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Was den Determinismus betrifft, so muß derselbe
hier noch etwas näher betrachtet werden, da sub „Determinismus" auf
den Artikel Willensfreiheit verwiesen ist. Derselbe besteht in der
Annahme, daß der Mensch bei allen seinen Willensbestimmungen nach
einer äußeren Naturordnung bestimmt werde, daß mithin alle
Handlungen der Menschen von nothwendig bestimmenden Gründen (wie z.
B. die äußere Lage, Erziehung etc.) bestimmt sind. Der Determinismus
geht von dem metaphysischen Gesetz der Causalität aus, wonach jede
Wirkung ihre nothwendige Ursache, die in der vorhergegangenen Zeit
liegt, hat, und findet den letzten schlechthin bestimmenden Grund
jeder Handlung oder Bestimmung des Willens nicht in diesem letztern
selbst (nicht in der Freiheit als einer durch sich selbst
bestimmten, durch sich selbst anfangenden, von Verhältnissen
unabhängigen Wirksamkeit), sondern theils in der ursprünglich
gegebenen Einrichtung oder Beschaffenheit, größeren oder geringeren
Vollkommenheit des individuellen menschlichen Gei- |
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stes selber, theils in der gesammten Verknüpfung,
in welcher jedes geistige Wesen durch sein ganzes Dasein mit allen
übrigen gestanden hat und steht. Dieses System kommt in sehr
verschiedenen Formen vor 47).♦ |
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Zunächst als sogenannter mechanischer
Determinismus, welcher die determinirenden Ursachen in den
Bewegungsgesetzen der Materie findet, und schon von einigen der
ältesten griechischen Philosophen, den Anhängern des atomistischen
Materialismus oder der sogenannten Corpuscularphilosophie, dem
Leucipp und Demokrit, aufgestellt ward, indem dieselben den Lehrsatz
ihrer Physik von der Gleichheit der Ein- und Rückwirkung auf das
menschliche Leben anwendeten 48).♦ |
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Diese materialistische Ansicht findet sich
natürlich auch bei allen übrigen Anhängern der
Corpuscularphilosophie, z. B. namentlich bei denjenigen Ärzten, die
eine Jatromechanik aufgestellt haben, übrigens überhaupt bei den
meisten Naturforschern, die nur zu geneigt sind, die „Seele" für die
bloße „Lebenskraft," das Gehirn (mit Jean Paul zu reden) für „eine
Spielwelle mit Stiften für jede Idee, die der Geist abdreht, um an
sich seine Ideen ab- und vorzuorgeln," das Herz für „eine
Blutspritze," die Seele nur für „einen neuen Holztrieb des Körpers"
und den Menschen selbst für „eine hydraulische Filtrirmaschine" ohne
eigentliche Seele zu halten, weil ihre anatomischen Messer oder
chemischen Retorten sie nicht finden, weil sie sie nicht als
„Präparat" oder „Rückstand" vorweisen können. Diesen Determinismus
hat unter den neuern Philosophen besonders Hobbes 49), sowie der
Verfasser des Système de la nature aufgestellt 50).♦ |
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Unmittelbar verwandt hiermit ist der thierische
Determinismus, welchem zufolge alle menschlichen Handlungen bloße
Producte des thierischen Instincts sind 51). Sollen die
bestimmenden Gründe in der Vorherbestimmung eines von der Natur
verschiedenen höhern Wesens (oder Gottes) liegen, so ist dies der
transcendentale Prädeterminismus, welchen bereits die Stoiker
aufstellten 52), und auf welchen auch Leibnitzen's System der
prästabilirten Harmonie hinausläuft 53). Sollen sie in der
Vorstellung der Seele liegen, welche durch das, was ihr unter allen
Umständen
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- 47) Vergl.
Reinhard, Christl. Moral I. S. 315
fg. (ed. 5.) Ulrich, Eleutheriologie S. 20 fg.
Sigwart, Handbuch der
theoretischen Philosophie S. 352 fg.
- 48) Cicero,
De fato. c. V.
Lucret. De rer. nat. II. V, 251. Vergl. Platner, Philos. Aphor. I,
494 fg. — Die geistreichste Widerlegung des mechanischen
Determinismus findet sich in Hemsterhuis' Philos. Schriften
(teutsche Übers. Leipzig 1782. 1. Bd. S. 192 fg.; vergl. 2. Bd. S.
72),
- 49) The question concerning Liberty and Necessity. (Lond.
1656.)
- 50) Part. I. ch, XI. p. 187 sq.
- 51) Helvetius, De
l'homme. Sect. X. ch. 7. p. 213 sq.
der zweibrücker Ausgabe. De la
Mettrie,
Traité de l'ame ch. XIII. §. 2 in den Oeuvres
philosophiques; dessen
L’homme machine, (Leyden 1747.)
- 52) Cic. De
fato 5. Seneca,
De provid. c. 5. Natural. Quaest, l. II. c. 35. 36,
Gellius. Noct. Att. l. VI. c. 2. Antoninus ad se ips. l. IV, 26. X,
5. Tiedemann, System der stoischen Philosophie. 2. Th. S. 129 fg.
und dessen Geist der speculativen Philosophie. 2. Bd. S. 481.
Platner, Philosophische Aphorismen I, 494 fg.
- 53) Leibnitz,
Principia philosophiae Oper. t. II. p. 20. (ed. Dütens). Creuzer,
Leibnitii de mundo optimo doctrina sub examen vocatur denuo. (Lips.
1795.)
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das Beste scheint, nothwendig bestimmt wird, so
ist dies der rationale Determinismus, eine Ansicht, zu der sich
bereits Platon. 54) und unter den neuern Philosophen Bayle, auch
Locke, Hume, Leibnitz, Wolf, Mendelssohn, Eberhard, Ulrich, Platner
und viele Andere bekennen 55).♦ |
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Es gehört hierher auch einer der scharfsinnigsten
Philosophen unserer Zeit, Herbart, der auf eine sehr originelle
Weise die alte Atomistik mit dem neuem Idealismus vereinigt wieder
den Versuch gemacht hat, die Psychologie auf Mathematik zu gründen,
die einzelnen psychischen Erscheinungen dem Calcul zu unterwerfen
und eine „Statik und Mechanik des Geistes" aufzustellen 56). Diese
Idee, auf das Seelenleben die Mathematik anzuwenden, wodurch der
Determinismus allerdings die festeste Basis erhalten würde, hat
übrigens schon Lambert gehabt 57), und in der neuern Zeit hat auch
der berühmte Astronom Laplace in seinem classischen Werke über die
Wahrscheinlichkeiten die Berechnung
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- 54) Epinom. p. 254, 255. De leg. l. IX. p. 24.
48. Bip.
- 55) Bayle Reponse aux Quest. d'un Provincial tom. II.
ch. 89, p. 202 sq. und tom. III, ch. 138. p. 732 sq. Locke, über den
menschlichen Verstand. 2. Bd. Cap. 21, Hume, Über den menschlichen
Verstand, übersetzt von Tennemann, S. 179 fg. Leibnitz, Nouveaux
Essais lib. II. ch. XXI. p. 127 sq. Wolff, Psychol. Empir. Part. IX.
Sect. II. c. 2. §. 941 sq. Mendelssohn, Über die Freiheit, in der
Berl. Monatsschrift S. 1 fg. Eberhard, in den neuen vermischten
Schriften S. 81 fg, Ulrich, in der Eleutheriologie. Vergl. die am
Schlusse mitgetheilte Literatur.
- 56) Psychologie, gegründet auf
Erfahrung, Metaphysik und Mathematik I. S. 158 fg. Vergl. dessen
Schrift: Zur Lehre von der Freiheit des menschlichen Willens. 1835.
(In dem Lehrbuche zur Einleitung in die Philosophie. §. 85. 107.
109, S. 93. 141 fg. 2. Ausg. wird die Freiheit des menschlichen
Willens auf das Bestimmteste geleugnet, namentlich auch gesagt, fast
alle neuern Philosophen hätten sich durch Kant's Irrthum täuschen
lassen, nach welchem Freiheit des Willens Grundbedingung der
Sittlichkeit sein soll, S. 144.) Ingleichen, daß die Freiheitslehre
nicht blos falsch, sondern auch dem praktischen Interesse
schlechthin und in jeder Rücklicht zuwider ist, S. 152. Daselbst
heißt es: „Will man die einzelnen Entschließungen des Menschen als
frei betrachten? so hat der Mensch keinen Charakter. Jeder Actus des
Willens, jeder Entschluß ist nun etwas für sich, ohne Zusammenhang
mit frühern und folgenden Entschlüssen. Die einzelnen
Willensbestimmungen fallen zwar unter das sittliche Urtheil: aber
das ganze Leben des Menschen ist ein loses Aggregat von
Selbstbestimmungen, deren jede von Vorn anfängt, die Einheit ist
verloren und der Werth des ganzen Menschen ist dahin." Grade im
Gegentheil ist an gar keinen Charakter im wahren Sinne zu denken und
hat ein Menschenleben keinen wahren sittlichen Werth, wenn nicht die
Freiheit als Selbstbestimmung in jeder einzelnen Handlung sich
dadurch geltend macht, daß sie bei der Möglichkeit, anders zu
handeln, den sittlichen Geboten der Pflicht sich unterwirft. Denn
auch von dieser sittlichen Freiheit gilt Goethe's (Faust II.) Wort:
„Nur der verdient sich Freiheit und das Leben, der täglich sie
erobern muß." Freilich verwirft Herbart überhaupt die
Pflichtenlehre, indem er die praktische Philosophie nur als
Ästhetik, als Lehre vom sittlichen Geschmack aufstellt (s. dessen
Allgem. praktische Philosophie), und für diesen Geschmack ist das
Urtheil über eine Handlung gleich, mag sie aus freiem Willen
entsprungen sein oder nicht.
- 57) Lambert wollte bereits (Neues
Organon I. §. 108. S. 512) die Ethik und Politik auf die Mathematik
(nämlich auf die Ausmessung der Größe eines jeden Gutes) gründen und
die Ethik durch Ausmessung der Triebfedern oder Motive des Willens
in eine Agathometrie verwandeln (Architektonik I. S. 81).
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derselben auch auf die Ereignisse in dem
geistigen Leben der Menschen angewendet. Allein es ist bereits
mehrfach nachgewiesen 58), daß die Anwendung der Mathematik auf
die Psychologie für letztere keine ersprießlichen Resultate hoffen
läßt, zumal hierbei mit lauter unbekannten Größen gerechnet werden
muß.♦ |
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Ebenso ist es durch Thatsachen der Erfahrung
selber hinlänglich bewiesen, daß alle
Wahrscheinlichkeitsberechnungen, sobald sie auf das geistige Leben
eines Menschen angewendet werden, ihre Sicherheit verlieren, nicht
nur weil außerordentlich viele Dinge auf die Entschließungen Einfluß
haben, sondern vornehmlich, weil es Tiefen in unserm menschlichen
Gemüthe gibt, in welche das Auge unsers Geistes nicht einzudringen
vermag, und weil in dieses Gebiet des Unerforschlichen eben die
Freiheit des Willens gehört, die schon ihrem Begriffe nach alle
Berechnung zu Schanden macht.♦ |
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Überhaupt aber widerlegt das Leben selber nur zu
oft alle Vermuthungen oder Urtheile, welche der Determinist auf
seine Kenntniß des Naturells (namentlich des sogenannten
Temperaments, d. h. der aus der eigenthümlichen Körperconstitution,
der Beschaffenheit des Blutes, der Fibern, Nerven etc.
hervorgehenden Prädisposition zu Gefühlen oder Willensbestrebungen)
59), ferner der Erziehung oder anderer äußerer gegebener
Verhältnisse aufzustellen sucht. Nur zu oft kommt es vor, daß der
für gut Gehaltene sich einer Schändlichkeit schuldig macht, die ihm
Niemand zugetraut haben würde, sowie umgekehrt mancher schlechte
Mensch über die niedern Leidenschaften sich erhebt, von denen er
sich bisher beherrschen ließ 60).♦ |
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Soviel ist jedenfalls gewiß, daß nach diesem
Systeme eine wahre Bekehrung, ohne daß die äußere Lage eines
Menschen sich ändert, gar nicht denkbar, oder doch nur durch ein
wahres Wunder möglich sein würde, und es bedarf wol überhaupt keines
weitläufigen Erweises, daß mit dem Determinismus eine wahre
Sittlichkeit unvereinbar
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- 58) U. A. von Suabedissen, Vom Begriff der
Psychologie. Vorrede. Vgl. Scheidler, Psychol. S. 270 fg. 59) Auch
die sogenannte Phrenologie muß consequent zum Determinismus führen.
- 60) „Nach den Nachrichten, welche wir über den Einfluß des
Ausbruchs der Pest in einer Stadt und Gegend auf das Gemüth des
Menschen erhalten haben (man s. die Nachrichten über die attische
Pest heim Thucydides im 2. Buche der Geschichte des peloponnesischen
Kriegs Cap. 48—52 und die Nachrichten über die Pest in Marseille und
in der Provence während der Jahre 1720 und 1721 von Lemontey,
teutsch in Hufeland's Journal der praktischen Heilkunde im 6. Stück
des Jahres 1824. S. 17), bewirkte der Einfluß eine Auflösung aller
Bande der Natur, der bürgerlichen Ordnung und Sittlichkeit, sodaß
selbst diejenigen, welche vor dem Ausbruche des Übels gesetzmäßig
gelebt hatten, den nahen Tod vor Augen habend, den Genuß der
gröbsten sinnlichen Lüste aufsuchten. Bei Manchen hingegen, die ohne
allen Eifer für etwas und nur ihren Neigungen dienend gelebt hatten,
ward der Anblick des allgemeinen Elends eine Veranlassung zur
Darbringung der heldenmüthigsten Opfer. In der Stadt Aix eilten
sogar die Lustdirnen, wie von einer göttlichen Eingebung und einer
plötzlichen Reue getrieben, in die Krankenhäuser, um sich in der
Pflege der Kranken einem gewissen Tode zu weihen (s. Lemontey S.
69). Dies übersteigt gewiß alle Erwartung und würde für streitend
mit der Erfahrung gehalten werden, wenn nicht zuverlässige
Nachrichten darüber vorhanden wären." Schulze, Psychische
Anthropologie (3, Ausg. Göttingen 1826.) S. 268.
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ist, indem nach demselben der Mensch unter den
einmal gegebenen Umständen nicht anders handeln konnte, als er
wirklich gehandelt hat, und somit mehr oder weniger zu einer
Maschine wird, in welcher, ist sie nur einmal in Bewegung gesetzt,
die Bewegungen erfolgen, sowie sie nach der Einrichtung der Maschine
und dem Einfluß äußerer Ursachen erfolgen können und müssen.♦ |
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Damit ist nun allerdings der Gegensatz von Gut
und Böse, und die Verschiedenheit der angenehmen oder unangenehmen
Empfindungen, die mit dem Handeln verbunden sind, nicht
ausgeschlossen; sie werden aber nur als eingepflanzte Momente
betrachtet, welche den menschlichen Willen bewegen und richten
sollen. Auch ist damit nicht ausgeschlossen, daß die eine Maschine
gut, die andere schlecht, oder dieselbe bald gut, bald schlecht
geht, nach der ihr einmal gegebenen Einrichtung und den äußern
Umständen. Aber gar keinen Sinn hätte es, wenn die Maschine sich
vornehmen wollte, sich nur so oder so zu bewegen und diese oder jene
Wirkung hervorzubringen und in dieser Absicht mit sich selbst zu
Rathe gehen wollte; denn dies Alles ist ja durch das Vorhandene,
Gegebene nothwendig bestimmt — oder wenn die Maschine es bereuen und
sich Vorwürfe machen wollte, daß sie hier oder da eine ungeschickte
Bewegung gemacht, oder eine fehlerhafte Wirkung hervorgebracht hat.
Denn wenn sie gleich anerkennen muß, daß jene Bewegung ungeschickt,
jene Wirkung fehlerhaft ist, so muß sie doch zugleich anerkennen,
daß sie unter den gegebenen Umständen nicht anders sich bewegen und
wirken konnte 61).♦ |
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Schon die Stoiker, namentlich Chrysipp, haben
diesen Vorwurf gegen den Determinismus zu widerlegen gesucht 62).
Allein diese Behauptungen oder Ausflüchte sind bereits zur Genüge
widerlegt 63). Der Hauptgrund wider den Determinismus ist aber,
daß, wenn die Handlungen des Menschen nicht Producte seines freien
Willens sind, zuletzt immer Gott als der Urheber des unleugbar in
der Menschengeschichte sich findenden Bösen angesehen werden muß, da
der Mensch doch offenbar sich nicht selbst geschaffen und in die
Umstände oder Verhältnisse, in denen er sich befindet, sich gesetzt
hat 64). |
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Dem Determinismus wird der Indeterminismus
entgegengesetzt, nach welchem die freien Handlungen des Menschen von
nothwendig bestimmenden Gründen unabhängig sind. Auch er ist
entweder grober Casuismus, wo man sie dem blinden Zufall zuschreibt
65), oder
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- 61) s. Sigwart, Handbuch der theol. Philosophie
S. 386 fg.
- 62) Cic. De fato c. 17 sq. Gellius, Noct. Att. VI, 2.
Tiedemann, System der stoischen Philos. II, 131 fg.
- 63) Vergl.
Plutarch. De stoic. Repugn. p. 340 sq. der Reiske'schen Ausgabe.
Eusebius, Praepar. Evangel. l. VI. c. 7. p. 242. Besonders
Melanchthon in den Locis, de humanis viribus seu libero arbitrio p.
75 sq. Clarke, RecueiI de diverses Pièces. t. I. p. 155 sq.
Prémontval, Du Hazard sous l’Empire de Ia Providence, Part. II, p.
53 sq. Crusius, De usu et limitibus principii rationis sufficientis,
vulgo determinantis in den Opusc. p. 152 sq. Schmid, Versuch einer
Moralphilosophie. §. 262. S. 523 fg. Reinhard, Christl. Moral. I. S.
318.
- 64) Sigwart, Handbuch S. 389; vergl. Jul. Müller, die Lehre
von der Sünde I, 427 fg.
- 65) Darauf lief Epikur's Meinung {1} von
der „Freiheit" hinaus; s. Cicero, De fato c. 10 und Lucretius, De
rer. nat. l. II. v. 251 sq.
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feiner Casuismus, wo man sie zwar vom Zufall,
aber unter göttlicher Regierung, herleitet 66), oder als
sogenannter Indifferentismus, wo die Seele durch ein eigenes
Vermögen, nach welchem sie zu einerlei Zeit und bei einerlei
Umständen etwas thun oder lassen, oder auch etwas anders thun kann
(ohne daß sie durch etwas, es sei in oder außer ihr, dazu bestimmt
werde) sich selbst bestimmt 67); oder endlich als rationaler
Indeterminismus, der von dem Wesen der menschlichen Vernunft als
eines sinnlich beschränkten, aber zugleich einer höhern
übersinnlichen Ordnung der Dinge angehörigen Wesen ausgehend, die
Abhängigkeit von der Causalität des Naturmechanismus verwirft, ohne
es darum in Abrede zu stellen, daß es auch für den freien Willen
eine objective Gesetzgebung gibt, sowie eine Stufenfolge seiner
Ausbildung, wie dies bereits früher ausführlicher nachgewiesen
worden ist.♦ |
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Dieser von den meisten übrigen, nicht schon als
Deterministen oder Fatalisten angeführten Philosophen angenommene,
und auch in dem wirklichen Leben der gebildeten Völker in Bezug auf
die sittliche, rechtliche und religiöse Zurechnung der Handlungen
anerkannte rationale Indeterminismus schreibt dem menschlichen
Willen das Vermögen zu, sich aus sich selbst zu bestimmen, und zwar
bei jeder einzelnen Handlung. Damit leugnet er nicht, daß unserm
Handeln ein Überlegen und Abwägen der Gründe und Folgen vorhergehen
könne und vorhergehe; behauptet nicht eine blinde Willkür (arbitrium
brutum), sondern vielmehr, daß auf unser Handeln Gründe influiren,
Vorstellungen von dem, was recht und gut ist, und hinwiederum
Vorstellungen von dem, was nützlich und angenehm ist, höhere und
niedere, vernünftige und sinnliche Triebe. ♦ |
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Derselbe gibt zu 68), „daß die eine
Vorstellung, der eine Trieb uns mehr als die andern afficiren,
behauptet also keine indifferentia voluntatis, kein aequilibrium
arbitrii, und schließt nicht aus, daß der Mensch sagen kann, er habe
um dieser oder jener Gründe willen so oder
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- 66) Vergl. Prémontval, Pensées sur la liberté,
und Du hazard sous l’Empire de la Providence. (Berl. 1755.)
- 67)
Aristoteles, Ethicor. ad Nicom. l. III. c. 1—7, Magn. Moral. l. I.
c. 18. Simplicius in Epictet. Enchir. pag. 29—53 der S
chweighäuser'schen Ausgabe. Clarke, Abhandl. von dem Dasein und den
Eigenschaften Gottes S. 114 fg. Crousaz. Examen du Pyrrhonisme.
Sect. 7. Système de Reflexions. T. I. p. 219. T. II. p. 696. Crusius
in der Schrift: De usu et limitibus principii rat. suff., und in der
Anweisung, vernünftig zu leben, in der Thelematologie Cap. 3. S. 46
fg. Dessen Met. §. 83 fg. Moral §. 40 fg. Daries in den Elementis
Metaph. psychol. sect. II. c. 3. §. 109. Tetens in den Philos.
Versuchen über die menschliche Natur. 2. Bd. Vers. XII. S. 1 fg. und
noch viele andere. (Schon mehre Scholastiker setzten das Wesen der
Freiheit in die vollkommene Grundlosigkeit des Handelns, z. B.
Albertus, M. sentent. lib. II. dist. 24. a. 7. Duns Scotus, Sentent.
lib. II. dist. 25. qu. t. Später wurde dieser Freiheitsbegriff
besonders von Molina und dessen Anhang im Streite mit den
Jansenisten vertheidigt; s. Jul. Müller, die christl. Lehre von der
Sünde. 1839. I. Bd. S. 439. Note.) — Die Falschheit dieser Ansicht
ist nachgewiesen von Zeller in s. Theol. Zeitschrift. 1846. S. 425
und 1847. S. 49 fg.
- 68) Sigwart a.a.O. S. 355; vgl. Welcker,
Rechts-, Staats-und Gesetzlehre I. S. 227 fg.
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so gehandelt. Aber er leugnet, daß diese Gründe
an und für sich einen entscheidenden Einfluß auf unser Handeln
haben, und behauptet vielmehr, daß über den Gründen ein Vermögen
sei, welches aus sich selbst auf die eine oder andere Seite den
Ausschlag gebe, ein Vermögen, unter denselben äußern und innern
Umständen wollen oder nicht wollen, das Eine oder Andere wollen zu
können; eine unabhängige Macht der Freiheit, die entscheidet. |
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