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III. Diese schönen Worte des „Großmeisters aller Forschung" (Allgem. Zeitung
vom 12. Juli 1858) und des eifrigen Vertheidigers der Rechte der Menschheit wie der Freiheit der
Wissenschaft und der Lehrfreiheit der Universitäten (s. Minerva 1858. Bd. II. H. 3. Abth. 2. S. 19)
führen uns sofort zu der praktisch wichtigsten Folgerung der richtigern Ansicht, zu der Rechts- und
politischen oder bürgerlichen Gleichheit bei den höher gebildeten Völkern alter und neuer Zeit, bei
denen sich überhaupt die Ideen von Freiheit und Gleichheit haben entwickeln können, also mit
Übergehung des gebildeten Orients, in welchem den weltlichen oder geistlichen Gewaltherrschern
gegenüber Alles auf gleiche Weise Sklav ist 20). —♦ |
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Was zunächst das allgemeinste Verhältniß dieser Art, die internationale oder
völkerrechtliche Gleichheit betrifft, so ist von derselben in dem sonst politisch so hoch gebildeten
classischen Alterthume keine Rede. In demselben herrschte vielmehr die Ansicht vor, daß das Recht
nur von einem bestimmten, concreten Gemeinwesen ausgehen könnte und daher nur diejenigen
schützte, welche jenem ein für allemal als Mitglieder oder durch besondere Verträge verbunden
waren; jedes fremde Volk galt daher, auch wenn man nicht mit ihm im Kriege war, als rechtlos
21). Wer weiß nicht, daß hostis und hospes ursprünglich gleichbedeutende Ausdrücke waren 22),
und daß die Griechen wie die Römer jedes fremde Volk als „Barbaren" bezeichneten, gegen die sie
sich Alles erlauben zu können glaubten. So hoch gebildet die Griechen waren, so bleibt ihr
barbarisches Kriegs- und Völkerrecht ein unvertilgbarer Flecken in ihrer Geschichte, zu-
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- 20) Vergl. Anq. du Perron, Legislat. orientale und Heeren's Ideen über die
Politik u. s. w. I. Beil. — Diese formelle Gleichheit zeigt sich auch im häuslichen Leben, im Innern des
Harems, wie die Fürstin Belgisjoso vor einigen Jahren nachwies, daß „die völlige Gleichheit
zwischen Magd und Herrin auch eine Ursache des Verfalls im Harem" sei; s. Blätter von der Saale.
1855 vom 31. April.
- 21) Carové, Kosmorama S. 145; Walter, Röm. Rechtsgesch. 1840. S. 45.
- 22) Varro, De ling. lat. IV, 1; Festus, v. stat dies.
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mal sie nicht blos in den frühern rohen Zeiten, sondern noch sehr spät die
physische Übermacht oder rohe Gewalt als ihr Recht gegen Fremde erklärten 23), und als eben die
Gesetze selbst auf solche egoistische Überhebung über fremde Nationalität hinwirkten 24). —
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Auch die Hebräer, obwol sie gegen die einzelnen Fremdlinge sehr humane
Grundsätze als Mosaische Vorschriften zu ehren hatten (2 Mos. 22, 21; 3 Mos. 19, 33; 5 Mos. 10, 19),
huldigten jener Ansicht; sie erklärten sich als das „auserwählte Volk Gottes," das zur Sultanschaft
über die ganze Welt berufen sei (2 Sam. 7, 14. 16; Dan. 7, 14. 27), und durch deren Messias ihr
Jehovah die widerstrebenden „mit eisernem Scepter weiden und wie Töpfergeschirr zerschmettern
werde" (Ps. 2, 7; Jes. 60, 7. 10; 61, 5 fg.; 65, 22; 66, 6. 16).♦ |
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Kurz an eine Anerkennung der Gleichheit des Rechts jedweder Nationalität oder
an ein Völkerrecht im eigentlichen Sinne war damals nicht zu denken (das jus gentium der Römer
bezeichnet bekanntlich einen ganz andern Begriff, nämlich das überall auf gleiche Weise sich findende
positive Recht der einzelnen Nationen); es ist dies letztere erst durch das Christenthum und durch das
germanische Volksthum angebahnt, dann erst nach den durch die Reformation hervorgerufenen
Religionskriegen merklich ins Leben getreten; vergl. d. Art. Gleichgewicht. |
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Auf ähnliche Weise hat es sich mit der persönlichen, politischen und
bürgerlichen Gleichheit verhalten, von deren Anerkennung im classischen Alterthume zwar einzelne
Spuren in Äußerungen der Dichter und Philosophen, sowie in Gesetzen und politischen Einrichtungen
sich finden, die aber natürlich nicht eher im Großen und Ganzen ins wirkliche Leben treten konnte, bis
einerseits die Sklaverei in ihrer Unrechtmäßigkeit erkannt und andererseits in der Politik als
Staatsverfassungslehre das demokratische Princip sich dem absolut-monarchischen oder dem
aristokratischen gegenüber zur Geltung bringen konnte, und bis endlich in der
Repräsentativverfassung oder dem constitutionellen Systeme die den Forderungen des Rechts- oder
Vernunftstaats entsprechende Staatsform gefunden war. |
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Wie das classische Alterthum im Allgemeinen die Sklaverei als eine sich überall
findende und darum von selbst verstehende Einrichtung, als eine institutio juris gentium, ansah, ist
bekannt genug. Indessen finden sich doch schon bei den alten Hellenen Ahnungen der richtigern
Ansicht und jedenfalls schon beim Homer die Einsicht von den verderblichen Wirkungen jener
Institution: |
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„Schon die Hälfte der Tugend entrückt Zeus waltende Vorsicht Einem Mann,
sobald nur der Knechtschaft Tag ihn ereilet." Odyss. XVII, 322. |
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Noch bestimmter lautet der Spruch des Philemon: „Ist Einer Sklav auch, ist er
doch von selben Fleisch, Denn Keiner ist als Sklav geboren von Natur, Das Schicksal nur verstößt den
Leib in Sklaverei."
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- 23) Thucyd. B. Pelop. I, 4. III, 36; Pausan. IX, 15.
- 24) Xenoph. Hellen. V,
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Indessen sagt doch auch ebenderselbe an einer andern Stelle: |
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„ Wohl ist es besser, eines guten Herrn Sklav,
Als frei in Mühsal stets zu leben und
in Noth" 25). |
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Ein Argument, das bekanntlich sich auch noch neuerdings häufig genug geltend
gemacht hat, z. B. in Rußland 26). |
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Wichtiger ist, daß die griechische Philosophie der richtigern Ansicht den Weg
bahnte, besonders des System des Stoicismus, dessen mit Recht schon von Montesquieu sehr hoch
angeschlagene culturgeschichtliche Bedeutung auch neuerdings erst wiederum anerkannt und näher
nachgewiesen worden 27). |
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Vor allen ist hier des Sokrates zu gedenken. Wie dieser nach dem bekannten
Ausdrucke des Cicero (Tusc. Quaest. V, 4) die Philosophie zuerst vom Himmel, d.h. von den
metaphysischen Speculationen, auf die Erde herabrief, sie in den Städten einheimisch machte, auf die
Märkte und in die Häuser einführte, d.h. sie zwang, über Leben und Sitten, das Gute und das Böse, das
Schöne und das Häßliche Untersuchungen anzustellen: und wie in ihm schon die Idee von bindenden
ungeschriebenen Gesetzen im Gegensatze zu den bürgerlichen von der Staatsgewalt promulgirten
(Xenoph. Memorab. IV, 2. §. 13 seq., vergl. II, 6, 33), mithin eine Ahnung des natürlichen Rechts
überhaupt sich ausgesprochen findet, so gilt Ähnliches auch von der Idee der Gleichheit, die Sokrates
wenigstens in Bezug auf den wichtigsten Theil der praktischen Philosophie — die Pädagogik — schon
anerkannte.♦ |
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„Nicht Stand und Stamm, nicht Vermögen und Reichthum, kurz nichts Äußeres,
wovon bisher Erziehung und Unterricht abgehangen hatte, bedingt ihm die Fähigkeit zu lernen, d.h.
weise und gut zu werden, sondern Allen, Reichen wie Armen, Athenern wie Fremden predigt er seine
Weisheit, nicht in einer bestimmten Schule, sondern zu Athen auf dem Markte, der Straße u. s. w., zu
jeder Zeit und bei jeder Gelegenheit. Zwar finden wir weder Frauen noch Sklaven als Theilnehmer an
seinem Unterrichte namentlich genannt, allein die ersten schloß er wenigstens nicht nach bestimmt
ausgesprochenen Grundsätzen und einer in seinen philosophischen Ansichten begründeten
Consequenz. aus, und in Betreff der letztern sagt er ausdrücklich: sklavenartig und unfrei sei der
Mensch nur durch Unwissenheit, frei oder schön und gut nur durch Bildung (Xenoph. Memorab. IV, 2,
22. I, 1, 16); jeder Mensch ist ihm als ein geistiges Wesen dazu berufen und aus einem Jeden, selbst
dem Ungebildetsten, bringt er durch seine geistige Entbin-
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- 25) Siehe Bippart, Über die Sklaverei bei den Griechen, in: Rob. Prutz'
Deutschem Museum. 1851. S. 616. 909.
- 26) Die russischen Patrimonial- oder Adels-leibeigenen
Bauern beneiden die Kronbauern nicht um ihre persönliche Freiheit, weil sie weniger Abgaben als
letztere zahlen; s. D. Allgem. Zeitung. 1854 vom 20. Sept. S. 2305. (Die daselbst mitgetheilten
ausführlichen Erörterungen über die russische Leibeigenschaft verdienen grade jetzt, wo es sich um
deren Aufhebung handelt, beachtet zu werden.)
- 27) Prantl, Über die geschichtlichen Vorstufen der
neuern Rechtsphilosophie (München 1858.) S. 15.
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dungskunst das Wahre zu Tage. Es ist dies der erste schwache Schimmer von
Menschengleichheit im Reiche der Wissenschaft, die nachher durch die Sonne des Christenthums
verallgemeinert, das tiefste Weh der Menschheit heilte und ihre schmerzlichsten Seufzer stillte, es ist
dies die erste Spur von einer Republik im Gebiete des Geistes" 28). |
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Des Sokrates berühmtester Schüler, Platon, erklärte sich zwar nicht entschieden
gegen die Sklaverei, nannte sie aber doch einen für den Herrn wie für den Sklaven schädlichen
Nothstand (De rep. l. IV), während Aristoteles, wie schon bemerkt, sie vertheidigte. In Bezug auf die
politische oder Rechtsgleichheit ist übrigens interessant, daß schon diese zwei berühmtesten
Philosophen des classischen Alterthums verschiedene Erörterungen über den Begriff derselben
gegeben, namentlich aber auch schon die Nothwendigkeit eingesehen haben, in Bezug auf das Rechts-
und Staatsleben nicht bei dem abstracten Gleichheitsbegriffe stehen zu bleiben, sondern
anzuerkennen, daß es eine verschiedenartige Gleichheit gibt, und daß zwar alles Recht sich auf das
Princip der Gleichheit stützt, daß aber Gleichheit nur Recht ist für Gleiche, mithin auch
Ungleichheit Recht sein kann, nämlich für Ungleiche.♦ |
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Platon spricht dieses im 6. Buche seines Werkes über die Gesetze aus (ed. Bip. Vol.
VIII. p. 261) und Aristoteles in seiner Politik Buch 3. Cap. 6. 7. 11. V, 1; ferner in der Ethik V, 3 fg.;
namentlich erinnert Aristoteles (Pol. V, 1) daran, daß die Menschen bei Einrichtung bürgerlicher
Gesellschaften nach gewissen Regeln der Gerechtigkeit zu handeln gesucht, namentlich eine gewisse
Gleichheit zum Maßstabe ihrer Einrichtung genommen, aber nicht immer das wahre Recht, die
eigentliche oder passende Gleichheit haben finden können 29). Auch zeigt Aristoteles daselbst, daß
wirkliche oder vermeintliche Ungleichheit immer die Veranlassung zu bürgerlichen Unruhen und
Revolutionen gewesen ist, und daß alle Revolutionaire
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- 28) Fr. Cramer, Geschichte der Erziehung und des Unterrichts im Alterthume
II. S. XXXIV.
- 29) „So entstand die Demokratie z. B., weil die, welche sie errichteten, Menschen,
welche nur in einer gewissen Absicht einander gleich sind, für in aller Rücksicht völlig gleich
ansahen. Diese zum Grunde liegende Gleichheit war die Gleichheit einer freien Geburt, und sie
nahmen an, daß alle Freigeborenen gleiche Rechte im Staate haben müßten. Die Oligarchie entstand,
weil Menschen, die in einem gewissen Stücke ungleich miteinander waren, oder Vorzüge über sie
hatten, glaubten, daß sie auch in allen andern Stücken Vorrechte über sie haben müßten. Der Grund
der Ungleichheit lag hier im Vermögen. Die Reicheren hatten Recht, sich in einem gewissen Punkte
den Ärmeren für überlegen zu halten; aber sie hatten Unrecht, deßwegen die Oberhand über diese in
allen Rücksichten haben zu wollen. Jene in der Demokratie, weil sie sich als Gleiche ansahen,
verlangten also auch gleichen Antheil an allen Würden der Republik und an der Verwaltung des
Staates. Diese, die Reichen in der Oligarchie, weil sie die Ärmeren nicht für sich gleich ansahen,
wollten auch in allen Vortheilen und Würden, welche die bürgerliche Gesellschaft austheilt, vor diesen
viel voraus haben. Denn Nichts schien billiger dem natürlichen Verhältnisse gemäßer, als daß dem
Größern auch das Mehre zu Theil werde." Garve, Die Politik des Aristoteles I. S. 385 fg.
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die Wiederherstellung einer gewissen Gleichheit wenigstens zur scheinbaren
Absicht haben. |
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Aristoteles erklärt auch ganz passend aus dem jeder Demokratie einwohnenden
Hauptprincipe der Gleichheit, die den griechischen Staaten eigenthümliche Institution des
Ostracismus, nämlich „weil in der Demokratie zum Gesetze geworden, daß diejenigen Bürger,
welche an Reichthum oder an Menge der Freunde oder in irgend einer Sache, die einen großen Einfluß
auf die bürgerliche Regierung gibt, sich über die übrigen zu sehr zu erheben scheinen — auf
bestimmte Zeiten durch Mehrheit der Stimmen von ihrer Republik entfernt und gleichsam ins Exilium
geschickt werden" 30). Damit stimmt auch, was Plutarch im Leben des Aristides (c. 7), des
Alcibiades (c. 15) und Nicias (c. 11) über den Ostracismus und seine Abschaffung erzählt. |
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Was die Stoiker betrifft, so gebührt ihnen unstreitig der Ruhm, mit ihrer Welt- und
Lebensansicht die engen Grenzen des bisherigen Staats- und Volksthums überschritten und sich zu
dem Begriffe des Weltbürgerthums erhoben zu haben, wobei das Wort „Welt" übrigens nicht in der
Bedeutung der auf Erden verbreiteten Menschheit, sondern als Weltall (als Kosmos) gemäß dem
Pantheismus der Stoiker zu verstehen ist. Nach dieser Ansicht wurde der Begriff der Gerechtigkeit auf
die Gemeinschaft aller Vernunftwesen, der Götter wie der Menschen, bezogen, sowie die
Gesetzgebung als der König und Herr aller göttlichen und menschlichen Dinge gefaßt (was sich in der
bekannten Definition der Jurisprudenz als der rerum divinarum humanarumque scientia in §. 1 Instit.
de just. et jure ausspricht).♦ |
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So wurden denn die Menschen sämmtlich als Bürger Eines großen Staates, nämlich
der Welt in jenem Sinne erklärt und der Begriff eines jus naturale festgestellt als desjenigen Rechts,
welches die Natur allen lebenden Wesen gelehrt habe, von welchem dann das Recht der Völker, jus
gentium, als das der Menschen blos unter sich gemeinsame, und zuletzt noch das bürgerliche Recht,
jus civile, unterschieden wird, als dasjenige, das sich geschichtlich bei dem einen oder andern Volke
entwickelt hat. Vor Allem gehört hierher die wahrhaft erhabene Darstellung der hohen Würde der
göttlichen Abstammung und allgemeinen Verwandtschaft, somit auch der natürlichen
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- 30) „Auch nach der Fabel ließen die Argonauten den Herkules um einer
ähnlichen Ursache willen zurück. Sie wollten nämlich nicht auf demselben Schiffe mit einem Manne
reisen, der so weit über sie Alle erhaben war. Daher diejenigen, welche das Verfahren der sich zu
unumschränkten Herren aufwerfenden und den Rath, welchen Periander dem Thrasybulus gab, ohne
Einschränkung misbilligen, nicht ganz richtig urtheilen. Die Geschichte sagt nämlich, Periander habe
den an ihn vom Thrasybulus abgeschickten Boten Nichts geantwortet, habe aber in seiner Gegenwart
den über die übrigen hervorragenden Kornhalmen die Ähren abgeschlagen. Der Bote, ohne zu wissen,
warum Periander dieses thue, habe seinem Herrn berichtet, was er gesehen habe, und Thrasybulus
habe bald verstanden, daß er nach Periander's Rathe die zu mächtigen Männer von Athen aus dem
Wege räumen solle." Aristot. a.a.O.
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Gleichheit und Freiheit aller Menschen, zu deren Dienst die ganze Erde und
Sachenwelt geschaffen ist; wie dies namentlich Seneca (De benef. III, 2, 22. ep. 47. 92) und Cicero
(De fin. I, 4. II, 13. III, 19 seq.) aussprechen, was denn auch in mehre Stellen des Corpus juris
überging (fr. 3 u. 4. De Inst. et J., fr. 32 u. 64. De Reg. Jur.); ebenfalls in diesem letztern ward erklärt
(fragm. 64. D. de cond. indeb. fr. 4 seq. De j. it. s.), daß die Sklaverei nur eine institutio juris gentium
sei, während Ulpian ausdrücklich sagt, daß nach dem jus naturale alle Menschen gleich sind, sowie
nach den Institutionen (§. 1. De libert. I, 5) alle Menschen nach dem jus naturale als frei zu
bezeichnen sind, womit die Anerkennung der „Gleichheit" von selbst gegeben ist. |
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Unter den römischen Philosophen verdient übrigens vor allen Cicero genannt zu
werden, der in diesem, wie in manchen andern Punkten dem Stoicismus huldigte, und der namentlich
den Begriff der Gleichheit sowol philosophisch als politisch sehr gut erörtert hat 31). |
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In ähnlichem Geiste erklären sich Epictet (Arrian. I. 13), Seneca (De benef. III, 2
und ep. 47) und Kaiser Antonin (IV, 32) über die ursprüngliche Gleichheit der Menschen. Letzterer
lehrte: „Werde weder Sklave, noch Willkürherrscher deines Mitmenschen;" Epictet misbilligt es,
„seine Brüder" zu Sklaven zu machen, und Seneca will sie nur als „Lohndiener" betrachtet und
behandelt wissen.
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- 31) De leg. lib. I, 10. „ Keine individuelle Sache ist der andern so gleich, so
ähnlich, als wir uns unter einander selbst sind. Wenn die Verdorbenheit der Gewohnheiten, wenn die
Eitelkeit der Meinungen unser schwaches Gemüth nicht beugen, und dahin, wohin sie wollte, lenken
würde, so würde keiner sich selbst so gleich sein, als alle allen sein würden. Daher muß auch jede
Definition, die man von dem Menschen geben kann, auf alle und jede passen. Dieses ist Beweises
genug, daß in dem Geschlechte selbst keine Ungleichheit sein kann; denn wäre sie da, so könnten
nicht alle und jede unter einer Bestimmung enthalten werden. Die Vernunft, wodurch wir allein von
den Thieren unterschieden sind, wodurch wir die Zukunft voraussehen, Beweise festsetzen,
widerlegen, erörtern, etwas hervorbringen, Schlüsse und Folgerungen ziehen, ist ohne Zweifel allen
und jeden gemein; die Erkenntniß verschieden, die Erkenntnißfähigkeit gleich. Denn wir erkennen
Alles durch die Sinne; Alles was unsere Sinne rührt, rührt die Sinne der Übrigen. Die nämlichen
Gründe der Erkenntniß, die unserer Seele eingedrückt sind, sind auch der Seele der Übrigen
eingedrückt. Die Auslegerin der Seele ist die Sprache, in Worten verschieden, im Sinne einstimmig.
Und es gibt keinen von irgend einer Nation, der nicht an der Hand der Natur zur Tugend gelangen
könne. — Aber nicht allein in der Tugend, sondern auch in ihren Fehlern ist die Gleichheit der
Menschen auffallend. Alle fühlen die Reize der Wollust, die, obgleich sie die Lockung des Lasters ist,
doch eine gewisse Ähnlichkeit eines natürlichen Gutes hat. Durch ihre Leichtigkeit und
Annehmlichkeit gefällt sie, und wird durch einen Irrthum des Verstandes als etwas Heilsames
angenommen. Aus gleicher Unwissenheit scheut man den Tod als eine Auflösung der Natur, wünscht
das Leben, weil es uns da erhält, wo wir geboren sind; zählt den Schmerz unter die größten Übel,
theils wegen seiner Härte und Unannehmlichkeit, theils weil ihm die Auflösung der Natur zu folgen
scheint; hält wegen der Ähnlichkeit zwischen Tugend und Ruhm für glückselig diejenigen, die geehrt,
für elend, die ruhmlos sind."
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Culturgeschichtlich wichtiger sind indessen die Versuche, die schon das classische
Alterthum machte, die politische und sonstige Gleichheit ins Leben einzuführen. Allbekannt ist in
dieser Beziehung die Lykurgische Gesetzgebung, die sogar eine materielle Gütergleichheit
einführte 32), welche sich freilich nicht lange halten konnte, da sie der Natur des menschlichen
Lebens zu sehr widerspricht. Diese gleiche Güter- oder Vermögenstheilung ist übrigens neuerdings
mehrfach angezweifelt oder nur sehr bedingt als Factum zugestanden worden; eine Controverse, an
welcher sich Kortüm und Döderlein schon früher, neuerdings Schömann (Griech. Alterth. 1855) und
Curtius, Griech. Myth. und Antiq. 1857 betheiligt haben (vergl. Prutz, Deutsch. Museum. 1857. Nr.
25 vom 18. Juni S. 909), auf welche natürlich hier nicht näher eingegangen werden kann. |
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Im Allgemeinen ist nur zu bemerken, daß überhaupt den alten Griechen es sehr an
Rechtsgefühl oder Rechtssinn fehlte, wie denn schon im Familienrechte trotz der eingeführten
Monogamie bei ihnen sich noch ein orientalischer Despotismus des Haus- und Eheherrn gegen die
Frau geltend machte (s. Ed. Platner, Notiones juris et justit. ex Homeri et Hesiodi carmin. explic.
1819. p. 129), die keineswegs gleiche Rechte mit jenem hatte; auch die Kinder, zumal bei den
Doriern, wurden weit mehr als Eigenthum des Staates, nicht aber als freie Persönlichkeiten
angesehen.♦ |
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Im öffentlichen oder Staatsleben galt allerdings die Idee der Rechtsgleichheit als
das Hauptprincip, aber eben nur für die verhältnißmäßig kleine Classe der bevorrechteten freien
Bürger, wie sie denn das wahre Heil nur an der sogenannten Demokratie fanden, welche, wie schon
Herodot (III, 80: V, 78) sagt, allein den erhabenen Charakter der Isonomie hat. Aber eigentliche wahre
Demokratien oder Republiken, wie z. B. die Schweiz, früher die Niederlande, konnte es damals gar
nicht geben, eben weil das Volk, die ungeheuere Majorität entweder als Sklave oder als bloßer
Schutzgenosse von der alleinberechtigten Minorität geknechtet ward. In Attika zur Zeit seiner Blüthe
betrug die Bevölkerung etwa 524,000 Seelen, nämlich 84,000 Bürger, 40,000 Schutzverwandte und
400,000 Sklaven 33).♦ |
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Übrigens sind die bedeutendsten Schriftsteller, Hüllmann (Staatsrecht d.
Alterthums), Vollgraff (Polit. 2. Bd.), Tittmann (Staatsverfass d. Griech.) u.A. darüber einig, daß wie
überhaupt die Rechtsidee, so insbesondere die der wahren, d.h. allgemeinen Freiheit und Gleichheit
bei den Hellenen sich nicht so entwickelt hat, wie es dem gebildetsten Volke der damaligen Welt
ziemte, zumal fast überall auch in Bezug auf die freien Bürger keine echt republikanische Gleichheit,
sondern die Bevorrechtung der Oligarchie galt 34).
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- 32) Vergl. Manso's Sparta I. S. 81; Heeren, Ideen über die Polit, u. s. w. III. S.
242; Welcker, Letzte Gründe von Recht u. s. w. S. 352 fg.
- 33) Böckh, Staatshaushalt der Athener I.
S. 39 fg., vergl. S. 49 u. 129.
- 34) Vergl. W. Vischer, Die oligarch. Partei u. s. w. (Basel 1856.)
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Besser stand es mit der Idee der Rechtsgleichheit bei den Römern, dem anerkannt
größten „Rechtsvolke" des Alterthums. Auch bei ihnen findet sich schon sehr frühzeitig ein Streben,
die Idee der Gleichheit, freilich auch nur für die Freien, und zwar speciell eine materielle
Gütergleichheit ins Leben einzuführen, wie dies u.A. Welcker näher nachgewiesen hat 35).
Romulus soll unter seine Bürger die Güter gleich vertheilt haben (Dion. Halic. II, 7. Plin. Hist. Nat.
XVIII, 2), auch später hatte man noch diese Art der Gleichheit vor Augen (Dion. Hal. II, 76; IV, 9,
13).♦ |
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Schon seit Servius Tullius bildete sich bei ihnen die der alten Welt vorzüglich
eigene demokratische Ansicht des Rechts und Staats aus, vermöge welcher jeder Freie dem andern
gleich als wesentlichste Bedingung alles Rechts forderte, nur unter von ihm selbst gegebenen oder
gebilligten Gesetzen zu stehen und Antheil an der Regierung des Staats zu haben (worin eben nach
dieser Ansicht die politische Freiheit bestand), worauf außer der bekannten Stelle des Tacitus (Ann. I,
48), welcher jenem Gesetze zuschreibt, denen auch die Könige sich unterwerfen müßten, besonders
die ausdrückliche Erklärung des Dionys von Halicarnaß (IV. p. 229. 243) spricht, wonach dieser König
dem Volke versprochen, ihm gleiche Gesetze zu geben und stets über dieser gleichen Freiheit zu
wachen.♦ |
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Auch behaupteten die römischen Bürger schon früh die Wahl der wichtigeren
Beamten, selbst der Könige, die Gesetzgebung und Entscheidung an den wichtigsten
Regierungssachen, namentlich über Krieg und Frieden als ihr gleiches unveräußerliches Volksrecht
(Liv. I, 17, 22; Seneca ep. 108. L. 2. §. 2. De or. jur.; Gellius XV, 23, 27).♦ |
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Die Hauptrolle spielte die Gleichheitsidee später in Bezug auf die, vorzüglich auf
jene ursprüngliche Gleichheit gestützten, öfter mit so großem Eifer erneuerten Ackergesetze (Liv. II,
31; VI, 34; VII, I. Dion. H. VIII, 68), welche wenigstens gleiche Vertheilung des Erworbenen
forderten. Es war diese Idee, welche überhaupt nicht blos als egoistischer Wunsch der Ärmeren,
sondern als rechtliches Ideal den Alten, deren Sein und Genuß mehr auf diese irdische als auf eine
andere übersinnliche Welt berechnet war, bei dem Anfange rechtlicher Ausbildung, wo das Ideelle
und die nach individuellen Bedürfnissen vertheilende ideelle Gleichheit weniger erkannt und vom
Materiellen getrennt wird, sehr natürlich, da aber, wo Alle gleiche demokratische Regierungsrechte
haben sollen, in gewissem Grade wenigstens so nothwendig, daß später vorzüglich ihre gänzliche
Vernachlässigung die Republik Rom in die Hände überreicher Wucherer gab, denen das ärmere Volk
seine Freiheit verkaufte. Die Idee einer zwar nicht immer ganz reinen, aber doch mehr formalen
Gleichheit, wie sie als Rcchtsideal bei allen öffentlichen Verhandlungen der Römer sich zeigte (z. B.
Liv. II, 3; III, 35. 67; IV, 5; VI, 37), hatten die XII Tafeln in ihrer Gleichsetzung
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- 35) Welcker, Letzte Gründe von Recht, Staat und Strafe. 1813. S. 452
fg.
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aller Stände in ihrem Grundsatze: privilegia ne irroganto (Tab. IX), welchen
schon dic Leges Sacratae als ein Grundgesetz der römischen Freiheit geheiligt hatten (Car. Sigon. De
antiq. jur. civ. R. 1,6), welchen auch Cicero als erste Bedingung der Gerechtigkeit, die für Alle
unbedingt gleich entscheidende Gesetze forderte, betrachtet, und praeclarissimam legem nennt (Leg.
III, 4, 19. Pro Domo 17. pr. Sexto 30. Offic. II, 12), wie er denn wirklich auch die formale
Rechtsgleichheit vollkommen enthält, und selbst in ihren schrecklichen Talions- und
Schuldengesetzen in einem so hohen Grade zu erreichen gewußt, daß wol vorzüglich darum noch die
späteren Römer sich in so angemessenen Lobsprüchen über sie ergossen (Cic. De orat. I, 44. Leg. II,
23; Liv. III, 34; Tac. 1.c.), während Andere grade diesen großen Grundcharakter übersehend sie
ungerecht tadelten (Gellius, Noct. Att. XX, I). Als das Hauptsächlichste zu ihrer Empfehlung wissen
daher bei Livius (III, 34) die Verfertiger derselben dem Volke, welches gefordert hatte, ut de jure
aequando leges scriberentur, nur das zu sagen: se quantum decem hominum ingeniis provideri
potuerit, omnibus, summis infimisque jura aequasse. — Tacitus sagt von ihnen (Ann. III, 27), sie
seien das höchstmöglich gleiche Recht gewesen 36). |
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Übrigens blieb Gleichheit stets Grundcharakter des römischen Rechts. Aequitas
sei, sagt Cicero, das Eigenthümliche der Gesetze, deswegen deute auch das griechische nomos auf
Gleichheit hin, weil die Griechen richtig dieselbe für den Charakter des Rechts gehalten hätten (DeLeg. I, 6 und ähnlich. Off. I, 19, vergl. d. Art „Gerechtigkeit“ in Sect. I. Bd. 60. S. 378). Die
conservatio aequitatis in rebus causisque civium erklärt er für den Zweck des bürgerlichen Rechts (De
Orat. I, 34), und diese Erhaltung der aequitas, welche Alle mit gleichem Rechte umfasse, nennt er den
Grund der Entstehung von Gesetzen und Staaten und fährt dann fort: jus enim semper quaesitum est
aequabile, neque enim aliter esset jus (Offic. II, 12). Aequalitas, sagt er an einem andern Orte (Lael.
5), est ea virtus, quae et civilitas dicitur, quum aequo jure cum omnibus vivimus; omnes nobis
aequales putamus, nihil nobis praecipuum petimus. — Jus definiren unsere Gesetze mit Cicero:
quod
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- 36) „Finis aequi juris,“ will Hugo in seiner Rechtsgeschichte §. 40 als letztes
unparteiisches Recht erklären, was offenbar unpassend ist; vielmehr scheint jener Ausdruck sich
vorzugsweise darauf bezogen zu haben, daß von nun an die beiden Stände der Patrizier und Plebejer
positiv oder grundgesetzlich zu einer gleichen Rechts- und Staatsgesellschaft gemacht worden waren,
in dem in der neuen Gesetzgebung die altherkömmliche Rangordnung der Curien — wornach die
Ramnes und Tities gegen den zuletzt aufgenommenen Terluceres und unter den erstern, der der
Ramnes, als der älteste einen gewissen Vorzug behauptete, durch die Gleichstellung der Geschlechter
aufgehoben, und da auch in der plebejischen Landschaft manche Ungleichheiten, die aus den alten
Unterthanenverhältnissen herrührten — hierauf bezieht Walter die Gleichstellung der Fortes und
Sanates — ausgeglichen wurden; s. Welcker, Letzte Gründe etc. S. 473, vergl. Walter, Gesch. des
röm. Rechts. 1840. S. 92 fg., vergl. S. 15 u. 23.
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semper aequum et bonum est (L. 1. L. 11. De J. et J., Cicero partit, orat. ed.
Gotofr. T. I. p. 429) oder auch die ars boni et aequi (L. 1. De J. et J.). Vergl. Welcker, Rechts-,
Staats- und Ges.-Lehre. 1829. S. 608 fg. |
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