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Allgemeine Encyclopädie HIS-Data
5139-1-13-367-2
Erste Section > Dreizehnter Theil
Werk Bearb. ⇧ 13. Th.
Artikel: Bürgerschule - Bürgerstand
Textvorlage: Göttinger Digitalisierungszentrum S. 373 : 367
Siehe auch: HIS-Data Bue
Hinweise: Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Bearbeitung
Inhalt:
⇦ Bürgerrecht (christliches)
BÜRGER (Gottfried August) ⇨

⇧ S. 367 Sp. 2  
Forts. S. 367 Sp. 2 Bürgerschule. Die Bürgerschule soll der Jugend des Bürgerstandes diejenige Ausbildung geben, welche durch die Foderungen der Zeit an den Bürgerstand bedingt wird.  
  Diese Begriffbestimmung scheint im voraus hier die weibliche Jugend auszuschließen, weil das Mädchen keinem Stande sicher angehört, ihren Stand vielmehr vom Gatten empfängt; da jedoch dessen Wahl im Allgemeinen durch die Erziehung geleitet wird und eben deshalb meistens sich Gleich und Gleich gesellt, so wird auch eine besondere, auf den Stand der Bürgerin berechnete Unterweisung in Städten zu der Benennung: Töchterbürgerschule berechtigen. Nur ziehen wir vor, Anstalten dieser Art dem Kapitel „Töchterschule" aufzusparen, weil der wesentlichste Unterschied der Schulen durch das Geschlecht gegeben ist, von dessen Beachtung die ersten Maximen ausgehen, welchen alle Einrichtungen für besondre Zwecke unterzuordnen sind.  
  Die der Bürgerschule angehörende männliche Jugend wird jenem Hauptbegriffe nach, alle die Söhne, ohne Rücksicht auf den Stand der Ältern, einschließen, welche, zur Betreibung freier Gewerbe (im Gegensatze der Dienstbarkeit) bestimt sind, nicht diejenigen, welche zum Studiren, zu gelehrten Geschäften und Statsämtem übergehen. Zwar hatte die Bürgerschule bisher auch solche junge Leute vorzubereiten, welche in der Folge zu Subalterndiensten gebraucht wurden; indessen dürfte das von selbst wegfallen, da die Hälfte der Studirenden den Rechten obliegt, so daß die Regirungen, zum großen Vortheil der Statsverwaltung, die Wahl haben werden alle Unterstellen mit Zöglingen der Universität zu besetzen.  
  Nach außen ist hiedurch der Sprengel der Bürgerschule begränzt. Im Innern bilden sich Abtheilungen nach den Abstufungen bürgerlicher Wirksamkeit. So wie nämlich im Bürgerstande ein höherer und ein niederer deutlich hervortritt, von welchen dieser die handarbeitende, jener die mehr mit dem Kopf arbeitende Klasse der Gewerbsleute in sich begreift, so scheidet sich auch die Bürgerschule in zwei Anstalten von verschiedener Tendenz und Einrichtung, die niedere und die höhere Bürgerschule.  
  A. Die niedere Bürgerschule soll theils die eigentlichen Handwerker so weit ausbilden, daß sie aus der Schule in die technische Lehre treten können, ohne vor ihres Gleichen erröthen zu müssen, theils die feineren Köpfe zur höheren Bürgerschule vorbereiten. Schwerlich möchte sie irgendwo ganz für sich allein bestehen, überall findet man sie vielmehr mit der Elementarschule, die allen Ständen angehört, innig verschmolzen und dadurch in fünf bis sechs Klassen ausgedehnt; das hindert uns aber nicht vom Elementarunterricht hier abzusehen, ihn seinem Orte zu überlassen, dagegen den Begriff der Bürgerschule festzuhalten und diese in ihrem eigenthümlichen Wesen darzustellen.  
  Die gemeinsame Aufgabe aller Schulen, Ausbildung des Verstandes, des Geschmackes und der Gemüthsanlagen, liegt der niederen Bürgerschule in der Ausdehnung  
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  ob, in welcher man jene am guten Bürger überhaupt erwarten darf, ohne auf der einen Seite örtlichem Zurückbleiben in der Kultur nachzugeben, oder auf der anderen eine zwecklose, wo nicht nachtheilige Überbildung zu verlangen. Letzteres verbietet ohnehin die kurze, mit der Konfirmation beschlossene Schulzeit; ersteres aber würde um so bedenklicher seyn, da diese Jugend keine weitere Bildungsanstalt benutzen kann, sondern für ihr ganzes Leben gerüstet aus der Schule treten muß.  
  Die Mittel zur Verstandesbildung für den Kreis bürgerlicher Geschäfte sind theils historische Kentnisse, theils Sprachkentnisse, theils passende Denkübungen.  
  I. Historische Kentnisse sollen die Masse der Erfahrungsbegriffe vermehren, womit dem Verstande Stoff zur Bearbeitung geboten wird. Dahin gehören♦  
  1) Naturbeschreibung. Mit Beseitigung künstlicher Systeme werden die Naturgegenstände nach ihren Merkmalen, Eigenschaften und Veränderungen beschrieben und diejenigen hervorgehoben, welche auf Handel u. Gewerbe Einfluß haben; denn die Benutzung und die Kentniß des Schädlichen sind Hauptaugenmerk. Den Beschluß macht die Naturbeschreibung des Menschen.♦  
  2) Erdbeschreibung. Nach vorläufiger Übersicht des Erdballes folgt die Erläuterung der Weltkarte, dann die Beschreibung der Länder von Europa, ausführlicher gefaßt, je näher man dem Vaterlande komt; endlich die der übrigen Erdtheile, vorzugsweise der Kolonien. Nichts von Prachtgebäuden, Festungen, Schlachtfeldern, Universitäten, Koncilien u. dgl., desto mehr von Statur und Landesart, Natur- und Kunstprodukten, Fabriken, Messen und Handelswegen. Den Beschluß macht die mathematische Geographie und populäre Himmelskunde.♦  
  3) Geschichte. Weder Kriegsgeschichte, noch literarische, aber Kulturgeschichte und Nachweisung der Ursachen, welche zur Entstehung der jetzigen Verfassung beigetragen. Mit besondrer Liebe ist die Geschichte des heimischen Fürstenhauses zu behandeln, durch welche echter Bürgersinn gezeitiget wird.  
  II. Der Sprachunterricht in Bürgerschulen ist von dem der Gelehrtenschulen in Zweck und Form wesentlich verschieden, da man nicht Gelehrsamkeit, sondern Gewandtheit in Geschäften befördern will. Vor allem wichtig ist daher♦  
  1) Die Muttersprache. Ihre gründliche Kentniß soll dem Bürger als Schlüssel zur Selbstbelehrung dienen und als Eintrittskarte zum Umgange mit der gebildeten Welt. Er soll gerade kein Stylist werden, aber sprachrichtig und orthographisch schreiben, auch die üblichen Aufsätze regelrecht entwerfen können.♦  
  2) Die französische Sprache verdient als Sprache des Handels eine fleißige Bearbeitung, besonders im Westen von Teutschland.♦  
  3) Die lateinische Sprache ist in den unteren Klassen nicht ganz zu verabsäumen. In den oberen gibt die Erklärung der Barbarismen oder fremden Kunstwörter eine treffliche Gelegenheit die Begriffe zu erweitern und aufzuhellen.  
  III. Die Denkübungen der niederen Bürgerschule sind dreierlei und haben Zahlverhältnisse, Maßverhältnisse oder Kunstaufgaben zum Gegenstande.♦  
  1) Die Arithmetik ist hier nicht das blos mechanische Rechnen der Elementarschule. Man gibt vom Grunde jedes Ver-  
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  fahrens Rechenschaft, damit der Schüler den jedesmaligen Fall beurtheilen und danach den Ansatz finden lerne. In den unteren Klassen ist das Kopfrechnen mit seinen Vortheilen besonders wichtig, in den oberen dagegen die Anwendung der Rechnungsarten auf Gewerbe.♦  
  2) Geometrie, nicht die reine der Gelehrtenschulen, sondern historische Kentniß der räumlichen Größen, Ausmessung, Ausrechnung und Theilung derselben, möglichst auf Gewerbfälle anzuwenden.♦  
  3) technische Denkübungen. Eigentliche Technologie ist hier nicht durchzusetzen, weil sie nicht vorbereitet werden kann; aber abgebrochene Vorträge über sinnreiche Erfindungen, wobei man zeigt, wie der vorgesetzte Zweck nach und nach erreicht ward, sind vom größten Nutzen zur Vorbereitung auf die höhere Bürgerschule.  
  Die Ausbildung des Geschmackes, des Kunstgeschmackes nämlich, hat auf die glückliche Betreibung der Gewerbe den wesentlichsten Einfluß. Weder Fleiß, noch Verstand ergänzen das Fehlende da, wo das Gefühl des Schönen nicht lebendig hervorgerufen ward. Dazu führen hauptsächlich:♦  
  1) das Zeichnen. Thiere, Blumen und Ornamente wählt man zu Vorlegeblättern, nicht Landschaften. Nur Graphit wird zum Anfange gebraucht, späterhin Silberstift. Kreide und Pastellfarben verwöhnen die noch nicht sichre Hand.♦  
  2) Die Malerei, ungemein nützlich für die meisten Gewerbe, indem sie unter guter Leitung den Farbensinn ausbildet. Nur fertige Zeichner nehmen an dieser Übung Theil, aber in besonderen Stunden. Den Übergang macht das Schwarztuschen.♦  
  3) Die Schönschreibkunst. Das blos nachmalende Schreiben der Elementarschule hört nach und nach auf, so wie die Regeln der Schreibkunst gefaßt und angeeignet worden. Abschreiben von Druckschrift übt ihre Anwendung. Doch gebraucht man auch Vorschriften, vorzugsweise gestochne von gelungener Arbeit. Der liegende, leicht fördernde Ductus wird zur Regel gemacht. –  
  Singen und Deklamiren, die der Elementarschule gehören, werden in vermischten Schulen ebenfalls fortgesetzt.  
  Die Ausbildung des Gemüthes ist zwar eigentlich Sache der Erziehung, nicht des Schulunterrichtes; allein die Bürgerschule kann weniger als andre eine geordnete häusliche Erziehung voraussetzen, mithin der Pflicht sich nicht entziehen in die Erziehung einzugreifen. Ihre Mittel zur Richtung des Willens sind:♦  
  1) Religionsunterricht. In der untersten Klasse wird er durch biblische Geschichte vorbereitet. Dann folgt der Katechismus und die Erklärung der heiligen Schrift, vornehmlich der Beweisstellen. Viel Physikotheologie!♦  
  2) Sittenlehre. An die religiöse Moral der unteren Klassen schließt sich späterhin Moral in Beispielen, aus der Geschichte gewählt. Eigentliche Vernunftmoral komt hier zu früh.♦  
  3) Gesetzkunde. Erklärung des Sinnes der den Bürger angehenden Landesgesetze, um Rechtlichkeit neben dem Gutseyn zu begründen und früh den unverbrüchlichsten Gehorsam gegen Fürst und Obrigkeit einzuschärfen. Ein Bürgergesetzbuch wäre dazu vorzubereiten.  
  Vermöge der angezeigten funfzehn Mittel darf man zuversichtlich hoffen dem State verständige, geschickte und  
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  wohldenkende Bürger zu verschaffen, wenn außerdem geschieht, was man von einer guten Schule erwarten muß; denn die Lektionen thun es nicht allein. Eine in allen Verzweigungen geregelte Aufsicht, frühe Gewöhnung der Jugend zur Pünktlichkeit, zur beständigen Thätigkeit, zum Gehorsam gegen jeden Vorgesetzten, zur Wahrhaftigkeit in jedem Falle, eine nicht sklavische, aber ernste Zucht und passende Aufmunterungen müssen den Boden urbar halten, daß die Lehre darin Wurzel fasse und Frucht bringe.  
  Viele zum Gewerb bestimmte Knaben, welche der Bürgerschule entgehen, werden späterhin veranlaßt das Nöthigste beiläufig in der Handwerksschule nachzuholen, von welcher wir an ihrem Orte reden.  
  Die Idee der Bürgerschule entwickelte sich seit der Reformation, aber langsam. Die Sachkentnisse, welche J. A. Comenius neben dem Sprachunterricht empfahl, bereiteten mehr vor. Seit 1770 bewirkte Fr. G. Resewitz durch seine „Erziehung des Bürgers zum Gebrauch des gesunden Verstandes und zur gemeinnützigen Geschäftigkeit" allgemeinere Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand, den Becker, Horstig, Gedike, v. Türk, Natorp, Gruner u. A. weiter ausführten 1).
  B. Die höhere Bürgerschule, sonst auch Realschule oder Kunstschule genant, hat zum Gegenstande die Vorbereitung der eigentlichen Künstler, Fabrikanten, Kaufleute, Apotheker, Baumeister, Ökonomen, Jäger, Förster, Berg- und Hüttenleute. Diese stehen als Führer und Rathgeber an der Spitze des Gewerbstandes, bedürfen folglich einer sorgfältigen kunstwissenschaftlichen Ausbildung. Der Unterricht bezweckt vor allem: den Kunstsinn zu wecken, zu nähren, zu richten, und technische Virtuosität an die Stelle des leidigen, zur Volksverarmung an Gut und Blut führenden Gewerbschlendrians zu setzen. —♦  
  Letzterer hat unserm Vaterlande tiefe Wunden geschlagen. Während die Industrie der Nachbarstaten rasch fortschritt, stand die teutsche im Ganzen still; denn es entstand eine weite Kluft zwischen Gelehrten und Künstlern, daß sie nicht mehr die Hand einander bieten konnten. Über die Kunst ward viel mehr geschrieben, als die Erfahrung rechtfertigte, und was die Bücher Gutes haben, komt der Kunst nicht zu gut; denn die davon Gebrauch zu machen hätten, kennen die Bücher nicht und wissen sie nicht zu gebrauchen. So ist der Teutsche dem Briten und Franken für Kunst und Mode tributar geworden und das Gefühl der Schwäche ist so allgemein, daß man dem Landsmann kaum etwas Tüchtiges zutraut. Wenn auch teutsche Künstler treffliche Arbeit liefern, mag man sie doch nur vom Auslande kaufen. Die Nachbarn lächeln und benutzen den Wahn zu leichtem Gewinn.  
  Wollen wir einer so schmählichen Dienstbarkeit entgehen, so muß die fähigere Jugend des Gewerbstandes ermuthiget, für das Bessere erwärmt und zum Bessern ausgerüstet werden. Größere Staten erreichen das durch polytechnische Institute, die freilich zur allgemeinen Einführung zu kostbar sind; indessen wird der wesentliche
 
 
  • 1) Vgl. Niemeyer's Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts. III. S. 150 f.
 
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  Nutzen derselben hinreichend und wohlfeiler durch höhere Bürgerschulen erreicht, welche am sichersten in Verbindung mit den niederen bestehen, so daß sie die fähigsten Zöglinge der letzteren übernehmen und auf dem schon gelegten Grunde weiter fortbauen. Die Mittel zur letzten Ausbildung dieser Auserwählten sind insbesondre die sogenannten Realien, und zwar namentlich:♦  
  1) Physik. Alles Hypothetische ist möglichst zu beseitigen, überhaupt komt hier weniger auf eine scharfe Theorie an, als auf umständliche Kentniß der nutzbaren Naturkräfte und Naturgesetze. Praktische Übung im Gebrauch der physikalischen Werkzeuge ist dabei sehr wichtig.♦  
  2) Mechanik. Die zur Bewegung dienlichen Kräfte, die Vorrichtungen zur Anwendung derselben, die Kunstgriffe zur Vermehrung der Kraft oder Geschwindigkeit, so wie zur Fortpflanzung und Richtung der Bewegung fodern hier eine ausführliche, mit Beispielen aus den Gewerben begleitete Abhandlung, wobei die theoretischen Beweise füglich zu entbehren sind. Zum Beschlusse werden die gebräuchlichsten zusammengesetzten Maschinen beschrieben und aus jenen Elementen erläutert.♦  
  3) Chemie, technische, nicht philosophische. Ob man: Chlorine, oder oxydirte Salzsäure, oder dephlogistisirte Salzsäure sagt, daran liegt wenig; aber ihre Eigenschaften und deren nützliche Anwendung muß man vollständig kennen lehren. In Atomen über den Erdball zerstreute Substanzen, die nie zur Anwendung kommen, werden ganz übergangen, um für das Gemeinnützige desto mehr Zeit zu gewinnen. Die chemischen Operationen werden vor dem Herde praktisch eingeübt.♦  
  4) Technologie. In dieser Hauptlektion der höheren Bürgerschule vereinigen sich die drei vorbenannten Wissenschaften zur Anwendung. Eine blos historische Beschreibung der Handwerke, Werkzeuge und Arbeiten bringt wenig Nutzen, der durch Besuch der Werkstätten leichter und besser zu erreichen ist. Man suche nicht extensive, sondern intensive Vollständigkeit und behandle bei karg zugemessener Zeit nur die wichtigsten Künste, aber gründlich, daß jede Arbeit nach Zweck und Mittel verstanden werde.♦  
  5) Warenkunde. Eine vergleichende Revision der Konsumtibilien, technischen Materialien und Kunstprodukte ist für alle Gewerbetreibenden gleich wichtig, nicht etwa blos für den Kaufmann; nur muß alles zur Ansicht vorräthig seyn, nicht Wortkram für Ware verkauft werden. Vornehmlich wichtig ist dabei die Prüfungskunst der Waren durch einfache chemische und physikalische Versuche, die nicht bis zur Analyse ausgedehnt zu werden brauchen.  
  Außer diesen Realwissenschaften gehören noch wesentlich zum Lehrplan der höheren Bürgerschule einige erhöhte Kunst- und Sprachfertigkeiten, als:♦  
  1) Das Zeichnen nach dem Runden, d. h. nach wirklich vorgestellten Objekten, nicht nach Vorlegeblättern. Die Regeln der Perspektive und Verkürzung werden dabei gelegentlich eingeschaltet und eingeübt.♦  
  2) Die Reißkunst oder Rißzeichenkunst, welche die mechanischen Vorrichtungen nach Durchschnitten mit Lineal und Zirkel treu darstellen lehrt. Die Realwissenschaften geben fortwährend Gelegenheit zu solchen Übungen. Risse von Maschinen, Schreiner-, Sattler- und Wagnerarbeiten, Webstühlen, Schöpfwerken u. s. w. werden theils kopirt, theils von  
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  den Geübteren neu aufgenommen, wobei vom ersten Anfang an den Gebrauch des verjüngten Maßstabes zu gewöhnen ist, der allein praktische Zuverlässigkeit gibt.♦  
  3) Die Modellirkunst ist hinsichtlich der nicht deutlich im Riß darzustellenden Maschinen, wie auch wegen der großen Schwierigkeit der perspektivischen Zeichnung von großem Vortheil. Das Modelliren in Holz fodert einige Übung in der Drehkunst, die allenfalls außer dem Lokal der Schule zu erlangen ist.♦  
  4) Technische Stylübungen. Hiebei komt es weniger auf die Eleganz der Schreibart, als auf zweckmäßige Anordnung der Gedanken an, um Kunstbeschreibungen kurz, deutlich und vollständig zu entwerfen. Durch tägliche Übung im Ausarbeiten technologischer Vorträge lerne der junge Bürger alles zu Papier bringen, was er im Kopf hat. Kunstbeschreibungen nach eigener Untersuchung eignen sich zu Ferienarbeiten.♦  
  5) Technische Lektüre. Wer die vorigen neun Theile des Realunterrichtes benutzt, wird in der Folge wol im Stande seyn sich selbst aus technischen Schriften zu belehren; indessen scheint doch eine vorläufige Anweisung dazu nicht überflüssig. Man gibt den Schülern zur Ferienarbeit auf, technische Abhandlungen zu excerpiren, oder einzele Bereitungen nach der Beschreibung auszuführen.— Beide letztere Übungen sind um so wichtiger, als die Erfahrung lehrt, daß viele unserer talentvollsten Techniker, durch den Mangel jener Fertigkeiten niedergedrückt, das nicht leisten, was sie außerdem gewiß leisten würden.  
  Auch der höheren Bürgerschule steht die Handwerksschule, mit ihrer höheren Abtheilung, der Bauhandwerksschule, als Gehilfin, zur Nach- und Wiederholung bei.  
  Die erste Idee der Realschule wurde 1705 zu Halle in Sachsen durch ein Programm von M. Christoph Semler, damaligem Inspektor der dortigen teutschen Schulen, angeregt. Sein Antrag wurde von der preuß. Regirung der kön. Societät der Wiss. zu Berlin zur Prüfung übergeben. Sie stellte unter dem 15. December 1706 ihr Gutachten dahin aus, daß allerdings rathsam sey, die Bürgerjugend über Kunstgegenstände zu belehren, damit ihr der Verstand und Sinn mehr geöffnet werde. Darauf wurde die Lehranstalt mit einem besonderen Lehrer (Chr. Benit) eröffnet, auch ein Kunstkabinet angelegt 2).
 
 
  • 2) Den Lehrplan gab M. Semler 1709 im Druck heraus unter dem Titel: Neueröffnete mathematische und mechanische Realschule, in welcher praesenter gezeigt und nach allen Theilen erklärt wird: das Uhrwerk, Modell eines Hauses, Kriegsschiff, Festung, Salzkoth, Mühle, Bergwerk, chemisch Laboratorium, Glashütte, Tuchmacherstuhl, Drechselbank, Pferd und Pferdeschmuck, Brauhaus, Baumgarten, Blumengarten, Honigbau, Wagen, Pflug, Egge und Ackerbau; ferner alle Arten der Gewichte, Münzen und Maße, gemeine und Edelsteine, alle Arten Wolle und Seide, Gewürze, Samen, Wurzeln, Kräuter, Mineralien, Thiere, Vögel, Fische, Sceleton; ingleichen geometrische und optische Instrumenta, Rüstzeuge der Bewegungskunst, Wettergläser, Wasserkünste, der Magnet, Kompaß, das Wapen, Grundriß eines Gebäudes, Topographie der Stadt Halle, Fürstellung der Sphäre des Himmels u. a. m. — Wir geben den ganzen Titel, weil sein Inhalt beweiset, man habe damals schon keine üble Idee von der Realschule gehabt, wiewol noch alles ziemlich konfus durch einander geworfen ist. Die Methode des „praesenter Vorzeigens” war das Beste und neu, wie es scheint. Übrigens mag manches Alberne mit. untergelaufen seyn, wie denn M. Semler besonders rühmt, daß bei der Demonstration im- {1} mer einige gute Moralien inferirt würden, als: bei der Glashütte von der Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen, beim Sceleton von der Demuth, bei den Metallen von Gottes Allmacht, Weisheit und Gütigkeit. Man mußte ja wol dem damals in Halle aufkommenden Pietismus seinen Zoll abtragen.
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  Als in den folgenden Jahren Joh. Jul. Hecker in Halle studirte, faßte er die Idee der Realschule glücklich auf, und so entstand durch ihn 1747 die Realschule zu Berlin, welche solchen Beifall fand, daß sie 1748 schon 600 Schüler zählte, unter welcher Zahl jedoch die mit der Realschule verbundene teutsche und lateinische Schule mit begriffen waren. Sie erhielt eine Bibliothek, eine Naturaliensamlung, eine Modellkammer und einen botanischen Garten. Heckers Nachfolger, der geschätzte Physiker Silberschlag, sonderte die bis dahin nicht vollkommen geschiedenen Anstalten mehr ab, in das Pädagogium für Studirende, die Kunstschule für Künstler, Baumeister, Kaufleute und Ökonomen, und die teutsche Schule für Handwerker.♦  
  Lehrplan und Lehrmethode der Kunstschule oder eigentlichen Realschule wurden durch das bekannte, treffliche Reccardsche Lehrbuch befestiget. Eben dieser Reccard (Gotth. Christ.), die drei Brüder, J. Ch. Gottl. Sprengel, Joach. Fr. Sprengel, Vater des berühmten Botanikers und Geschichtschreibers der Arzneikunde, und P. N. Sprengel, der die von Hartwig fortgesetzte Technographie anfing, und andre treffliche Lehrer halfen den Ruf der Anstalt heben 3). —♦  
  Ein so glänzender Erfolg munterte zur Nachahmung auf, und so bildeten sich nach und nach im Norden und Süden von Teutschland theils für sich bestehende Realinstitute, deren einige doch bald wieder eingingen, theils mit anderen Schulen verbundene Realklassen. Diese gewähren in der Ausführung bedeutende Vortheile, indem die Verwandlung einer schon bestehenden Klasse in eine Realklasse wenig Kosten verursacht, auch der Zugang an Schülern durch die Schwesterschule gesichert wird 4).  
  Am zweckmäßigsten und der Natur der Sache angemessen bildet die Realklasse die obere Abtheilung einer niederen Bürgerschule, in welchem Falle sie zwar die Lektionen der Bürgerschule nebenbei mit fortsetzen muß, wodurch dem Realunterricht viel Zeit entgeht, doch aber unter sonst günstigen Verhältnissen für Mittelstädte leisten kann, was örtliches Bedürfniß heischt. Im Allgemeinen ist nicht zu verhehlen, daß das Realschulwesen noch manches zu wünschen übrig läßt, bevor man hoffen darf, seine Bestimmung gnüglich erreicht zu sehen. Darüber schlüßlich folgende Bemerkungen.  
  Eine große Schwierigkeit liegt in dem Mangel an geeigneten Lehrern, welcher die Vermehrung der Realschulen hindert, auch schon bestehende nicht selten zurücksetzt, daß sie der Benennung ungeachtet doch in der That keine mehr sind. Die Ursach jenes Mangels ist, daß Jünglinge, die Fleis und Talent genug besitzen die Realwissenschaften zu studiren, sich in der Regel mit dem mühevollen, wenig lohnenden Beruf des Schulmannes nicht begnügen, sondern höher hinaus wollen. Fast überall ist
 
 
  • 3) Vgl. Die Geschichte der Realschule von ihrem verdienten Direktor And. Jak. Hecker (Berl. 1797) und die Nachträge von 1798, 1802.
  • 4) Über die verschiedenen Fälle solcher Verbindungen darf ich mich auf den Anhang meiner Schrift: „Über die Einrichtung höherer Bürgerschulen" (Halle, 1809) beziehen.
 
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  die Schule nur der Warteposten für die Kandidaten des Predigtamtes, und diese fühlen selten Beruf in so schwierige Doktrinen einzudringen.  
  Sehr viel hängt von der Wahl und Zusammensetzung der leitenden Behörde ab. Am besten gedeiht das Werk, wo man die einsichtsvollsten Kaufleute, Fabrikanten, Baumeister und Ökonomen des Ortes zu Ephoren wählt, welche den Realunterricht zu würdigen verstehen. Wo dagegen die Leitung Männern zusteht, die anderweit zu beschäftiget sind oder das Wesen und Wirken der Anstalt nicht verstehen, nur für Latein und Religionsstunden Sinn haben, die Realien aber zu den Allotrien rechnen und mit Gähnen davon hören, da läßt sich, wenn sie auch gutmeinend helfen und bessern wollen, wenig Ersprießliches hoffen. Wo Gewerbvereine sind, bilden sie einzig die kompetente Behörde.  
  Meistentheils ist in den Realklassen der Mangel an Hilfsmitteln zu groß, als daß viel ausgerichtet werden könnte. Das „praesenter Vorzeigen" ist unumgänglich, wie M. Semler wol einsah. Wenn aber der Lehrer ohne Samlungen und Apparat ist, von unsichtbaren Dingen erzählen und die Versuche mit Kreide an die Wand malen muß, so ist das wenig mehr als gar nichts; Bürgerkommissionen finden Wege die Mittel herbeizuschaffen; aber Scholarchen der andern Gattung wissen da keinen Rath, und gemeinschaftliche Direktionen verwenden die etwa disponiblen Mittel oft mit Vorliebe zur Ausstattung der lateinischen Schulen.  
  Nicht selten liegt in den Ältern der Schüler ein Hinderniß, daß der Realunterricht nicht recht gedeihen kann. Von gebildeten Ältern ist das freilich nicht zu besorgen; aber da die Realschule eben die Bildung des Bürgerstandes zu steigern bezweckt; so geht sie freilich, besonders da, wo sie noch etwas Neues ist, über den Horizont der meisten Väter ihrer Zöglinge hinaus, die in ihrer Jugend von dem allen nichts hörten. Manchen fällt es unbequem, daß ihre Söhne mehr lernen. Sie sind dann wol unbedachtsam genug, sich zu Hause über die Schul-Neuerungen gleichgiltig oder gar mißfällig zu äußern, wodurch sie die Söhne abwendig machen, statt sie zum Fleiße anzuhalten. Dafür gibt es kein anderes Mittel als geduldiges Erwarten zunehmender Bildsamkeit.  
  Das Schlimmste ist endlich die Eilfertigkeit der Jugend, die meistens nicht erwarten kann der Schulzucht entnommen zu werden. Viele warten kaum die Konfirmation ab, und doch werden sie dann erst fähig für den Realunterricht, der Kindern nicht begreiflich gemacht werden kann. Diesem Übel wäre abzuhelfen, wenn die Regirung den Künstlern, Baumeistern, Kaufleuten, Apothekern und Ökonomen zur Pflicht machte, nur solche Lehrlinge anzunehmen, welche das Zeugniß der Reife von der Realschule mitbringen.
   
Bürgerstand Bürgerstand, hat verschiedene Bedeutungen. In dem Verhältnisse, wo der Adel als der höchst bevorrechtete, und der Bauernstand als der geringste Stand betrachtet wurde, bildete sich der Bürgerstand als ein Mittelstand aus, daher in Urkunden drei Stände: Edelleute, Bürger und Bauern geschieden wurden 1), was
⇧ Inhalt 
 
  • 1) Z. B. Urk. in Schultes coburg. Landesgesch. S. 161.
 
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  im Mittelalter um so wichtiger wurde, als für jede dieser Unterthanenklassen besondere Beurtheilungsnormen und Gerichtsverhältnisse vorkamen, und die Frage oft entstand, in wiefern jeder Stand selbständig repräsentirt werden durfte. Auf diese Art gehörten alle Personen, welche Mitglieder einer städtischen Corporation oder eines Marktfleckens waren, zum Bürgerstande.♦  
  Je mehr neue Ständeverhältnisse entstanden, der Adel jedoch immer als ein geschlossener Stand sich erhielt, und jeder Freie ein Interesse hatte, sich von dem höchst gedrückten Bauernstande zu trennen, desto mehr umfaßte der Bürgerstand als ein Mittelstand alle Personen, welche nicht zum Adel oder Bauernstande nach ihrer Geburt gehören, oder einem dieser Stände nachher einverleibt sind, und in diesem Sinne haben auch neue Gesetze 2) vom Bürgerstande gesprochen.♦  
  In diesem Umfange gehören auch Beamte und Geistliche zum Bürgerstande; um aber jedem Mißverständnisse, das durch Ausdehnung entstehen könnte, vorzubeugen, haben die Gesetze wieder den Begriff beengt, und rechnen alle Personen, welche durch ihre Ämter, Würden oder andere Privilegien von der Gerichtsbarkeit ihres Wohnorts befreit sind, zu den Eximirten 3).♦  
  Für die Unterscheidung in höhere (auch vornehmere) Bürger und gemeine läßt sich anführen, daß schon die Reichsgesetze 4) von gemeinen Bürgern im Gegensatze der Kauf- und Gewerbsleute, und von Bürgern fümehmen Herkommens sprachen, und mehre Landesgesetze 5) selbst privat-rechtliche Bestimmungen, z. B. Nothwendigkeit gerichtlicher Protokollirung der Bürgschaften bei gemeinen schlechten Bürgern, auf den Unterschied bauen, und auch neue Gesetze von einem höheren Bürgerstande sprechen 6), obwol gemeinrechtlich sich weder die Personen, die dazu gehören, noch die auszeichnenden Vorrechte angeben lassen. So kann man nach Gewohnheit 7) und Gesetzen zu den höheren Bürgern die Graduirten, die landesherrlichen Beamten, Gelehrte, Rathsglieder, Kaufleute, Künstler, Unternehmer erheblicher Fabriken rechnen, obwol häufig solche Rangbestimmungen nur in Bezug auf einzele Verhältnisse 8) entstanden sind, und daher nicht immer Ausdehnung leiden.
 
  • 2) Preuß. Landr. II. Th. Tit. 8. §. 1.
  • 3) z. B. preuß. Landr. l. c. §. 3.
  • 4) Reichspolizeiordn. v. 1530. Tit. 11. und 13.
  • 5) z. B. baier. Landr. IV. Thl. cap. 10. §. 4.
  • 6) Preuß. Landr. II. Th. Tit. 1. §. 31.
  • 7) z. B. Kreitmaier Anmerk. zum baier. Landr. V. Thl. S. 1751.
  • 8) z. B. in Preußen in Bezug auf Eheverbote wegen Ungleichheit des Standes.
 
   
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Stand: 9. Februar 2018 © Hans-Walter Pries