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Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat HIS-Data
5226-2-10-8
Anderer Theil > Cap. 10 > §§ 8-9
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Darnach gehöret zu diesen handhabungs-mitteln der heeres-zwang
⇦ §. 7 §. 10 ⇨

S. 264 (Forts.)   ⇦ S. 264: §. 7
  §. 8. Der andere und höhere grad der obrigkeitlichen macht ist der Heeres-Zwang, daß nemlich ein landes herr befugt ist, durch eine zahl und menge bewehrter leute, oder ein heer und kriegs-volck sein land zu schützen, und die widerspenstigen und feinde anzugreiffen. Zu diesem ende gebrauchet er sich der Folge oder Heeres-Folge, oder der Reise, wie es anderswo genennet wird, welches ein solches fürstl. oder hohes obrigkeitliches recht ist, daß auf dero erfordern die unterthanen schuldig seyen, mit ihrem leibe und person, in der rüstung, wie es bräuchlich und die nothdurfft erfordert, zu erscheinen, und gegenwehr oder angriff zu thun. Solches rechts gebrauchen sich nun alle hohe obrigkeiten der länder und reiche der welt, doch werden dabey unterschiedliche umstände in acht genommen. Scan 284
§. 9 §. 9. 1. Nach der meisten Teutschen fürstenthümer gelegenheit ist es zwar an deme, daß alle unterthanen ohne unterscheid des standes, solche folge schuldig sind, wie man denn aus denen ge-
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  schichten der vorfahren die nachricht hat, * daß öffters die helffte, offt zwey drittheil, oder drey viertheil aus jedwedern ort aufgeboten, und zu feldzügen, wider die einbrechende oder gefürchtete feinde, mitgenommen worden, zuweilen hat man es auch bey dem fünften, zehenden, zwanzigsten und dreißigsten mann bleiben lassen, und sind die andern, zu beschützung des landes und ihrer wohnungen, daheim gelassen worden. Solte aber des feindes einfall so gar schwer seyn, so müste endlich ein jedweder, und also mann für mann, wer nur leibes-kräfften und alters wegen fortkommen kan, zur gegenwehr greiffen. ⇩ *
  2. Unter denen personen des landes hält man mehrentheils diesen unterscheid, daß den grafen, herren und adels-personen wo dieselben landsäßig, und nicht nur blosse lehen-leute, oder gar exemt seyn, eine gewisse anzahl der ritter-pferde, die sie von ihrem lehen halten, und sie gerüstet einschicken müssen, auferleget werden. So aber dergleichen person auch gleich kein solch lehen-gut und gewisse ritter-dienste hätte, würde er doch im fall der noth, als ein unterthan sich gebrauchen lassen müssen, ** doch daß er, seinem stand nach, nicht zu fuß, wie andere gemeine unterthanen, sondern gerüstet zu pferde, sich darstelle, auch darüber seinen unterhalt empfienge.
  3. Ingleichen sind von alters her in den meisten ländern gewisse heer-wagen, zu fortführung allerhand kriegs-nothdurfft, ausgetheilet worden, welche die städte und dorffschafften, gnugsam bespannet, schicken müssen. ***
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  Und ist 4. die art der rüstung, nach altem gebrauch, gleicher gestalt an den meisten orten benamet und geschiehet 5. je zu weilen eine durchgehende musterung, fürforderung und besichtigung der unterthanen des landes, wie starck, und wie sie gerüstet seyen, darüber man gewisse muster-rollen oder register aufrichtet. 6. Nachdem man aber mit der zeit vermercket, daß solche allgemeine schuldigkeit der unterthanen deswegen wenig gebrauchet werden können, alldieweil nicht jederman zu solchen dingen geübet und geschickt ist, auch das Reich mit gewissen ordnungen und gesetzen verfasset, daß durch GOttes gnade dasselbe offt lange jahr in friede und ruhe gestanden, also inzwischen die unterthanen der kriegs-übungen gar abkommen, auch an andern orten immittelst neue arten und vortheile der waffen und andere krieges-rüstungen entstehen, deren man ungewohnt, und also gegen dieselben übel verwahret ist, so sind die landes-herren mehrentheils auf diesen vorschlag kommen, daß aus allen ihren eigenen und ihrer land-stände unterthanen, **** ein ausschuß der stärckesten und best-geschicktesten mannschafft gemacht wird, nemlich derer, die sich alters, gesundheit, auch standes halben, zu kriegs-übungen am tauglichsten befinden. ***** Aus demselben werden wiederum gewisse officierer, haupt-leute, leutenante, fenderiche, führer, sergeanten, corporale, rottmeister, und wie sie mehr nach heutiger art genennet werden, auserlesen, oder ihnen sonst um eine leidliche bestallung vorgesetzet, welchen solche ausgeschossene, oder zur defension des landes in ge-
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  wisse rollen und verzeichniß gebrachte, und mit gewehr versehene personen in jeder stadt, amt, herrschafft oder gerichte, dißfalls untergeben werden, daß sie dieselben im gebrauch ihres gewehrs, rechtem stande, gang und ordnung und allerhand kriegs-händeln, zu gewisser bequemer zeit üben, und im fall man eine oder alle solche aufgerichtete hauffen und compagnien bedürffte und erforderte, ihnen vorstehen, und sie führen müssen, wie denn über alle dieselben ein oder mehr landes-hauptmann und ober-officirer bestellet, welcher aus befehl des landes-herrn, in solchen sachen zu commandiren hat. Die ritter-pferde werden auf den nothfall auch in gewisse eintheilung, und unter ordentliche officirer gebracht. Ingleichen auch wohl denen, zur landes-defension bestelleten officirern frey gelassen, ihre untergebene knechte zu eilender nachfolge zu pferd zu bringen. Das vornehmste aber, was bey solchen defensions- und kriegs-verfassungs-werck, von denen bewehrten im ausschuß begriffenen unterthanen, und officirern oder befehlshabern, bey zug und wache, in besatzung der pässe und örter, in nachfolge und dergleichen, in acht genommen werden muß, das wird zum theil in einem artickels-brieffe, der ihnen vorgeschrieben ist, und darauf sie beeydiget worden, theils, so viel die officirer sonderlich betrifft, in einer sonderbaren bestallung und instruction begriffen.
  So entspringet auch aus dieser verfassung noch ferner der nutzen, daß nach solcher ordnung die gerichts-folge füglicher gebrauchet wird, auch in al-
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  lerhand auflauff, tumult, oder feuers-brunsten, gleicher gestalt eine eilende und ordentliche folge und sammlung der leute desto bequemlicher erlanget werden kan.
  7. Zu diesem recht des heeres-zwangs, und dessen nützlichen gebrauch, wird nun auch erheischet, daß der landes-herr in seinem lande auf erbauung ****** oder erhaltung vester plätze, schlösser und städte, nach der besten und bequemsten art, wie die heute zu tage, gegen vorige zeiten sehr hoch gestiegen, bedacht ist, darein sich seine unterthanen in krieges-nöthen begeben, und sich daraus wehren können. Ingleichen, daß er gewisse örter und land-wehren absehen, und machen lasse, da man den feinden oder flüchtigen übelthätern, vorbiegen, sie in einen engen weg und paß sperren und bringen, oder auch da man unvermerckt durchkommen, ingleichen, da einer dem andern zeichen und losung geben könne, wie denn dißfalls dem landes-herrn in seinem gebiet und lande keine maasse vorgeschrieben, er auch an allen städten und vesten örtern, die seine unterthanen haben, ******* der Öffnung, das ist, daß sie ihn, und sein kriegs-volck, darein lassen müssen, befugt ist. Hierzu gehöret auch zum achten vorsorge, daß im lande allerhand vorrath und geschütz, waffen, pulver, bley, und andere kriegs-bereitschafft, auch lebens-mittel, und was man mehr zu diesem ende bedarff, sonderlich in denen vesten örtern, vorhanden sey, damit man nicht allein die feinde abhalten, und gegenwehr in der nähe und ferne thun, sondern auch feindliche örter an- ⇩ ******

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  greiffen und überwältigen, auch darbey mittel, zu unterhaltung des kriegs-volcks haben könne. Zwar muß sonst gemeiniglich das aufgebotene land-volck sich selbst proviantiren, so man ausserhalb landes damit ziehet: Denen ritter-pferden aber pfleget man nothdürfttigen unterhalt zu geben. Vor allen dingen ist zu diesem ende nöthig, daß der herr des landes auf die menge und anzahl derer leute, wie wir oben insgemein erinnert, als darinnen, durch GOttes seegen, die macht bestehet, bedacht sey, da es ihme auch im lande daran fehlete, müsse er solche an andern orten, um gewissen sold werben lassen: Darzu denn die landschafft, um sich der kriegs-übung zu entbrechen, die mittel öffters und lieber darschiessen. Weil aber menge ohne ordnung und wissenschafft nichts dienet, muß Er 9. auch selbst ein kriegs-verständiger seyn, und hat zu dem ende in wichtiger fürfallenden angelegenheit verständige räthe und kriegs-leute zu gebrauchen und dahin zu sehen, daß auch in friedens-zeiten die art und vortheile der kriegs-übung an andern orten, wie sich solche von zeit zu zeit anlassen, geforschet, die lands-kinder, sonderlich von adels-personen, daß sie sich darinnen üben und bekant machen, an solchen ort zu ziehen, veranlasset, auch wohl fremde erfahrne personen ins land geholet werden.
  * Diese heersfolge ist vor gar alten zeiten in gebrauch, und damahls noch keine rechte geworbene soldaten üblich gewesen. Es zweiffelt auch Browerus Annal. Trevir. nachdem er angezeiget, daß zu Kaysers Sigismundi und Maximiliani zeiten die geworbene mannschafft aufkommen, ob dadurch was gutes ge-
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  stifftet worden, welches ich zwar itzo nicht untersuchen will. Dieses aber frägt sich, ob noch heut zu tage, nachdem die unterthanen zu besoldung der regulirten militz die steuren geben müssen, diese folge gefodert werden könne? welches mit unrecht verneinet wird, in betracht die höchste noth ein anders erfordern, und alsdenn die unterthanen die gezahlte steuer so wenig schützen kan, so wenig sich dieselben vor alters mit dem einzelnen aufgeboth wider das allgemeine, welches mann vor mann geschehen, entschuldigen konten.
  ** Ob aber ein Vasall, wenn er zugleich ein unterthan ist, über die bereits gestellten oder bezahlten ritter-pferde, bey aufgeboth der heers-folge gleichfalls noch mitgehen müsse? Das ist eine andere frage, die von dem herrn von Rhetz, wo mir recht, in seinem Comment Feud. bejahet wird, weil die ritter-pferde eine beschwerde, so dem lehn-gute, die folge aber der person des unterthanen, anhange: Es wäre denn, daß einiger orten durch widrige gewohnheit ein anders eingeführet. Also werden in einem gewissen fürstenthum weder folge noch ritterdienste geleistet, noch an deren statt, wie sonst in andern landen gewisse geld-bewilligungen, präsent-gelder, steuer, u. d. g. abgetragen. Ich halte aber doch davor, daß dem ohngeachtet bey einfallenden schweren zeiten oder landes-nöthen, nach der selbst redenden billigkeit und zulassung der reichs-abschiede, die besitzer der adelichen güter sich weder eines beytrags noch der folge selbst mit fug entziehen könten.
  *** So hafften auch dergleichen heerwagen zuweilen auf gewissen gütern, auch solchen, die dem landes-herrn nicht unterworffen; Und sind also nicht allemahl eine marque der landes-hoheit; Wiewohl ich glaube, daß solche zu alten zeiten entstanden, da bey ereigneter noth, alle und jede in einem gewissen bezirck dem mächtigsten im lande haben folgen müssen,
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  auch gerne gefolget haben, damit sie sich unter dessen flügel verkriechen können.
  **** Etwas besonders ist also, wenn einiger orten der land-stände sogenannte cent-freye unterthanen, das ist, welche nur mit den 4. hohen rugen der fürstl. criminal-jurisdiction unterworffen, zum landes-ausschuß nicht gehen dürffen, welches sich zwar auf das alte herkommen gründet, doch aber im äussersten nothfall nicht bestehen könte.
  ***** Mit diesem defensions-werck oder ausschuss, sind seit kurtzen jahren sonderliche einrichtungen in den teutschen fürstenthümern vorgenommen worden, die zum theil der regulirten militz ziemlich nahe kommen. Ich weiß aber nicht, ob es wohl gethan sey, die unterthanen gar zu sehr in das militair-wesen zu vertieffen, dazumahl die meisten staaten in teutschland mehr auf den grund des friedens als des krieges bauen müssen. Doch kan ich vor dißmahl meine gedancken, weil diese bogen ohnedem anzuwachsen scheinen, nicht weiter ausführen.
  ****** Zwar ist nicht unbekant, was insgemein von der frage: ob ein fürst ohne consens des käysers und reichs neue vestungen in seinem lande anlegen könne? gestritten wird: Es ist aber eben nicht abzusehen, was diese frage vor nutzen haben könne; denn ein reichs-stand wohl eben keine neue vestungen anzulegen nöthig haben, sondern mit den bereits vorhandenen zufrieden seyn wird. Allenfalß aber eignet der herr autor ihnen dieses recht nicht unbillig zu. Doch ist nicht zu leugnen, daß damit behutsam zu verfahren, damit nicht etwan die nachbarn zur contradiction kommen mögen, als denen bißweilen besondere privilegia, daß ihnen zum nachtheil binnen gewisser distantz keine neue vestungen erbauet werden dürffen, zustehen, deren etliche von Londorpio und Limnaeo, auch von Hertio erzehlet worden, de Sup. territ. p. 233. Vor alters findet man
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  auch exempel, daß einige stände den kayserlichen consens deßfals ausgebracht.
  ******* Und bey diesen ist denn die schuldigkeit der öffnung ein argument, woraus die landes-hoheit zu schliessen. Sonst aber kan solche auch in fremden territorio platz, und aus dem schutz-recht, oder alten pactis, oder einer servitut den ursprung haben, wohin gehöret, was anno 1668. zwischen Chur-Pfaltz und Maintz wegen Neubamberg gestritten worden.
   
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Stand: 2. Oktober 2017 © Hans-Walter Pries