HIS-Data
Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat HIS-Data
5226-5-19
Additiones > §. 19
Werk Inhalt ⇧ Add.
Von dem uhrsprung, beschaffenheit und unterscheid der landes-fürstlichen hoheit
⇦ §. 18 §. 20. ⇨

    ⇦ S. 94: §. 18
S. 95 Von der Landes-Fürstlichen Hoheit. §. 19.
  Beym Cap. I. §. 2.
  §. 19.
  VOn der Landes-Fürstlichen Hoheit ist so viel und mancherley nun in hundert jahren her geschrieben und disputiret, daß man billich bedencken haben solte, etwas darvon zu melden, bevorab, da es fast gefährliche fragen sind, die darüber entstehen; Im text dieses capitels, und denen folgenden, ist eine ordentliche und völlige Landesfürstlichc Hoheit præsupponiret worden, und besonders in solchen Ländern, wo landstände sind; Es scheinet auch aus dem gantzen tractat, daß man in demselben wege geblieben, und dahero auch im Dritten Theil alle regalia utilia einem also præsupponirten vollkömmlichen Landesfürsten zugeschrieben, und in solcher meynung nehmen dieses wort Land-Fürst[1] und Landesfürstliche oder Herrliche Obrigkeit heut zu tage fast alle gelehrte, die davon schreiben; Es mißbrauchen es aber etliche, zumal neu-angehende räthe und diener* an höfen, und meynen, wo sie solches wort in seinen syllaben klingen hören, so müste alsobald alles daraus folgen, was sie etwan in büchern gelesen, daß in gemein ein Landes-Fürst, oder summus princeps, thun könne.
  Damit nun etlicher massen, und nur discurs-weise, etwas mehr nachdencken einem und andern gegeben werde, so wil ich, guter meynung, etliche erinnerungen von dieser wichtigen und gefährlichen materi hiermit gethan haben, gleichwol mit vorbehaltener verbesserung und correctur von denen, die
S. 96 Additiones zum II. T. C. 1 §. 2.
  es besser verstehen, wie auch mit zierlichem beding, daß ich hiermit niemanden maaß und ziel gegeben, oder rechtmäßiges herkommen in zweifel gestellet haben wolle. Und zwar (1.) ist zu mercken, daß diese heutige art der Landes-Fürstlichen Obrigkeit in Teutschland, wie sie von den gelehrten beschrieben, und an den meisten orten practiciret wird, zu der zeit nicht also gewesen oder geübet worden, da die Römischen Käysere fast unmittelbar über das gantze Reich geherrschet, und gewisse hohe ämter der hertzogen, pfaltzgrafen, marggrafen, und grafen, auf lebens-zeit geordnet. Denn obwol die form und krafft der regierung nicht in der erblichkeit bestehet, sondern ein erwehlter Herr (wie man noch heut zu tage bey den hohen Stifftern stehet) so wol ein Landes-Fürst ist, als der von seinen eltern oder agnaten das fürstenthum ererbet: So ist doch leicht zu ermessen, daß zu derselben zeit die Käysere keine gedancken gehabt, dergleichen vollkömmliche macht und regierung von provincien denen von ihnen also geordneten obrigkeiten mitzutheilen. Welches man daraus siehet, daß sie nicht allein fast in allen landen des Reichs die damahligen nahmhafftesten städte, (derer denn vor alters wenig in Teutschland gewesen) auch die schlösser und vestungen ohne mittel behalten, darinnen gewohnet, und ihren unterhalt genommen, darum auch die städte Villae, Regii fisci von den alten scribenten genennet werden, sondern daß sie auch sonst fast aller orten die zölle, und dergleichen jura, gleicher gestalt ohne mittel zur käyserlichen kammer gezogen, auch wohl,
S. 97 Von der Landes-Fürstlichen Hoheit. §. 19.
  allem ansehen nach, oder doch an meisten orten, den adel oder ritterschafft in einer unmittelbaren botmäßigkeit, schutz und verspruch gehabt, ob gleich solcher adel etwa mit particular præstationen denen officiis regularibus der hertzogen und grafen auch schon zu der zeit verbunden gewesen seyn möchte. (2.) Ist ebener gestalt aus den historien und documenten abzunehmen, daß, nach damaliger gelegenheit der zeiten, und nicht also bekanter art, das geld zu vermehren, und auff viel geld den staat zu machen, die hohen ämter der hertzogen und grafen nicht auff geld-besoldungen gewiedmet worden, sondern man hat die einkünffte solcher ämter auff gewisse örter und renten gestifftet, gestalten auch hinwieder bey den fürstenthümern selbst die ämter der marschälcke, schencken, truchsesse, etc ebener gestalt auff land-güter und renten fundiret waren; Also hat in einer provintz der hertzog oder fürst, als der vom Käyser bestallte oberste kriegs-director, der etwa in reichs-nöthen das volck dem Käyser oder Könige zuführen muste, gewisse schlösser, flecken, dörffer und einkünffte, zu seinem auskommen gehabt; andere in eben selbigem lande haben zum exempel einem pfaltzgrafen gebühret, der über die königliche oder käyserliche ausgezogene unmittelbare regalien zur auffsicht, wie man dafür hält, anfangs mag bestellet gewesen seyn; Andere denen Grafen, welche die gerichtbarkeit des Käysers wegen in gewissen bezircken versehen: Andere denen Marggrafen, welche wider angräntzende barbarische völcker stets in bereitschafft
S. 98 Additiones zum II. T. C. 1 §. 2.
  seyn musten, und so fort an. (3.) Woraus folget, daß zu denselben zeiten keiner von diesen hohen beamten, wo zumahl deren etliche concurriret, einer allgemeinen hoheit oder botmäßigkeit über eine gantze provintz sich anmassen können. Der hertzog zwar kan zum exempel alles zu dirigiren gehabt haben, was zum krieg und auffgebot erfordert worden, nicht etwa nur in denen zu seinem unterhalt absonderlich gewidmeten orten, sondern in dem bezirck der gantzen provintz, darüber er zum hertzog constituiret war; Also hätte der pfaltzgraf in dem gantzen district die jura palatina beobachtet: Der marggraf und die grafen haben auch des ihrigen gewartet, und kan man sonderlich aus untadelhafften documenten weisen, haben es auch andere schon längst observiret, daß alle örter, flecken und dörffer der provincien,in graffschafften eingetheilet gewesen, und also, was die gerichtbarkeit belanget, die unterthanen, inwohner oder leute, ihren gewissen fürgesetzten grafen gehorchen müssen, die doch sonst in andern stücken denenselben gar nicht unterworffen, sondern mit eigenthum oder leibeigenschafft andern herren, oder auch dem Käyser oder Könige, immediate angehörig, also re et nomine königs-leute gewesen; Das erscheinet unter andern daraus, daß die Käysere selbst, und andere Herren, in donations-brieffen, darinnen sie gewisse dörffer, leute und güter, den stifftern oder andern, gantz frey, was zinß und eigenthum belanget zueignen, dennoch darbey setzen: Es liege in der Graffschafft dieses oder jenes Grafen: Ist auch
S. 99 Von der Landes-Fürstlichen Hoheit. §. 19.
  ohne zweiffel, so wohl der jurisdiction, als der natur nach, darinnen liegen blieben. (4.) Wenn nun die Käysere in diesen schrancken und wegen hätten beharren können, so käme ihnen noch auff diese stunde nicht allein die oberste Käyserl. Macht und Hoheit, sondern auch andere unmittelbahre jura in den provincien des Teutschlandes, zu exerciren, und wäre die gewalt des Landes-Fürsten, als ein universale, welches regulariter alles unter sich begreiffet zu solchen kräfften niemahls gediehen, wie sie hernach sich befunden. Nachdem aber vor langer zeit, und aus mancherley uns zum theil nicht gnugsam bekannten, nunmehr billich unänderlichcn ursachen, es nicht allein dahin kommen, daß die hohen ämter der Fürsten und Grafen erblich worden; Sondern auch hernach von den grösten und vornehmsten die kleinere, theils mit krieg und fehden, theils mit heyrathen und contracten, theils aus milde der Käysere an sich gezogen und consolidiret worden. So hat sich nach und nach die Landes-fürstl Hoheit ergrössert, und ist an vielen orten ein universal-werck entstanden, daß also gantze provincien in ein corpus zusammen gewachsen; Die Käysere selbst, da sie nicht mehr durch erb-recht, sondern aus wahl der Churfürsten, zum Reich kommen, haben solche coalescentz und ankunfft der fürstenthümer nicht wol wehren können: Es ist ihnen mancherley unfall zugestanden, daß sie der Fürsten und Herren gutwilligkeit wohl bedurfft, und weil sie der wahl vor ihre kinder nicht versichert waren, haben sie endlich
S. 100 Additiones zum II. T. C. 11. §. 2.
  auch menschlicher weise auff dieselbe gedacht, und dahero, was sie andern nachgesehen, in ihren provincien zuförderst selbst practiciret; Also ist mit der zeit die unmittelbahre Käyserliche gewalt, samt anhängenden intraden, in den meisten provincien gefallen, biß es endlich dahin kommen, daß dem Käyser, als Käyser, fast keines fusses breit unmittelbarer zugehörung im Reich verblieben, sondern alles vererbet, verliehen oder verpfändet worden, wie es nun sonderlich seithero Käyser Carls des Vierdten zeiten öffentlich kundbar und am tage ist, so gar, daß auch die städte, welche noch am längsten zu der Käysere unterhalt, nach damahliger art und weise, übrig blieben, sich entweder frey gekaufft und gesetzet, oder in der fürsten macht gerathen.
  (5.) Bey solcher bewandniß nun darff man sich nicht verwundern, warum in diesem oder jenem lande es so gar unterschiedlich mit der Landesfürstlichen Hoheit bewand sey; Indem etlicher orten auch die Bischöffe und Prälaten, die Grafen und Herren, die sämtliche Ritterschafft, und alle, auch wohl ansehnliche und alte, und noch auff diese stunde im besitz vieler freyheiten stehende städte, unter die botmäßigkeit der Fürsten kommen, etlicher orten hingegen nicht allein die stiffter und prälaturen, wie auch Grafen und Herren, sondern auch der adel groß und klein, und geringe städte, von Landesfürstlicher Hoheit frey blieben. Und wenn man die historien und archiva zur hülffe zöge, solte wol zu erkundigen und zu beschreiben seyn, woher solche un-
S. 101 Von der Landes-Fürstlichen Hoheit. §. 19.
  terschiedliche art der landsasserey entsprungen,** und warum etliche ehe, die andern langsamer, entstanden, und etliche, nicht alle, sondern nur gewisse regalia und jura, etliche die durchgehende hoheit, wie sie sonst die Käyser ohne mittel gehabt, in den provincien, und über die benachbarten erhärtet und behauptet.
  (6.) Diß dienet nun darzu, daß Fürsten und Herren mit demjenigen, was ihnen die vorfahren erworben und überlassen, desto ehe zufrieden seyn, und darauff sorgfältig gedencken, nicht nur wie sie sich gegen die benachbarten ie mehr und mehr gewaltig herfür thun, oder denen, welche ihnen nicht völlig mit allen arten der subjection unterworffen, die übrige wenige freyheiten blosser dinge benehmen mögen, sondern wie sie vielmehr dasjenige, was durch so langen gebrauch und besitz rechtmässig hergebracht, erhalten, und in guter maasse und moderation, nach der zeiten, personen beschaffenheit, fortführen oder doch, nach gelegenheit der fälle, also einrichten mögen, daß sich die leute über der enderunq mehr zu trösten, als zu beschweren haben: Zuvoraus aber, daß die harmonia des Reichs unter dem respect Käyserl. Majestät, und mittelst gerechter tapfferer administration der justitz behauptet werden möge, was widrigen falls, und wo ein jeder insonderheit nur auff das seinige und auff die ergrösserung seiner macht und hoheit, in particulari sehen wolte, für ein effect entstehen würde, daß bedarff keiner auslegung.
  (7.) Diejenige, die von den schulen, in Chur-
S. 102 Additiones zum II. T. C. 1. §. 2.
  und Fürstl. oder dergleichen hohe rathstuben kommen, und aus den gemeinen commentariis de jure principis et territorii vermeynen, man müsse alles über einen leist schlagen, haben sich hierbey auch wahrzunehmen. Denn es folget nicht quidlibet ex quolibet. Und läst sich nicht allerwegen eine solche bottmäßigkeit einführen, wie man sie in büchern in amplissima forma von müßigen leuten beschrieben findet.
  * Die ursache dessen rühret guthen theils mit daher, was §. 16 ist erinnert worden. Hierzu kömmet, daß man öffters alles dasjenige, was etwan hier und dar müssige leute sonder rechte einsicht und erfahrung geschrieben, alsobald annimmet und zu practiciren suchet, nachdem ein diener solches aus ein und anderer privat-absicht seiner convenienz gemäß erachtet, oder sonst gerne eine flatterie machen will, womit doch am ende nichts weiter gethan ist, als daß man sich vergebliche arbeit gemachet. Wir wissen ja Gottlob ohnedem aus denen grundsetzen des Reichs, was die Landes-Fürstliche hoheit sey, und thun also am besten, wenn wir diese nach solcher richtschnur abmessen, wobey und denen im text berührten anmerckungen wir es auch vor dißmahl bewenden lassen.
  ** Ich zweiffele gar sehr, ob unser archiva ingesamt so beschaffen, daß daraus der wahre uhrsprung so wohl der Landes-Fürstl. Hoheit, als der daraus entsprungenen landsässerey[2] erforschet werden könnte Massen dieselben lediglich auf das herkommen sich gründen, und leicht zu gedencken, daß die Fürsten und Grafen sich nicht auf einmahl, sondern allmählig bey ereignenden zeiten und gelegenheiten in den stand der Landes herrlichen gewalt gesetzet haben, daß auch noch weniger ein solches auf vorhergehende deliberation geschehen, mithin wenig oder gar nichts deßfalls in schrifften verfasset oder verwahrlich auffbe-
S. 103 Von der Würckung Käyserl. Lehnbr. §. 20.
  halten worden; Wie es denn gemeiniglich bey dingen, so nicht mit vorbedacht angefangen werden, sondern nur zufälliger weise entstehen, zu geschehen pfleget, daß man auf deren verfaßung wenig dencket, und mehr mit der that dabey zu operiren, als schrifftlich etwas zu entwerffen pfleget. So finde ich auch, daß man vor alters bey Cantzleyen und andern collegiis gar sparsahm mit der feder umgangen, und sehe man nur die alten registraturen von etwan 150. biß 200. jahren nach, so wird man so wohl in publicis als privatis gar ein schlechtes aussehen finden; Es ist alles zerstümmelt, daß man dahero öffters conjecturationes und muthmaßungen zu hülffe nehmen muß, aus welchem doch nichts gewisses zu schliessen ist. Ja was etwan in archiven und brieff-gewölben noch vorhanden gewesen seyn mag, ist durch die vielen unruhigen zeiten in Teutschland sehr zerrissen worden. Wir müssen also, und können endlich auch mit denen vorhandenen nachrichten in so weit zu frieden seyn, nach welchen man ziemlich wahrscheinlich behaupten kan, woher die Landes-Fürstl hoheit und landsäßerey entsprungen, warum diese in einem Lande mit anderer maaße sich finde, als in einem andern, warum solche in dem Niedern theile Teutschlandes besser um sich greiffen können, als ist dem Obern? Und w. d. mehr seyn mag.

  Anmerkungen HIS-Data  
  [1] korrigiert aus: Lan-Fürst
  [2] korrigiert aus: lansässerey
HIS-Data 5226-5-19: Teutscher Fürsten-Staat: Additiones: §. 19 HIS-Data Home
Stand: 15. August 2017 © Hans-Walter Pries