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II. Freiheit des Willens. — Was überhaupt Wille
ist, muß natürlich hier als Jedem aus dem eigenen Bewußtsein, sowie
als aus der Psychologie schon bekannt vorausgesetzt werden 17). Im
weitern Sinne des Wortes, wonach Wille soviel wie Begehrungsvermögen
überhaupt heißt, wird auch den Thieren ein Wille beigelegt (wie sich
dies u. A. auch durch verschiedene, von diesem thierischen Willen
hergenommene Bezeichnungen für gewisse Modificationen des
menschlichen Willens ergibt, z. B. Halsstarrigkeit, Hartnäckigkeit,
Widerspenstigkeit).♦ |
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Im engeren Sinne wird jedoch der Wille als das
höhere Begehrungs- oder Thatvermögen, als der selbstbewußte, rein
innerlich durch Vorstellungen vermittelte und selbständige und
Thätigkeit des Geistes in seiner praktischen Richtung blos auf den
Menschen bezogen 18). Die Lehre von der Freiheit des Willens ist
demgemäß ein Thema oder Capitel der psychischen Anthropologie oder
der Psychologie, als der Wissenschaft von den Erscheinungen des
geistigen Menschenlebens und den ihnen zu Grunde liegenden Gesetzen.
In sofern übrigens, wie schon bemerkt, der menschliche Wille selber
auch auf das Sein der Dinge vielfach einwirken kann und als Hebel
der menschlichen Thatkraft alle Erscheinungen der Geschichte der
Menschheit hervorgerufen hat, gehört jene Lehre theils auch in das
Gebiet der theoretischen oder speculativen Philosophie, der
sogenannten Metaphysik (indem es sich fragt, ob in der Welt Alles
lediglich nach den Gesetzen der Natur oder Sinnenwelt geschieht,
oder ob noch eine Causalität durch Freiheit zur Erklärung der
Erscheinung der Welt anzunehmen ist), theils in das Gebiet der
sogenannten praktischen Philosophie, sowie zugleich aller derjenigen
positiven Wissenschaften, welche es mit den menschlichen Handlungen
zu thun haben, also der Rechts- und Staatswissenschaft, der
Theologie und Pädagogik.
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- 17) über die verschiedenen Bedeutungen des
Wortes Wille vergl. Hillebrand, Anthropologie II, 203, Feder, Über
den Willen I. S. 28. Locke, Über den menschl. Verstand II. Cap. 21.
Kant, Kritik der praktischen Vernunft S. 20 fg. Carus, Psychologie
I, 299. Hartmann, Geist des Menschen S. 220 fg. Fries, Kritik der
Vernunft III, 44 fg.; Psych. Anthropologie I, 220 fg. Biunde,
Psychologie II, 430. Scheidler, Psychologie S. 459 fg.
- 18) Vergl.
Feder a. a. O. 1. S. 28, über den Unterschied zwischen
Begehrungsvermögen und Wille vergl. Hillebrand, Anthropologie II,
170. Reinhold, Theorie des menschlichen Erkenntnißvermögens S. 194.
— Über den Unterschied zwischen dem menschlichen und thierischen
Begehren vergl. Gruber, Bestimmung des Menschen II, 258. (Es ist von
selbst klar, daß von einem Willen gar keine Rede sein könnte, wenn
der Mensch wie das Thier nur einen Grundtrieb und nicht wegen seiner
Doppelnatur als sinnliches und vernünftiges Wesen verschiedene, mit
einander oft in Widerspruch stehende, Grundtriebe hätte, die
ebendeshalb eine höchste oder souveraine und zwischen ihnen
entscheidende Macht postuliren. Vergl. Zachariä, Vierzig Bücher vom
Staat I, 27 und Erhard, Denkw. von Varnhagen von Ense S. 365.)
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Wir haben es hier natürlich zunächst nur mit der
Erörterung dieses Thema's vom Standpunkte der Psychologie zu thun,
von welchem aus folgende Hauptmomente festzuhalten sind. |
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Der Mensch hat mit den Thieren das Vermögen
gemein, daß er sich durch innere Bestimmungsgründe (Empfindungen und
Vorstellungen) zu Kraftäußerungen bestimmen kann. Aber er allein hat
das Vermögen zu handeln, d. h. nach selbstbewußten und von ihm
selbst gewählten Zwecken thätig zu sein, wie denn auch das Wort
Handeln nur von dem Menschen, nicht von den Wirkungen des
thierischen Instinkts oder der bloßen Naturkräfte gebraucht wird
19).♦ |
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Handeln ist ein Thätigsein nach Zwecken, d. h.
Vorstellungen, welche Causalität in Hinsicht ihres Gegenstandes
haben (beim Handeln, z. B. dies oder jenes Geschäft betreiben oder
Werk ausführen, geschieht dies nicht durch einen blindwirkenden, uns
einwohnenden, unwiderstehlichen Drang, sondern nach Vorstellungen
von dem Werth oder Interesse, welches das Resultat unsers
Thätigseins für uns hat, und ohne welches der Mensch schlechterdings
zu keiner Thätigkeitsäußerung gelangen würde. Selbstbewußtsein und
Freiheit sind daher die wesentlichen Merkmale des menschlichen
Thätigseins, und nur dann ist ein wahrhaftes Handeln vorhanden, wenn
der Mensch sich mit Besonnenheit zum Thätigsein bestimmt 20). —
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Der Mensch ist der "einzige und erste
Freigelassene der Schöpfung (nach Herder's Ausdrucke); er ist
losgelassen von der Kette des Instincts und seinem innern Wesen nach
nicht dem Causalnexus, der die übrige Natur mit eiserner
Nothwendigkeit beherrscht, unterworfen, sondern er bestimmt sich
durch seine Vorstellungen rein innerlich durch sich selbst, während
jedem andern Naturwesen der Anstoß und die Richtung seiner
Thätigkeit oder Wirksamkeit von etwas außer ihm Befindlichen, ihm
Fremden wird. Zwar hat er ihm eingepflanzte, stets wirksame und oft
sich widerstrebende Triebe, aber diese bringen nicht für sich allein
schon die That hervor, wie etwa Druck oder Stoß das Rad in der
Maschine bestimmt, oder wie der Instinct die Thiere unwiderstehlich
determinirt; sondern er kann sich frei durch seinen Willen für den
einen oder andern dieser Triebe entscheiden, oder den einen dem
andern unterwerfen. Er kann jederzeit zu sich selbst Nein sagen; er
kann selbst den heftigsten aller thierischen Triebe, den der
Selbsterhaltung, zum Schweigen bringen und überwinden, sowie er auch
durch den Gedanken an physischen Untergang oder Tod, den kein Thier
im Voraus sich zu denken vermag, sich nicht im muthigen
Fortschreiten zu seinem Ziele hemmen läßt. Zwar gibt es Gesetze für
den Willen selbst, allein diese Gesetze wirken nicht wie die der
eigentlichen sogenannten äußern Natur, in welcher, wenn einmal
ein
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- 19) Vergl. Eberhard-Maaß-Gruber, Synonymik.
1826. III. S. 297. Klopstock's Werke XII. S. 310. Fries, Neue Kritik
der Vernunft III. S. 9. Auch Adelung, s. Hand.
- 20) "Das ist's ja,
was den Menschen zieret, Und dazu ward ihm der Verstand, Daß er im
innern Herzen spüret, Was er erschafft mit seiner Hand etc."
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FREIHEIT |
⇧ Inhalt |
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Gesetz für eine Kraft bestimmt ist, dann auch
unausbleiblich die Wirkung, das Phänomen, so und nicht anders
erfolgen muß, wie z. B. das Eisen sich nothwendig zum Magnet, die
Magnetnadel sich nothwendig nach Norden bewegt; vielmehr ist es eben
erst der Wille selbst, welcher sich für das eine oder andere jener
Gesetze entscheidet, oder vielleicht auch nicht entscheidet. |
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In dieser Hinsicht ist nun der Selbstmord, wie
auch Goethe schon bemerkt hat, ein vom psychologischen Standpunkte
aus vorzugsweise merkwürdiges Phänomen 21), indem grade in ihm
diese Freiheit des Menschen als Selbstmacht des Geistes über die
Anfoderungen der thierischen Natur am bestimmtesten und
unzweideutigsten hervortritt. Was ist das ursprüngliche Gesetz jedes
lebendigen und beseelten Wesens? "Sich zu erhalten!" – antwortet die
gesammte Natur bis auf den armseligen Wurm herab, der sich unter
unserm Fußtritt krümmt. Nur der Mensch zeigt sich frei von der
Abhängigkeit von diesem allmächtigen Naturtriebe. In ihm liegt die
Kraft des Widerstandes gegen denselben, und er allein kann seinen
Lebenstrieb besiegen 22). Mit Recht hat schon das Alterthum dies
wahrhaft göttliche Prärogativ der Menschheit, namentlich in der
stoischen Philosophie 23), als solches anerkannt, wie dies sich
auch in den bekannten Worten des Dichters Lucan über den jüngern
Cato ausspricht 24). Ebenso Shakespeare an mehren Stellen 25)
und Goethe in
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- 21) "Der Selbstmord ist ein Ereignis der
menschlichen. Natur, welches, mag auch dafür gesprochen und
gehandelt sein, soviel als da will, doch einen jeden Menschen zur
Theilnahme fodert, und in jeder Zeitepoche wieder ein Mal verhandelt
werden muß." Goethe, Aus meinem Leben. 3. Th. S. 333.
- 22) "Sage,
ist es dir nie aufgefallen – sodaß du dabei stehen, lange stehen
geblieben wärest – dabei: daß der Mensch sich entschließen kann, zu
sterben? Zu wählen zwischen Tod und Leben vermag kein Thier; es hat
nur sinnliche Triebe, die es zwingen, nur sein Dasein auf der Erde
fortzusetzen. Der Mensch vermag es. ""Du wählst Leben und ich wähle
Tod,"" sagt Antigone zu ihrer Schwester Ismene. Eine Liebe ist dem
Menschen gegeben, die den Tod unter die Füße tritt, keinen Schmerz
achtet und keine Lust." Jacobi im Allwill. (Werke l, 175.)
- 23)
Diog. Laert. VII, 106. Cic.
De off. I, 31; Tusc. quaest. I, 40; V,
40. 41; Fin. I, 15; III, 18. Seneca,
Ep. 12. 17. 22. 26. 54. 58. 70.
89. 90. 91; de provid. 2. 6; de ira III, 15.
Plin. H. N, II, 63;
XXVIII, 1. Plin. Sec. Epist. I, 22.
Plutarch. Stoic. repugn. p.
1042. Antonin. De se ipso lll, 1; V, 29;
VIII, 47: X. 2; XI, 7.
Epict. Enchirid. 22.
- 24) ,,Et cuncta terrarum subacta
Praeter
atrocem animum Catonis!"
- 25) Im Julius Cäsar, Act I. Scene 3;
"Therein, ye gads, you make the weak most strong,
Therein, ye gads,
you tyrants do defeat:
Nor stony tower, nor walls of beaten brass,
Nor airless dungeon, nor strong links of iron,
Can be retentive to
the strength of spirit;
But life, being weary of thesc worldy bars
Never lacks power to dismiss itself."
Ferner in Anton. und
Kleopatra, Act V. Scene 2:
" – – – – It is great,
To do that thing
that ends all other deeds;
Which shackles accidents and bolts up
change;
Which sleeps, and never palates more the dung,
The beggar's
nurse and Caesar's."
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FREIHEIT |
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dem einen berühmten Monolog des Faust, welcher
die Phiole mit dem Gift ergreift und ansetzt 26). Soviel ist
jedenfalls ausgemacht, daß ohne dieses Vermögen des Menschen sein
eigenes empirisches Dasein durch seinen freien Willen zu regieren,
auch alle höhern Erscheinungen der Begeisterung und des Enthusiasmus
in der Aufopferung des Lebens für die sittlichen, religiösen etc.
Ideen und Ideale gar nicht stattfinden würden, sowie umgekehrt diese
letztern als Thatsachen der Erfahrung oder Geschichte zugleich ein
thatsächlicher Beweis der Willensfreiheit selber sind. |
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Nur wegen dieser dem Menschen eigenthümlichen
Freiheit des Willens kann man sagen, daß (wie die psychische
Anthropologie oder die Psychologie lehrt) der Mensch allein sein
Leben selbst lebt, indem sein Wille sich selbst Zwecke für dasselbe
ansetzt, während in den Thieren nur eine fremde Macht, die Natur,
lebt; sowie, daß der Mensch allein sich selber eine Richtung zu
ertheilen vermag, während alle Körper nur eine erhalten 27); daß
er, wie Schiller es ausdrückt 28), "allein unter allen uns
bekannten Wesen das Vorrecht hat, in den Ring der Nothwendigkeit,
der für bloße Naturwesen unzerreißbar ist, durch seinen Willen zu
greifen und eine ganz frische Reihe von Erscheinungen in sich selbst
anzufangen?♦ |
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Darum ist er allein auch nur ein wahrhaft
lebendiges Wesen und alles Übrige ist dem Gesetze der Trägheit
unterworfen (unter welchem Ausdrucke die Naturforscher eben jenes
Unvermögen der Natur, sich durch sich selbst zu verändern,
verstehen) 29); denn wahrhaft lebendig ist nur, was sich selbst
zur Thätigkeit bestimmt; in der materiellen Welt ist aber alles
Geschehen und Werden nur ein Inbewegungsein oder Bewegungerregen;
das Erstere ist ein bloßes Leiden ohne Thun, mithin etwas Todtes,
das Letztere aber durch Anziehung und Abstoßung der Materie ist auch
nur todte Kraftäußerung, indem eine Masse immer nur an der andern
ihre Kraft zeigt.♦ |
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Genau gesprochen, kommt daher selbst den Pflanzen
und Thieren, obgleich wir sie lebendig nennen, kein Leben im
eigentlichen höhern Sinne zu 30); wenigstens ist soviel ganz aus-
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- 26) "Ja kehre nur der holden Erdensonne
Entschlossen deinen Rücken zu! Vermesse dich, die Pforten
aufzureißen, Vor denen Jeder gern vorüberschleicht. Hier ist es
Zeit, durch Thaten zu beweisen, Daß Manneswürde nicht der Götterhöhe
weicht, Vor jener dunkeln Höhle nicht zu beben, In der sich
Phantasie zu eigner Qual verdammt, Nach jenem Durchgang
hinzustreben, Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt, Zu diesem
Schritt sich heiter zu entschließen Und wär' es mit Gefahr, in's
Nichts dahin zu fließen." (Werke. Bd. XII. S. 43.)
- 27) Denn scharf
genommen ist (wie Jean Paul richtig bemerkt, Museum S. 151) jede
Körperwirkung die Summarie und das Geschöpf aller daseienden
Körperwirkungen auf einmal; aber jeder Geist kann frei von Neuem
anfangen.
- 28) In dem Aufsatze: "Über Anmuth und Würde."
- 29)
Newton, Princ. phil. nat. L. I. Axiom. I, 1. Euler, Theor. mot,
corp. rigid. §. 285. Fries, Metaph. S. 365. Erh. Schmid, Physiologie
II, 53. Biot, Physik übersetzt von Wolf I, 1.
- 30) Sondern nur ver-
{1} gleichungsweise. Wir beobachten nämlich für das Ganze des
organisirten Körpers im Wachsthum und in allen Lebensbewegungen
desselben zwar eine Entwickelung von Innen heraus, gleichsam eine
Selbstbestimmung des Keimes; allein dies Ganze des organisirten
Körpers besteht nur in der Zusammensetzung außer einander
befindlicher Theile, in der Verbindung von Organ mit Organ, im
äußern Zusammenwirken der verschiedenen organischen Bewegungen. Für
die genauere Beobachtung zerfällt also hier Alles in Gegenwirkungen
nach äußern Verhältnissen, welche durch Zug und Stoß träger Massen
vermittelt werden. Fries, Psych. Anthropologie l, S.20. Kritik der
Vernunft I. S. 13, II. S. 226. Mathematische Naturphilosophie S.
596. Carus, Psychologie I, 172. 299. Vergl. Schulze, Psych.
Anthropologie §. 220.
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{1} Anm. 30 ergänzt von S. 19 |
S. 19 Sp. 1 |
FREIHEIT |
⇧ Inhalt |
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gemacht, daß den Thieren, die ja nur sinnliche
Vorstellungen haben, diese, sowie ihre Bewegungen, durch die
Gegenwart der äußern sie umgebenden Objecte und durch die
Organisation ihres Körpers mit Nothwendigkeit vorgeschrieben sind
31).♦ |
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Darum hat der Mensch allein eine Geschichte im
eigentlichen Sinne; denn seine Handlungen sind nicht in einen
bestimmten Kreislauf eingeschlossen, wie die des Thieres, über
welchen das letztere nie hinaus kann, und in welchem ihm seine Bahn
ein für alle Mal durch Gesetze eines unverbrüchlichen Mechanismus
vorgezeichnet ist, während dem Menschen, grade weil er sich selbst
Zwecke für sein Leben ansetzt, seine Geschichte keineswegs
vorgeschrieben ist, sondern er sie sich selbst machen kann.♦
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Auch hat das Thier blos einen Gattungscharakter,
der Mensch aber zugleich einen Individualcharakter, dergestalt, daß
wenn man bei ersterm aus diesem Gattungscharakter im Allgemeinen
fast mit mathematischer Sicherheit berechnen kann, was das Thier
unter gegebenen Fällen thun wird, eine solche Berechnung dagegen
keineswegs in Beziehung auf den letztern sich anstellen läßt.♦ |
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Darum endlich bringt der Mensch überhaupt alle
seinem Leben eigenthümlichen Erscheinungen der Wissenschaften, der
schönen Künste, der Kirche, des Staats u. s. w. nicht vermöge eines
blindwirkenden Instincts (wie jene bekannten Thiere, welche
sogenannte Kunsttriebe besitzen und Werke hervorbringen, von denen
sie vorher gar keine Vorstellung haben), sondern jederzeit nach mehr
oder minder deutlich gedachten Vorstellungen, die den ihnen
correspondirenden Gegenständen vorhergehen und selbige erst
bewirken, d. h. nach Zwecken, hervor; sowie er auch die in den
übrigen jener genannten Erscheinungen der Tugend, des Rechts und der
Religion liegenden Gesetzgebungen für sein praktisches Leben erst
durch Sebstbestimmung in seine Vorstellungen aufnimmt und sich mit
Freiheit ihnen unterwirft; und nur in sofern seine sittlichen,
rechtlichen und religiösen Handlungen aus eigener innerer
Überzeugung (nicht blos durch fremdes Gebot oder
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- 31){1} Büffon, Allgem. Naturgeschichte. 7. Bd.
S. 26. 45. Garve, Anmerkungen zu Cic. De off. I. Th. S. 64 fg.
(Zweite Ausg.) Lüder, Entwickelung des menschlichen Geschlechts I,
57. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel etc. S. 86. 114. 121,
„Ein physikalischer oder chemischer Versuch ist ein Compliment, was
man der Natur macht, eine bloße Ceremonie, wir wissen ihre Antworten
schon vorher, und fragen die Natur um ihren Consens, wie die Fürsten
die Landstände." Lichtenberg, Schriften I, 315. Sal. Maimon in
Fichte's und Niethammer's Philosoph. Journal VIII. S. 135. Carus,
Geschichte des Menschen S. 61, Welcker, Rechts -, Staats- und
Gesetzgebungslehre etc. I, 297.
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{1} Rest von Fußnote 30 oben zu S. 18 gesetzt |
S. 19 Sp. 2 |
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Beispiel) hervorgehen, haben sie überhaupt Werth.
Kurz, dieses Vermögen der Freiheit des Willens, sich durch sich
selbst unabhängig von äußern Einwirkungen zu bestimmen, ist der
eigentliche Charakter wahrhaft menschlichen Handelns; durch dieses
Vermögen beurkundet sich der Mensch (nach Herder's Ausdruck) als
König der Erde, und selbst der größte Misbrauch dieses Vorzugs ist
noch immer ein Beweis seines Daseins, oder, wie Jacobi sagt,
„Freiheit, eigenes Urtheil, Selbstbestimmung ist der Charakter des
Menschen; und es ist ihm besser, sogar dem Tiger und Löwen in der
Wildniß, als dem Mast- und Lastvieh im Stalle zu gleichen"
32) |
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Es ergibt sich aus der Natur der Sache von
selbst, daß diese Freiheit des Willens sich als die Kraft der
Selbstbeherrschung zeigen muß, welche daher auch von jeher 33) als
die Grundbedingung aller sittlichen Charakterbildung angesehen
worden ist 34). Auch ist es für
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- 32) „Passive Angewöhnungen erziehen den
Menschen blos zum nützlichen Hausthiere. Active, wenn er sich
freiwillig entschließt, tugendhafte Fertigkeiten zu erwerben, sind
die eigentlichen Mittel der Entwickelung seiner höhern Natur. Der
Mensch kann sich also nie zu sehr gegen alle die Freiheit seines
Geistes beschränkende Gewohnheit des Denkens, Empfindens und
Handelns sträuben; im Gegentheil kann er nie zu eifrig sich bemühen,
auf dem Pfade freier Wahl und eigenen Entschlusses das Ziel zu
erringen, wovon alle Heerstraßen automatischer Richtigkeit des
Denkens und Verhaltens immer weiter den bequemen Wanderer entfernen.
Hier ist der Fall, mit Homer's Achill auszurufen: „„Lieber ein
Bettler unter den Lebendigen, als ein König unter den Schatten!"" F.
H. Jacobi (Woldemar I, 101. 135). Vgl. Tetens' Philos. Versuche über
die menschliche Natur. 2. Th. S. 653 fg.
- 33) So bekanntlich schon
von Platon (De leg. Lib. I. Bip. p. 8), besonders aber von den
Stoikern (s. Epictet. Antonin. etc.), deren praktische Philosophie
grade deshalb auch noch gegenwärtig besonders als Widerlegung der
pietistischen Irrlehren von der absoluten Ohnmacht des menschlichen
Willens in Folge der sogenannten Erbsünde von hoher Bedeutung und
sehr zu empfehlen sind. Nur zu wahr ist, was Goethe sagt: „das
Schwache ist ein Charakterzug unsers Jahrhunderts. — Es lebt ein
schwächeres Geschlecht, von dem es sich nicht sagen läßt, ob es so
ist durch die Zeugung, oder durch schwächere Erziehung und Nahrung.
— Mangel an Charakter der einzelnen forschenden und schreibenden
Individuen ist die Quelle alles Übels unsrer neuesten Literatur."
Gespräche mit Eckermann I, 224. 226. II, 64. — „Dem Geschlechte
dieser Tage fehlt die Fähigkeit zu handeln; die Bereitwilligkeit,
Opfer zu bringen, die Freiheit, eine Überzeugung rücksichtslos zu
bekennen, ist noch gar zu selten und neu. Alles Größere scheitert
bei uns an der Armseligkeit des Gesichtskreises oder der
Muthlosigkeit unsrer Beamtenwelt, an der Engherzigkeit unsers Adels,
an dem Mangel an verbundener Intelligenz und Kraft. Denn dies ist
bisher immer unser Verderb gewesen, daß es unsrer Einsicht überall
an Energie und unsrer Energie an Einsicht gefehlt hat." Gervinus,
Die Miss. der Teutschkathol. 1845. S. 78.
- 34) „Die Tugend ruht
allein auf der Grundlage eines eisernen Willens. Wo der Wille noch
schwankt, da stattet sie höchstens einen Besuch ab, aber sie hauset
da nicht und ist da nicht einheimisch." Harnisch, Kaskorbi I, 421. —
„Im Tugendhaften wohnt ein mächtiger Wille, der zur Dienerschaft der
Triebe spricht: es werde! Dieser ist jener genialisch-energische
Geist, der die gesunden Wilden unsers Busens dingt und bändigt, und
der königlicher zu sich, als der spanische Regent zu Andern sagt:
Ich, der König!" Jean Paul. — Hierzu Bettina's Wort: „Wir Alle
sollten Könige sein, und je widerspenstiger, je herrischer der
Knecht in uns, je herrlicher wird sich die Herrscherwürde entfalten,
je kühner und gewaltiger der Geist, der überwindet!" (Tagebuch 1835.
S. 103.)
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sich selbst klar, daß nur dasjenige, was der
Mensch durch diese Geltendmachung seiner Freiheit des Willens
mittels der Selbstbeherrschung in seinem innern Leben gestaltet als
das ihm schlechthin Eigenthümliche, als eine eigene That angesehen
werden kann, wie dieses Kant 35) und Goethe 36) in so treffenden
Worten ausgesprochen haben.
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- 35) „Es ist überall Nichts in der Welt, ja
überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne
Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter
Wille. Verstand, Witz, Urtheilskraft, oder Muth, Entschlossenheit,
Beharrlichkeit im Vorsatze sind ohne Zweifel in mancher Absicht gut
und wünschenswerth; aber sie können auch äußerst böse und schädlich
werden, wenn der Wille, der von diesen Naturgaben Gebrauch machen
soll, und dessen eigenthümliche Beschaffenheit darum Charakter
heißt, nicht gut ist. Der gute Wille ist nicht durch das, was er
bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zu
Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch
das Wollen, d.i. an sich, gut. Wenngleich durch eine besondere
Ungunst des Schicksals oder durch kärgliche Ausstattung einer
stiefmütterlichen Natur es diesem Willen gänzlich an Vermögen
fehlte, seine Absicht durchzusetzen; wenn bei seiner größten
Bestrebung dennoch Nichts von ihm ausgerichtet würde und nur der
gute Wille (freilich nicht etwa ein bloßer Wunsch, sondern als die
Aufbietung aller Mittel, soweit sie in unserer Gewalt sind) übrig
bliebe: so würde er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen als
etwas, das seinen vollen Werth in sich selbst hat." Grundlegung zur
Metaphysik der Sitten. 4. Aufl. 1797. S. 1 fg.
- 36) " Wenn einen
Menschen die Natur erhoben,
So ist's kein Wunder, wenn ihm viel
gelingt;
Man muß in ihm des Schöpfers Allmacht loben,
Der schwachen
Thon zu solcher Ehre bringt.
Doch wenn ein Mensch von allen
Lebensproben
Die sauerste besteht, sich selbst bezwingt:
Dann kann
man ihn mit Freuden Andern zeigen
Und sagen: Das ist er, das ist
sein eigen!"
"Denn alle Kraft dringt vorwärts in die Weite,
Zu leben
und zu wirken hier und dort;
Dagegen engt und hemmt von jeder Seite
Der Strom der Welt und reißt uns mit sich fort;
In diesem innern
Sturm und äußern Streite
Vernimmt der Geist ein schwer verstanden
Wort:
Von der Gewalt, die alle Wesen bindet,
Befreit der Mensch
sich, der sich überwindet."
Die Geheimnisse. (Werke XIII, 185; vgl.
XV, 172.)
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