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Forts. S. 306 Sp. 2 |
AUFKLÄRUNG ist Verdeutlichung und dadurch
bewirkte Berichtigung der Vorstellungen des menschlichen
Geistes.♦ |
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Da eine absolute Vollkommenheit derselben, die in
keinem Felde des menschlichen Strebens nach Erkenntniß noch
Dunkelheiten und Irrthümer übrig ließe, auf Erden nicht zu erreichen
ist, bleibt sie in jeder Bedeutung ein relativer Begriff, der sich
auf bestimmte Gebiete des Wissenswürdigen und verschiedene Grade der
Deutlichkeit{1} und Richtigkeit der darin erlangten Einsichten
bezieht.♦ |
{1} korrigiert aus: Dentlichkeit |
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Man unterscheidet eine allgemeine Aufklärung,
welche die für jeden Menschen absolut wichtigen Kenntnisse
verbreiten, und daher Allen zugänglich seyn soll; und eine
besondere, die darin besteht, daß jeder Stand in dem, was zur
Vervollkommnung seiner Berufsthätigkeit erfordert wird, hinlänglich
unterrichtet ist.♦ |
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Da die natürliche Trägheit bei den meisten
Menschen durch den Reiz der Aussicht auf größeren zeitlichen
Vortheil leichter überwunden wird, als durch die Vorstellung der
Pflicht; so pflegt die auf den Wirkungskreis besonderer Stände
eingeschränkte Aufklärung, vorzüglich diejenige, welche
Beschäftigungen, die zunächst das sinnliche Wohlseyn des Menschen
angehen, fördert und gewinnreicher macht, schneller fortzuschreiten
und weiter um sich zu greifen, als die Allgemeine. Wir finden Ärzte, Kaufleute, Handwerker, Künstler
und Ökonomen, welche sich auf ihr Geschäft sehr wohl verstehen,
Vorurtheile und Gewohnheiten, die eine vortheilhafte Betreibung
desselben mindern würden, gern aufgeben, und jede dahin abzweckende
Verbesserung eifrig benutzen, auch in Gegenden, wo die allgemeine
Aufklärung absichtlich zurückgehalten wird.♦ |
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Dagegen hängt das Gedeihen der besondern über
diejenigen Berufsarten, |
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AUFKLÄRUNG |
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deren Wirkungskreis die Befriedigung geistiger
und sittlicher Bedürfnisse in sich faßt, z. B. der pädagogischen,
der theologischen Aufklärung, von dem Fortschreiten der allgemeinen
ab. Denn diese hat es mit Angelegenheiten zu thun, die jedem
Menschen, wegen seiner von Gott und der Natur selbst
vorgeschriebenen Bestimmung zum weisen Gebrauche des irdischen
Lebens und zur würdigen Vorbereitung auf das ewige, gleich nahe
liegen. Sie herrscht da, wo jeder Mensch, so weit es ihm nach seinen
Kräften und Umständen zukommt, über sein Verhältniß mit Gott, der
Welt und der menschlichen Gesellschaft, über seine Rechte und
Pflichten der Wahrheit gemäß zu denken und zu urtheilen versteht.
Dahin gehört die religiöse, die moralische, die bürgerliche, und die
dem sogenannten medicinischen Aberglauben entgegengesetzte
physikalische Aufklärung.♦ |
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Diese Arten der Aufklärung stehen ihrer Natur
nach in Wechselwirkung und fördern sich gegenseitig. Doch weist die
Geschichte viele Beispiele einzelner Menschen und ganzer Völker auf,
bei denen sie keinesweges gleichen Schritt hielten. Im alten
Griechenland und Rom überwog die politische Aufklärung weit die
religiöse, in Teutschland entwickelte sich die religiöse und
moralische früher, als die politische, in Frankreich diese eher, als
jene, (die religiöse Aufklärung der Zeitgenossen Voltaire's war mehr
ein Krieg des Witzes gegen den Obscurantismus, als ein ernstes
Streben nach Licht, und ihre Wirkung nur negativ); England ging in
jeder Art, was die Hauptpunkte betrift, dem übrigen Europa voran,
wenn es auch seine Entdeckungen sehr ungleich benutzte. Andre
Resultate gibt die Geschichte des Fortschreitens der Aufklärung in
Hinsicht ihrer Verbreitung auf alle Volksclassen. *). Teutschland,
besonders das protestantische, hat es darin andern Ländern
zuvorgethan, weil es schon längst in seinen überall, bis auf die
geringsten Dörfer herab bestehenden Volksschulen, ein Mittel dieser
Verbreitung besaß, das noch in keinem andern Lande mit dieser
Vollständigkeit angewendet und wirksam wurde. |
*) Vgl. F. H. Ch. Schwarz's Gesch. der Erziehung
Lpz. 1813 2 Bde, worin die Zeitalter der geschlossenen und der
freigewordenen Bildung sorgfältig unterschieden sind. |
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Religion, Moral, Verfassung, Welt- und Naturkunde
sind die Gegenstände der allgemeinen Aufklärung, die Wissenschaften
ihre Quellen und Pflegerinnen, Menschenveredlung und Wohlfahrt ihr
Zweck, lebendiger Unterricht in Schulen und Kirchen, Bücher,
Statseinrichtungen, Gesetze und obrigkeitliche Verwaltungen ihre
Verbreitungsmittel, deren Zweckmäßigkeit das Fortschreiten dieser
Aufklärung bedingt. Sie erfodert zwar nicht blos Beseitigung von
Vorurtheilen und Irrthümern, die Unwissenheit zuließ, und
Aberglaube, Schwärmerei, Eigensinn oder Eigennutz festhält, sondern
auch Entwöhnung vom blinden Autoritätsglauben, Anwendung der
Vernunft zu eigner Prüfung aller Gegenstände der Erkenntniß und
Überzeugung und Streben nach Selbständigkeit im Denken und Handeln.
Zu ihrer Verbreitung bedarf es aber doch einer Weisheit, welche Art
und Maß der mitzutheilenden Kentnisse und |
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AUFKLÄRUNG |
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Erläuterungen nach den verschiedenen Bedürfnissen
und Verhältnissen der Menschen berechnet. Wie der Schulunterricht
Belehrungen, die ohne Vorkenntnisse nicht richtig aufgefaßt werden
können, den geeigneten höhern Classen vorbehält; so werden
Aufschlüsse, die mit dem Gesichtskreise einer niedern Bildungsstufe
und bürgerlichen Stellung durch nichts zusammenhängen, ohne
Beeinträchtigung der Menschenrechte auf denjenigen Kreis beschränkt
bleiben dürfen, in dem sie ihre Würdigung finden, ohne Mißverstand
und Mißbrauch zu veranlassen.♦ |
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Was noch nicht allgemein gültiges Resultat der
Wissenschaft, Gesetzgebung und Erfahrung ist, unreif denen
mitzutheilen, die zur Prüfung nicht berufen sind; was nur als Glied
eines geschlossenen Ganzen von Wissenschaft oder Kunst seine wahre
Bedeutung gewinnt, aus seinem Zusammenhange herausgerissen, den
Unkundigen preisgeben; was nur für Menschen eines bestimmten
Standes, einer gewissen Bildungsstufe faßlich und lehrreich seyn
kann, an Individuen anderer ganz fremdartiger Stände bringen, und
den Ungebildeten verkündigen; Projecte zu Stats- und
Kirchenreformen mit Jünglingen verhandeln, neue wissenschaftliche
Entdeckungen vor Bauern proclamiren, transcendentale Philosophie den
Schulknaben predigen; den Religionslehrer zum Arzt, und den Arzt zum
Seelsorger machen, den Künstler zum Gelehrten, den Handarbeiter zum
Artisten, den Landmann zum Kameralisten heran schrauben wollen,
kurz, den Menschen zumuthen, nicht nur das zu seyn, was ihr Alter,
Stand, Lebensverhältniß und Culturgrad erheischt oder mit sich
bringt, sondern daneben auch noch etwas anderes (Aufklärerei), führt
zu derjenigen Verwirrung der Begriffe, Interessen und Bestrebungen,
die mit Recht falsche Aufklärung genannt, und als widersinnig,
gefährlich und schädlich sowol für die, denen man sie aufdringt, als
für die bürgerliche Gesellschaft überhaupt verworfen
wird.♦ |
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Unangemessenes Licht bringt einen Zustand der
Unsicherheit und Halbheit hervor, der dem Zwecke der wahren
Aufklärung nur hinderlich ist. Diese sinnt Jedem nicht mehr an, als
ganz das zu seyn, was er an seiner Stelle seyn soll; insofern aber
Jeder Glied eines natürlichen, bürgerlichen, sittlichen und
kirchlichen Ganzen ist, schließt sie auch keinen von den Anstalten
zur Erreichung derjenigen Kenntnisse und Einsichten aus, die er als
vernünftiger Erdenbewohner, als Welt- und Statsbürger, als Christ
und Erbe des Himmels besitzen muß, um das Anvertraute treu
verwalten, seine Verbindungen richtig würdigen, zum Gemeingeist
erwärmen, und seiner Bestimmung gemäß leben zu können.♦ |
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Gefahren und Nachtheile hat die wahre Aufklärung
noch nirgend, wol aber Mangel und Hemmung derselben alle die
Übelstände verschuldet, die in den Widersprüchen der gegenwärtigen
Zeit hervortreten. Das Gemachte und Aufgedrungene, das Unwissenheit,
Schwärmerei, hierarchische Arglist oder einseitige Systematik den
Wahrheiten der Religion beimengt, muß freilich dieser Aufklärung
weichen, das Willkürliche und Gemeinschädliche, mit dem
oligarchische Kurzsichtigkeit, Selbstsucht und Bequemlichkeit die
natürlichen Grundzüge des Statslebens entstellt, die |
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AUFKÜNDIGUNG |
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Verwaltungen verdirbt und das Volk überlästiget,
wird freilich durch ihr Vordringen erschüttert und umgestürzt, und
darum sind die Fehler des Verstandes und Herzens, deren Ausrottung
sie bezweckt, stets ihre Feinde. Aber die Religion selbst kann nur
um so segensvoller wirken, je deutlicher das Begreifliche ihrer
Wahrheiten eingesehen und je unabweislicher durch diese Einsicht,
was in demselben unbegreiflich{2} bleibt, der Treue eines
ehrfurchtsvollen Glaubens empfohlen wird. Der Stat selbst kann nur
um so mehr an Ordnung, Eintracht, Wohlstand und Kraft gewinnen, je
zweckmäßiger seine Verfassung, je allgemeiner und lebendiger unter
seinen Gliedern die Kentniß derselben, und die Theilnahme an ihrer
Anwendung wird. Vgl. d. Art. Bildung, Obscurantismus Popularität {3}. |
{2} korrigiert aus: unbegreiflch
{3} nicht erschienen
(G. E. Petri.) |