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Von der Landes-Fürstlichen Hoheit. §. 19. |
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Beym Cap. I. §. 2. |
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§. 19. |
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VOn der Landes-Fürstlichen Hoheit ist so viel und
mancherley nun in hundert jahren her geschrieben und disputiret, daß man
billich bedencken haben solte, etwas darvon zu melden, bevorab, da es fast
gefährliche fragen sind, die darüber entstehen; Im text dieses capitels, und
denen folgenden, ist eine ordentliche und völlige Landesfürstlichc Hoheit
præsupponiret worden, und besonders in solchen Ländern, wo landstände sind; Es
scheinet auch aus dem gantzen tractat, daß man in demselben wege geblieben, und
dahero auch im Dritten Theil alle regalia utilia einem also præsupponirten
vollkömmlichen Landesfürsten zugeschrieben, und in solcher meynung nehmen
dieses wort Land-Fürst[1] und Landesfürstliche oder Herrliche Obrigkeit heut zu
tage fast alle gelehrte, die davon schreiben; Es mißbrauchen es aber etliche,
zumal neu-angehende räthe und diener* an höfen, und meynen, wo sie solches wort
in seinen syllaben klingen hören, so müste alsobald alles daraus folgen, was
sie etwan in büchern gelesen, daß in gemein ein Landes-Fürst, oder summus
princeps, thun könne. |
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⇩ * |
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Damit nun etlicher massen, und nur discurs-weise, etwas mehr
nachdencken einem und andern gegeben werde, so wil ich, guter meynung, etliche
erinnerungen von dieser wichtigen und gefährlichen materi hiermit gethan haben,
gleichwol mit vorbehaltener verbesserung und correctur von denen, die |
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Additiones zum II. T. C. 1 §. 2. |
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es besser verstehen, wie auch mit zierlichem beding, daß ich
hiermit niemanden maaß und ziel gegeben, oder rechtmäßiges herkommen in zweifel
gestellet haben wolle. Und zwar (1.) ist zu mercken, daß diese heutige art der
Landes-Fürstlichen Obrigkeit in Teutschland, wie sie von den gelehrten
beschrieben, und an den meisten orten practiciret wird, zu der zeit nicht also
gewesen oder geübet worden, da die Römischen Käysere fast unmittelbar über das
gantze Reich geherrschet, und gewisse hohe ämter der hertzogen, pfaltzgrafen,
marggrafen, und grafen, auf lebens-zeit geordnet. Denn obwol die form und
krafft der regierung nicht in der erblichkeit bestehet, sondern ein erwehlter
Herr (wie man noch heut zu tage bey den hohen Stifftern stehet) so wol ein
Landes-Fürst ist, als der von seinen eltern oder agnaten das fürstenthum
ererbet: So ist doch leicht zu ermessen, daß zu derselben zeit die Käysere
keine gedancken gehabt, dergleichen vollkömmliche macht und regierung von
provincien denen von ihnen also geordneten obrigkeiten mitzutheilen. Welches
man daraus siehet, daß sie nicht allein fast in allen landen des Reichs die
damahligen nahmhafftesten städte, (derer denn vor alters wenig in Teutschland
gewesen) auch die schlösser und vestungen ohne mittel behalten, darinnen
gewohnet, und ihren unterhalt genommen, darum auch die städte Villae, Regii
fisci von den alten scribenten genennet werden, sondern daß sie auch sonst fast
aller orten die zölle, und dergleichen jura, gleicher gestalt ohne mittel zur
käyserlichen kammer gezogen, auch wohl, |
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Von der Landes-Fürstlichen Hoheit. §. 19. |
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allem ansehen nach, oder doch an meisten orten, den adel
oder ritterschafft in einer unmittelbaren botmäßigkeit, schutz und verspruch
gehabt, ob gleich solcher adel etwa mit particular præstationen denen officiis
regularibus der hertzogen und grafen auch schon zu der zeit verbunden gewesen
seyn möchte. (2.) Ist ebener gestalt aus den historien und documenten
abzunehmen, daß, nach damaliger gelegenheit der zeiten, und nicht also bekanter
art, das geld zu vermehren, und auff viel geld den staat zu machen, die hohen
ämter der hertzogen und grafen nicht auff geld-besoldungen gewiedmet worden,
sondern man hat die einkünffte solcher ämter auff gewisse örter und renten
gestifftet, gestalten auch hinwieder bey den fürstenthümern selbst die ämter
der marschälcke, schencken, truchsesse, etc ebener gestalt auff land-güter und
renten fundiret waren; Also hat in einer provintz der hertzog oder fürst, als
der vom Käyser bestallte oberste kriegs-director, der etwa in reichs-nöthen das
volck dem Käyser oder Könige zuführen muste, gewisse schlösser, flecken,
dörffer und einkünffte, zu seinem auskommen gehabt; andere in eben selbigem
lande haben zum exempel einem pfaltzgrafen gebühret, der über die königliche
oder käyserliche ausgezogene unmittelbare regalien zur auffsicht, wie man dafür
hält, anfangs mag bestellet gewesen seyn; Andere denen Grafen, welche die
gerichtbarkeit des Käysers wegen in gewissen bezircken versehen: Andere denen
Marggrafen, welche wider angräntzende barbarische völcker stets in
bereitschafft |
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Additiones zum II. T. C. 1 §. 2. |
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seyn musten, und so fort an. (3.) Woraus folget, daß zu
denselben zeiten keiner von diesen hohen beamten, wo zumahl deren etliche
concurriret, einer allgemeinen hoheit oder botmäßigkeit über eine gantze
provintz sich anmassen können. Der hertzog zwar kan zum exempel alles zu
dirigiren gehabt haben, was zum krieg und auffgebot erfordert worden, nicht
etwa nur in denen zu seinem unterhalt absonderlich gewidmeten orten, sondern in
dem bezirck der gantzen provintz, darüber er zum hertzog constituiret war; Also
hätte der pfaltzgraf in dem gantzen district die jura palatina beobachtet: Der
marggraf und die grafen haben auch des ihrigen gewartet, und kan man sonderlich
aus untadelhafften documenten weisen, haben es auch andere schon längst
observiret, daß alle örter, flecken und dörffer der provincien,in
graffschafften eingetheilet gewesen, und also, was die gerichtbarkeit belanget,
die unterthanen, inwohner oder leute, ihren gewissen fürgesetzten grafen
gehorchen müssen, die doch sonst in andern stücken denenselben gar nicht
unterworffen, sondern mit eigenthum oder leibeigenschafft andern herren, oder
auch dem Käyser oder Könige, immediate angehörig, also re et nomine
königs-leute gewesen; Das erscheinet unter andern daraus, daß die Käysere selbst, und
andere Herren, in donations-brieffen, darinnen sie gewisse dörffer, leute und
güter, den stifftern oder andern, gantz frey, was zinß und eigenthum belanget
zueignen, dennoch darbey setzen: Es liege in der Graffschafft dieses oder jenes
Grafen: Ist auch |
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S. 99 |
Von der Landes-Fürstlichen Hoheit. §. 19. |
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ohne zweiffel, so wohl der jurisdiction, als der natur nach,
darinnen liegen blieben. (4.) Wenn nun die Käysere in diesen schrancken und
wegen hätten beharren können, so käme ihnen noch auff diese stunde nicht allein
die oberste Käyserl. Macht und Hoheit, sondern auch andere unmittelbahre jura
in den provincien des Teutschlandes, zu exerciren, und wäre die gewalt des
Landes-Fürsten, als ein universale, welches regulariter alles unter sich
begreiffet zu solchen kräfften niemahls gediehen, wie sie hernach sich
befunden. Nachdem aber vor langer zeit, und aus mancherley uns zum theil nicht
gnugsam bekannten, nunmehr billich unänderlichcn ursachen, es nicht allein
dahin kommen, daß die hohen ämter der Fürsten und Grafen erblich worden;
Sondern auch hernach von den grösten und vornehmsten die kleinere, theils mit
krieg und fehden, theils mit heyrathen und contracten, theils aus milde der
Käysere an sich gezogen und consolidiret worden. So hat sich nach und nach die
Landes-fürstl Hoheit ergrössert, und ist an vielen orten ein universal-werck
entstanden, daß also gantze provincien in ein corpus zusammen gewachsen; Die
Käysere selbst, da sie nicht mehr durch erb-recht, sondern aus wahl der
Churfürsten, zum Reich kommen, haben solche coalescentz und ankunfft der
fürstenthümer nicht wol wehren können: Es ist ihnen mancherley unfall
zugestanden, daß sie der Fürsten und Herren gutwilligkeit wohl bedurfft, und
weil sie der wahl vor ihre kinder nicht versichert waren, haben sie
endlich |
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Additiones zum II. T. C. 11. §. 2. |
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auch menschlicher weise auff dieselbe gedacht, und dahero,
was sie andern nachgesehen, in ihren provincien zuförderst selbst practiciret;
Also ist mit der zeit die unmittelbahre Käyserliche gewalt, samt anhängenden
intraden, in den meisten provincien gefallen, biß es endlich dahin kommen, daß
dem Käyser, als Käyser, fast keines fusses breit unmittelbarer zugehörung im
Reich verblieben, sondern alles vererbet, verliehen oder verpfändet worden, wie
es nun sonderlich seithero Käyser Carls des Vierdten zeiten öffentlich kundbar
und am tage ist, so gar, daß auch die städte, welche noch am längsten zu der
Käysere unterhalt, nach damahliger art und weise, übrig blieben, sich entweder
frey gekaufft und gesetzet, oder in der fürsten macht gerathen. |
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(5.) Bey solcher bewandniß nun darff man sich nicht
verwundern, warum in diesem oder jenem lande es so gar unterschiedlich mit der
Landesfürstlichen Hoheit bewand sey; Indem etlicher orten auch die Bischöffe
und Prälaten, die Grafen und Herren, die sämtliche Ritterschafft, und alle,
auch wohl ansehnliche und alte, und noch auff diese stunde im besitz vieler
freyheiten stehende städte, unter die botmäßigkeit der Fürsten kommen, etlicher
orten hingegen nicht allein die stiffter und prälaturen, wie auch Grafen und
Herren, sondern auch der adel groß und klein, und geringe städte, von
Landesfürstlicher Hoheit frey blieben. Und wenn man die historien und archiva
zur hülffe zöge, solte wol zu erkundigen und zu beschreiben seyn, woher solche
un- |
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S. 101 |
Von der Landes-Fürstlichen Hoheit. §. 19. |
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terschiedliche art der landsasserey entsprungen,** und warum
etliche ehe, die andern langsamer, entstanden, und etliche, nicht alle, sondern
nur gewisse regalia und jura, etliche die durchgehende hoheit, wie sie sonst
die Käyser ohne mittel gehabt, in den provincien, und über die benachbarten
erhärtet und behauptet. |
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(6.) Diß dienet nun darzu, daß Fürsten und Herren mit
demjenigen, was ihnen die vorfahren erworben und überlassen, desto ehe
zufrieden seyn, und darauff sorgfältig gedencken, nicht nur wie sie sich gegen
die benachbarten ie mehr und mehr gewaltig herfür thun, oder denen, welche
ihnen nicht völlig mit allen arten der subjection unterworffen, die übrige
wenige freyheiten blosser dinge benehmen mögen, sondern wie sie vielmehr
dasjenige, was durch so langen gebrauch und besitz rechtmässig hergebracht,
erhalten, und in guter maasse und moderation, nach der zeiten, personen
beschaffenheit, fortführen oder doch, nach gelegenheit der fälle, also
einrichten mögen, daß sich die leute über der enderunq mehr zu trösten, als zu
beschweren haben: Zuvoraus aber, daß die harmonia des Reichs unter dem respect
Käyserl. Majestät, und mittelst gerechter tapfferer administration der justitz
behauptet werden möge, was widrigen falls, und wo ein jeder insonderheit nur
auff das seinige und auff die ergrösserung seiner macht und hoheit, in
particulari sehen wolte, für ein effect entstehen würde, daß bedarff keiner
auslegung. |
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(7.) Diejenige, die von den schulen, in Chur- |
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S. 102 |
Additiones zum II. T. C. 1. §. 2. |
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und Fürstl. oder dergleichen hohe rathstuben kommen, und
aus den gemeinen commentariis de jure principis et territorii vermeynen, man
müsse alles über einen leist schlagen, haben sich hierbey auch wahrzunehmen.
Denn es folget nicht quidlibet ex quolibet. Und läst sich nicht allerwegen eine
solche bottmäßigkeit einführen, wie man sie in büchern in amplissima forma von
müßigen leuten beschrieben findet. |
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* Die ursache dessen rühret guthen theils mit daher, was
§. 16 ist erinnert worden. Hierzu kömmet, daß man öffters alles dasjenige, was
etwan hier und dar müssige leute sonder rechte einsicht und erfahrung
geschrieben, alsobald annimmet und zu practiciren suchet, nachdem ein diener
solches aus ein und anderer privat-absicht seiner convenienz gemäß erachtet,
oder sonst gerne eine flatterie machen will, womit doch am ende nichts weiter
gethan ist, als daß man sich vergebliche arbeit gemachet. Wir wissen ja Gottlob
ohnedem aus denen grundsetzen des Reichs, was die Landes-Fürstliche hoheit sey,
und thun also am besten, wenn wir diese nach solcher richtschnur abmessen,
wobey und denen im text berührten anmerckungen wir es auch vor dißmahl bewenden
lassen. |
⇧ Text |
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** Ich zweiffele gar sehr, ob unser archiva ingesamt so
beschaffen, daß daraus der wahre uhrsprung so wohl der Landes-Fürstl. Hoheit,
als der daraus entsprungenen landsässerey[2] erforschet werden könnte Massen
dieselben lediglich auf das herkommen sich gründen, und leicht zu gedencken,
daß die Fürsten und Grafen sich nicht auf einmahl, sondern allmählig bey
ereignenden zeiten und gelegenheiten in den stand der Landes herrlichen gewalt
gesetzet haben, daß auch noch weniger ein solches auf vorhergehende
deliberation geschehen, mithin wenig oder gar nichts deßfalls in schrifften
verfasset oder verwahrlich auffbe- |
⇧ **
⇧ [2] |
S. 103 |
Von der Würckung Käyserl. Lehnbr. §. 20. |
Scan 989 |
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halten worden; Wie es denn gemeiniglich bey dingen, so nicht
mit vorbedacht angefangen werden, sondern nur zufälliger weise entstehen, zu
geschehen pfleget, daß man auf deren verfaßung wenig dencket, und mehr mit der
that dabey zu operiren, als schrifftlich etwas zu entwerffen pfleget. So finde
ich auch, daß man vor alters bey Cantzleyen und andern collegiis gar sparsahm
mit der feder umgangen, und sehe man nur die alten registraturen von etwan 150.
biß 200. jahren nach, so wird man so wohl in publicis als privatis gar ein
schlechtes aussehen finden; Es ist alles zerstümmelt, daß man dahero öffters
conjecturationes und muthmaßungen zu hülffe nehmen muß, aus welchem doch nichts
gewisses zu schliessen ist. Ja was etwan in archiven und brieff-gewölben noch
vorhanden gewesen seyn mag, ist durch die vielen unruhigen zeiten in
Teutschland sehr zerrissen worden. Wir müssen also, und können endlich auch mit
denen vorhandenen nachrichten in so weit zu frieden seyn, nach welchen man
ziemlich wahrscheinlich behaupten kan, woher die Landes-Fürstl hoheit und
landsäßerey entsprungen, warum diese in einem Lande mit anderer maaße sich
finde, als in einem andern, warum solche in dem Niedern theile Teutschlandes
besser um sich greiffen können, als ist dem Obern? Und w. d. mehr seyn
mag. |
S. 103 §. 20 ⇨ |