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Zedler: Streit [6] HIS-Data
5028-40-834-1-06
Titel: Streit [6]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 40 Sp. 834
Jahr: 1744
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 40 S. 465
Vorheriger Artikel: Streit [5]
Folgender Artikel: Streit, eine Pflanze
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  Text Quellenangaben
  Nun ist noch, wie oben versprochen, übrig, daß wir an  
  lll. den Streit der Vernunfft und sinnlichen Begierde,  
  welcher Lateinisch Pugna rationis et appetitus sensitivi, genennet wird, gedencken: Solcher ist derjenige Zustand der Seele, da der Wille durch die unterschiedlichenVorstellungen des Verstandes bald auf diese, bald auf jene Seite gezogen wird, und der Mensch mit sich selber uneins ist, und eine Widerwärtigkeit bey sich verspüret.  
  Die Sache selbst hat ihre Richtigkeit. Ein ieglicher kan davon durch eigne Empfindung versichert seyn, wenn er auf das Achtung giebt, was in seiner Seele vorgehet. Die Schrifft giebt desfalls auch ein Zeugniß, wenn Paulus Röm. II, 15. von den Heyden saget : Daß sich ihre Gedancken unter einander verklagten und entschuldigten.  
  So ist auch solcher Streit den alten Weltweisen, als denen von der Pythagorischen, Platonischen, Stoischen u. Aristotelischen Secte nicht unbekannt gewesen. Man lese die Zeugnisse davon, welche Salmasius in commentar. in Simplicium … und Schiltern in seiner Manuductione philos. moral ad veram juris. prudent. ... angeführet.
  Es fragt sich aber: Worinnen dieser Streit bestehe? Die Philosophi sind bald auf diese, bald auf jene Gedancken gefallen, nachdem sie von der Seele und ihren Kräfften unterschiedene Meynungen hatten. Weil die ältern Philosophi das Böse in dem Leibe suchten, so konnten sie nicht anders schliessen, als wenn solcher Streit zwischen dem Leibe und der Seele vorgienge. Nachdem die Scholastici einen so grossen Unterschied unter der empfindenden und vernünfftigen Seele machten, so suchten sie zwischen diesen beyden Seelen diese Widerwärtigkeit.  
  Von den neuern hat Cartesius de passionibus animae … gemeynet, es gehe der Streit zwischen der Seele und den cörperlichen Bewegungen vor, worinnen er geirret, indem der Leib in den Streit selbst nicht
  {Sp. 904}
  verwickelt; sondern der Wille kämpffet mit sich selbst.  
  Damit wir aber die Sache ordentlich erklären, so haben wir auf drey Umstände zu sehen:  
  1) Wo der Streit geschicht, und da hält man insgemein dafür, daß er sich zwischen Verstand und Willen ereigne; welches aber falsch, und wider die Erfahrung ist. Denn er geschicht nur allein in dem Willen, soferne in demselbigen widerwärtige Begierden entstehen, daß man eine Sache haben, aber auch nicht haben möchte. Und das ist eben das, was man sagt: Man sey nicht mit sich einig; Man wisse nicht, was man thun solle; Man könne sich nicht entschliessen.  
  Um deswegen ist es nicht accurat, wenn man ihn pugnam rationis et appetitus sensitivi, den Streit zwischen der Vernunfft und den sinnlichen Begierden nennet. Denn der Verstand, oder die Vernunfft selbst streitet nicht so wohl mit dem Willen; als daß sie vielmehr Anlaß zum Streite giebet; Daher wir erwegen müssen:  
  2) Die Veranlassung dieses Streits. Solche thut der Verstand, von dessen Vorstellungen der Wille dependiret. Nun kan er zweyerley Vorstellungen von einer Sache thun: Sinnliche, wenn sie nach den Sinnen als was angenehmes oder unangenehmes vorgestellet wird; und Judicieuse, wenn er sie nach ihrer wahren Beschaffenheit betrachtet.  
  Solche zweyerley Vorstellungen sind einander offt entgegen , daß was nach jener gut scheinet, ist nach dieser etwas Böses, zum Exempel, bey einem Febricitanten scheinet der Wein nach den Sinnen etwas angenehmes; Erweget man aber die Sache nach dem Judicio, so hält man ihn vor schädlich. Dieses ist die Gelegenheit zu der Wederwärtigkeit im Willen. Denn stellt der Verstand die Sache dem Willen sinnlich, als was Gutes vor, so lenckt er sich dahin, und bekommt eine Begierde; Geschicht hingegen eine judicieuse Vorstellung, so wird er wieder auf eine andere Seite gezogen, zum Exempel, Sempronius mag eine Person gerne heyrathen, weil sie schön, welches die sinnliche Vorstellung erreget; Er mag sie aber auch nicht, weil sievon so geringem Herkommen, und kein gut Leben geführet, welches die judicieuse Vorstellung gethan. Wenn auf diese Art der Wille eine Widerwärtigkeit bey sich empfindet, so fragt sichs :  
  3) Was die Sache vor einen Ausgang gewinne? Zuweilen überwindet die sinnliche Begierde, welches eine grosse Schwachheit; Bisweilen aber folget man den judicieusen und vernünfftigen Vorstellungen, welches allezeit geschehen solte.  
  Dieses alles fasset der Herr D. Buddeus kurtz zusammen, wenn er in den Institut. theol. moral. ... saget : Der Wille wird gleichsam bald auf diese; bald auf jene Seite gezogen; wenn uns die Sinne und die Einbildung eines Theils das vorstellen, was angenehm ist, und den Appetit reitzen kan; andrer Seirs aber der Verstand saget, daß solches schädlich und vielmehr zu fliehen sey.  
  Dergestalt ringet der Wille gleichsam mit sich selbst: Er ist zwar geneigt, darnach zu streben,was ihm die Sinne
  {Sp. 905|S. 466}
  und Einbildung als angenehm vormahlen: Gleich­ wohl aber will er auch gerne der Vernunfft gehor­ chen, bis er endlich aus Schwachheit unterlieget, und der Vorstellung der Sinne und Einbildung gewonnen giebt; oder Heldenmüthig überwindet, und sich den Befehlen der Vernunfft unterwirfft. Man lese auch des Herrn Lehmanns Morale ...
  Von diesem Streite muß man denjenigen unterscheiden, welchen die Theologen luctam carnis et spiritus heissen, und von dem vorher ge­ handelt worden. Denn der Streit des Fleisches und des Geistes ist allein bey den Wiedergebohrnen anzutreffen. Der Streit aber der Vernunfft und der sinnlichen Begierden kan auch bey den Unwiedergebohrnen statt finden. Dort kämpffet der Geist; hier aber der natürliche Wille; Dort werden geistliche Waffen gebraucht, und der Geist erhält den Sieg: hier aber nimmt man leibliche Waffen, Vorstellungen der Vernunfft, womit man die sinnlichen Begierden zurücke halten will, die aber vielmahls die Oberhand behalten. Man kan von dieser Materie conferiren Herrn Hassens Dissert. de pugna inter rationem et appetitum sensitivum, Wittenberg 1723.
  Fragt man aber, wie man die Herrschafft über die Sinnen und der von ihnen dependirenden Einbildungs-Krafft und Affecten erhalten könne: So muß man Achtung geben, auf wie vielerley Weise uns die Sinnen, Elnbildungs-Krafft und Affecten verhindern, daß wir der Vernunfft nicht Gehöre geben. Dieses geschiehet auf eine gedoppelte Art; sie verleiten uns entweder zu falschen Urtheilen, daß wir das Böse für gut oder das Gute für böse halten; oder sie stöhren uns an der Aufmercksamkeit, daß wir entweder an das Gesetze der Natur gar nicht gedencken, oder doch unser Thun und Lassen nicht sattsam nach demselben untersuchen.  
  Wer demnach die Herrschafft über die Sinnen, Einbildungs-Krafft und Affecten erhalten will, der muß sich wider die Vorurtheile von dem Guten und Bösen verwahren, und seine Aufmercksamkeit ungestöhrt erhalten können. Beydes geschiehet, wenn man  
  1) Eine hefftige Begierde in sich erreget, nichts vorzunehmen, als was der letzten Absicht seines Lebens gemäß ist;
  2) Die Geschicklichkeit erlanget, an jeden vorkommenden Falle zu urtheilen, ob unser Thun und Lassen der Haupt-Absicht des gantzen Lebens gemäß sey oder nicht;
  3) Sich endlich angewöhnet, alle sein Thun und Lassen zu bedenken, und den gantzen Tag seinen guten Vorsatz nicht aus der Acht zu lassen.  
  Denn auf solche Weise wollen wir das Gute thun, und das Böse unterlassen; wir wissen, was gut und böse ist; und da wir uns unsers Vorsatzes erinnern, den wir zu ändern keinen zureichenden Grund finden: So werden wir auch das Gute, was wir wollen, vollbringen; und das Böse, was wir nicht wollen, unterlassen.  
  Unterdessen, da es sehr schwer ist, allen diesen Regeln ein Genügen zu leisten: So kan man auch ferner gar leicht errathen, daß es kein geringes und leichtes ist, die Herrschafft über seine Sinnen, Einbildungs-Krafft und Affecten zu erlangen, und Herr über sich selbst zu werden. Und weil alle Fertigkeit erst durch viele Übung erlanget wird: Hingegen eine jede von denen Regeln, die zur Behauptung der Herrschafft über die Sinnen,  
  {Sp. 906}
  Einbildungs-Krafft und Affecten in Acht zu nehmen sind, eine besondere Fertigkeit erfordert; So ist es nicht möglich, diese Herrschafft ohne viele und lange Übung zu erhalten. Und demnach ist es ein grosses Versehen, daß man an dergleichen Übung gar nicht gedencket, und ohne dieselbe zur Tugend gelangen will. Bey dieser Übung aber kan eine lebhaffte Vorstellung der Exempel sehr viel thun. Wolff von der Menschen Thun und Lassen ...
  Sonst gedencket Paulus auch noch des  
  Streits mit den wilden Thieren.  
  Es soll nehmlich eine uralte Art der Leibes- Straffe gewesen seyn, da die leichtfertigsten Menschen, welche wegen der vielfältigen Verbrechen unwürdig des Lebens gewesen, öffentlich denen Thieren vorgeworffen worden, daß sie in denen Theatris nur ihnen streiten müssen. Sie hiessen deswegen Bestiarii.
  • Alexander ab Alexandro Gen. dier. ...
  • Camerarius Hor. Suc.
  • und Dillherr Disp. Acad. ...
  Ja die Christen in der ersten Kirche sind dieser Straffe unterworffen worden, in grosser Menge, Paulus soll gleichfals mit denen Thieren also gestritten haben, wie Origenes, Chrysostomus, Theodoretus und andere mehr vorgegeben.  
  Doch andere verstehen diesen Streit Pauli nur verblümter Weise, weil er mit verkehrten Leuten zu thun gehabt, und ins besondere mit dem Demetrio und seinen Gesellen, Ap. Gesch. XI, 24.
  Sie beruffen sich auf das Stillschweigen des Apostels, welcher alle seine Gefahr entwirfft, 2.Cor. XII, 23.
  doch von diesem Streite nichts gemeldet.  
  Ja sie sagen, Paulus wäre ein Römischer Bürger gewesen, und hätte wegen des Legis Portiae nicht dürften solche Straffe erdulten; doch weil der Buchstabe klar ist, so darff man wohl ohne Ursache keine verblümte Redens-Arten suchen.  
  Siehe übrigens hierbey den Arnckel: Bestiarii, im III Bande, p. 1519.  
  Endlich so ist noch der  
  Streit Michaelis und seiner Engel mit dem Drachen,  
  zu mercken, davon Offenb. XII, 7. stehet.
  Johannes nennet es polemon, einen Krieg und gewaltigen Kampff, da von beyden Seiten mit grossen Ernst und aus allen Kräfften gestritten wird.  
  Was nun das eine Theil anlanget, so streitet Michael wider den Drachen durch seinen heiligen Eiffer und Gerechtigkeit, da er diejenigen, die er nicht allein erschaffen, sondern auch zu seinen Eigenthum erkaufft hat, von der ungerechten Gewalt und Tyrannen erretten will, durch seine unüberwindliche Krafft und Großmüthigkeit, da er als der Stärckere, und als der HErr mächtig im Streit, sieget mit seiner Rechten, und mit seinen heiligen Arm, Ps. XCVIII, 2.
  und tritt den Satan unter seine Füsse, Rom. XVI, 14.
  er streitet durch seine Gnade und Barmhertzigkeit gegen die Menschen, die er will zum Glauben bringen und seelig machen; wie auch durch seine unendliche Weisheit, indem erden arglistigen stoltzen Feind überwindet durch sein Blut und Tod, Wort und Sacrament, wie er ihn auch vormahls durch das Wort Matth. IV, 4. und durch sein Leiden und Sterben, Armuth und Niedrigkeit überwunden hat.  
  Die
  {Sp. 907|S. 467}
  himmlischen Geister streiten und siegen durch Christi Allmacht, und durch ihre eigene Krafft, als die starcken Helden, Ps. CIII, 20.
  indem sie den bösen Geistern mit Worten und Wercken sich wiedersetzen,
  • Dan. X, 13.
  • Epist. Juda v. 9.
  hingegen die Frommen stärcken und beschützen, und die Feinde vertilgen, wie den Assyrern und andern geschehen ist.  
  Auf was Art und Weise aber eigentlich die guten Engel mit den bösen streiten, können wir jetzt nicht wissen oder beschreiben, denn wir haben nie dergleichen gesehen, Col. II, 18.
  Die Menschen, als die Lehrer, Bekenner und andere Gläubigen streiten wieder den Drachen durch des Lammes Blut, welches sie im Glauben ergreiffen, und durch das Wort ihres Zeugnisses welches ist das Schwerdt des Geistes, Ephes. VI, 17.
  durch andächtiges Gebet, und beständige Gedult und Hoffnung, daß sie ihr Leben nicht lieben bis an den Todt, v. 11.
  Was das andere Theil anlanget, so streitet der Drache und seine Engel mit Worten, Wüten und Toben, und unsinniger Grausamkeit, als der grosse rothe Drache und brüllender Löwe, 1 Petr. V, 8.
  mit Lügen, Betrug und Arglistigkeit, Eph. VI, 11.
  da er sich verstellet zum Engel des Lichts, 2 Cor. XI, 14.
  und die Menschen zu falscher Lehre und bösen Leben reitzet und verführet, mit grossen Fleiß und Unverdrossenheit, da er allezeit wachet, wenn die Leute schlaffen, Matth. XIII, 25.
  kömmt immer wieder, wenn er gleich einmahl abgewiesen ist, Luc. XI, 24.
  er streitet auch mittelbarer Weise durch seine Diener und Kinder, in welchen er sein Werck hat, Eph. II, 2.
  die er verhetzet wieder Christum und seine Kirche, welche auch nach Art ihres Herrn mit List und Gewalt, Morden und Lügen, wider die Gläubigen streiten, und in der Kirche, im Regiment und Haus-Wesen allerhand Unglück anrichten.  

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Stand: 25. August 2016 © Hans-Walter Pries