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Allgemeine Encyclopädie HIS-Data
5139-1-19-356-1
Erste Section > Neunzehnter Theil
Werk Bearb. ⇧ 19. Th.
Artikel: CORPUS JURIS CIVILIS IV - VIII
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Inhalt:
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Forts. S. 356 Sp. 1 IV. Verbreitung der Justinianischen Rechtssamlung 68).  
  Als Justinian seine Rechtssamlung in ihren einzelnen Theilen publicirte, stand Italien noch unter der Herrschaft der Ostgothen; so daß dieselbe im Grunde nur in dem östlichen Reiche gesetzliche Kraft hatte. Nachdem er jedoch im J. 535 Italien wieder erobert, und mit dem östlichen Reiche verbunden hatte, säumte er nicht, seine Compilation in das wieder eroberte Land zu senden, und solche durch ein Edict sowol in die Gerichte einzuführen, als auch in der Rechtsschule zu Rom erklären zu lassen. Alles dieses bestätigte er durch die eben erwähnte Sanctio pragmatica vom J. 554.♦  
  Unter seinem Nachfolger Justinus II. eroberten jedoch die Longobarden, im J. 568 fast ganz Italien, bis auf das Exarchat von neuem, und im J. 752 fiel auch der Hauptsitz des Exarchen, Ravenna, ihrem Könige Aistulf in die Hände; ohne daß Italien je wieder mit dem östlichen Reiche verbunden worden wäre. Beide Nationen, Römer und Longobarden lebten nunmehr örtlich vermischt, aber in Sitte und Recht verschieden mit einander, so daß in derselben Stadt der Longobarde nach longobardischem, der Römer nach römischem Rechte lebte.♦  
  Als hierauf Karl der Große dem Reiche der Longobarden ein Ende machte, und seit 774 in Italien herrschte, dauerte zwar dieser Rechtszustand im Allgemeinen fort; indessen wurde nun auch den in Italien lebenden fremden, den Alemannen, Burgundern und sonstigen Völkerstämmen, so gut wie den Longobarden ihr eigenes Recht zugestanden, obgleich Longobarden und Römer der Zahl nach das große Übergewicht behielten. Deshalb findet sich nun in den Urkunden dieser Zeit, gewöhnlich eine Erklärung, nach welchem Rechte der Paciscent lebe (professio), eine Erklärung, welche in der Regel nicht von einer freien Wahl desselben abhing, sondern sich nach der Abstammung von der Nation, zu welcher derselbe gehörte, richtete.♦  
  Im 12ten Jahrhunderte nahmen diese Professionen ab, indem von diesem Zeitpunkte an, die germanischen Rechte in Italien verschwanden, die Localstatuten anfingen zu entstehen, und das Römisch-Justinianische Recht, von welchem wäh-
 
 
  • 68) Vergl. über das Detail dieses Abschnitts das unübertreffliche Meisterwerk von v. Savigny (Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter; bis jetzt vier Bände).
 
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  rend dieser ganzen Zeit, wenigstens zum Behuf der Römer Gebrauch gemacht worden war, immer allgemeiner wurde. Aus dem kräftigen Leben der neu aufblühenden lombardischen Städte, welche durch inneres Bedürfniß und Verwandtschaft des Zustandes zu dem römischen Rechte hinzugezogen wurden, erklärt es sich vorzugsweise 69), daß dasselbe eine neue Blüthe erlebte, welche so folgenreich auf die Reception dieses Rechts in den meisten europäischen Staken eingewirkt hat.♦  
  Kentniß des römischen Rechts bahnte den Weg in die neuen Magistraturen zu dringen, und so beschäftigte man sich denn eifrig mit dem Unterrichte in der Justinianischen Compilation; anfangs in Ravenna, nachher und viel glücklicher in Bologna und daneben in Pisa. Der erste bekante Rechtslehrer war Pepo, ihm folgte (1113 — 1118) Irnerius, der zuerst in der Logik Unterricht gegeben, ehe er aus irgend einer Veranlassung 70), die einzelnen Theile der Justinianischen Rechtssamlung zu studiren, selbige theils mündlich, theils durch kurze Glossen zu erklären anfing, und dadurch Gelegenheit zu der Schule der sogenanten Glossatoren gab. Ihm folgten eine Menge Lehrer, deren Ruf sich weit über die Alpen verbreitete: zahlreiche Schüler aus allen Theilen von Europa brachten die neue gründliche Kentniß zurück in ihre Heimath, und verbreiteten sie auch hier durch Urtheilssprüche, durch Schriften, und bald selbst durch mündliche Lehre in Schulen, die sich nach dem Muster von Bologna bildeten.♦  
  Dieses war unstreitig der Hauptgrund, daß sich das Justinianische Recht, wiewol hin und wieder unter mannigfachem Kampf mit den einheimischen Rechten, nach und nach in die Gerichte fast aller europäischen Länder einschlich, in diesen Ländern zu der Autorität eines Gesetzes gelangte, und wenigstens als allgemein recipirtes Gesetz angesehen wurde; wogegen ihm jene Kraft in einzelnen Ländern durch ausdrückliche Verfügungen von oben herab wieder genommen worden ist 71).
 
 
  • 69) Alle übrigen gewöhnlich angeführten Gründe haben keinesweges Beweiskraft. S. Hugo civil. Literairgeschichte. S. 49.
  • 70) Nach Conradi a Liechtenau chronicon Urspergense, auf die Bitte der Gräfin Mathilde. nach Hostiensis Comment. ad Decretal. III. 26. c. 1. wegen der Erklärung des Worts As. S. v. Savigny Bd. IV. S. 18. Völlig grundlos ist die Fabel, daß das römische Recht das ganze Mittelalter hindurch vergessen und verloren gewesen sey, daß die einzige Handschrift der Pandekten verborgen in Amalphi gelegen habe, daß sie bei Eroberung dieser Stadt, im J. 1135 von den Pisanern erbeutet worden sey, daß Kaiser Lothar II., mit dem die Pisaner im Bunde gewesen, ihnen zum Lohn für ihre Hilfe das erbeutete Buch geschenkt, zugleich aber durch ein Gesetz verordnet habe, daß das römische Recht überall in den Gerichten anstatt der germanischen Rechte angewendet werden solle, und daß auf seinen Befehl öffentlicher Unterricht im römischen Rechte ertheilt sey. S. v. Savigny Bd. III. S. 83 f.
  • 71) Über die Verbreitung des Justinianischen Rechts in den einzelnen Ländern Europa's, so wie über dessen Nichtverbreitung in denselben, oder dessen Wiederverdrängung, s. meine Einleitung. S. 94 — 116. Vergl. außerdem: Seldeni Diss. ad Fletam in Hoffmann hist. Jur. rom. Vol. 1. P. II. p. 89 — 184. Ed. 2. Arthur Duck de usu et auctoritate jur. civ. in dominiis principum christian. Lond. 1649. 1653. 1689. Lugd. Bat. 1652. 1654. Lips. 1676. Don Ant. d‘Asti dell' uso e autorita della ragion civile nelle provincie dell imperio occidentale. Napoli 1720 — 1722. 8.
 
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  In dem östlichen Reiche erhielt sich dagegen die Justinianische Rechtssamlung bis zum 9ten Jahrhunderte. Da nämlich die in derselben herrschende lateinische Sprache den griechischen Unterthanen immer weniger zusagen mußte, so dachte man ernstlich an eine neue Umbildung der Justinianischen Rechtssamlung. Kaiser Basilius Macedo hatte daher schon im Jahr 876, sowol einen kurzen Inbegriff des römisch-griechischen Rechts unter dem Titel procheion ton nomon verfertigen lassen, als auch zur Abfassung einer gänzlichen Umarbeitung der sämtlichen Rechtsquellen, eine Commission niedergesetzt, an deren Spitze Symbatius Protosphatarius stand. Diese sollten das neue Gesetzbuch theils aus den damals vorhandenen griechischen Übersetzungen der einzelnen Theile der Justinianischen Compilation, theils aus den Commentaren über dieselbe, theils endlich aus den giltigen Verordnungen der orientalischen Kaiser zusammentragen, und das Ganze materienweise, nach Titeln in 60 Büchern ordnen.♦  
  Basilius erlebte jedoch die Beendigung dieses Werks nicht; sein Sohn Leo der Philosoph, promulgirte es 887, ein Jahr nach seines Vaters Tode, und nante es zu dessen Ehre die Basiliken. Eine neue verbesserte Ausgabe veranstaltete Kaiser Constantin Prophyrogeneta nach dem J. 945, und diese ist es, welcher bis auf diese Zeit von den unter dem türkischen Scepter lebenden Griechen, noch immer Gesetzeskraft eingeräumt wird. (S. den Art. Basiliken).  
V. V. Form der Justinianischen Rechtssamlung zur Zeit des wiederaufblühenden Rechtsstudiums zu Bologna. ⇧ Inhalt 
  Es ist oben bemerkt worden, daß die Justinianische Rechtssamlung keinesweges ein vollständig abgeschlossenes Gesetzbuch ausmachte, sondern nur in einzelnen Abtheilungen publicirt wurde, deren jede zur Ergänzung der andern dienen sollte; ferner, daß Justinian zwar selbst die Pandekten in sieben Theile abtheilte, den Codex aber nicht, sondern dieser nur zwölf regelmäßig auf einander folgende Bücher enthielt; endlich daß die Novellen noch völlig ungeschlossen, und deßhalb in keine Samlung gebracht, und noch viel weniger geordnet waren. Justinians Absicht ging also auch nicht dahin, daß diese einzelnen Rechtsbücher ein zusammenhängendes Ganze seyn sollten.♦  
  Die Idee von einer Verbindung dieser Rechtsbücher zu einem solchen wurde am frühesten im Orient aufgefaßt, wie denn die Basiliken das Resultat derselben sind. Im Abendlande ist sie dagegen erst in den spätern Zeiten nach Erfindung der Buchdruckerkunst geweckt und ausgeführt. Dagegen fand eine neue Anordnung der einzelnen Theile der Justinianischen Rechtssamlung, zur Zeit des wiederaufblühenden Rechtsstudiums zu Bologna Statt, die im höchsten Grade merkwürdig ist, deren Grund aber in Bezug auf gewisse Einzelnheiten bis jetzt noch nicht genügend hat erklärt werden können.  
  Diese Anordnung besteht darin, daß 1) die Pandekten in drei Theile getheilt sind, welche Digestum vetus, Infortiatum, und Digestum novum heißen.  
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  Außerdem hat das Infortiatum einen Anhang, tres partes, genant; 2) bildet der Codex nur neun Bücher, als solcher; 3) machen die letzten drei Bücher des Codex nebst den Novellen ein Buch aus, welches das Volumen legum parvum, oder schlechthin Volumen genant wird, dem zugleich die Institutionen meistens als Anhang beigeschrieben wurden, wie wol viele sie auch als wesentlichen Bestandtheil desselben betrachten; 4) sind die Novellen liber Authenticorum betitelt, in neun Collationen abgetheilt, und haben einige heterogene Anhänge erhalten.♦  
  Aber auch in Betreff des Contexts der einzelnen Rechtsbücher ist eine Abänderung eingetreten, insofern nämlich sämtliche griechischen Stellen in den Pandekten, so wie die griechischen Novellen in einer lateinischen Übersetzung erscheinen, die griechischen Constitutionen des Codex weggelassen, dagegen demselben Auszüge aus den Novellen und einigen spätern Constitutionen eingeschaltet, und endlich die Inscriptiones und subscriptiones nur in einer sehr abgekürzten Form wiedergegeben sind.  
V. 1) 1) Eintheilung der Pandekten in Digestum vetus, Infortiatum und Digestum novum. ⇧ Inhalt 
  Das Digestum vetus begreift Buch IXXIV. Tit. 2. einschließlich in sich: das Infortiatum (wobei zu bemerken ist, daß hier die Glossatoren gewöhnlich das Wort Digestum weglassen) fängt mit Buch XXlV. Tit. 3. an, und schließt mit Buch XXXVIII.: das Digestum novum endlich umfaßt die Bücher XXXVIIIL. Außerdem findet sich jetzt (denn früher scheinen die tres partes unabhängig bestanden zu haben, da es in ältern Zeiten Handschriften gab, wo sie dem Digestum novum beigefügt wurden 72), zu Ende des Infortiatum eine neue Abtheilung, welche man Tres partes nante.♦  
  Mitten im fr. 82. D. XXXV. 2. ad legem Falcidiam fängt nämlich mit den Worten Tres partes des Fragments, in den meisten Handschriften und den alten Ausgaben eine neue Rubrik, oft sogar ein neues Blatt mit großen Anfangsbuchstaben an, so daß man von hier ab eine neue Abtheilung bis Buch XXXVIII. annehmen muß. Wann? von wem? und weshalb diese Eintheilung gemacht worden; und weshalb die einzelnen Theile Digestum vetus, Infortiatum und Digestum novum genant sind?, wie endlich die Abtheilung der Tres partes gebildet worden sey? ist sehr zweifelhaft.  
  Es gibt zwei Hauptmeinungen über die Veranlassung jener Eintheilung. Nach einer alten Sage, die uns Odofredus, einer der Commentatoren, welche auf die Glossatoren folgten, aufbewahrt hat, wurden zu der Zeit, als Irnerius zu Bologna das Recht studirte, die Rechtsbücher von Ravenna aus zuerst nach Bologna gebracht, aber nicht mit einem Male, sondern theilweise, und in folgender Ordnung: zuerst der Codex, Digestum vetus und novum, und die Institutionen, dann das Infortiatum ohne Tres partes, hierauf die drei Bücher (Buch XXII. des Codex), zuletzt die Novellen (liber Authenticorum). Auf
 
 
  • 72) Z. B. die Handschrift des Benedictus Petroburgensis vor 1171. S. Grupen Observat. p. 295.
 
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  diese Sage, und besonders auf den Umstand gestützt, daß die frühern Schriftsteller des Mittelalters das Infortiatum nicht gekant haben, indem sie, wo sie Stellen aus demselben hätten anführen müssen, sich mit den Institutionen beholfen haben, nimt v. Savigny 73) an, daß man zuerst nur das Digestum vetus und novum besaß, dieses letztere aber nicht in dem beschränkten Umfang, den es in den gegenwärtigen Handschriften oder Ausgaben hat, sondern von den Worten Tres partes anfangend; daß man späterhin das fehlende mittlere Stück gefunden, hierauf Tres partes von dem Digestum novum getrent, und sie so wie es der Inhalt erfodert, mit dem zuletzt gefundenen mittlern Theil verbunden habe.♦  
  Dieserhalb habe man diesen mittlern Theil das lnfortiatum d. h. den vermehrten, verstärkten mittlern Theil der Digesten, genant, wogegen die Namen Digestum vetus und novum, ursprünglich blos die Bedeutung eines ersten und zweiten Theils gehabt haben könten, oder nach Analogie des alten und neuen Testaments so genant seyen, oder endlich, was das Wahrscheinlichste sey, daraus entstanden seyen, daß das vetus früher als das novum, so wie dieses früher als das Infortiatum gefunden worden sey. —♦  
  Die zweite Hauptmeinung ist von Hugo 74) aufgestellt. Nach ihm ist kein Theil entbehrt und später gefunden worden, sondern die Grundlage der Eintheilung in den Schulen von Constantinopel, Rom und Ravenna aufzusuchen. Nach Justinians Studienplan wurden die 14 letzten Bücher der Pandekten gar nicht in den Vorlesungen erklärt, so daß diese in jenen Schulen einen abgesonderten Theil ausmachten. Dieser Theil mag aber entsprochen haben den Tres partes des Edicts, welche in dem vor Justinian befolgten Studienplan wahrscheinlich auch von den Vorlesungen ausgeschlossen waren, und so mag man durch Analogie den Namen Tres partes auf jenen Theil der Pandekten übertragen haben.♦  
  Zufälligerweise aber fanden sich ungefähr am Anfange dieser Tres partes (nämlich nur etwa anderthalb Bücher früher) die Worte Tres partes mitten in einer einzelnen Pandektenstelle, und nun habe sich irgend Jemand (späterhin hat Hugo aus den Worten des Conrad v. Liechtenau, darzuthun gesucht, daß es Irnerius gewesen, welcher denn auch durch eine ähnliche Spielerei das Wort novi hinter operis nuntiatione in der Rubrik des ersten Titels Buch XXXIX. aufgegriffen, um den letzten Theil Digestum novum zu nennen) den Spaß gemacht, das letzte Stück der Pandekten von diesen Worten an abzuschreiben, und die Anfangsworte zugleich als Titel des ganzen Stücks zu benutzen.♦  
  Diese Einrichtung fand allgemeinen Beifall und hieraus machte sich die fernere Eintheilung des vorhergehenden größern Stücks ganz von selbst. Denn die Tres partes dachte man sich als drei Unzen, folglich das vorhergehende Stück als neun Unzen, und nun war es sehr natürlich, diese neun Unzen in Sechs und Drei zu zerlegen, was denn ungefähr mit dem Verhältniß des Dige-
 
 
  • 73) Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter. Thl. 3. S. 398 f.
  • 74) Civilist. Magazin Bd. IV. No. 4. Bd. V. No. 1. u. 18.; so wie Inhaltsverzeichniß. S. XXXIXL. Bd. VI. No. 2.
 
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  stum vetus und Infortiatum (ohne die Tres partes) zusammentrifft. So kamen die Pandekten nach Bologna, wo man verständig genug war, die kleinen Tres partes vor dem letzten Theil wegzunehmen und dem mittlern zuzulegen, welcher nun von dieser Änderung den Namen Infortiatum erhielt.  
V. 2) 2) Trennung der ersten neun Bücher des Codex und Bildung des Volumen. ⇧ Inhalt 
  Die Trennung der ersten neun Bücher des Codex, welche nunmehr einen Theil für sich ausmachten, welcher vorzugsweise der Codex hieß, ist wahrscheinlich durch den Vortrag über denselben veranlaßt. Die drei letzten Bücher nämlich bezogen sich auf das öffentliche Recht, welches damals durch die mannigfachen politischen Umwandlungen Italiens beinahe alle Anwendbarkeit verloren hatte, und so erklärt es sich denn, wie mehre Handschriften des Codex, welche schon vor Irnerius Zeiten geschrieben sind, nur die ersten neun Bücher vollständig, von den drei letzten dagegen anhangsweise nur dürftige Bruchstücke und Auszüge aus den allenfalls noch anwendbaren einzelnen Constitutionen derselben enthalten. Diese drei letzten Bücher pflegte man daher eher als die neuern Verordnungen 75) anzusehen, welches freilich unrichtig ist, aber dennoch Veranlassung gab, daß man sie mit den Novellen in Verbindung setzte, und nunmehr diesen Theil Volumen legum parvum oder schlechthin Volumen nante, weil er von allen übrigen der am wenigsten dickleibige war. Die Institutionen gehörten eigentlich zu dem Volumen, wiewol sie meistens vor dasselbe gestellt werden 76).  
V. 3) 3) Eintheilung der Novellen in Collationen. ⇧ Inhalt 
  Die Novellen erscheinen nunmehr in einer geschlossenen Samlung, in Collationen getheilt, und nur in lateinischer Sprache, als Theil des Volumen. Unter Irnerius wurde nämlich eine solche Novellensamlung (Liber authenticorum, jetzt Vulgata, versio vulgata, genant), als ein Ganzes aufgefunden, welche in chronologischer Ordnung 134 Justinianische Novellen, also mehr als Julian, und weniger als die griechische Samlung von 168 Novellen enthielt.♦  
  Der größte Theil dieser Novellen ist Übersetzung aus dem Griechischen, mehre, welche nur lateinischen Text hatten, sind in ihrem Originaltext wiedergegeben.{1} Ihr Samler und Übersetzer ist unbekant, aber gewiß ist es, daß er einzelne schon vorhandene Novellenübersetzungen benutzt hat. Der Name Authentica, welchen diese Samlung gleich von Anfang in Bologna erhalten hat, scheint nicht von dem Verfasser, sondern von dem Entdecker herzurühren.♦ {1} fehlender . ergänzt.
  Als diese Samlung in Bologna zuerst bekant wurde, erklärte sich Irnerius dagegen und hielt sie für untergeschoben, änderte aber nachher seine Meinung. Die Glossatoren, welche früher nur den Julian benutzt
 
 
  • 75) So z. B. heißt es in dem Liber dans modum legendi abbreviaturas in jure: Ultimi libri tres raro leguntur a doctoribus . . . non frequentantur in scholis legendo, sicut alii libri IX. Codicis, quod ultimi tres longe post primos novem compositi sunt,
  • 76) v. Savigny. Bd. III. S. 480.
 
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  hatten (Novellae genant im Gegensatz der vollständigen Novellen als Authenticae), wandten nun auch dieser Samlung ihre Thätigkeit zu. Die erste Veränderung, welche sie mit ihr vornahmen, war die Eintheilung derselben in Collationen (Collatio ist nach dem Latein des Mittelalters gleich bedeutend mit Collectio); diese Eintheilung war aber gleich mit einer Ausscheidung der weniger brauchbaren Novellen verbunden, indem die brauchbaren in neun Collationen eingetheilt wurden, und die ausgeschiedenen einen Anhang bildeten, welcher ebenfalls in drei Collationen vertheilt war, so daß das Ganze zwölf Collationen bildete, welche den zwölf Büchern des Codex entsprechen.♦  
  Die drei letztern Collationen sind freilich bald verschwunden, daher das Bedürfniß der Handschriften sich nach den Vorlesungen richtete, und daher das, was nicht in den Vorlesungen erklärt wurde, auch in den Abschriften vernachlässigt worden ist. Doch mögen sich davon, nur mit Weglassung der Collationenbezeichnung, die Anhänge einzelner ausgeschiedenen Novellen herschreiben, welche sich in einzelnen Handschriften befinden, aus denen neuerlich einige dergleichen vorher unedirter Novellen herausgegeben sind 77).  
  Jene Novellen, von denen 97 glossirt wurden, sind nun folgender Gestalt unter die neun Collationen gebracht. Die erste Collation enthält sechs Titel, nämlich Novelle 1 — 6; die zweite sechs Titel: Novelle 7, 8 in zwei Titeln, 9, 10, 11, 12; die dritte sieben Titel: Novelle 14 — 20; die vierte sieben Titel: Novelle 22, 23, 105, 33, 34, 39, 44; die fünfte zwanzig Titel: Novelle 46, 48, 47, 51 — 57, 49, 58, 60, 61, 63, 66, 67, 71, 70, 69; die sechste vierzehn Titel: Novelle 74, 72, 73, 76 — 85, 88; die siebente zehn Titel: Novelle 8, 9, 90, 92, 94, 91, 95 — 97, 99, 100; die achte dreizehn Titel: Novelle 98, 93, 108 —112, 116, 114, 113, 115, 117; die neunte endlich fünfzehn Titel: Novelle 118— 120, 125, 124, 131, 127, 159, 134, 86, 106, 132, 143, 128 und 123.♦  
  Außer diesen waren wenigstens noch 38 bekant, indessen liefern die gewöhnlichen Handschriften solche sehr selten, und beschränken sich dieselben meistens auf die glossirten Novellen. Von folgenden 33 findet sich während des Mittelalters keine Spur: Novelle 33, 41, 75, 121, 122, 126, 135 — 139, 141, 142, 148 — 158, 160 — 168. Auch die dreizehn Edicte Justinians und dessen Sanctio pragmatica war dem Mittelalter unbekant 78).  
  Jene Stellung der Novellen unter die neun Collationen bezieht sich aber nur auf die Ausgaben von Contius, seit seiner Zeit haben die neuern Ausgaben eine andere Stellung angenommen, und, wenn auch in ihnen noch von Collationen die Rede ist, so stimt doch ihre Ordnung nicht mit jener alten Ordnung überein.
 
 
  • 77) Vgl. Biener Geschichte der Novellen Justin. S. 243 — 285.
  • 78) Cramer Beiträge zur Geschichte der Novellen in Hugo civilist. Magazin. Bd. III. S. 113 — 162. Weis progr. historiae literariae Novell. Part. 1. Marb. 1800. 4. v. Savigny Beitrag zur Geschichte der Novellen in der Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft. Bd. II. S. 100 — 136. Desselben Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter. Bd. III. S. 453 f.
 
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  Zu diesen neun Collationen kam außerdem noch eine Collatio decima (mit welcher jedoch eine andere Collatio decima, die Contius aus später aufgefundenen Novellen bildete, und seinen Ausgaben anhing, nicht zu verwechseln ist), welche auf folgende Weise veranlaßt wurde. Kaiser Friedrich II. schickte den Doctoren zu Bologna mehre seiner Verordnungen zu, mit dem Auftrage, sie jedesmal hinter eine bestimte Constitution in einem passenden Titel des Codex einzuschalten. Dieses thaten sie in einer Sitzung, welche in der Peterskirche gehalten wurde.♦  
  Späterhin stellte Hugolinus die unter dem Namen der Usus feudorum bekante Samlung von Lehnrechtsgewohnheiten, mit allen Constitutionen der Kaiser Friedrich I. und II., so wie einigen des Kaisers Conrad, hinter die neunte Collation, und nante sie selbst, oder Andere thaten solches, Collatio decima, wie wol es nicht ganz allgemein üblich blieb 79). Noch später hat Bartolus zwei Constitutionen Kaisers Heinrich VII. über Majestätsverbrechen und Rebellion vom Jahre 1312 als Undecima collatio hinzugefügt, ohne daß diese Anordnung jedoch besonders gangbar geworden wäre.  
  Endlich ist noch diesen Collationen der Kostnitzer Frieden (tractatus de pace Constantiae) von 1183 beigegeben worden.  
V. 4) 4) Veränderungen in Bezug auf den Context. ⇧ Inhalt 
  Abgesehen von jener Abänderung in Bezug auf die Vereinigung der einzelnen Theile der Justinianischen Rechtssamlung in ein Ganzes, und die Stellung derselben zu diesem Zwecke beschäftigte sich die Schule zu Bologna auch mit der Constituirung des Texts. Namentlich für die Pandekten existirten zu ihrer Zeit, neben der ältesten Pisanischen oder Florentinischen Pandektenhandschrift, von der schon einige Male die Rede gewesen ist, unabhängige Urhandschriften (litera vetus, communis) daneben kanten die Glossatoren aber auch jene, und und betrachteten dieselbe im Ganzen als den echten und bessern Text. Aus beiden gemeinschaftlich bildeten sie durch freie Auswahl einen neuen Text, den man den Bolognesischen (litera Bononiensis) nennen kann 80), und bei denen sie sich der vorhandenen Handschriften gegenseitig zur Ergänzung bedienten.♦  
  Eben so geschah es in Bezug auf die Behandlung des Textes im Codex und den übrigen Rechtsbüchern, wiewol die kritische Arbeit hier eine weniger feste Richtung annahm, als die, welche in den Pandekten durch die stete und allgemeine Rücksicht auf die Florentinische Handschrift hervorgebracht werden mußte. Die besondern Eigenthümlichkeiten dieser neuen Recension waren nun zuerst die gleichförmige Weglassung aller Inscriptionum legum in den Pandekten, so wie
 
 
  • 79) v. Savigny Geschichte des R. R. Bd. III. S. 481 f.
  • 80) v. Savigny a. a. O. S. 410 — 444, wo auch die berühmte Streitfrage verneinend gelöset ist, ob die Florentinische Handschrift die Urschrift aller jetzt vorhandenen Handschriften sey. S. über diesen Streit die sehr reichhaltige Literatur in Brencmann histor. Pandect. L. III. c. 2, Bach hist. jur. L. IV. c. 3. §. 6. Walch ad Eckhard. hermeneut. L. I. §. 74. Haubold Institut. dogm. lit. §. 231. meine Einleitung. S. 405 — 425.
 
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  die Weglassung der Inscriptionum und Subscriptionum legum bei dem Codex, da in Hinsicht der ersteren nur der Name des Verfassers jedes Excerpts, und bei dem letztern der Name des Gesetzgebers beibehalten wurde, wahrscheinlich aus dem Grunde, weil man mit ihnen nichts anzufangen wußte, und sie als eine nutzlose Mühe für die Schreiber und Correctoren ansahe.♦  
  Weggelassen wurden ferner die griechischen Stellen aus Papinianus und Modestinus Schriften in den Pandekten, und statt dessen eine lateinische Übersetzung derselben aufgenommen, welche den Burgundio aus Pisa (er starb 1194) zum Verfasser hat 81).♦  
  Weggelassen wurden endlich gänzlich die griechischen Constitutionen im Codex, und nur an zwei Orten findet man eine lateinische Übersetzung derselben, nämlich im Titel de plus petitione (III. 10.) und de aleatoribus (III. 43.), deren letztgedachte in einer Handschrift zu London, einem Peter de Cortona beigelegt wird 82). Daß die griechischen Novellen auch nur in einer lateinischen Übersetzung aufgenommen wurden, ist bereits oben bemerkt.  
  Dagegen erhielt der Text des Codex einen neuen Zuwachs durch die darin eingeschalteten sogenanten Authentiken. Sie bestehen aus dreierlei Stücken.  
  1. Bei weitem der größte Theil besteht in kurzen Auszügen aus den Novellen, welche bei einzelnen Stellen des Codex als Berichtigungen oder Ergänzungen beigefügt sind. Die meisten derselben sind von Irnerius, einzelne später von Hugolinus u. A., eine ganz neue von Albericus. In Bologna hat man sich schon frühzeitig dahin vereinigt, sie als integrirende Stücke des Codex, mithin der Rechtsquellen selbst anzusehen. Dieses geschah, indem Azo diese Auszüge neben den Constitutionen des Codex selbst, und fast ohne Unterschied von demselben commentirte.♦  
  Durch die Glosse des Accursius ist diese Ansicht noch mehr befestigt worden, und insbesondere kann von dieser Zeit an die Zahl der anerkanten Authentiken, im Gegensatz der nicht wenigen, welche sich noch in manchen Handschriften finden, als geschlossen angesehen werden. Die von Accursius anerkanten Authentiken stehen übrigens nur in den ersten neun Büchern des Codex, was sich leicht aus dem geringen Werth erklärt, den man überhaupt auf die drei letzten Bücher setzte; ältere Handschriften aber haben einzelne Authentiken auch in diesen drei letzten Büchern 83).♦  
  Der Name Authentica laßt sich wol am natürlichsten daher erklären, daß das Wort nicht Benennung des Excerpts, sondern Hinwei-
 
 
  • 81) Nicht aber Bulgarus oder Bandinus. S. v. Savigny a. a. O. Bd. IV. S. 341 f. In Hinsicht der Stellen aus Modestinus ist dieses noch zweifelhaft, v. Savigny a. a. O. Bd. III. S. 445. Sowol Accursius als Asti (dell‘ autorita della ragion civile L. II. c. 3. p. 46) sind geneigt, hier einen doppelten Text des Modestinus in beiden Sprachen anzunehmen.
  • 82) Hach in der Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft. Bd. V. S. 213. S. auch Biener Gesch. der Novellen. S. 579.
  • 83) v. Savigny a. a. O. Bd. III. S. 488 f. Bd. IV. S. 41 f., wo auch über den frühern Streit, ob Irnerius, oder wer der Verfasser der Authentiken sey, das Nöthige beigebracht ist. Vergl. noch über denselben und dessen Literatur meine Einleitung. S. 133 — 135 und vorzüglich F. A. Biener historia authenticarum Lips. 1807. 4.
 
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  sung auf die Quelle desselben (nämlich auf die Authentica oder den liber Authenticorum, als jene alte Novellensamlung im Gegensatz des Julian) ist 84).  
  2. Zwei einzelne Constitutionen von Kaiser Friedrich I., nämlich die Authentica: Habita in dem Titel ne filius pro patre (Buch IV. Tit. 13.), welche auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers dort eingeschaltet werden sollte, und die Authentica Sacramenta puberum (B. II. Tit. 18.). Ihre Aufnahme in den Codex scheint sich nur allmählig und nicht gleichförmig gemacht zu haben, sie findet sich aber schon bei Azo, und Accursius hat sie glossirt.  
  3. Eilf Constitutionen von Kaiser Friedrich II. Es sind dieses die Stellen, welche die Doctoren zu Bologna nach der eigenen Auffoderung des Kaisers in den Text des Codex setzten.  
  Außer diesen Authentiken des Codex finden sich auch noch dergleichen in manchen Handschriften und Ausgaben der Institutionen, ja sogar in einzelnen Handschriften der Novellen selbst, und zwar stimmen die in den Institutionen mit denselben Excerpten, die sich in dem Codex als Authentiken finden, nicht überein. Dieses hindert aber wol nicht, sie als ein Werk desselben Verfassers anzusehen, dem man die Authentiken in dem Codex verdankt 85).  
VI. VI. Die Glosse. ⇧ Inhalt 
  Den schriftstellerischen Bemühungen der Schule zu Bologna um die Erklärung der Justinianischen Rechtssamlung, verdanken wir auch die Glosse. Zuerst wurden von den Rechtslehrern nur ganz kurze Erklärungen einzelner schwieriger Ausdrücke zwischen die Zeilen geschrieben (Interlinearglossen), bald auch größere Erklärungen an den Rand, die sich dann allmählig zu einer Art von fortlaufenden Commentaren erweiterten. Dergl. Glossen hat man von Irnerius, Bulgarus, Martinus Gosia, Jacobus, Hugo, Rogerius, Albericus, Wilhelmus, Placentinus, Henricus de Baila, Johannes Bassianus, Pillius, Cyprianus, Otto und Lotharius 86). Aus diesen und vielleicht noch andern, ist der alte Commentar zusammengesetzt, welcher jetzt gewöhnlich die Glosse heißt, aber in den spätern Handschriften und vorzüglich in den neuern Ausgaben sehr interpolirt ist.♦  
  Diese Glosse hat den Accursius 87) zum Redacteur, und ist von 1220 — 1227 ausgearbeitet. Der Grund derselben ist eine Compilation aus den frühern Glossen; hiezu hat Accursius auch sehr viel selbst geliefert, und außerdem auch aus den Schriften seiner eigenen Zeitgenossen geschöpft. Bei jedem Excerpt war in derselben der Name des Verfassers, mittelst einer Abkürzung angegeben, leider sind diese Abkürzungen in den Handschriften aber oft verwechselt, oft verstümmelt, so daß hieraus man-
 
 
  • 84) Falk Encyclopädie. S. 141.
  • 85) v. Savigny In Hugo civilist. Magazin. Bd. III. No. 14. Dessen Gesch. des R. R. Bd. IV. S. 50 — 58. Vgl auch meine Einleit. S. 141 f. Und den Artikel: Authentiken.
  • 86) S. über dieselben den ganzen vierten Band von Savigny; und über die Glosse noch den Artikel Glosse.
  • 87) S. diesen Artikel.
 
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  che Verwirrung entstanden ist. Diese Accursische Glosse erhielt nun allgemeines Ansehen, und wurde deshalb, um sie von andern Glossen zu unterscheiden, die Glossa ordinaria genant. Späterhin erhielt sie sehr viel Zusätze, indem nun auch Auszüge aus den Schriften der nach Accursius lebenden Rechtsgelehrten, wie z. B. eines Bartolus, Baldus, Salicetus, Jason und Fulgosius hinzukamen, und man mit ihr Casus, d. h. weitläuftige Auslegungen schwerer Stellen und fingirte Rechtsfälle verband, welche besonders von Vivianus Tuscus herrühren. Ja, selbst in den gedruckten Ausgaben wurde sie noch immer durch dergleichen Excerpte aus den Schriften der neuern Rechtslehrer vermehrt.♦  
  Einige dieser Zusätze sind mit: Additio bezeichnet, ein großer Theil derselben aber nicht. Es hält daher äußerst schwer, sich von der reinen Accursischen Glosse einen Begriff zu machen, weil es wenig Handschriften gibt, die sie ohne Zusätze enthalten, und weil sie in unsern gedruckten Ausgaben nirgends rein zu finden ist. In den verschiedenen Abdrücken gibt es wol fünfzig bis sechszig verschiedene Formen der Glosse, und man kann dreist annehmen, daß, je neuer die Ausgabe, desto verdorbener die Glosse ist.  
  Nächst der Glosse waren nun auch eine Menge anderer wissenschaftlicher Werke entstanden: die Apparatus (eigentlich Glossen über die Glosse), Repetitiones, umfassende Commentare über einzelne Stellen; Commentare über die einzelnen Rechtsbücher selbst, von denen die von Bartolus, Baldus, Jason, Fulgosius u. A. die berühmtesten waren, Summae, was wir etwa Compendien nennen, namentlich von Azo, Johannes Bassianus u. s. w. 88).  
  Der Werth der Glosse ist nach ihrer Entstehung zu beurtheilen; sie enthält viel Gewäsch, aber auch manche glückliche Erklärung einzelner Stellen des römischen Rechts 89).  
VII. VII. Jetzige Form der Justinianischen Rechtssamlung. ⇧ Inhalt 
  Die jetzige Anordnung der Justinianischen Rechtssamlung ist erst spät entstanden. Veranlaßt wurde sie durch die Ausgaben derselben ohne Glosse, und durch die daraus entstehende kritische Bearbeitung der einzelnen Theile der Samlung. Vorzüglich die Bemühung der Herausgeber derselben ging dahin, deren Form und Inhalt gerade so wieder herzustellen, wie sie zu Justinians Zeiten gewesen waren. Die florentinische Handschrift, die Entdeckung der griechischen Novellensamlung und die Benutzung der Basiliken, so wie der spätern griechischen Schriftsteller gaben die nächste Veranlassung dazu.♦  
  Besonders wirkten in dieser Rücksicht Haloander durch seine Ausgabe der Pandekten, des Codex und der Novellen; Taurellius durch den Abdruck der Florentiner Handschrift; Contius durch seine Ausgabe des Codex, Russard und Charondas ein; befestigt wurde die jetzige Form durch Dionysius Gothofredus, welcher die ganze Rechtssamlung unter dem Gesamttitel des
 
 
  • 88) Eine Aufzählung derselben s. in meiner Einleitung. S. 254 — 259. 275 fgg.
  • 89) Vergl. meine Einleitung, S. 267 — 270.
 
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  Corpus juris civilis herausgab. Wir finden daher in den jetzigen Ausgaben die Eintheilung in Digesten vermieden, den Codex wiederum nach seinen zwölf Büchern, jedoch mit Beibehaltung der eingeschalteten Authentiken, die Inscriptiones und Subscriptiones legum möglichst wieder hergestellt, die griechischen Stellen der Pandekten wieder aufgenommen, die griechischen Constitutionen des Codex möglichst ergänzt, und die Novellen nach den griechischen Novellensamlungen abgedruckt, jedoch so, daß die Eintheilung der Collationen im Ganzen beibehalten, und neben dem griechischen Text zugleich auch die Vulgata gegeben worden ist. Der jetzige Bestand des Corpus juris erscheint daher nun in folgender Form.  
  Es zerfällt seinem Inhalte nach in zwei Haupttheile, den wesentlichen und den außerwesentlichen, oder Appendix. Der wesentliche begreift die eigentlichen zu der Justinianischen Samlung gehörigen Rechtsbücher, der außerwesentliche faßt dasjenige in sich, was entweder die Glossatoren oder die neuern Herausgeber anzuhängen beliebt haben.  
  Nach der jetzt gewöhnlichen Ordnung folgen die Rechtsbücher in dem wesentlichen Theile so aufeinander: Institutionen vier Bücher, Pandekten fünfzig Bücher, Codex zwölf Bücher, und Novellen 168 Stück in neun Collationen getheilt. Dagegen sind die in dem außerwesentlichen Theile enthaltenen Bücher folgende:  
  1) Die sogenanten dreizehn Edicte Justinians, seit Russard's Ausgabe (1561) in den Ausgaben aufgenommen.  
  2) Justini Imperatoris Aug. Novellae, an der Zahl fünf. Gleichfalls seit Russard. Die 1, 2, 4, 5 stehen seit Contius (1571) unter den Novellen Justinians.  
  3) Tiberii Imperatoris Constitutiones, seit derselben Zeit.  
  4) Aliae aliquot Constitutiones Justiniani, Justini et Tiberii ex libro Juliani antecessoris. Seit Contius.  
  5) Imp. Leonis 90) Augusti Novellae, 114 an der Zahl, obgleich sonst mehre existirten. Diese Novellen haben eine Verbesserung des Justinianischen Rechts zum Zwecke, allein oft ist der darin enthaltene Tadel desselben ungerecht{1}, und noch öfters hat Leo die Gründe desselben gar nicht eingesehen. Seit Contius sind sie den Ausgaben des Corpus juris angehängt. {1} korrigiert aus: ungegerecht
  6) Zenonis Imp. de novis operibus constitutio; gehört eigentlich zu dem Titel des Codex de aedificiis privatis, wo sie als const. 12. gelesen wird. Ebenfalls seit Contius. Diese unter 1 — 3, 4 und 6 erwähnten Novellen gab mit Justinian's Novellen zuerst Scrimger 1558 heraus, und Agyläus übersetzte sie in das Lateinische.  
  7) Imperatoriae constitutiones, griechisch, nämlich Verordnungen der spätern griechischen Kaiser: Heraclius,
 
 
  • 90) S. Casp. Achat. Beck de novellis Leonis Aug. et philos., earumque usu et auctoritate liber singularis. Adjectis animadversionibus et mantissa commentationum ad argumentum spectantium; edidit Car. Frid. Zepernick. Hal. 1779. 8.
 
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  Leo Ikonomachus, Constantinus Caballinus, Nicephorus, Leo Armenius, Theophilus, Basilius, Leo und Alexander, Constantinus Porphyrogenneta, Romanus Senior, Nicephorus Phocas, Basilius Porphyrogenneta, Romanus Argyrus, Zoas, Michael, Isaak Comnenus, Michael Parapinaceus, Nicephorus Botaniata, Alexius Comnenus, Manuel Comnenus, Alexius Comnenus II., Jsaak Angelus, Johannes Duka, Michael Paläologus und eines Ungenanten. Diese Constitutionen hat zuerst Charondas (1575) seiner Ausgabe aus Ennemondi Bonnefidii Jus orientale angehängt, und sind sie seit dieser Zeit in den spätern Ausgaben des Corpus juris wiederum abgedruckt, obgleich sie nachher viel vollständiger in Leunclavii Jus Graeco-Romanum gegeben waren.  
  8) Canones sanctorum et reverendorum Apostolorum per Clementem a Petro Apostolo Romae ordinatum episcopum in unum congesti: griechisch. Diese Canons, 84 und nach den ältern Abtheilungen 85 an der Zahl, rühren weder von den Aposteln her, ob sie gleich Justinian in der Vorrede zur sechsten Novelle als Quelle des geltenden Kirchenrechts anerkant hat, noch sind sie von dem römischen Bischof Clemens in diese Samlung gebracht, sondern vielmehr von einem Betrüger untergeschoben 91). Sie enthalten kurzgefaßte kirchliche Regeln, welche theils die Pflichten der Lehrer und Kirchendiener, theils der übrigen Christen festsetzen, und überhaupt Verschiedenes, was die Verfassung der Kirche und den Gottesdienst betrifft, unter Androhung von Strafen bestimmen. Haloander hat sie zuerst seiner Novellenausgabe (1531) mit einer lateinischen Übersetzung angehängt, und seit dieser Zeit sind sie in die Ausgaben des Corpus juris übergegangen.  
  9) Die Usus oder Consuetudines feudorum, dem Corpus juris durch die Glossatoren angehängt.  
  10) Friderici secundi Imperatoris Constitutiones de statutis et consuetudinibus contra libertatem ecclesiae editis, et immunitate locorum religiosorum ubique morantium, et fori privilegio, et Gazaris et Patarenis et aliis haereticis, eorumque successoribus, et navigiis peregrinis et advenis quocumque locorum hospitantibus eorumque successoribus, et de agricolarum securitatibus.  
  11) Liber de pace Constantiae, oder der Costnitzer Frieden, von den Glossatoren beigefügt.  
  Außerdem finden sich noch in einigen Ausgaben willkürliche Anhänge, z. B. der Julianische Novellenauszug (im Corp. jur. Lugd. ap. Senneton. 1548 — 1551 etc.), der sogenante Brachylogus (ebendaselbst), die Lombarda (im Corp. jur. Lugd. sub signo Leonis 1562), die goldene Bulle (im Corp. jur. ed. Aveae de Baudoza),
 
 
  • 91) Fabric. bibl. Gr. Vol. XII. p. 143 sqq. ed. Harles. Guil. Beveregii judicium de canonibus apostolicis, in Cotelerii Patres apostol. P. I. p. 432., worin sich auch noch mehre Abhandlungen über diesen Gegenstand befinden. S. auch J. Paul. Hebenstreit D. de canonibus, ut dicuntur vulgo, apostolicis, Jen. 1701. 4.
 
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  die Bruchstücke der zwölf Tafeln, die tituli e corpore Ulpiani, und Julii Paulli receptae sententiae, in der Ausgabe Simon van Leeuwen u. s. w.  
VIII. VIII. Art zu Allegiren 92). ⇧ Inhalt 
  Die Art, das Corpus juris zu allegiren, weicht bedeutend von der Art, wie andere Bücher, z. B. die alten Classiker allegirt werden, ab. Justinian selbst citirt in seinen Novellen seine Samlung nach der Zahl der Bücher, Theophilus in der Institutionenparaphrase nach der des Buchs und des Titels; eben so die Basiliken, selbst noch mit Angabe der Zahl der einzelnen Stelle, und so auch die spätern griechischen Rechtsgelehrten. Im Westen citirt Ivo (Carnotensis) alle Theile des Corpus juris nach Zahlen.♦  
  Wie jedoch seit Irnerius der mündliche Vortrag über dasselbe, und besonders das Disputiren, als eine Hauptsache des damaligen Unterrichts aufkam, auch man hiebei, so wie bei den mündlichen Verhandlungen in den Gerichten einzelne Stellen anführen mußte, so fing man an, da es nicht so schwer ist, Worte als Zahlen zu behalten, und da seit der Recension von Bologna die einzelnen Stellen nicht mehr in den Handschriften beziffert wurden, diese Stellen nach ihren Anfangsworten, so wie den Titel, woraus sie genommen waren, nach seiner Rubrik anzuführen.♦  
  So z. B. citirt die Glosse und die Glossatoren die Pandekten folgendermaßen: Dig. quod metus causa l. metum §. Cum autem, und wenn sie eine Zahl hinzusetzt, so ist es blos da, wo mehre Stellen mit denselben Worten anfangen, oder dieselbe Rubrik, wie bei dem 30sten, 31sten und 32sten Buche der Pandekten (de legatis in primo, secundo, tertio), also in dem obigen Beispiele: D. quod metus causa l. metum 9. §. Cum autem. Daraus ward: L. metum 9. §. Cum autem D. quod metus causa, nachher, als man auch anfing, den Anfangsworten die Zahlzeichen beizufügen: L. metum 9. §. Cum autem 8. D. quod metus causa, und noch später, etwa in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts 93), als man schon viele numerirte Ausgaben besaß, mit Weglassung der Anfangsworte der Stelle und des Paragraphen L. 9. §. 8. D. quod metus causa, welches seitdem die gewöhnliche und noch jetzt in den Gerichten übliche Citirmethode ist.♦  
  Etwa seit 1790 fing man in den Schriften der Rechtsgelehrten an, außer der Rubrik nun auch die Zahl des Buchs und Titels hinten einzuklammern: L. 9. §. 8. D. quod metus causa (IV. 2.), und seit Hugo ist es gebräuchlich geworden, ohne selbst der Rubrik zu gedenken, zu citiren: fr. 9. §. 8. D. IV. 2., wobei jedoch noch Einige die Rubrik des Titels quod metus causa angeben.  
  Dabei ist zu bemerken, daß statt des D. auch wol ff gesetzt wird; z. B. l. 9. §. 8. ff. quod metus causa. {1} Diese Sigle ff, welche schon in den Handschriften vorkömt, ist nichts als ein geschlungenes D, und bedeutet Digestorum 94)-
{1} fehlender . ergänzt.
 
  • 92) Hugo civil. Magazin. Bd. IV. Nr. 8. und S. 409. Thibaut civilist. Abhandlungen. 1814. Nr. 10.
  • 93) Riccius tr. rhaps. de libr. jur. Rom. quat. (1657) nent wenigstens diese Art eine Neuerung.
  • 94) Cramer de sigla Digestorum; Hugo Magazin Bd. III. Nr. 6. u. ebendas. S. 186. — Über die oft sehr lächerlichen Erklärungen Anderer s. Brunquell. hist. jur. {2} P. III. cap. 3. §. 34. Ludovici doctrina Pand. §. 59. meine Einleitung. S. 166. Anm. 13.
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  Auf eine ähnliche Art wurde der Codex allegirt; seit Hugo geschieht es, daß statt des Worts lex, constitutio gesetzt wird; z. B. c. 4. C. VI. 15.  
  Bei den Institutionen allegirte man gleichfalls sonst die Anfangsworte, und nachher die Zahl des Paragraphen, und die Rubrik des Titels, z. B. §. 3. Inst. de justitia et jure; jetzt §. 3. J. I. 1.♦  
  Die Novellen wurden sonst nach der Zahl der Collationen und der Titel, oder blos nach der Rubrik der Titel allegirt; jetzt nach der Zahl einer jeden Novelle, so wie dieselben von Contius in seiner Ausgabe von 1571 geordnet, und von Gothofredus den Nummern nach beibehalten sind, ohne Rücksicht auf die Zahl der Titel zu nehmen; sodann nach deren Capitel und Paragraphen, wie jeder andere classische Autor.♦  
  Bei den libris Feudorum allegirt man jetzt zuerst die Zahl des Buches, und dann die des Titels; z. B. II. Feudorum 45.  
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Stand: 19. Mai 2018 © Hans-Walter Pries