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Allgemeine Encyclopädie HIS-Data
5139-1-06-316-2
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Artikel: AUFKLÄRUNG
Textvorlage: Göttinger Digitalisierungszentrum
Siehe auch: Wikipedia: Aufklärung
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Forts. S. 306 Sp. 2 AUFKLÄRUNG ist Verdeutlichung und dadurch bewirkte Berichtigung der Vorstellungen des menschlichen Geistes.♦
  Da eine absolute Vollkommenheit derselben, die in keinem Felde des menschlichen Strebens nach Erkenntniß noch Dunkelheiten und Irrthümer übrig ließe, auf Erden nicht zu erreichen ist, bleibt sie in jeder Bedeutung ein relativer Begriff, der sich auf bestimmte Gebiete des Wissenswürdigen und verschiedene Grade der Deutlichkeit{1} und Richtigkeit der darin erlangten Einsichten bezieht.♦
  Man unterscheidet eine allgemeine Aufklärung, welche die für jeden Menschen absolut wichtigen Kenntnisse verbreiten, und daher Allen zugänglich seyn soll; und eine besondere, die darin besteht, daß jeder Stand in dem, was zur Vervollkommnung seiner Berufsthätigkeit erfordert wird, hinlänglich unterrichtet ist.♦
  Da die natürliche Trägheit bei den meisten Menschen durch den Reiz der Aussicht auf größeren zeitlichen Vortheil leichter überwunden wird, als durch die Vorstellung der Pflicht; so pflegt die auf den Wirkungskreis besonderer Stände eingeschränkte Aufklärung, vorzüglich diejenige, welche Beschäftigungen, die zunächst das sinnliche Wohlseyn des Menschen angehen, fördert und gewinnreicher macht, schneller fortzuschreiten und weiter um sich zu greifen, als die Allgemeine. Wir finden Ärzte, Kaufleute, Handwerker, Künstler und Ökonomen, welche sich auf ihr Geschäft sehr wohl verstehen, Vorurtheile und Gewohnheiten, die eine vortheilhafte Betreibung desselben mindern würden, gern aufgeben, und jede dahin abzweckende Verbesserung eifrig benutzen, auch in Gegenden, wo die allgemeine Aufklärung absichtlich zurückgehalten wird.♦
  Dagegen hängt das Gedeihen der besondern über diejenigen Berufsarten,
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  deren Wirkungskreis die Befriedigung geistiger und sittlicher Bedürfnisse in sich faßt, z. B. der pädagogischen, der theologischen Aufklärung, von dem Fortschreiten der allgemeinen ab. Denn diese hat es mit Angelegenheiten zu thun, die jedem Menschen, wegen seiner von Gott und der Natur selbst vorgeschriebenen Bestimmung zum weisen Gebrauche des irdischen Lebens und zur würdigen Vorbereitung auf das ewige, gleich nahe liegen. Sie herrscht da, wo jeder Mensch, so weit es ihm nach seinen Kräften und Umständen zukommt, über sein Verhältniß mit Gott, der Welt und der menschlichen Gesellschaft, über seine Rechte und Pflichten der Wahrheit gemäß zu denken und zu urtheilen versteht. Dahin gehört die religiöse, die moralische, die bürgerliche, und die dem sogenannten medicinischen Aberglauben entgegengesetzte physikalische Aufklärung.♦
  Diese Arten der Aufklärung stehen ihrer Natur nach in Wechselwirkung und fördern sich gegenseitig. Doch weist die Geschichte viele Beispiele einzelner Menschen und ganzer Völker auf, bei denen sie keinesweges gleichen Schritt hielten. Im alten Griechenland und Rom überwog die politische Aufklärung weit die religiöse, in Teutschland entwickelte sich die religiöse und moralische früher, als die politische, in Frankreich diese eher, als jene, (die religiöse Aufklärung der Zeitgenossen Voltaire's war mehr ein Krieg des Witzes gegen den Obscurantismus, als ein ernstes Streben nach Licht, und ihre Wirkung nur negativ); England ging in jeder Art, was die Hauptpunkte betrift, dem übrigen Europa voran, wenn es auch seine Entdeckungen sehr ungleich benutzte. Andre Resultate gibt die Geschichte des Fortschreitens der Aufklärung in Hinsicht ihrer Verbreitung auf alle Volksclassen. *). Teutschland, besonders das protestantische, hat es darin andern Ländern zuvorgethan, weil es schon längst in seinen überall, bis auf die geringsten Dörfer herab bestehenden Volksschulen, ein Mittel dieser Verbreitung besaß, das noch in keinem andern Lande mit dieser Vollständigkeit angewendet und wirksam wurde.
  Religion, Moral, Verfassung, Welt- und Naturkunde sind die Gegenstände der allgemeinen Aufklärung, die Wissenschaften ihre Quellen und Pflegerinnen, Menschenveredlung und Wohlfahrt ihr Zweck, lebendiger Unterricht in Schulen und Kirchen, Bücher, Statseinrichtungen, Gesetze und obrigkeitliche Verwaltungen ihre Verbreitungsmittel, deren Zweckmäßigkeit das Fortschreiten dieser Aufklärung bedingt. Sie erfodert zwar nicht blos Beseitigung von Vorurtheilen und Irrthümern, die Unwissenheit zuließ, und Aberglaube, Schwärmerei, Eigensinn oder Eigennutz festhält, sondern auch Entwöhnung vom blinden Autoritätsglauben, Anwendung der Vernunft zu eigner Prüfung aller Gegenstände der Erkenntniß und Überzeugung und Streben nach Selbständigkeit im Denken und Handeln. Zu ihrer Verbreitung bedarf es aber doch einer Weisheit, welche Art und Maß der mitzutheilenden Kentnisse und
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  Erläuterungen nach den verschiedenen Bedürfnissen und Verhältnissen der Menschen berechnet. Wie der Schulunterricht Belehrungen, die ohne Vorkenntnisse nicht richtig aufgefaßt werden können, den geeigneten höhern Classen vorbehält; so werden Aufschlüsse, die mit dem Gesichtskreise einer niedern Bildungsstufe und bürgerlichen Stellung durch nichts zusammenhängen, ohne Beeinträchtigung der Menschenrechte auf denjenigen Kreis beschränkt bleiben dürfen, in dem sie ihre Würdigung finden, ohne Mißverstand und Mißbrauch zu veranlassen.♦
  Was noch nicht allgemein gültiges Resultat der Wissenschaft, Gesetzgebung und Erfahrung ist, unreif denen mitzutheilen, die zur Prüfung nicht berufen sind; was nur als Glied eines geschlossenen Ganzen von Wissenschaft oder Kunst seine wahre Bedeutung gewinnt, aus seinem Zusammenhange herausgerissen, den Unkundigen preisgeben; was nur für Menschen eines bestimmten Standes, einer gewissen Bildungsstufe faßlich und lehrreich seyn kann, an Individuen anderer ganz fremdartiger Stände bringen, und den Ungebildeten verkündigen; Projecte zu Stats- und Kirchenreformen mit Jünglingen verhandeln, neue wissenschaftliche Entdeckungen vor Bauern proclamiren, transcendentale Philosophie den Schulknaben predigen; den Religionslehrer zum Arzt, und den Arzt zum Seelsorger machen, den Künstler zum Gelehrten, den Handarbeiter zum Artisten, den Landmann zum Kameralisten heran schrauben wollen, kurz, den Menschen zumuthen, nicht nur das zu seyn, was ihr Alter, Stand, Lebensverhältniß und Culturgrad erheischt oder mit sich bringt, sondern daneben auch noch etwas anderes (Aufklärerei), führt zu derjenigen Verwirrung der Begriffe, Interessen und Bestrebungen, die mit Recht falsche Aufklärung genannt, und als widersinnig, gefährlich und schädlich sowol für die, denen man sie aufdringt, als für die bürgerliche Gesellschaft überhaupt verworfen wird.♦
  Unangemessenes Licht bringt einen Zustand der Unsicherheit und Halbheit hervor, der dem Zwecke der wahren Aufklärung nur hinderlich ist. Diese sinnt Jedem nicht mehr an, als ganz das zu seyn, was er an seiner Stelle seyn soll; insofern aber Jeder Glied eines natürlichen, bürgerlichen, sittlichen und kirchlichen Ganzen ist, schließt sie auch keinen von den Anstalten zur Erreichung derjenigen Kenntnisse und Einsichten aus, die er als vernünftiger Erdenbewohner, als Welt- und Statsbürger, als Christ und Erbe des Himmels besitzen muß, um das Anvertraute treu verwalten, seine Verbindungen richtig würdigen, zum Gemeingeist erwärmen, und seiner Bestimmung gemäß leben zu können.♦
  Gefahren und Nachtheile hat die wahre Aufklärung noch nirgend, wol aber Mangel und Hemmung derselben alle die Übelstände verschuldet, die in den Widersprüchen der gegenwärtigen Zeit hervortreten. Das Gemachte und Aufgedrungene, das Unwissenheit, Schwärmerei, hierarchische Arglist oder einseitige Systematik den Wahrheiten der Religion beimengt, muß freilich dieser Aufklärung weichen, das Willkürliche und Gemeinschädliche, mit dem oligarchische Kurzsichtigkeit, Selbstsucht und Bequemlichkeit die natürlichen Grundzüge des Statslebens entstellt, die
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  Verwaltungen verdirbt und das Volk überlästiget, wird freilich durch ihr Vordringen erschüttert und umgestürzt, und darum sind die Fehler des Verstandes und Herzens, deren Ausrottung sie bezweckt, stets ihre Feinde. Aber die Religion selbst kann nur um so segensvoller wirken, je deutlicher das Begreifliche ihrer Wahrheiten eingesehen und je unabweislicher durch diese Einsicht, was in demselben unbegreiflich{2} bleibt, der Treue eines ehrfurchtsvollen Glaubens empfohlen wird. Der Stat selbst kann nur um so mehr an Ordnung, Eintracht, Wohlstand und Kraft gewinnen, je zweckmäßiger seine Verfassung, je allgemeiner und lebendiger unter seinen Gliedern die Kentniß derselben, und die Theilnahme an ihrer Anwendung wird. Vgl. d. Art. Bildung, Obscurantismus Popularität {3}.
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Stand: 13. Oktober 2017 © Hans-Walter Pries