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Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat HIS-Data
5226-2-9-7
Anderer Theil > Cap. 9 > §. 7
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Von einigen sonderbahren centh- rüge- u.d.g. gerichten
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S. 244 (Forts.)   ⇦ S. 244: §. 6
  §. 7. Über diese gemeine und durchgängige ordentliche arten der gerichtbarkeit sind in etlichen provintzen des Teutschlandes vielerley sonderbare gerichte, welche nicht eben der landes-herrschafft, Scan 264
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  oder der ordentlichen obrigkeit, sondern offt einem andern herrn oder stande in fremden orten, ausserhalb seiner ordentlichen jurisdiction allein, oder nebenst dem ordentlichen oder voigtey herren, zukömmet, unter solchen ist sehr berühmt die Cent oder Cent-Gericht, welches ein solch befügniß ist, daß der, welcher diese centbarliche gerechtigkeit hergebracht, etliche gewisse haupt-verbrechen, mehrentheils viere, die man die vier hohe Rügen nennet, als Mord, Diebstal, Brand, und Nothzucht, oder Vehde, Mord, Raub und Nothzucht, in einem gewissen bezirck, ungeachtet er darinnen keine oder wenige unterthanen hat, bestraffen mag, darzu aber etlicher orten viel mehr gerichts-fälle gezogen, * auch die centbare leute oder gerichts-unterthanen alle jahr auf gewisse hohe cent-gerichts-tage zusammen gefordert, und was bey ihnen straffbares vorgangen, zu rügen oder anzuzeigen, angehalten werden.** Man bestellet zu solcher gerichts-übung einen cent-grafen, oder voigt, schöpffen, rüger, büttel, etc. hält darbey mancherley gebräuche, wie jedes orts herkommen ist, und entstehet öffters, wegen mißbrauch dieser cent-gerechtigkeit, vieler orten grosser streit und unlust, scheinet aber, daß von alters hero eigentlich wider die grobe landschädliche laster, dadurch gemeine ruhe und sicherheit mercklich zerstöret wird, solche cent-gerichte von käysern bestellet, und den Mächtigsten im lande anvertrauet, nach und nach aber verändert und vermehret worden. Etlicher orten nennet man dieses recht die hohe malefitz-
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  obrigkeit, die fraiß oder fraißliche obrigkeit, den blutbann, etc. Und werden nicht allenthalben rugen oder gewisse gerichte gehalten, sondern diejenige obrigkeit, welche solche peinliche fälle nicht zu rechtfertigen hat, läst, so offt sich ein fall begiebt, die straffbare unterthanen dem fraiß-herrn zu gebührlicher bestraffung ausantworten, welches alles aus den gewohnheiten und ordnungen der länder, auch den büchern der rechts-gelehrten, jedes orts, abzunehmen und zu unterscheiden.
  So ist ferner die Voigtey, darunter wir aber nicht die ordentliche obrigkeitliche jurisdiction, wie sie von der cent, ober den peinlichen gerichten unterschieden wird, sondern eine andere sonderbare art, die man auch etlicher orten die casten-voigtey oder ober-voigtey, *** item, auf gewisse maasse die schutz-gerechtigkeit heisset, verstehen, eine sonderbare art der botmäßigkeit, welche mehrentheils die nechst-gesessene landes-herren über die bey ihnen gelegene clöster und geistliche stiffter von alters her haben, daß sie alle peinliche, oder doch gewisse und sonderbare fälle, an orten und enden, die solchen stifftungen zustehen, zu üben, auch darneben gewisse einkünffte darvon haben. Etlicher orten kömmet solches recht der voigthey zwar den bischöffen zu, sie verrichten aber solches durch ihre burggrafen, schultheissen oder voigte, die sie zum theil erblich damit beliehen, und solches für hohe gräfl. dignitäten etlicher orten geachtet werden. Wir geschweigen anderer vielerley special-arten der gerichte, Voigt-Gerichte, Ruge-gerichte, feld- und
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  mahl-gerichte, stab-gerichte, burg-gerichte, göw-gerichte, helffs-gerichte, und dergleichen, darvon zum theil gewisse verbrechen und frevel geruget und gestraffet, zum theil sonderbahre strittigkeiten entschieden werden.
  Etlicher orten sind über die vormundschaffts-sachen, zu bestellung der pfleger und vormünder, abhörung ihrer rechnung, und desgleichen, sonderbare gerichte und commissiones geordnet. Von lehen-gerichten, wald-gerichten, berg-gerichten, wollen wir gehöriger orten auch etwas vermelden, und erinnert man sich hierbey billig mit fleiß, daß diese bißhero erzehlte und andere vielmehr arten der sonderbaren gerichtbarkeiten, welche noch von denen zeiten der alten Teutschen, welche in diesem fall stückweise, und nicht auf einmahl, der sachen abzuhelffen, und die jurisdiction zu bestellen gewust, nicht eben vorzüge und herrlichkeiten der hohen landes-obrigkeit seyn, sondern offt und vielfältig an orten und enden, die ausser des landes und fürstenthums, und dessen hoher territorial-hoheit liegen, geübet werden, auch wohl geringern standes-personen zukommen: **** So achten wir auch unnöthig, von dem alten kampff-gerichte, da die streitige partheyen ihre sachen mit dem schwerdt ausfechten müssen: Item von den alten Westphälischen frey- oder fäim-gerichten, weil solche abkommen, und bey den historien-schreibern darvon meldung zu finden, allhier anführung zu thun.
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  * Es werden nemlich die Centen eingetheilet in limitirte[1] und illimitirte: Zu jenen sind allein die 4 oder zuweilen nur 3 hohe rugen competent: Diese aber haben auch über kleinere frevel und so gar geringe injurien zu cognosciren, welches aber sonderlich die freye Reichs-ritterschafft in Francken nicht hat eingestehen wollen, und daher seit 100. und mehr jahren viele kostbare processe an den hohen reichs-gerichten wider die Cent-herren geführet hat, so doch nunmehro meistens durch nachgeben beyder theile beygeleget worden. Sonst giebt es auch binnen solchen Cent bezircken einzelne personen, güther, auch wohl gantze dörffer, welche Centfreye genennet werden: Und wird durch die bedeutung dieses worts einmahl eine völlige freyheit von dem Cent-gerichts-zwang, anderer orten hingegen, z. e. in der pflege Coburg eine befreyung ausser denen 4. hohen rugen verstanden. ⇩ [1]
  ** Dergleichen zusammenkunfft wird das hochgericht genennet und geschicht zu dem ende, daß an solchen die centbare unterthanen, jeder mit seinem besten gewehr sich vor offener Cent stellen, und zugleich ihre præstanda lieffern müssen. Die rügen aber, deren im text gedacht wird, geschehen nicht eben am selbigen tage sondern meistens monatlich bey denen gewöhnlichen Centgerichten
  *** Eigentlich zu reden, so ist die schutz- und schirms-vogtey von der Obervogtey zu unterscheiden. Denn gleichwie jene sattsam bekant, also ist diese nach der observanz etlicher orten nichts anders als die territorial-hoheit vermöge deren der obervogtey-herr an vermischten orten die jura territorialia zu exerciren, die übrigen vogtey-herren aber nur über ihre mit thür und angel beschlossene unterthanen zu gebiethen haben, daß also jenem das gebot und verbot zu dorff und feld, anschlagung der patenten, die jurisdiction über die gemeinden v.d.g.m. alleine zustehet.
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  **** Uberhaupt müssen wir also noch bey dieser gerichtbarkeit observiren, daß solche in Teutschland keines weges aus denen Römischen gesetzen, sondern lediglich aus der gewonheit zu beurtheilen seye. Wenn also jemand nur auf diese genaue achtung hat, so wird er sich in der so intricaten materie leicht helffen und der allermeisten schrifften, de jurisdictione, leicht entbehren können.

  Anmerkungen HIS-Data  
  [1] korrigiert aus: limimitirte
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Stand: 17. September 2017 © Hans-Walter Pries