⇧ S. 160 Sp. 2 |
|
|
Forts. S. 160 Sp. 2 |
Zur Ergänzung des im Eingange Gesagten folgt hier ein besonderer Artikel über
Baierisches Recht 1).♦ |
|
|
Das älteste Rechtsbuch der Baiern ist die lex Baiuwariorum, welche nach dem
später erst hinzugekommenen und nichts beweisenden Prologe von dem Frankenkönige Theodorich
angefangen seyn soll, was unrichtig ist, da zu Theodorichs Zeiten (511 — 34) die baierischen
Provinzen nicht unter fränkischer Herrschaft standen. Auf der zu Aschheim 754 gehaltenen Synode
wird dieses Gesetzes schon als eines lange bekannten gedacht. Da man nachweisen kann, daß die
Verfasser (Samler) des Rechtsbuchs, Chadoindus, Agilulf, Claudius, Magnus in den Jahren 606 —
636 lebten, so gehört auch die Abfassung desselben in das 7te Jahrhundert.♦ |
|
|
Das Rechtsbuch ist in lateinischer Sprache verfaßt, enthält XXIII Titel, von
welchen die meisten in Kapitel abgetheilt sind, liefert in Einschaltungen mit den Worten: quod vocant,
häufig die in der damaligen Volkssprache gewöhnlichen Ausdrücke, stimmt oft mit der
westgothischen und alemannischen Rechtssamlung zusammen, und enthält manche Stellen, die die
Bekanntschaft mit dem römischen Rechte verrathen 2).♦ |
|
|
Es trägt den Charakter der Gewohnheitssamlungen der damaligen Zeit an sich,
zeigt, daß Geistliche großen Einfluß auf die Abfassung hatten, beweiset aber auch durch die
Bestimmungen über Contractsverhältnisse den damaligen bedeutenden Culturzustand der
Nation 3).♦ |
|
|
Zusätze zum Rechtsbuche liefern 1) die unter Thassilo II. gehaltenen Landtage zu
Aschheim, Dingolfing, Neuching in den Jahren 763, 772, 774 4). 2) Die von Karl dem
Großen gegebenen Capitularia; von diesen Jahren an bis zum Rechtsbuche Ludwigs findet man zwar
in Baiern keine eigenen neuen Gesetzsamlungen, der Rechtszustand aber blieb deswegen stets
geordnet; denn a) immer blieben noch, wenn auch in Baiern die von Savigny 5) geschilderte
Umwandlung der persönlichen Rechte vorging, die alten bajuwarischen Gesetze im
Ansehen 6). b) Für an-
|
|
|
- 1) Über Geschichte des baier. R. s. Senkenberg de legibus gent. bavar.
Giessen 1742. Lory Comment. de orig. et progr. iur. boic. Ingolst. 1748. Klem's Versuch einer
Geschichte der baier. Gesetzgebung. München 1807. Lipowski's Geschichte des baier.
Criminalrechts. München 1803.
- 2) v. Savigny Geschichte des röm. Rechts im Mittelalter. II. Thl. S.
80 — 88.
- 3) s. darüber Mederer Beitr. zur Geschichte von Baiern, oder ältestes Gesetzbuch der
Bajuwarier. Ingolstadt 1793. Winter's Vorarbeiten zur Beleuchtung der baier. u. österr.
Kirchengeschichte. II. Bd. 1. Abhdl. München 1809. v. Pallhausen Garibald I. (München 1810) im
Urkundenbuche S. 25. Die Ausgaben in den bekannten Samlungen von Sichard, Herold, Lindenbrog,
Georgisch corp. iur. german. antiq. p. 249. Canciani barbar. leges ant. vol. II. p. 236. und im obigen
Werke Mederer's.
- 4) s. A. Winter in den histor. Abhandlungen der baier. Akademie. München
1807. Westenrieder's Beiträge zur vaterländischen Historie, Geographie etc. I. Bd. Nr. I.
- 5)
Geschichte des röm. R. I. Thl. S. 151.
- 6) Adlzreiter annal. P. I. L, XI. p.10. {1} Meichelbek Hist.
Frising. tom. I. P. II. p. 247. 324. Petz anecd. T. I. P. III. p. 49. Ludewig reliq. Ms. t. III. p. 194. 207.
Monum. boic. tom. XVI. p. 283. 305. 307. 425. 434. 440. 446.
|
{1} Fußnote ergänzt von S. 161 Sp. 1 |
S. 161 Sp. 1 |
BAIERN |
⇧ Inhalt |
|
dere Fälle entschied man nach Volksgewohnheiten, deren Daseyn am besten aus
den Urkunden der damaligen Zeit erkannt werden kann7). c) In den Städten bildeten sich auf die
nämliche Weise, wie im übrigen Teutschland, die von den Regenten bestätigten nach dem Rechte der
Autonomie entstandenen Stadtrechte 8). d) Auch von der Giltigkeit des römischen Rechts in
Baiern finden sich unverkennbare Spuren 9). e) Ein vorzügliches Rechtsbuch, welchem man
in Baiern folgte, war die unter dem Namen: Schwabenspiegel bekannte Samlung, für deren Giltigkeit
in Baiern sichere Beweise zeugen 10). |
|
|
Eine in Baiern selbst entstandene, aus dem Sachsen- und Schwabenspiegel
entlehnte, von einem Advokaten zu Freisingen, Ruprecht, 1296 oder nach andern Mscpt. 1332
verfertigte, ist die unter dem Namen Rechtsbuch Ruprechts v. Freisingen bekannte Samlung von
Gewohnheitsrechten 11). Es ist merkwürdig , da es manche in den übrigen teutschen
Rechtsbüchern nicht vorkommende Bestimmungen enthält, und zur Erläuterung des Ludwig'schen
Rechtsbuches viel beiträgt. |
|
|
Das wichtigste baierische Rechtsbuch ist das unter der Regirung des Kaisers
Ludwig entstandene Rechtsbuch. Sowol in Ansehung des Alters als der Art der Abfassung besteht
noch mancher Zweifel. In den gewöhnlichen Mscpt. ist das Rechtsbuch erst 1346 unter den Söhnen
Ludwigs, welche in dem Prologe sagen: daß sie sein zu rat worden, mit ihrem lieben Herrn und
Väterlein Kaiser Ludwig von Rom, verfaßt worden. Da aber schon frühere Urkunden und zwar von
1340 12), 1342 13), 1343 14), 1344 15) vorhanden sind, nach
welchen auf des Herrn des K. Ludwigen Buch, als auf die geltende Rechtsquelle hingewiesen wird,
da nach einigen zwar unverbürgten Nachrichten 16) schon früher ein Rechtsbuch
gegolten
|
|
|
- 7) D. Linger's Betrachtungen über die bürgerl. Rechtsverfassung Baierns nach
dem Aussterben der Karolinger. Landshut 1815.
- 8) Ältere Urkunden dieser Art, bes. Freiheitsbrief
für Landshut von 1279 in v. Krenner's Anleitung zur nähern Kentniß der baier. Landtage des
Mittelalters. München 1804. S. 107. Eine Samlung Ingolstädtischer Freiheitsbriefe in Hübner's
Merkwürdigk. v. Ingolstadt aus Urkunden. Ingolstadt 1803. I. II. Heft. Eine Landshuter Urkunde von
1423 mit Erklärungen von Mittermaier in v. Savigny's Zeitschrift für geschichtl. Rechtswissensch. II.
Bd. III. H. Nr. 14.
- 9) Meichelbek hist. frising. tom. II. P. I. p. 32. 42. 65. P. II. p. 24. 35. Hund
Metrop, Salisburg. t. I. p. 158. 178. 259. t. II. p. 42. 237. Monum. boic. vol. V. p. 161. VII. 347. IX.
370. Lori de orig. iur. p. 33. Lori Geschichte des Lechrains. Nr. 127.
- 10) Mon. boic. vol. VI. p. 519.
X. p. 22. Krenner über den churpfälz. Reichsvicariatssprengel §. 32. 33. Krenner über gemischte u.
folgende Weibsritterlehen. §. 21. Pfeffel über den ehemaligen Gebrauch des Schwabenspiegels in
Baiern. München 1764.
- 11) Abgedruckt in Westenrieder's Beiträgen zur vaterländ. Historie,
Geographie etc. VII. Bd. und Westenrieder's akad. Rede über das Rechtsbuch Ruprechts. München
1802.
- 12) Mon. boic. vol. I. p. 437.
- 13) Hübner's Merkwürdigk. von Ingolstadt. II. Heft. S. 113.
- 14) Mon. boic, vol. XXI. p. 7.
- 15) Mon. boic. vol. I. p. 444. XVIII. p. 658. 659.
- 16) B. Schmid
Com. ad stat. prov. t. II. p. 3.
|
|
S. 161 Sp. 2 |
BAIERN |
|
|
haben soll, da selbst das Rechtsbuch von 1346 auf ein älteres Rechtsbuch
zurückweiset (im Eingang, auch Rubrik Cap. 18. und Art. 15. Cap. 15); so ist es sehr wahrscheinlich ,
daß schon 1340 ein Rechtsbuch existirt habe 17), welches erst von den Söhnen Ludwigs 1346
verbessert worden ist 18).♦ |
|
|
Einen unmittelbaren Einfluß der leges Baiuvar. auf dies Rechtsbuch kann man
nicht nachweisen; dagegen sind viele Stellen des Schwabenspiegels 19), ebenso wie Stellen
aus dem Rechtsbuche Ruprechts v. Freisingen 20), wörtlich in das Ludwig'sche Rechtsbuch
aufgenommen, welches sonst noch als eine Samlung der in Baiern geltenden Gewohnheitsrechte
merkwürdig ist, daher nur als Rechtsbuch, nicht als Gesetzbuch im neueren Sinne betrachtet werden
darf. |
|
|
Ein Einfluß des römischen Rechts auf das Rechtsbuch, welches nur für Oberbaiern
galt, läßt sich (wenn man nicht Tit. 17. Art. 1. 2. u. Tit. 13. Art. 19 hieher rechnen will) nicht
nachweisen.♦ |
|
|
Von dem nämlichen Kaiser Ludwig erhielt Niederbaiern auch eine Gerichtsordnung
vom J. 1340 21). Ihm verdanken auch die meistern baierischen Städte entweder besondere
nach dem Münchner Stadtbuche 22) gegebene Stadtrechte 23), oder wenigstens
wichtige Freiheitsbriefe, welche von den nachfolgenden Regenten theils bestätiget, theils erweitert
worden sind 24.♦ |
|
|
Von jetzt an bemerkt man schon den besondern Einfluß der Landstände auf die
Gesetzgebung. Bereits im J. 1471 auf dem Landshuter Landtage brachten die Stände ihre
Beschwerden wegen der in die Gesetzgebung eingerissenen Mißbräuche vor, und gaben Rathschläge
wegen einer verbesserten Gerichts- und Landesordnung 25), worüber die Verhandlungen auf
dem Landtage zu Ingolstadt 1472 26) und zu Landshut 1474 27) fortgesetzt, aber
nicht beendigt wurden.♦ |
|
|
Im J. 1487 verfügten hierauf die Herzoge von München und Landshut eine
Zusammenkunft ihrer Räthe zu Erding, um über die Reformation des Ludwig'schen Rechtsbuches von
1346 zu berathschlagen, worüber noch das in jeder Rücksicht merkwürdige Protocoll
existirt 28), in dem es den Übergang der baierischen Gesetzgebung
|
|
|
- 17) R. Zirngibl Preisschrift über Ludwig den Baier in d. histor. Abhdlgen der
Akademie. München 1814. III. Bd. S. 437.
- 18) Abgedruckt ist es v. 1346 J. Heumann opusc. quib.
var. iur. germ. arg. expl. (Norimb. 1747) p. 24 –164. es finden sich aber viele von dem gedruckten
sehr abweichende Mscpt. in Baiern.
- 19) z. B. Schwabenspiegel (Lahr. Ausg.) 313. Ludw.
Rechtb. Tit. 11. Art. 9. Schwbsp. Kap. 314. Ludw. Rb. Tit. 16. Art. 16.
- 20) Rechtb. Rupr. §. 164.
Ludw. Rb. Tit. 11. Art. 22. Rb. R. §. 95. Rb. Ludw. Tit. 2. Art. 4. Rb. R. §. 107. Rb. Ludw. Tit. 6. Art.
4.
- 21) Abgedruckt in Fischer's Geschichte des Despotismus im Anhang S. 134. und Lipowski's
Geschichte des baier. Criminalrechts S. 143. Nr. V.
- 22) Abgedruckt in Bergmann's beurkundeter
Geschichte von München. Urkundenb. Nr. CXII. s. darüber in d. Versuche über den Ursprung und
Umfang der landständischen Rechte in Baiern. II. Bd. S. 116.
- 23.) z. B. Wasserburg,
Neustadt, Weilheim, Ingolstadt, Rain, Aichach. Lori's Geschichte des Lechrains S. 49, 59,; die
Mscpte dieser Stadtrechte stimmen nicht zusammen.
- 24) Solche Stadtrechte. z. B. von
Traunstein s. in Westenrieder's glossar. germ. latin. nr. III. p. XXIII.
- 25) Die Verhandlungen in
Krenner's baier. Landtagshandlungen. VII. Bd. S. 260.
- 26) baier. Landtagsh. VII. S. 372.
- 27) l. c.
S. 400.
- 28) baier. Landtaghsdlgen. VIII. Bd. S. 505, Abgedruckt in d. Landthdlgen. XII. Bd. S. 58 –
184.
|
|
S. 162 Sp. 1 |
BAIERN |
⇧ Inhalt |
|
von 1346 – 1548, und zugleich ein schöner Beweis der Sorgfalt ist, mit welchem
die Redactoren jeden Artikel emsig prüften.♦ |
|
|
Die Geschichte weiset zugleich eine von Herzog Georg
herstammende Landesordnung von 1491 Landshut auf, deren Entstehung jedoch nicht hinreichend
aufgehellt ist 29). Fortgesetzt findet man die Verhandlungen über die Landesordnung im J.
1501 auf dem Landtage zu Landshut 30) und wahrscheinlich 1507 31) wieder
aufgenommen.♦ |
|
|
Das Resultat aller dieser Berathschlagungen war das unter dem Titel: das Buch
der gemeinen Landpot Landsordnung, Satzung und Gebräuch des Fürstenthums Ober- und
Nieder-Baiern im J. 1516 publicirte Gesetzbuch , bestehend aus 4 Theilen, wovon der erste den
Landfrieden von K. Maximilian mit einigen Zusätzen enthält. Die Grundlage ist das Rechtsbuch von
1346; diese Landesordnung enthält Criminal-, Civil- und Polizeigesetze. Im J. 1520 erschien davon
eine neue Auflage, weil gegen einige Artikel der früheren die Landstände protestirten.♦ |
|
|
An diese Ordnung reiht sich die Reformation der baierischen Landrechte von
1518, 50 Titel enthaltend. Die Herzoge ersuchen in der Vorrede die Landsassen das Gesetzbuch auch
in ihren Gerichten gelten zu lassen; die ersten Titel enthalten meist die Gerichtsordnung, Tit. XIV —
XX Criminalgesetze, Tit. XXI — L privatrechtliche Bestimmungen, unter welchen jedoch auch
Lehenrecht und polizeiliche Normen vorkommen. Die Reformation beweiset, das damals das römische
Recht in Baiern schon allgemeinen Einfluß hatte.♦ |
|
|
Ein Ganzes mit den zwei vorgenannten Gesetzbüchern bildet die Gerichtsordnung
von 1520, welche auf Befehl des Herzogs Wilhelm 1588 nur mit einigen Abänderungen wieder
abgedruckt worden ist. Schon im J. 1550 hatte Herzog Albrecht wieder darauf angetragen, daß die
Landschaft einige verständige Männer delegiren und den fürstlichen Räthen beiordnen möchte, um
eine Reformation der Landrechte vorzunehmen. Das Mscpt. eines Landtags zu Ingolstadt nennt als
Abgeordnete den Kammerrath Pongratz von Freiberg, und den Küchenmeister Kholmann
Münich.♦ |
|
|
Erst 1553 am 3 Königstage vereinigte man sich, worauf die baierische
Landsordnung von Herzog Albrecht erschien, die landständische Einwirkung dabei wird in der
Vorrede anerkannt. Dieser Landsordnung ist besonders der Landpot von 1516 zum Grunde gelegt; sie
enthält viele polizeiliche Anordnungen und manche Bestimmungen, welche zeigen, daß das röm.
Recht in den baierischen Gerichtshöfen schon allgemeiner gegolten habe. —♦ |
|
|
Als Zusätze zu dieser Landsordnung erschien die durch den nachfolgenden
Landtag veranlaßte Deklaration und Erläuterung etlicher in jüngst baierischer aufgerichteten
Polizeiordnung begriffenen Artik. von 1557, und der fürstlich baier. Landsordnung weitere Erklärung
samt etlichen neuen abgehängten, aufgericht 1578; enthaltend Bestimmungen über Siegelmäßigkeit,
Kirchengut, Vormundschaft, Gesindeordnung, Kleiderordnung und Gantprozeß. Von dem
|
|
|
- 29) Abgedruckt in Westenrieder's glossar. germ. lat. nr. {1} p. XXXIV.
- 30) baier. Landtagshdlgen. XIII. Bd. S. 156.
- 31) baier. Landtagshdlgen. XVI. Bd. S. 357.
|
{1} Zahl unleserlich |
S. 162 Sp. 2 |
BAIERN |
|
|
J. 1520 an beginnen auch in Baiern die neben den größeren Rechtssamlungen
fortlaufenden einzelen Verordnungen, gewöhnlich Generalien genannt. Die Art ihrer Bekantmachung,
da man blos in Briefform den einzelen Pfleggerichten und Ständen die Exemplare zusendete,
erschwert eine zuverläßige und vollständige Angabe dieser Verordnungen, von welchen die geltenden
in den Samlungen von Kreitmair und von Mayr später zusammengestellt sind.♦ |
|
|
Über den Gang der Gesetzgebung enthalten aber die baierischen
Landtagshandlungen nur wenig, bis im J. 1605 auf dem Landtage die Klagen der Stände über
Besetzung der Gerichte mit jungen unerfahrnen Leuten, über die Entscheidungen nach gemeinem
Rechte, und die vielen Controversen laut werden, und den Beschluß zur Folge haben, nach welchem
einem Ausschusse aufgetragen wird, ein Project zu einem Gesetzbuche zu entwerfen. Am 12. März
1610 wurde auch das vorgelegte Project an die damaligen Regirungen Landshut, Straubing,
Burghausen zur Prüfung und zum Gutachten gesendet. Diese Gutachten finden sich noch im Mscpt.
unter dem Namen: Concordantien des Landrechts vor, und sind merkwürdig für die Geschichte der
Gesetzgebung und des Studiums.♦ |
|
|
Auf dem Landtage von 1612 wurde das revidirte Project den Ständen wiederholt
vorgelegt, und (27. Sept.) 1616 unter dem Namen: Landrecht, Polizei-, Gerichts-, Malefiz- und
andere Ordnungen, zu München publizirt. Das Gesetzbuch ist nicht mehr, wie die frühern es waren,
eine Samlung von blos einheimischen Gesetzen, das römische Recht wird darin schon aufgenommen,
und der Versuch gemacht, durch eine Mischung des gemeinen und des einheimischen Rechts eine Art
von Vollständigkeit zu gewinnen. Das Gesetzbuch enthält I. den summarischen Prozeß, II. den
Gantprozeß , III. Gerichtsordnung, IV. das Landrecht, V. Erklärung der Landesfreiheit, VI. die Lands-
und Polizeiordnung, VII. Forstordnung, VIII. Gejaids(Jagd)-Ordnung, IX. Malefizprozeßordnung.
Auch von 1616 laufen in ununterbrochener Reihe allgemeine Verordnungen (Generalien). |
|
|
Erst unter der Regirung des Kurfürsten Maximilian III. erhielt Baiern umfassende
Gesetzsamlungen. Zur Ausführung des Werkes wurde A. V. Freiherr von Kreitmair (geboren 1705)
gebraucht 32). Unterstützt durch ausgezeichnete Talente, umfassende Kentnisse des
gemeinen Rechts, vertraut mit der Reichspraxis, ausgerüstet mit einem seltenen praktischen Sinne,
arbeitete er 19 Jahre an dem Gesetzgebungswerke, von welchem zuerst 1751 der Codex juris bavarici
criminalis, 1753 der Codex judiciarius, und 1756 der Codex Maximil. bav. civilis (aus 4 Theilen
bestehend) erschien. Von dem nämlichen Fr. v. Kreitmair besitzt Baiern auch die Stelle einer
authentischen Auslegung vertretende Anmerkungen zu allen diesen Gesetzbüchern.♦ |
|
|
Der Zweck des Verf. bei seinen Gesetzbüchern war bloß die große vorliegende
Masse von Rechten zu sammeln, das römische Recht in Verbindung mit dem einheimischen Rechte
systematisch darzustellen, und be-
|
|
|
- 32) Seine Biographie (freilich nur kurz) in Steingruber Abhandlungen über
dunkle Gesetzesstellen. Landshut 1814. nr. 1
|
|
S. 163 Sp. 1 |
BAIERN |
⇧ Inhalt |
|
sonders die Controversen des gemeinen Rechts abzuschneiden, und von den
verschiedenen Meinungen eine der damals geachteten, oft dem reinen römischen Rechte ganz
unbekannte, durchaus unrichtige, als künftig geltende zu sanctioniren, daher auch das
Publikationspatent selbst sagt: daß nicht viel Neues im Gesetzbuche enthalten sey. Diese Gesetzbücher
mit Ausnahme des Codex criminalis gelten noch jetzt in Baiern, erläutert und vermehrt durch einzelne
nachgefolgte Verordnungen 33).♦ |
|
|
Ein neuer Geist belebte aber die Gesetzgebung Baierns seit dem Regirungsantritte
des jetzigen Königs. Überall äußerte sich das wohlthätige Streben, die Hindernisse der Landeskultur
zu entfernen, alte Mißbräuche wurden abgeschaft, der Übergewalt der Grundherren wurde durch
Gesetze entgegengewirkt, die Cultur des Bodens sollte, wenn freilich auch oft durch unzweckmäßige
Mittel, z. B. unbedingtes Gebot der Vertheilung der Gemeindegründe, befördert werden;
manche Beschränkungen des Eigenthums wurden aufgehoben, z. B. Bannrechte; der Übergang
zu einer, gerechte Gleichheit vor dem Gesetze begründenden Gesetzgebung wurde vorbereitet.♦ |
|
|
Im J. 1808 1. Mai erhielt das Reich eine allgemeine Constitution, in welcher (Tit. I.
§ 3.) die Leibeigenschaft aufgehoben, Gleichheit der Unterthanen vor dem Gesetze gesichert, und die
große Zahl der Vorrechte des Adels, die zum Nachtheile der übrigen Bürger waren, beschränkt. Die
nachfolgenden Edicte 31) sollten die neue Verfassung ins Leben überführen, wohin
vorzüglich die Edicte über den Adel, die Majorate, gutsherrlichen Rechte, Patrimonialgerichtsbarkeit
etc. gehörten; die Ablösung der Renten und die Verwandlung des beschränkten Eigenthums wurde
versucht. Vieles wurde versucht, vieles zu früh, was nicht ausgeführt werden konnte, weil es an der
Vorbereitung dazu fehlte.♦ |
|
|
Mit der Veränderung des politischen Systems Baierns änderten sich auch manche
Ansichten der Gesetzgebung, mancher Schritt mußte rückwärts gemacht werden, die
Patrimonialjurisdiction wurde durch das Edict von 1812 ausgedehnter, und die Macht der höhern
Stände wuchs wieder, jeweniger die Regirung ihre frühern Edicte ausführen konnte. Die
Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818 gab eine neue gewiß dauernde Grundlage der Gesetzgebung,
da die Verfassung auf gerechten Grundsätzen beruht, die gleichweit entfernt vom unbedingten
Zurückschreiten zum Alten, wie von dem revolutionären Vertilgen aller alten heiligen Institute, mit
Mäßigung und Klugheit durchdacht, festgesetzt sind; die früher aufgehobenen Beschränkungen des
Privateigenthums und
|
|
|
- 33) Die ältere Samlung dieser Generalien von Kreitmair Samlung der
neuesten und merkwürd. churbaierisch. Generalien. München 1771, G. K. Mayr Samlung der
churpfalzbaier. Landesordnungen. Münch. Bd. I. II. 1784, III. IV. 1788, V. 1795. Samlung der
Generalien und Verordnungen seit der Regirung Maximil. Joseph von 1799 (v. Mayr) Münch. III. Bd.
1802. und zweifache Register darüber.
- 34) Die Gesetze der jetzigen Regirung sind erschienen in den
Regirungsblättern, und gesammelt in dem Handbuche der Statsverfassung und Statsverwaltung des
Königreichs Baiern. München 1809— 13. VII Bde. und Döllinger Repertorium der Statsverwaltung
des Königr. Baiern. Münch. 1815 — 17. VII Bde.
|
|
S. 163 Sp. 2 |
BAIERN |
|
|
der persönlichen Freiheit bleiben auch jetzt noch aufgehoben, dem Adel, den
höhern Beamten und den Priestern sind Vorrechte garantirt, deren Genuß nicht die übrigen Bürgern
drückt, und doch die nothwendige höhere Standesehre fodert. Dem Adel ist unter Bedingungen,
wodurch Mißbrauch verhindert wird, das Mittel, den Glanz der Familie durch Familienfideicommisse
zu gründen, eröfnet, die Patrimonialgerichtsbarkeit ist auf gerechte Grundsätze zurückgebracht.
National- und Privatcredit ist durch Hypothekenbücher gesichert, die freie Rede jedem gewährt, und
durch eine weise organisirte Landstandschaft das Verhältniß des Herrschers zum Volke
vermittelt 35).♦ |
|
|
Auch an größern legislativen Arbeiten fehlt es in Baiern seit dem Regirungsantritte
des jetzigen Königs nicht. Schon 1800 erhielt Prof. Kleinschrod den Auftrag, ein Strafgesetzbuch zu
entwerfen; der Entwurf wurde im In- und Auslande geprüft, aber nicht genehmigt; dagegen bekam
Feuerbach (damals in Kiel), der die beste Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs geliefert hatte, den
Auftrag, einen neuen Entwurf zu verfertigen, der auch 1810 vollendet, und 1813 unter dem Titel:
Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern, München 1813, genehmigt wurde 36). Schon
1816 wurde das Kapitel über den Diebstahl verändert, so wie eine große Zahl von abändernden und
erläuternden Rescripten 37) existiren.♦ |
|
|
Bei den von 1806 — 1813 bestehenden Verhältnissen Baierns zu Frankreich, sollte
Baiern auch französische Gesetzgebung adoptiren 38); obwol auch als Übersetzung und
Umarbeitung des Code Napoleon drei Hefte Entwurf: allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für Baiern
(München 1808) zu Stande kamen, so wußte man doch mit Klugheit der Annahme des französischen
Gesetzbuchs zu entgehen. Entwürfe zu Civil- und Civilproceß-Gesetzbüchern, liegen bearbeitet von
Feuerbach, Gönner, Aretin zwar zur Berathung vor, haben aber noch keine Genehmigung erhalten.
|
(Mittermaier.) |
|
- 35) Die Verfassungsurkunde mit den Edicten gesammelt in Döllinger's
Verfassung des Königr. Baiern. I Bd. Münch. 1818.
- 36) Die Geschichte der Abfassung dieses
Gesetzbuchs erzählen die Anmerkungen zum Strafgesetzbuche. Einleitung. I Thl. S. 10 — 19.
- 37)
Gesammelt in d. Jahrbüchern der Gesetzgebung und Rechtspflege im Königr. Baiern, von Gönner und
Schmidtlein I Bd. Erlang. 1818, und zu v. Aretin's Jahrbüchern der Gerechtigkeitspflege in Baiern
etc. Neuburg 1818. II Bd.
- 38) Den über Einführung des Code Napoleon in Baiern im Statsrathe
gehaltenen Vortrag s. in Feuerbachs Themis oder Beiträge zur Gesetzgebung (Landsh. 1812). nr.
I.
|
|
S. 163 Sp. 2 ⇩ |
|
⇧ Inhalt |