HIS-Data
Allgemeine Encyclopädie HIS-Data
5139-1-49-014-2-2-4
Erste Section > Neunundvierzigster Theil
Werk Bearb. ⇧ Freiheit
Artikel: FREIHEIT
Abschnitt: II: Freiheit des Willens
Teil: 4. Kant, Schelling, Hegel
Textvorlage: Göttinger Digitalisierungszentrum
Hinweise: Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Bearbeitung
Inhalt: Übersicht
⇦ Freiheit II 3
Freiheit III 1 ⇨

⇧ S. 25 Sp. 1    
Forts. S. 25 Sp. 1 Noch sind hier die Ansichten zweier unserer berühmtesten Philosophen, Kant's und Schelling's, über die Freiheit des Willens zu erwähnen, sowie ihre Versuche, dieselbe mit dem Gesetze der Naturnothwendigkeit, also den Indeterminismus und den Determinismus, zu vereinigen (welche Versuche als der transcendentale Prädeterminismus bezeichnet werden).
  Die Kant'sche Lehre von der Freiheit ist diese: Freiheit im praktischen Verstande ist die Unabhängigkeit der Willkür von der Nöthigung durch Antriebe der Sinnlichkeit; diese setzt voraus eine Causalität, unabhängig von Naturursachen und selbst wider ihre Gewalt und wider ihren Einfluß etwas hervorzubringen, d.h. das Vermögen, eine Reihe von Begebenheiten ganz von selbst anzufangen, ein Vermögen, dessen Causalität nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer andern Ursache steht, welche sie der Zeit nach bestimmte, mit Einem Worte, eine absolute Spontaneität.
  Dieses ist die transcendente Freiheit. Diese Freiheit ist demnach außer und über aller Zeit, außer allem Causalzusammenhange, gehört demnach nicht der Sinnenwelt, der Welt der Erscheinungen an; denn in dieser ist Alles nach dem Gesetze der Causalität verbunden. Sie kann also auch dem Menschen nicht zugeschrieben werden, sofern er ein Sinnenwesen ist, der Erscheinungswelt angehört (Phänomenon), sondern sie ist eine Eigenschaft des Menschen, sofern er ein Ding an sich, ein intelligibles Wesen, ein Noumenon ist; sie macht den intelligiblen Charakter aus, Causalität der Vernunft.♦
  Dieses intelligible Vermögen aber und sein Charakter müssen sich nun doch in der Erscheinung ausdrücken, in dem Menschen als dem empirischen Wesen, in seinem empirischen Charakter. In diesem empirischen Charakter stehen, weil er empirisch ist, alle Handlungen als Erscheinungen im Causalzusammenhange mit einander; hier ist also keine Freiheit, sondern Nothwendigkeit. Aber sofern dieser empirische Charakter, diese empirische Sinnesart der Ausdruck, die Erscheinung ist von dem intelligiblen Charakter, von der Causalität der Vernunft, von der Freiheit, sofern ist der Mensch in allen seinen Handlungen frei, und so ist also wenigstens die Möglichkeit gezeigt, wie Freiheit und Nothwendigkeit der einzelnen Handlungen vereinbar sind. —♦
  Also die Bestimmungsgründe einer jeden Handlung, die der Mensch in der Zeit verrichtet, liegen in demjenigen, was zur vergangenen Zeit gehört, und nicht mehr in seiner Gewalt ist, in den schon begangenen Thaten und seinem empirischen Charakter. Daher man denn auch einräumen kann, daß, wenn es für uns möglich wäre, in eines Menschen Denkungsart, sowie sie sich durch in-
S. 25 Sp. 2 FREIHEIT
  nere sowol als äußere Handlungen reizt, so tiefe Einsichten zu haben, daß jede, auch die mindeste Triebfeder dazu uns bekannt würde, ingleichen alle auf diese wirkenden äußern Veranlassungen, man eines Menschen Verhalten auf die Zukunft mit Gewißheit, sowie eine Mond- oder Sonnenfinsterniß, ausrechnen könnte. (Kritik der praktischen Vernunft I. 1. 58. 3. Hauptst.)♦
  Aber diese ganze Kette von Erscheinungen und diesen ganzen Charakter hat sich der Mensch selbst verschafft, sofern er ein intelligibles Wesen ist, das nicht unter Zeitbedingungen steht. Daher wir, wenn wir noch eines andern Blickes, nämlich einer intellectuellen Anschauung desselben Subjects, fähig wären, doch inne werden würden, daß diese ganze Kette von Erscheinungen in Ansehung dessen, was nur immer das moralische Gesetz angehen kann, von der Spontaneität des Subjects, als Dinges an sich selbst, abhängt, von deren Bestimmung sich gar keine physische Erklärung geben läßt. In Ermangelung dieser Anschauung versichert uns das moralische Gesetz diesen Unterschied der Beziehung unserer Handlungen als Erscheinungen auf das Sinnenwesen unsers Subjects von derjenigen, dadurch dieses Sinnenwesen selbst auf das intelligible Substrat in uns bezogen wird (ebend.). —♦
  Daraus lassen sich auch Beurtheilungen rechtfertigen, die mit aller Gewissenhaftigkeit gefällt, dennoch dem ersten Anscheine nach aller Billigkeit ganz zu widerstreiten scheinen. Es gibt Fälle, wo Menschen von Kindheit auf, selbst unter einer Erziehung, die mit der ihrigen zugleich Andern ersprießlich war, dennoch so frühe Bosheit zeigen und so bis in ihre Mannesjahre zu steigen fortfahren, daß man sie für geborene Bösewichter und gänzlich, was die Sinnesart betrifft, für unverbesserlich hält. Gleichwol aber richtet man sie wegen ihres Thuns und Lassens ebenso, verweist ihnen ihre Verbrechen ebenso als Schuld, ja sie (die Kinder) finden diese Vorwürfe selbst so ganz gegründet, als ob sie, ungeachtet der ihnen beigemessenen hoffnungslosen Naturbeschaffenheit ihres Gemüthes, ebenso verantwortlich bleiben, als jeder andere Mensch.♦
  Dies würde nicht geschehen können, wenn wir nicht voraussetzten, daß Alles, was aus seiner Willkür entspringt (wie ohne Zweifel jede vorsätzlich verübte Handlung), eine freie Causalität zum Grunde habe, welche von der frühen Jugend an ihren Charakter in ihren Erscheinungen (den Handlungen) ausdrückt, die wegen der Gleichförmigkeit des Verhaltens einen Naturzusammenhang kenntlich machen, der aber nicht die arge Beschaffenheit des Willens nothwendig macht, sondern vielmehr die Folge der freiwillig angenommenen bösen und unwandelbaren Grundsätze ist, welche ihn nur noch um desto verwerflicher und strafwürdiger machen. (Kritik der praktischen Vernunft a. a. O.; vergl. Die dritte Antinomie in der Kritik der reinen Vernunft.) 69).
  Diese Kant'sche Ansicht steht und fällt natürlich mit dem ganzen Kant'schen Systeme, besonders der Lehre von den Dingen an sich, deren Kritik natürlich nicht hier-
 
  • 69) Außer den bekannten Commentaren der Kant'schen Philosophie von Schulz, Jacob etc. vergl. Snell, Menon S. 285. Heydenreich, Philosophie der natürlichen Religion. Beitrag XIII. Reinhold, Metaphysik S. 428, Sigwart a.a.O. S. 363.
S. 26 Sp. 1 FREIHEIT
  her gehört. Im Allgemeinen muß nur bemerkt werden, daß diese Ansicht oder Hypothese in Bezug auf das Praktische mit dem Determinismus ganz zusammenfällt, und daher alle Gründe gegen denselben auch wider sich hat 70).
  Auf gleiche Weise sucht Schelling die Schwierigkeiten zu lösen, welche in der Annahme eines freien Willens einerseits und der der Naturnothwendigkeit andererseits liegen 71). Die freie Handlung folgt unmittelbar aus dem intelligiblen Wesen des Menschen. Dieses ist außer allem Causalzusammenhange, wie außer und über aller Zeit. Es kann daher nie durch irgend etwas Vorhergehendes bestimmt sein, indem es selbst vielmehr allem Andern, das in ihm ist oder wird, nicht sowol der Zeit, als dem Begriffe nach als absolute Einheit vorangeht, die immer schon ganz und vollendet da sein muß, damit die einzelne Handlung oder Bestimmung in ihr möglich sei.♦
  Jede einzelne Handlung ist aber nothwendig eine bestimmte Handlung, z. B. um das Nächste anzuführen, eine gute oder böse. Vom absolut Unbestimmten zum Bestimmten gibt es aber keinen Übergang. Daß etwa das intelligible Wesen aus purer lauterer Unbestimmtheit heraus ohne allen Grund sich selbst bestimmen sollte, führt auf das System der Gleichgültigkeit der Willkür zurück. Um sich selbst bestimmen zu können, müßte es in sich schon bestimmt sein, nicht von Außen freilich, welches seiner Natur widerspricht, auch nicht von Innen durch irgend eine blos zufällige oder empirische Nothwendigkeit, indem dieses Alles (das Psychologische so gut wie das Psychische) unter ihm liegt, sondern es selber als sein Wesen, d.h. seine eigene Natur, müßte es ihm Bestimmung sein.♦
  Aus dem Innern des intelligiblen Wesens kann die Handlung nur nach dem Gesetze der Identität und mit absoluter Nothwendigkeit folgen. So folgt also die einzelne Handlung aus innerer Nothwendigkeit des Wesens. Aber was ist denn jene innere Nothwendigkeit des Wesens selber? Hier liegt der Punkt, bei welchem Nothwendigkeit und Freiheit vereinigt werden müssen, wenn sie überhaupt vereinbar sind. Wäre jenes Wesen ein todtes Sein und in Ansehung des Menschen ein ihm blos Gegebenes, so wäre, da die Handlung aus ihm nur mit Nothwendigkeit folgen kann, die Zurechnungsfähigkeit und alle Freiheit aufgehoben. Aber eben jene innere Nothwendigkeit ist selber die Freiheit; das Wesen des Menschen ist wesentlich seine eigene That. Durch diese That, durch diesen Act hat der Mensch sein intelligibles Wesen gesetzt (ein Ur- und Grundwollen, daß sich selbst zu etwas macht), durch denselben ist sogar die Art und Beschaffenheit seiner Corporisation bestimmt; er ist aber außer aller Zeit und jenseit alles Bewußtseins.
  Auch Schelling sucht seine Ansicht auf ähnliche
 
  • 70) Eine Widerlegung der Kant'schen Ansicht findet sich in Flatt, Beiträge, IV, Fragm. Ulrich, Eleutheriologie §. 10 fg. Eberhard, Neue vermischte Schriften S. 81. Clodius, Allgem. Religionslehre S. 169, Sigwart, Handbuch S. 373. Schulze, Psych. Anthropologie S. 406; vergl. dessen Philos. Principien des bürgerlichen und peinlichen Rechts S. 57 fg.; vergl. auch Creuzer, Skeptische Betrachtungen über die Freiheit des Willens. (Gießen 1793) S. 142.
  • 71) Philos. Schriften I. S. 465. fg.
S. 26 Sp. 2 FREIHEIT
  Weise durch Berufung auf Thatsachen der Erfahrung zu bestätigen, wie Kant: „In jedem Menschen ist ein Gefühl, als sei er, was er ist, von aller Ewigkeit schon gewesen und keineswegs in der Zeit erst geworden. Daher unerachtet der unleugbaren Nothwendigkeit aller Handlungen, und obgleich Jeder, wenn er auf sich aufmerksam ist, sich gestehen muß, daß er keineswegs zufällig oder willkürlich böse oder gut ist, der Böse z. B. sich doch nichts weniger als gezwungen vorkommt (weil Zwang nur im Werden, nicht im Sein empfunden werden kann), sondern seine Handlungen mit Willen, nicht gegen seinen Willen thut.♦
  Obwol jene freie That im Bewußtsein nicht vorkommen kann, da sie ihm, wie dem Wesen, vorangeht, es erst macht, so ist sie darum doch keine That, von der dem Menschen überall kein Bewußtsein geblieben, indem derjenige, welcher etwa, um eine ungerechte Handlung zu entschuldigen, sagt: So bin ich nun einmal; doch sich wol bewußt ist, daß er durch seine Schuld so ist, so sehr er auch Recht hat, daß es ihm unmöglich gewesen, anders zu handeln. —♦
  Wie oft geschieht es, daß ein Mensch von Kindheit an, zu einer Zeit, da wir ihm, empirisch betrachtet, kaum Freiheit und Überlegung zutrauen können, einen Hang zum Bösen zeigt, von dem vorauszusehen ist, daß er keiner Zucht und Lehre weichen werde, und der in der Folge wirklich die argen Früchte zur Reife bringt, die wir im Keime vorausgesehen hatten, und daß gleichwol Niemand die Zurechnungsfähigkeit derselben bezweifelt und von der Schuld dieses Menschen so überzeugt ist, als er es nur immer sein könnte, wenn jede einzelne Handlung in seiner Gewalt gestanden hätte. Diese allgemeine Beurtheilung eines seinem Ursprunge nach ganz bewußtlosen und sogar unwiderstehlichen Hanges zum Bösen als eines Actus der Freiheit weist auf eine That und also auf ein Leben vor diesem Leben hin, nur daß es eben nicht der Zeit nach vorangehend gedacht werde, indem das Intelligible überhaupt außer der Zeit ist."
  Es ist klar, daß diese Schelling'sche Ansicht schon in sofern nicht als eine das Räthsel der Freiheit wissenschaftlich lösende angesehen werden kann, als sie zuletzt auf die mystische Hypothese einer Präexistenz, welche dem gegenwärtigen Leben zeitlich vorangeht, sich beruft, eine Hypothese, die bekanntlich schon von Pythagoras und Platon angenommen und in Beziehung auf das Theorem der Freiheit des Willens bereits von dem Kirchenvater Origenes (in seinem Werke peri archon) angewendet wurde, indem nach ihm alle endliche Geister einander ursprünglich schlechterdings gleich sind, und alles Verschiedene und Eigenthümliche nur in der Richtung, die ihr freier Wille sich selbst gibt, seinen Grund hat.♦
  Eine nähere Prüfung und Widerlegung der Schelling'schen Ansicht haben bereits Andere gegeben, wie z. B. Sigwart 72), Julius Müller 73) und Zeller 74). Müller macht namentlich auf einige Thatsachen der Erfahrung aufmerksam, in denen die von Schelling versuchte Lösung des
 
  • 72) Handbuch der theoretischen Philosophie S. 373.
  • 73) Lehre von der Sünde I, 423 fg.
  • 74) In s. Theologischen Jahrbüchern. 5. Bd. 1846. S. 433 fg. 6. Bd. 1847. S. 66 fg.
S. 27 Sp. 1 FREIHEIT
  Problems unverträglich ist. „Wenn die gesammte Gestalt und Beschaffenheit des einzelnen menschlichen Lebens auf einer ebenso grundlosen, wie unbeschränkt freien That des Subjectes ruht, wie ist es zu begreifen, daß wir in der Menschenwelt und in ihrem Verhältnisse zur Natur einen gewissen Zusammenhang, eine bestimmte Ordnung antreffen, daß die einzelnen Individualitäten in ihrer besondern Organisation und Begabung genau berechnet scheinen auf diese oder jene ganz an dem Erdenleben haftende Thätigkeit, Berufsart, Lebensweise, daß es eine Geschichte gibt und einen bestimmten Fortschritt derselben, daß nicht Alles von chaotischer Verwirrung verschlungen wird? Wenn jene Abhandlung den gewöhnlichen Vorstellungen von der Freiheit als einem Vermögen, in jedem Augenblick ohne bestimmende Gründe dies oder das Entgegengesetzte zu wollen, mit Recht verwirft, daß dadurch eine der Vernunft widerstreitende gänzliche Zufälligkeit der einzelnen Handlungen eingeführt werde: so ist in der That nicht einzusehen, wie dieser Vorwurf sich dadurch erledigen soll, daß zu der Macht des Willens, sich durchaus grundlos aus sich selbst zu bestimmen, indem sie in die Sphäre des Intelligiblen erhoben und zu Einem außer- zeitlichen Act concentrirt wird, nun noch die Macht durch diese grundlose Selbstbestimmung, die Entwickelung des menschlichen Lebens in allen Sphären schlechthin zu begründen, hinzutritt. Ebenso unerklärlich wird von hier aus die allbekannte Thatsache, daß im Gebiete dieser natürlichen Individualität bestimmte Familientypen sich fixieren, daß die Eigenthümlichkeit der Ältern, durch neue Bestimmungen modificirt, in den Kindern oder Enkeln wieder hervortritt, daß auch Krankheiten und fehlerhafte Dispositionen des psychischen Lebens sich forterben.♦
  Ferner ist uns nicht etwa blos in der Reflexion, sondern als allgemeine Thatsache unsers unmittelbaren Bewußtseins eine scharfe Sonderung dessen, was in unserm Leben unsere Freiheit zur Wurzel hat, und was jenseit derselben liegt, gegeben, und Niemandem fällt es ein, die natürlichen Einseitigkeiten und Schranken ferner Individualität, den angebornen Mangel gewisser Fähigkeiten, Talente im Ernste sich selbst zuzurechnen. Hätten sie ebenso gut wie die sittliche Bestimmtheit unsers Lebens in der Freiheit, hier als intelligibler, ihre Causalität, so wäre nur denkbar, daß unser empirisches Bewußtsein entweder Alles als frei, oder Alles als nothwendig auffaßte; eine solche Scheidung zweier Sphären im unmittelbaren Bewußtsein ist von hier aus nicht zu erklären. Es leuchtet ein, daß dieser Theorie in ihrer weiteren Konsequenz das irdisch zeitliche Leben und Bewußtsein nicht mehr die wirkliche Erscheinung des Wesens bleiben kann, sondern zum unwahren Scheine herabsinken muß."
  Daß auch in der Hegel'schen Philosophie von einer eigentlichen Freiheit des Willens nicht die Rede sein kann, ergibt sich theils schon daraus, daß auch dieses System nicht über den Pantheismus hinauskommt 75), theils weil nach ihm nur das Denken und die Begriffe das eigentlich Wesentliche sind 76). Da nach Hegel
 
  • 75) Vgl. des jüngeren Fichte Schrift über Gegensatz u. s. w. S. 51.
  • 76) „ Von dem Willen, behauptet Spinoza, er {1} dürfe nicht als eine freie, sondern nur als eine der Nöthigung, dem Zwange unterliegende Ursache betrachtet werden, weil er, als ein bestimmter Modus des unendlichen Denkens, immer eine Ursache voraussetze, durch welche er zur Existenz und zur Thätigkeit bestimmt werde. Im wesentlich gleichen Sinne, aber mit ungleich größerer Gewandtheit in der Entgegensetzung der Begriffe und in der Vereinigung der entgegengesetzten, definirt Hegel die Freiheit als die Wahrheit der Nothwendigkeit. Nach seiner Erörterung ist jedes Einzelne nothwendig, indem es durch die Bedingungen, die in dem Anderen enthalten sind, gesetzt wird. Hierin besteht aber die Eigenthümlichkeit der allgemeinen Substanz, daß sie in der Vielheit der einander wechselsweise bedingenden, einander gegenseitig als nothwendig setzenden Dinge hervortritt, während sie selbst Nichts außer sich hat und durch nichts Anderes gesetzt und bestimmt wird. In dieser Eigenthümlichkeit beurkundet sich die allgemeine Substanz als das schlechthin Selbständige, als das lediglich durch sich selbst Bestehende, welches in der Nothwendigkeit, die aus ihm selbst hervorgeht, seine absolute Macht und seine absolute Freiheit offenbart. Da aber die allgemeine Substanz doch nur ist, was sie ist, durch ihre Selbstvermittelung, indem sie in ihrem Gegentheil, in der Vielheit der einander setzenden und voraussetzenden Dinge, sich ewig verwirklicht, so ergibt sich, daß die Wahrheit der Substanz der absolute Begriff ist. Denn der Begriff überhaupt ist das Sichselbstgleiche, dessen Sein nur darin besteht, sein Gegentheil, das Andere und Verschiedene, zu setzen und in dem Anderen und Verschiedenen bei sich selbst zu sein, oder, wie Hegel dies ausdrückt: der Begriff ist die Selbständigkeit, welche das sich von sich Abstoßen in unterschiedene Selbständige, als dieses Abstoßen identisch mit sich und diese bei sich selbst bleibende Wechselbestimmung nur mit sich ist. Hiernach ist der Begriff für sich die Macht der Nothwendigkeit und die wirkliche Freiheit." E. Reinhold, Darstellung der Metaphysik. 1834. S. 420. Note.
{1} ergänzt von Sp. 2
S. 27 Sp. 2 FREIHEIT
  die Gedankenbestimmungen das allein Seiende sind, so hat nach ihm die Persönlichkeit, die doch die eigentliche Wurzel des menschlichen Freiheitsbegriffs ist, nur einen untergeordneten Werth, indem sie nur Mittel ist, um die Denkverhältnisse zu verwirklichen. Nicht wo das Individuum wählen kann, ist Freiheit, sondern wo es nicht wählen kann, wo eine Regel ohne seinen Willen verwirklicht ist; das Denkgesetz soll frei, d.h. nicht vom Menschen abhängig sein, und nicht der Mensch; nicht die Menschen handeln in der Geschichte, sondern das logische Gesetz der drei Momente, des Dialektischen, Abstracten und Speculativen, indem ja überhaupt das ganze Universum nur in einem dialektischen Proceß der Ideen besteht, die sich aus sich selbst entlassen, ihren Gegensatz setzen, diesen dann aufheben, um sich endlich wieder in der höhern Identität in sich zurückzufassen. Die Freiheit des Willens besteht demnach blos darin, daß im Entschlusse gleich sein Gegentheil, die Möglichkeit alles Andern als Gedachten gesetzt ist, wobei die reelle Kraft der Entscheidung, daß man im concreten Fall zwischen A und B wählen kann, gar nicht in Betracht kommt 77).
 
  • 77) Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts I. S. 272. 289 fg. (und die vielen andern Kritiken der Hegel'schen Philosophie). Daher sich bei Hegel die nichtige Vorstellung eines unpersönlichen substantiellen Willens findet, eines Willens, welcher nicht will, sondern nur Wille ist. (Wenn nämlich in irgend einer Einrichtung ein bestimmter Sinn gleichsam als gewollter ausgeprägt ist und nach der Natur der Einrichtung die Möglichkeit, daß ihr Dasein oder jener Sinn von dem Menschen aufgehoben werden, bei ihr nothwendig gedacht werden muß, so ist dies ein substantieller Wille, da sich hierbei die Requisite desselben finden, welche Hegel an den Willen macht, nämlich ein bestimmter verwirklichter Inhalt eines {1} Gedankens und die der Vorstellung sich darbietende Möglichkeit eines andern.) Nicht der Mensch weiß sich z. B. in der Familie, dem Staate in der Philosophie, in Gott, sondern das System der Denkbestimmungen der Begriff der Familie, des Staates etc. wissen sich die Menschen, wie man etwa sagen könnte, der Spiegel beschaut sich im Menschen.
S. 28 Sp. 1 FREIHEIT
  Was die Literatur dieses wichtigen Capitels der Metaphysik und Religionsphilosophie betrifft, so findet sie sich, wie auch in Bezug auf die bedeutendsten Philosophen schon angegeben, theils in den Systemen der Philosophie selbst, theils in einzelnen Monographien und besondern Aufsätzen in philosophischen und theologischen Zeit- und andern Schriften. Aus der neuesten Zeit sind besonders zu nennen: Rockshammer, die Freiheit des menschlichen Willens. 1821. Sartorius, Vom Unvermögen des menschlichen Willens. 1821. Voigt, Über Freiheit des Willens. 1828. Daub, Die Hypothese in Betreff der Willensfreiheit. 1834. (Vergl. dessen Judas Ischarioth.) Matthias, Die Idee der Freiheit. 1835. Weiße, Die Idee der Gottheit (dens. in Heidelb. Jahrbüchern. 1836. Nr. 162 und in Fichte's Zeitschrift für speculative Theologie I. H. 2). K. Ph. Fischer, Die Freiheit des Willens. 1833. Romang, Von der Freiheit des Willens. 1835. Jul. Müller, Die christliche Lehre von der Sünde. 1839. I. S. 375 fg. Wirth, Speculative Ethik. 1841. I. S. 57 fg. Zeller, Theologische Jahrbücher. 5. Bd. 1846. Heft 3. 6. Bd. 1847. Heft 1. Levinson, Physiologie des menschlichen Willens. 1848. —♦
  Über die ältere Literatur vergl. Bern. Ochini Labyrinthi h.e. De libero et servo arbitrio etc. (Basil. 1563.) Hugo Grotius, Philos. sentent. de fato et de eo, quod est in nostra potestate. 1648. L. Creutzer's Skeptische Betrachtungen über die Freiheit des Willens. 1793 und Werdermann, Geschichte der Meinungen über Schicksal und Freiheit. 1795 (besonders den literarischen Anhang).
S. 28 Sp. 1 ⇩  
HIS-Data 5139-1-49-014-2-2-4: Allgemeine Encyclopädie: Freiheit II 4 HIS-Data Home
Stand: 6. November 2017 © Hans-Walter Pries