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Noch sind hier die Ansichten zweier unserer berühmtesten Philosophen, Kant's
und Schelling's, über die Freiheit des Willens zu erwähnen, sowie ihre Versuche, dieselbe mit dem
Gesetze der Naturnothwendigkeit, also den Indeterminismus und den Determinismus, zu vereinigen
(welche Versuche als der transcendentale Prädeterminismus bezeichnet werden). |
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Die Kant'sche Lehre von der Freiheit ist diese: Freiheit im praktischen Verstande
ist die Unabhängigkeit der Willkür von der Nöthigung durch Antriebe der Sinnlichkeit; diese setzt
voraus eine Causalität, unabhängig von Naturursachen und selbst wider ihre Gewalt und wider ihren
Einfluß etwas hervorzubringen, d.h. das Vermögen, eine Reihe von Begebenheiten ganz von selbst
anzufangen, ein Vermögen, dessen Causalität nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer
andern Ursache steht, welche sie der Zeit nach bestimmte, mit Einem Worte, eine absolute
Spontaneität.♦ |
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Dieses ist die transcendente Freiheit. Diese Freiheit ist demnach außer und über
aller Zeit, außer allem Causalzusammenhange, gehört demnach nicht der Sinnenwelt, der Welt der
Erscheinungen an; denn in dieser ist Alles nach dem Gesetze der Causalität verbunden. Sie kann also
auch dem Menschen nicht zugeschrieben werden, sofern er ein Sinnenwesen ist, der
Erscheinungswelt angehört (Phänomenon), sondern sie ist eine Eigenschaft des Menschen, sofern er
ein Ding an sich, ein intelligibles Wesen, ein Noumenon ist; sie macht den intelligiblen Charakter
aus, Causalität der Vernunft.♦ |
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Dieses intelligible Vermögen aber und sein Charakter müssen sich nun doch in der
Erscheinung ausdrücken, in dem Menschen als dem empirischen Wesen, in seinem empirischen
Charakter. In diesem empirischen Charakter stehen, weil er empirisch ist, alle Handlungen als
Erscheinungen im Causalzusammenhange mit einander; hier ist also keine Freiheit, sondern
Nothwendigkeit. Aber sofern dieser empirische Charakter, diese empirische Sinnesart der Ausdruck,
die Erscheinung ist von dem intelligiblen Charakter, von der Causalität der Vernunft, von der Freiheit,
sofern ist der Mensch in allen seinen Handlungen frei, und so ist also wenigstens die Möglichkeit
gezeigt, wie Freiheit und Nothwendigkeit der einzelnen Handlungen vereinbar sind. —♦ |
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Also die Bestimmungsgründe einer jeden Handlung, die der Mensch in der Zeit
verrichtet, liegen in demjenigen, was zur vergangenen Zeit gehört, und nicht mehr in seiner Gewalt ist,
in den schon begangenen Thaten und seinem empirischen Charakter. Daher man denn auch einräumen
kann, daß, wenn es für uns möglich wäre, in eines Menschen Denkungsart, sowie sie sich durch in-
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nere sowol als äußere Handlungen reizt, so tiefe Einsichten zu haben, daß jede,
auch die mindeste Triebfeder dazu uns bekannt würde, ingleichen alle auf diese wirkenden äußern
Veranlassungen, man eines Menschen Verhalten auf die Zukunft mit Gewißheit, sowie eine Mond-
oder Sonnenfinsterniß, ausrechnen könnte. (Kritik der praktischen Vernunft I. 1. 58. 3.
Hauptst.)♦ |
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Aber diese ganze Kette von Erscheinungen und diesen ganzen Charakter hat sich
der Mensch selbst verschafft, sofern er ein intelligibles Wesen ist, das nicht unter Zeitbedingungen
steht. Daher wir, wenn wir noch eines andern Blickes, nämlich einer intellectuellen Anschauung
desselben Subjects, fähig wären, doch inne werden würden, daß diese ganze Kette von Erscheinungen
in Ansehung dessen, was nur immer das moralische Gesetz angehen kann, von der Spontaneität des
Subjects, als Dinges an sich selbst, abhängt, von deren Bestimmung sich gar keine physische
Erklärung geben läßt. In Ermangelung dieser Anschauung versichert uns das moralische Gesetz
diesen Unterschied der Beziehung unserer Handlungen als Erscheinungen auf das Sinnenwesen unsers
Subjects von derjenigen, dadurch dieses Sinnenwesen selbst auf das intelligible Substrat in uns
bezogen wird (ebend.). —♦ |
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Daraus lassen sich auch Beurtheilungen rechtfertigen, die mit aller
Gewissenhaftigkeit gefällt, dennoch dem ersten Anscheine nach aller Billigkeit ganz zu widerstreiten
scheinen. Es gibt Fälle, wo Menschen von Kindheit auf, selbst unter einer Erziehung, die mit der
ihrigen zugleich Andern ersprießlich war, dennoch so frühe Bosheit zeigen und so bis in ihre
Mannesjahre zu steigen fortfahren, daß man sie für geborene Bösewichter und gänzlich, was die
Sinnesart betrifft, für unverbesserlich hält. Gleichwol aber richtet man sie wegen ihres Thuns und
Lassens ebenso, verweist ihnen ihre Verbrechen ebenso als Schuld, ja sie (die Kinder) finden diese
Vorwürfe selbst so ganz gegründet, als ob sie, ungeachtet der ihnen beigemessenen hoffnungslosen
Naturbeschaffenheit ihres Gemüthes, ebenso verantwortlich bleiben, als jeder andere Mensch.♦ |
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Dies würde nicht geschehen können, wenn wir nicht voraussetzten, daß Alles, was
aus seiner Willkür entspringt (wie ohne Zweifel jede vorsätzlich verübte Handlung), eine freie
Causalität zum Grunde habe, welche von der frühen Jugend an ihren Charakter in ihren
Erscheinungen (den Handlungen) ausdrückt, die wegen der Gleichförmigkeit des Verhaltens einen
Naturzusammenhang kenntlich machen, der aber nicht die arge Beschaffenheit des Willens
nothwendig macht, sondern vielmehr die Folge der freiwillig angenommenen bösen und
unwandelbaren Grundsätze ist, welche ihn nur noch um desto verwerflicher und strafwürdiger
machen. (Kritik der praktischen Vernunft a. a. O.; vergl. Die dritte Antinomie in der Kritik der reinen
Vernunft.) 69). |
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Diese Kant'sche Ansicht steht und fällt natürlich mit dem ganzen Kant'schen
Systeme, besonders der Lehre von den Dingen an sich, deren Kritik natürlich nicht hier-
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- 69) Außer den bekannten Commentaren der Kant'schen Philosophie von
Schulz, Jacob etc. vergl. Snell, Menon S. 285. Heydenreich, Philosophie der natürlichen Religion.
Beitrag XIII. Reinhold, Metaphysik S. 428, Sigwart a.a.O. S. 363.
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her gehört. Im Allgemeinen muß nur bemerkt werden, daß diese Ansicht oder
Hypothese in Bezug auf das Praktische mit dem Determinismus ganz zusammenfällt, und daher alle
Gründe gegen denselben auch wider sich hat 70). |
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Auf gleiche Weise sucht Schelling die Schwierigkeiten zu lösen, welche in der
Annahme eines freien Willens einerseits und der der Naturnothwendigkeit andererseits liegen 71).
Die freie Handlung folgt unmittelbar aus dem intelligiblen Wesen des Menschen. Dieses ist außer
allem Causalzusammenhange, wie außer und über aller Zeit. Es kann daher nie durch irgend etwas
Vorhergehendes bestimmt sein, indem es selbst vielmehr allem Andern, das in ihm ist oder wird, nicht
sowol der Zeit, als dem Begriffe nach als absolute Einheit vorangeht, die immer schon ganz und
vollendet da sein muß, damit die einzelne Handlung oder Bestimmung in ihr möglich sei.♦ |
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Jede einzelne Handlung ist aber nothwendig eine bestimmte Handlung, z. B. um das
Nächste anzuführen, eine gute oder böse. Vom absolut Unbestimmten zum Bestimmten gibt es aber
keinen Übergang. Daß etwa das intelligible Wesen aus purer lauterer Unbestimmtheit heraus ohne
allen Grund sich selbst bestimmen sollte, führt auf das System der Gleichgültigkeit der Willkür
zurück. Um sich selbst bestimmen zu können, müßte es in sich schon bestimmt sein, nicht von Außen
freilich, welches seiner Natur widerspricht, auch nicht von Innen durch irgend eine blos zufällige oder
empirische Nothwendigkeit, indem dieses Alles (das Psychologische so gut wie das Psychische) unter
ihm liegt, sondern es selber als sein Wesen, d.h. seine eigene Natur, müßte es ihm Bestimmung
sein.♦ |
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Aus dem Innern des intelligiblen Wesens kann die Handlung nur nach dem Gesetze
der Identität und mit absoluter Nothwendigkeit folgen. So folgt also die einzelne Handlung aus innerer
Nothwendigkeit des Wesens. Aber was ist denn jene innere Nothwendigkeit des Wesens selber? Hier
liegt der Punkt, bei welchem Nothwendigkeit und Freiheit vereinigt werden müssen, wenn sie
überhaupt vereinbar sind. Wäre jenes Wesen ein todtes Sein und in Ansehung des Menschen ein ihm
blos Gegebenes, so wäre, da die Handlung aus ihm nur mit Nothwendigkeit folgen kann, die
Zurechnungsfähigkeit und alle Freiheit aufgehoben. Aber eben jene innere Nothwendigkeit ist selber
die Freiheit; das Wesen des Menschen ist wesentlich seine eigene That. Durch diese That, durch
diesen Act hat der Mensch sein intelligibles Wesen gesetzt (ein Ur- und Grundwollen, daß sich selbst
zu etwas macht), durch denselben ist sogar die Art und Beschaffenheit seiner Corporisation bestimmt;
er ist aber außer aller Zeit und jenseit alles Bewußtseins. |
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Auch Schelling sucht seine Ansicht auf ähnliche
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- 70) Eine Widerlegung der Kant'schen Ansicht findet sich in Flatt, Beiträge,
IV, Fragm. Ulrich, Eleutheriologie §. 10 fg. Eberhard, Neue vermischte Schriften S. 81. Clodius,
Allgem. Religionslehre S. 169, Sigwart, Handbuch S. 373. Schulze, Psych. Anthropologie S. 406;
vergl. dessen Philos. Principien des bürgerlichen und peinlichen Rechts S. 57 fg.; vergl. auch
Creuzer, Skeptische Betrachtungen über die Freiheit des Willens. (Gießen 1793) S. 142.
- 71) Philos.
Schriften I. S. 465. fg.
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Weise durch Berufung auf Thatsachen der Erfahrung zu bestätigen, wie Kant: „In
jedem Menschen ist ein Gefühl, als sei er, was er ist, von aller Ewigkeit schon gewesen und
keineswegs in der Zeit erst geworden. Daher unerachtet der unleugbaren Nothwendigkeit aller
Handlungen, und obgleich Jeder, wenn er auf sich aufmerksam ist, sich gestehen muß, daß er
keineswegs zufällig oder willkürlich böse oder gut ist, der Böse z. B. sich doch nichts weniger als
gezwungen vorkommt (weil Zwang nur im Werden, nicht im Sein empfunden werden kann), sondern
seine Handlungen mit Willen, nicht gegen seinen Willen thut.♦ |
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Obwol jene freie That im Bewußtsein nicht vorkommen kann, da sie ihm, wie dem
Wesen, vorangeht, es erst macht, so ist sie darum doch keine That, von der dem Menschen überall
kein Bewußtsein geblieben, indem derjenige, welcher etwa, um eine ungerechte Handlung zu
entschuldigen, sagt: So bin ich nun einmal; doch sich wol bewußt ist, daß er durch seine Schuld so ist,
so sehr er auch Recht hat, daß es ihm unmöglich gewesen, anders zu handeln. —♦ |
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Wie oft geschieht es, daß ein Mensch von Kindheit an, zu einer Zeit, da wir ihm,
empirisch betrachtet, kaum Freiheit und Überlegung zutrauen können, einen Hang zum Bösen zeigt,
von dem vorauszusehen ist, daß er keiner Zucht und Lehre weichen werde, und der in der Folge
wirklich die argen Früchte zur Reife bringt, die wir im Keime vorausgesehen hatten, und daß
gleichwol Niemand die Zurechnungsfähigkeit derselben bezweifelt und von der Schuld dieses
Menschen so überzeugt ist, als er es nur immer sein könnte, wenn jede einzelne Handlung in seiner
Gewalt gestanden hätte. Diese allgemeine Beurtheilung eines seinem Ursprunge nach ganz
bewußtlosen und sogar unwiderstehlichen Hanges zum Bösen als eines Actus der Freiheit weist auf
eine That und also auf ein Leben vor diesem Leben hin, nur daß es eben nicht der Zeit nach
vorangehend gedacht werde, indem das Intelligible überhaupt außer der Zeit ist." |
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Es ist klar, daß diese Schelling'sche Ansicht schon in sofern nicht als eine das
Räthsel der Freiheit wissenschaftlich lösende angesehen werden kann, als sie zuletzt auf die
mystische Hypothese einer Präexistenz, welche dem gegenwärtigen Leben zeitlich vorangeht, sich
beruft, eine Hypothese, die bekanntlich schon von Pythagoras und Platon angenommen und in
Beziehung auf das Theorem der Freiheit des Willens bereits von dem Kirchenvater Origenes (in
seinem Werke peri archon) angewendet wurde, indem nach ihm alle endliche Geister einander
ursprünglich schlechterdings gleich sind, und alles Verschiedene und Eigenthümliche nur in der
Richtung, die ihr freier Wille sich selbst gibt, seinen Grund hat.♦ |
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Eine nähere Prüfung und Widerlegung der Schelling'schen Ansicht haben bereits
Andere gegeben, wie z. B. Sigwart 72), Julius Müller 73) und Zeller 74). Müller macht
namentlich auf einige Thatsachen der Erfahrung aufmerksam, in denen die von Schelling versuchte
Lösung des
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- 72) Handbuch der theoretischen Philosophie S. 373.
- 73) Lehre von der
Sünde I, 423 fg.
- 74) In s. Theologischen Jahrbüchern. 5. Bd. 1846. S. 433 fg. 6. Bd. 1847. S. 66
fg.
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Problems unverträglich ist. „Wenn die gesammte Gestalt und Beschaffenheit des
einzelnen menschlichen Lebens auf einer ebenso grundlosen, wie unbeschränkt freien That des
Subjectes ruht, wie ist es zu begreifen, daß wir in der Menschenwelt und in ihrem Verhältnisse zur
Natur einen gewissen Zusammenhang, eine bestimmte Ordnung antreffen, daß die einzelnen
Individualitäten in ihrer besondern Organisation und Begabung genau berechnet scheinen auf diese
oder jene ganz an dem Erdenleben haftende Thätigkeit, Berufsart, Lebensweise, daß es eine
Geschichte gibt und einen bestimmten Fortschritt derselben, daß nicht Alles von chaotischer
Verwirrung verschlungen wird? Wenn jene Abhandlung den gewöhnlichen Vorstellungen von der
Freiheit als einem Vermögen, in jedem Augenblick ohne bestimmende Gründe dies oder das
Entgegengesetzte zu wollen, mit Recht verwirft, daß dadurch eine der Vernunft widerstreitende
gänzliche Zufälligkeit der einzelnen Handlungen eingeführt werde: so ist in der That nicht einzusehen,
wie dieser Vorwurf sich dadurch erledigen soll, daß zu der Macht des Willens, sich durchaus grundlos
aus sich selbst zu bestimmen, indem sie in die Sphäre des Intelligiblen erhoben und zu Einem außer-
zeitlichen Act concentrirt wird, nun noch die Macht durch diese grundlose Selbstbestimmung, die
Entwickelung des menschlichen Lebens in allen Sphären schlechthin zu begründen, hinzutritt. Ebenso
unerklärlich wird von hier aus die allbekannte Thatsache, daß im Gebiete dieser natürlichen
Individualität bestimmte Familientypen sich fixieren, daß die Eigenthümlichkeit der Ältern, durch
neue Bestimmungen modificirt, in den Kindern oder Enkeln wieder hervortritt, daß auch Krankheiten
und fehlerhafte Dispositionen des psychischen Lebens sich forterben.♦ |
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Ferner ist uns nicht etwa blos in der Reflexion, sondern als allgemeine Thatsache
unsers unmittelbaren Bewußtseins eine scharfe Sonderung dessen, was in unserm Leben unsere
Freiheit zur Wurzel hat, und was jenseit derselben liegt, gegeben, und Niemandem fällt es ein, die
natürlichen Einseitigkeiten und Schranken ferner Individualität, den angebornen Mangel gewisser
Fähigkeiten, Talente im Ernste sich selbst zuzurechnen. Hätten sie ebenso gut wie die sittliche
Bestimmtheit unsers Lebens in der Freiheit, hier als intelligibler, ihre Causalität, so wäre nur denkbar,
daß unser empirisches Bewußtsein entweder Alles als frei, oder Alles als nothwendig auffaßte; eine
solche Scheidung zweier Sphären im unmittelbaren Bewußtsein ist von hier aus nicht zu erklären. Es
leuchtet ein, daß dieser Theorie in ihrer weiteren Konsequenz das irdisch zeitliche Leben und
Bewußtsein nicht mehr die wirkliche Erscheinung des Wesens bleiben kann, sondern zum unwahren
Scheine herabsinken muß." |
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Daß auch in der Hegel'schen Philosophie von einer eigentlichen Freiheit des
Willens nicht die Rede sein kann, ergibt sich theils schon daraus, daß auch dieses System nicht über
den Pantheismus hinauskommt 75), theils weil nach ihm nur das Denken und die Begriffe das
eigentlich Wesentliche sind 76). Da nach Hegel
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- 75) Vgl. des jüngeren Fichte Schrift über Gegensatz u. s. w. S. 51.
- 76) „ Von
dem Willen, behauptet Spinoza, er {1} dürfe nicht als eine freie, sondern nur als eine der Nöthigung,
dem Zwange unterliegende Ursache betrachtet werden, weil er, als ein bestimmter Modus des
unendlichen Denkens, immer eine Ursache voraussetze, durch welche er zur Existenz und zur
Thätigkeit bestimmt werde. Im wesentlich gleichen Sinne, aber mit ungleich größerer Gewandtheit in
der Entgegensetzung der Begriffe und in der Vereinigung der entgegengesetzten, definirt Hegel die
Freiheit als die Wahrheit der Nothwendigkeit. Nach seiner Erörterung ist jedes Einzelne nothwendig,
indem es durch die Bedingungen, die in dem Anderen enthalten sind, gesetzt wird. Hierin besteht aber
die Eigenthümlichkeit der allgemeinen Substanz, daß sie in der Vielheit der einander wechselsweise
bedingenden, einander gegenseitig als nothwendig setzenden Dinge hervortritt, während sie selbst
Nichts außer sich hat und durch nichts Anderes gesetzt und bestimmt wird. In dieser
Eigenthümlichkeit beurkundet sich die allgemeine Substanz als das schlechthin Selbständige, als das
lediglich durch sich selbst Bestehende, welches in der Nothwendigkeit, die aus ihm selbst hervorgeht,
seine absolute Macht und seine absolute Freiheit offenbart. Da aber die allgemeine Substanz doch nur
ist, was sie ist, durch ihre Selbstvermittelung, indem sie in ihrem Gegentheil, in der Vielheit der
einander setzenden und voraussetzenden Dinge, sich ewig verwirklicht, so ergibt sich, daß die
Wahrheit der Substanz der absolute Begriff ist. Denn der Begriff überhaupt ist das Sichselbstgleiche,
dessen Sein nur darin besteht, sein Gegentheil, das Andere und Verschiedene, zu setzen und in dem
Anderen und Verschiedenen bei sich selbst zu sein, oder, wie Hegel dies ausdrückt: der Begriff ist die
Selbständigkeit, welche das sich von sich Abstoßen in unterschiedene Selbständige, als dieses
Abstoßen identisch mit sich und diese bei sich selbst bleibende Wechselbestimmung nur mit sich ist.
Hiernach ist der Begriff für sich die Macht der Nothwendigkeit und die wirkliche Freiheit." E.
Reinhold, Darstellung der Metaphysik. 1834. S. 420. Note.
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{1} ergänzt von Sp. 2 |
S. 27 Sp. 2 |
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die Gedankenbestimmungen das allein Seiende sind, so hat nach ihm die
Persönlichkeit, die doch die eigentliche Wurzel des menschlichen Freiheitsbegriffs ist, nur einen
untergeordneten Werth, indem sie nur Mittel ist, um die Denkverhältnisse zu verwirklichen. Nicht wo
das Individuum wählen kann, ist Freiheit, sondern wo es nicht wählen kann, wo eine Regel ohne
seinen Willen verwirklicht ist; das Denkgesetz soll frei, d.h. nicht vom Menschen abhängig sein, und
nicht der Mensch; nicht die Menschen handeln in der Geschichte, sondern das logische Gesetz der drei
Momente, des Dialektischen, Abstracten und Speculativen, indem ja überhaupt das ganze Universum
nur in einem dialektischen Proceß der Ideen besteht, die sich aus sich selbst entlassen, ihren Gegensatz
setzen, diesen dann aufheben, um sich endlich wieder in der höhern Identität in sich zurückzufassen.
Die Freiheit des Willens besteht demnach blos darin, daß im Entschlusse gleich sein Gegentheil, die
Möglichkeit alles Andern als Gedachten gesetzt ist, wobei die reelle Kraft der Entscheidung, daß man
im concreten Fall zwischen A und B wählen kann, gar nicht in Betracht kommt 77).
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- 77) Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts I. S. 272. 289 fg. (und die vielen
andern Kritiken der Hegel'schen Philosophie). Daher sich bei Hegel die nichtige Vorstellung eines
unpersönlichen substantiellen Willens findet, eines Willens, welcher nicht will, sondern nur Wille ist.
(Wenn nämlich in irgend einer Einrichtung ein bestimmter Sinn gleichsam als gewollter ausgeprägt ist
und nach der Natur der Einrichtung die Möglichkeit, daß ihr Dasein oder jener Sinn von dem
Menschen aufgehoben werden, bei ihr nothwendig gedacht werden muß, so ist dies ein substantieller
Wille, da sich hierbei die Requisite desselben finden, welche Hegel an den Willen macht, nämlich ein
bestimmter verwirklichter Inhalt eines {1} Gedankens und die der Vorstellung sich darbietende
Möglichkeit eines andern.) Nicht der Mensch weiß sich z. B. in der Familie, dem Staate in der
Philosophie, in Gott, sondern das System der Denkbestimmungen der Begriff der Familie, des Staates
etc. wissen sich die Menschen, wie man etwa sagen könnte, der Spiegel beschaut sich im
Menschen.
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{1} ergänzt von S. 28 |
S. 28 Sp. 1 |
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Was die Literatur dieses wichtigen Capitels der Metaphysik und
Religionsphilosophie betrifft, so findet sie sich, wie auch in Bezug auf die bedeutendsten Philosophen
schon angegeben, theils in den Systemen der Philosophie selbst, theils in einzelnen Monographien und
besondern Aufsätzen in philosophischen und theologischen Zeit- und andern Schriften. Aus der
neuesten Zeit sind besonders zu nennen: Rockshammer, die Freiheit des menschlichen Willens. 1821.
Sartorius, Vom Unvermögen des menschlichen Willens. 1821. Voigt, Über Freiheit des Willens.
1828. Daub, Die Hypothese in Betreff der Willensfreiheit. 1834. (Vergl. dessen Judas Ischarioth.)
Matthias, Die Idee der Freiheit. 1835. Weiße, Die Idee der Gottheit (dens. in Heidelb. Jahrbüchern.
1836. Nr. 162 und in Fichte's Zeitschrift für speculative Theologie I. H. 2). K. Ph. Fischer, Die
Freiheit des Willens. 1833. Romang, Von der Freiheit des Willens. 1835. Jul. Müller, Die christliche
Lehre von der Sünde. 1839. I. S. 375 fg. Wirth, Speculative Ethik. 1841. I. S. 57 fg. Zeller,
Theologische Jahrbücher. 5. Bd. 1846. Heft 3. 6. Bd. 1847. Heft 1. Levinson, Physiologie des
menschlichen Willens. 1848. —♦ |
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Über die ältere Literatur vergl. Bern. Ochini Labyrinthi h.e. De libero et servo
arbitrio etc. (Basil. 1563.) Hugo Grotius, Philos. sentent. de fato et de eo, quod est in nostra
potestate. 1648. L. Creutzer's Skeptische Betrachtungen über die Freiheit des Willens. 1793 und
Werdermann, Geschichte der Meinungen über Schicksal und Freiheit. 1795 (besonders den
literarischen Anhang). |
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S. 28 Sp. 1 ⇩ |
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⇧ Inhalt |