeigen, wie
in dem Absoluten die Räthsel des Daseyns der Dinge und der
Bestimmung des Menschen sich als ein einziges lösen, d. h. wie
Nothwendigkeit und Freiheit Eins sind. Eins sind aber auch Natur und
Gott, Eins die sinnliche und die übersinnliche Welt, Eins sind
Denken und Seyn — im Absoluten. |
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S. XXXI |
Wie höchst verschieden von einander nun auch das
ist, was man von Zeit zu Zeit als transscendente Wissenschaft
aufgestellt hat; so ist doch der Zweck aller: Erhebung zum
Absoluten, und Vollendung der menschlichen Wissenschaft in der
göttlichen. Wird man nun gleich gegen die meisten Versuche vieler
Art mit Recht einwenden, daß, wie die Aufgabe gestellt ist, nur die
Gottheit selbst sie zu lösen vermöchte, und daß es ein vermessenes
Streben ist, über das All zu entscheiden, von dessen Unendlichkeit
man nur einen äußerst kleinen Theil überschaut, und über Urgrund,
Urwesen und Endzweck desselben, als habe man im Rathschluß der
Gottheit gesessen; so bleiben doch die Versuche selbst
achtungswerth, das Streben ehrwürdig, und der menschliche Geist kann
es nie aufgeben, weil er weder seine Vernunft, noch seinen
Zusammenhang mit der übersinnlichen Welt aufgeben kann. Der Mensch
ist zu Metaphysik geboren, aber er ist kein Gott, und er soll nicht,
was er nicht kann. Ob es ihm je gelingen werde, im Absoluten den
Schein von der ewigen Wahrheit apodiktisch zu trennen, bleibt sehr
problematisch: vielleicht sollte sein höchstes Gut nicht einmal im
Wissen liegen, sondern im Glauben, und er menschlich auf menschliche
Wahrheit sich beschränken. Wenigstens ist es gewiß, daß da, wo alle
Speculation aufhört und das Wissen endet, für das nach Befriedigung
lechzende Herz der Glaube anfängt, und es ist nöthig, daß wir hier
darauf Rücksicht nehmen, und sehen, wie es sich damit verhalte. |
⇧ Inhalt |
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Alle Entwickelungen sowol der animalischen als
der denkenden und wollenden Natur des Menschen gehen vom Gefühl aus,
und alle seine Interessen sind bedingt durch Beschränkungen des
Gefühls, Mangel desselben, d. i. durch Bedürfnisse. Jedes neue
Bedürfniß ist die Veranlassung zu neuen Entwickelungen und
Kraftäußerungen bis dahin schlummernder, immer höherer, Vermögen.
Der Mensch, anfangs ein Thier, das, als nur empfindend und
begehrend, der Natur unterlag, wird auf diesem Wege ein denkendes,
wollendes, sich selbst bestimmendes Wesen, das sich die Natur
unterwirft. So offenbaret sich in dem unbestimmten Gefühl eine
bestimmende Kraft. In jeder Wesengattung werden durch diese gerade
solche Bedürfnisse erregt, und durch das erregte Bedürfniß solche
Triebe entwickelt, als der Natur derselben gemäß sind; die
Selbstbestimmungen des Gefühls gehen sonach auf eben solche
Gegenstände, durch welche dem Gefühl eben dieser Naturart genug
gethan wird. Aller sich ankündigende Mangel soll befriedigt werden,
und wird es bei dem Menschen durch die Thätigkeit des erst
physischen, dann psychischen Triebes. Wie nun der Keim durch seine
innere Kraft hinausgetrieben wird über die Erde, so wird des
Menschen Geist durch den Drang des Wissens und des Wollens, mittelst
dieses Gefühls, hinausgetrieben über alle Erfahrung und Erscheinung
zu einem Unendlichen und Absoluten. Aus den Erscheinungen der Welt
selbst kommt ja weder der letzte Grund ihres Daseyns (Weltursache)
noch die Art ihres Werdens (Weltanfang) zum Bewußtseyn, und eben so
ergeht es uns mit unsern Gemüthsvermögen, deren wir uns als bloßer
Wirkungen bewußt werden, ohne ihrem Wesen auf den Grund zu kommen.
Hier ist ein auffallender Mangel in unserer Erkentniß, der, wie
jeder andre, lebhaft gefühlt, neue Kraftanstrengung zur Abhilfe
anregt. Das Vermögen, welches hiebei in Thätigkeit gesetzt wird, ist
die Einbildungskraft, und daher kommt es, daß, |
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S. XXXII |
wie die Geschichte der Philosophie bezeugt, alle
Metaphysik in ihrem Ursprunge poetisch ist. Überall geht der
strengen Philosophie eine dichterische Periode vorher. Selbst die
strengste Philosophie aber kann sich hier nie von der
Einbildungskraft wieder losreissen, und die Speculation in ihrer
höchsten Wirksamkeit wirkt wieder völlig poetisch, wie z. B. bei
Platon und Schelling. Darin liegt der Grund, warum die sogenannten
Analytiker unter den Philosophen gegen jene Speculation streiten,
denn sie hören gerade da auf, wo diese anfängt, bei den Ideen, zu
denen sie jedoch ebenfalls gelangen müssen. |
⇧ Inhalt |
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Nur ins sofern der Mensch der Ideen fähig ist,
ist er ein geborner Metaphysiker, und nur in sofern er der Ideale
(einer Frucht der Ideen) fähig ist, ist er ein religiöses Wesen.
Jene und diese sind nur möglich durch die Einbildungskraft, denn 1)
kraft ihrer schaft sich der Mensch, zum Behufe seines Denkens,
Vorstellungen, wo die Erfahrung keine mehr darbietet; Verstand und
Vernunft, als blos Form gebend, können nur die Hervorbringung
veranlassen, keineswegs aber diese Vorstellungen selbst erschaffen;
und 2) kraft ihrer hat der Mensch Bedürfnisse und setzt sich Zwecke,
die durch nichts, was die Erfahrung darbietet, befriedigt und
erreicht werden können, und die wir nicht fähig sind zu denken, ohne
zugleich den Gedanken eines höheren, reineren Daseyns und einer
unendlichen Zukunft zu fassen. ― Wer etwa darum, weil jene Vorstellungen, Zwecke
und Bedürfnisse aus der Einbildungskraft entspringen, sie für bloße
Täuschungen, Wahn und Traum ausgeben wollte, der würde von der
Wirksamkeit der menschlichen Selenvermögen nur eine kraßmaterielle
Vorstellung verrathen, und gar nicht bedenken, daß überall alle
zusammen wirken müssen. Ob nun ein Resultat mehr aus diesem oder
jenem hervorgehe, kann gewiß als sehr gleichzeitig betrachtet
werden, genug wenn dieses Resultat nur wirklich unserer ganzen Natur gemäß,
und der gesamten Entwickelung derselben homogen ist.
Betrachten wir nun aber die Gesamtheit unserer Anlagen, so können
wir nicht zweifeln, daß es mit dem Menschen auf Idealität und
Unendlichkeit angelegt ist. Wollte nun aber das große Wesen, durch
welches wir sind, Interesse für das Überirdische in uns irdische
Wesen legen, war's dann nicht am zweckmäßigsten und weisesten, wenn
es dasselbe hauptsächlich mit dem Theil unsrer Natur verwebte, der
bei uns überall die überlegene Wirksamkeit besitzt, mit Gefühl und
Einbildungskraft, deren Thätigkeit sich bei allen weit kräftiger
regt, als das Vernunftvermögen? Darum die entschiedene Anlage aller
zur Metaphysik, während nur wenige zur Physik geeignet sind, der
Beruf aller zur Religion, und nur weniger zur Philosophie. Alle
sollten wir in die Welt der übersinnlichen Ideen als in eine Heimath
flüchten. Ideen allein dienen uns als sicherer Leitstern, durch
Ideale nur gewinnt das Gefühl Befriedigung. Von dem, was die
Phantasie an diesen Idealen blos nach Analogie gebildet hat, mag
freilich viel wegfallen: allein es kommt auch nicht darauf an,
wie wir sie bilden, sondern daß wir sie bilden, und welche Wirkungen
dies hat. Glaube an das Göttliche, Glaube an eine Seligkeit, Glaube
an eine moralische Weltordnung, dies sind die Wirkungen davon, und
mithin alle Elemente der Religion, die sich beweist in einem Handeln
aus der vollen, ganzen Kraft dieses Glaubens, |
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S. XXXIII |
den die Vernunft zwar bekräftigt, der aber
ursprünglich aus dem Gefühl hervor geht, und eben darum an
Zuversicht selbst die wissenschaftliche Gewißheit übertrift. |
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Was wäre es, wenn auf diesem Punkte, wohin uns
der Verstand in der höchsten Abstraction, die Vernunft mit ihren
äußersten Schlüssen, das Gefühl mit seinem edelsten Bedürfniß
führen, Einbildungskraft uns verließe? Bedenken wir genau, wohin wir
geführt sind, so müssen wir uns sagen, daß wir vor der tiefsten
Nacht des Geheimnisses stehen, aus welcher kein Lichtstrahl unsre
Erkentniß erhellt. Das Unbedingte, die höchste Idee, entzieht sich
eben so unsrer Darstellung, wie unsrer Erkentniß. An dieser
äußersten Grenze unsrer Vorstellungkraft begegnet uns aber die
Phantasie als treue Freundin, und wird auch hier zur Wohlthäterin
unsers Lebens, indem sie durch Dichtung (das Höchste und
Vortreflichste, was sie hat), den strengen Verstand und das zarte
Gefühl mit einander aussöhnt, und so eine Lücke in unserm Leben
ergänzt, die wir außerdem nur allzu schmerzlich wahrnehmen würden.
sie bewirkt ihr höchstes Wunder, indem sie das Übersinnliche mit dem
Sinnlichen vermittelt, die übersinnlichen Ideen in ästhetische, und
eben dadurch das Glauben in Schauen verwandelt. Von ihr stammt aller
Anthropomorphismus und alle Ausbildung des Ideals von Seligkeit. Wie
sie an den Eingang in das Leben der Menschheit ein Paradies
gepflanzt, ein goldenes Zeitalter gesetzt hatte, so setzte sie an
den Ausgang einen Himmel, ein Elysium. War aber das Paradies am
Eingang ein bloßer Himmel der Unschuld gewesen; so verlangte jetzt
das moralische Bewußtseyn, daß das Paradies am Ausgang ein Himmel
des Verdienstes würde. Das Gefühl mußte nun um so mehr Befriedigung
in dem Glauben finden, da es das wieder hergestellt sah, durch
dessen Vermissen es im Weltlauf verletzt worden war — Harmonie. |
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Das Resultat der höchsten Speculation über diese
der Menschheit so wichtigen Gegenstände, die sich der
Erfahrungs-Erkentniß entziehen, mag nun Wissen oder Glauben ihr Höchstes seyn,
ist immer dasselbe: |
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in dem Menschen liegt ein Streben nach dem
Göttlichen, welches aus seiner Anlage zur Idealität hervor geht,
durch die er zur Annahme des Absoluten und Unendlichen genöthigt
ist. Nur diese Idealität erhebt ihn über das Gemeine, daß in ihm
erwacht die Sehnsucht nach mehr Licht und Kraft, nach reinerem Genuß
und höherer Tugend, nach einem seligen Zustande vollendeter
Harmonie, nach dem höchsten Wahren, dem höchsten Guten, dem höchsten
Schönen. An diese Idealität ist also die menschliche Vollendung
geknüpft. |
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S. XXXIII ⇩ |
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