|
Text |
Quellenangaben |
|
Nunmehro kommen wir auf den dritten
geistlichen Feind des Menschen, nehmlich auf das
Fleisch, welcher eben so viel Unordnung in
demselben anrichten und ihn seiner Seeligkeit eben
so wohl verlustig machen kan, als es etwas anders
zu thun vermögend ist. Wieder diesen müssen wir
kämpffen; wieder diesen müssen wir diejenigen
Kräffte gebrauchen, die wir in der Wiedergeburt
empfangen haben. Diese Kräffte werden der Geist
genennet. Und es ist also |
|
|
II. Der Streit des Geistes und des Fleisches, |
|
|
Lat. Lucta carnis et spiritus, derjenige Zustand
des Menschen, in welchen dasjenige seine sinnliche
Begierde verlanget, was die geistliche
verabscheuet, oder wo die geistliche Begierde das
haben will, was die sinnliche fliehet. |
|
|
Der heilige Paulus gedencket in dem 5 Capitel
des Briefes an die Galater dieses Streites, wenn er
spricht: Das Fleisch gelüstet wieder den Geist, und
den Geist wieder das Fleisch, dieselben sind wieder
einander, daß ihr nicht thut, was ihr wollet. Und
damit man um desto deutlicher sehen möge,
worinnen sie einander zuwieder wären, so nennt er
die Würckungen von beyden in den 19 und
folgenden Versen. |
Man kan auch hierzu die Stelle
in dem 8 Cap. 15. u.f. des Briefes an die Römer
nehmen. |
|
In der Weltweisheit wird auch von einem
Streite der sinnlichen Begierde und des Willens
(lucta appetitus sensitivi et rationalis,) geredet; von
welchem bald hernach gehandelt werden soll. Hier
müssen wir nur dasjenige anmercken, worinnen sie
mit einander übereinkommen, und worinnen sie von
einander unterschieden sind. |
|
|
Sie kommen darinnen überein, daß in beyden
Arten des Streites eine von den streitenden
Partheyen die sinnliche Begierde ist, in so ferne sie
lasterhafft ist, und mit dem Nahmen des Fleisches
in der Schrifft beleget wird. |
|
{Sp. 890} |
|
Denn da nicht iedwedes sinnliches Vergnügen
böse ist, so kan auch nicht eine iede sinnliche
Begierde böse seyn. In so ferne also die sinnliche
Begierde nicht böse ist, in so ferne kan sie auch
weder mit der Vernunfft noch mit dem Geiste
streiten. Im Ge, gentheile sind sie darinnen von
einander unterschieden, daß in dem Streite der
Vernunfft und der sinnlichen Begierde, die Vernunfft
wieder das Fleisch streitet; da in der andern Art der
Geist der streitende Theil wieder das Fleisch ist.
|
|
|
Hieraus folget, daß man in der ersten Art des
Streites nur solche Bewegungs-Gründe zum
Verlangen des Guten und zum Abscheu gegen das
Böse antreffe, welche eine gesunde Vernunfft an
die Hand geben kan; in der andern aber findet man
hierzu solche Bewegungs-Gründe, welche aus dem
Wercke der Erlösung hergenommen sind, und das
unser Glaube sich zugeeignet hat. |
|
|
Ferner sind darinnen von einander
unterschieden, daß der Streit der Vernunfft mit der
sinnlichen Begierde auch in einem
Unwiedergebohrnen statt hat; da die andere Art des
Streites nur in den Wiedergebohrnen Platz findet,
welche sich das Verdienst Christi durch den
Glauben zugeeignet haben. |
|
|
Man hat den Irrthum dererjenigen auch hierbey
anzumercken, welche glauben, daß auch eine
gesunde Vernunfft öffters wieder den Geist streite.
Denn da weder eine gesunde Vernunfft der
Offenbahrung, noch die Schrifft einer gesunden
Vernunfft wiedersprechen kan: So ist es auch
unmöglich, daß eine gesunde Vernunfft solche
Bewegungs-Gründe zum Guten geben kan,
welchen die Bewegungs-Gründe in der heiligen
Schrifft wiedersprächen; und daß auch seine
göttliche Offenbahrung solche Bewegungs-Gründe
zum Guten an die Hand geben kan, welche einer
gesunden Vernunfft zuwieder wären. |
|
|
Wenn iemand hieran zweifelt, der muß
zugeben, daß sich GOtt selbst wiederspreche, da er
der Urheber von beyden ist. Da nunaus den
Bewegungs-Gründen der gesunden Vemunfft die
vernünfftige Begierde des Willens, und aus den
Bewegungs-Gründen der Schrifft die Begierde des
Geistes entstehet; So können diese beyden Arten
der Begierde auch einander nicht zuwieder seyn.
|
|
|
Die Gegner von dieser Wahrheit können sich
nicht mit den Stellen in der Epist. Eph. II, 3. Col. I,
21. schützen, weil daselbst nicht das Wort logos,
welches eigentlich die Vernunfft bedeutet, sondern
dianoia stehet, welches eine iede Gedancke der
Seele anzeiget, die dem Geiste gar wohl
wiederstreiten können. |
|
|
Es giebt auch Leute, welche den Unterschied
von beyden Arten des Streites, deren erwehnet
worden ist, läugnen oder vermengen. Einige, wenn
sie von dem Streite des Geistes wieder das Fleisch
in der H. Schrifft reden hören; so verstehen sie
durch das Fleisch den menschlichen Cörper. und
durch den Geist die Seele des Menschen. Dieser
falschen Meynung sind die Wiedertäuffer,
Valentinianer, Marcianiten, Manichäer und andere
alte Ketzer zugethan gewesen; welche ihren
Ursprung aus der Heydnischen Weltweisheit,
sonderlich aus der Platonischen und Stoischen,
welche alle Schuld von dem Übel dem Cörper und
der Materie zuschrieben, genommen zu haben
scheinet. |
|
|
Augustinus erklärt ihre Meynung in dem Buche
de civ. |
|
{Sp. 891|S. 459} |
|
Dei. L. XIV. c 5. mit folgenden Worten: Exterrenis artubus moribundisque membris sic afficianimas opinantur, ut hinc eis sint morbi cupiditatumet timorum et laetitiae sive tristitiae. |
|
Andere verstehen, unter dem Worte Geist, die
Vernunfft, durch das Fleisch aber die sinnlichen
Begierden. Dieser Unwahrheit sind einige Papisten
zugethan, die mit dem Pelagius dasjenige der Natur
zuschreiben, was sie der Gnade zueignen solten.
|
|
|
Der erste Irthum fällt weg, wenn man dasjenige
bedenckt, was Paulus in dem VIlI Cap. 5. u.ff. des
Briefes an die Römer den Fleische für
Eigenschafften beyleget, welche unserm Cörper
unmöglich alleine zukommen können. Der Apostel
begreifft unter dem Nahmen des Fleisches alles
dasjenige was dem Heil. Geiste und seinen
Gnaden-Würckungen in dem Menschen hinderlich
ist , es mag die Seele oder der Cörper seyn. Da er
im Gegemheil alles dasjenige Geist nennet, was
dem Zuge des H. Geistes nicht wiederstehet,
sondern demselben folget. |
|
|
Der andere Jrthum wird auch verschwinden,
wenn man nur den Unterschied der beyden Arten
des Streites, welcher oben ausgeführet worden ist,
wohl überleget. Dieser Streit aber des Geistes
wieder das Fleisch wird durch die Wiedergeburt
rege gemacht. Denn einem natürlichen Menschen
ist allezeit eine böse Neigung angebohren, aus
welcher die bösen sinnlichen Begierden entstehen.
Durch die Wiedergeburt aber werden die Begierden
des Geistes in dem Menschen rege, welche jenen
Begierden öffters zuwieder sind, da diese dem
göttlichen Gesetzen zuwider sind. |
|
|
Demnach wird der Streit des Geistes und der
sinnlichen Begierde durch die Wiedergeburt rege
gemacht. Es ist hiermit eben so, als mit dem Streite
der Vernunfft und der sinnlichen Begierde
beschaffen, welcher aus der natürlichen
Verbesserung, die eine gesunde Vernunfft blos zu
ihrem Grunde hat, entstehet. Es bekommt also in
einem natürlich und geistlich verbesserten
Menschen die böse sinnliche Begierde einen
gedoppelten Feind, welche mit vereinigten Kräfften
wieder dieselbe streiten. Denn die Gnade hebt die
Natur nicht auf, sondern stärcket sie. |
|
|
Damit man aber die Art dieses Streites um
desto besser einsehen und Gelegenheit zum Siege
wieder dasselbe bekommen möge: So muß man
wissen, daß unter dem Fleisch alle Böse und
unordentliche Affecten und Leidenschafflen der
Menschen verstanden werden. Diese Bewegungen
der Seele, welche man Affecten nennet, sind, so
lange sie vor sich betrachtet werden, keinesweges
böse. Sie stammen aus den Begierden her, die in
solchen Ge- schöpffen, als die Menschen sind,
nothwendig haben seyn müssen, da der HErr
gewolt, daß sie auf ihre Erhaltung und
Glückseligkeit bedacht seyn solten- Und wer genau
auf sie und ihre Würckun- gen in dem Menschen
Acht hat. der hat Ursache, die Weisheit des
Schöpffers zu bewundern, der den Menschen zu
denselben fähig gemacht hat. |
|
|
Die Schrifft leget denen Engeln selber diese
Bewegungen bey. |
- Luc. XV, 10.
- 1 Petr. I, 12.
|
|
Was noch mehr? Unser theuerster Erlöser
spürte dieselben. |
- Luc XlX, 41.
- Joh. Xl, 33.
|
|
Die uns demnach sagen, daß wir uns bemühen
müssen, dieselben gantz abzuschaffen, und
auszurotten wissen entwe- |
|
{Sp. 892} |
|
der nicht, was sie reden, oder verlangen, daß
wir das Werck GOttes zerstöhren, und ein nöthiges
Stücke der menschlichen Natur verderben, und ge
gen alle Möglichkeit unterdrücken sollen. Allein der
Fall hat auch diese in sich unsträfflichen
Bewegungen verdorben und verunreiniget. Sie sind
unrein in ihrem Ursprunge. Ist es nicht insgemein
eine Böse und lasterhaffte Begierde, die ihnen das
Leben giebet? |
|
|
Sie sind ihrer Natur nach böse, und gantz von
ihrer wahren Art abgewichen. Sie wären ausser
Streit in den Menschen, wenn er unbefleckt
geblieben, einem gelinden und sanfften Feuer
ähnlich gewesen, das dem Gemüthe Freyheit und
Stille übrig gelassen hätte. Was sind sie ietzt? Ein
gewaltsamer Sturm, der alles niederreisset, oder ein
schädlicher Gift, der den Geist kranck und
unmächtig, machet. |
|
|
Sie sind gantz unordentlich in ihrer Krafft und
Würckungen. Wo sie starck und hefftig seyn sollen,
da sind sie schwach und ohne Leben. Wo sie mäßig
seyn solten , da sind sie gewaltig und ungestüm.
Wo sie recht aufwacken und sich regen solten, da
sind sie gantz stille und unbeweglich: Und die sich
alsdenn die größte Mühe geben, sie zu erwecken,
erfahren mehr als zu viel, daß der Mensch
ungeschickt zu recht guten und seeligen
Bewegungen sey. |
|
|
Man sagt, daß die Affecten sündlich und böse
wären: Heißt dieses nicht einiger maßen von dem
abgewichen, was man von der Natur der Affecten
saget? Ein Affect ist nichts als eine angenehme
oder unangenehme Bewegung in den Menschen,
die vornehmlich den Geist angreifft obgleich der
Leib dieselbe insgemein mit empfindet. Der
Mensch, der eine solche Wallung spüret, scheinet
blos gegen seinen Willen zu leiden, und wenig oder
nichts zu dem, was er spüret, beyzutragen. |
|
|
Hat es denn nicht das Ansehen, daß die
Affecten eben so wenig für sündlich und unrein
können gehalten werden, als der Schmertz oder die
Wollust, die durch die Sinnen in dem Leibe
erwecket werden? Mit was für Grunde läßt sich eine
blosse Empfindung der Seele zu einem Stücke
unsers Verderbens machen ? |
|
|
Man muß, diesen Einwurff gründlich zu
beantworten, mercken, daß eine solche Bewegung,
die ein Affect heißt, dem Verstande unter einer
gedoppelten Gestalt vorgestellet werden könne.
Man kan sie einmahl gantz und vor sich betrachten,
als einen Schmertz, oder als eine Wollust, die aus
gewissen vorhergegangenen Dingeu nothwendig
entspringen muß. Man kan sie hernach in ihren
Umständen, in ihren Ursachen, in ihrem
Zusammenhang mit andern Dingen, in ihren
Würckungen, in ihren Fortgange ansehen. |
|
|
Die auf iene Weise einen Affect betrachten,
werden allezeit Beyfall erhalten, wenn sie
behaupten, daß er in sich gleichgültig, und
eigentlich weder gut noch böse sey. Es werden aber
auch verständige und billige Gemüther sagen, daß
er bald etwas gutes, bald etwas böses heissen
könne, wenn man ihn von dieser Seite in Erwegung
ziehet. Sachen die vor sich unsträfflich, aber durch
fremde und unreine Zusätze verdorben, und von
ihrer wahren Natur abgezogen werden, heissen mit
Recht böse und verdorben. |
|
|
Und ist das alles Sünde, was von der Ordnung
GOttes, von seiner eigentlichen Absicht, von der
Richtschnur des göttlichen |
|
|
{Sp. 893|S. 460} |
|
chen Willens abweichet, so kan dieses Wort
eben so füglich von den Affecten, wie sie jetzt
beschaffen sind, a!s von den Thaten der
Menschen, die wieder das Gesetze lauffen,
gebrauchet werden. Man mag auf den Ursprung
derselben, auf ihre Natur, oder auf die Art, nach der
sie unsern Geist einnehmen, man mag endlich auf
die Würckungen und Kräffte derselben sehen , so
findet man Gelegenheit zu wünschen, daß wir
anders seyn möchten. |
|
|
Was ist der Ursprung und Anfang unsrer
Affecten? Eine wo nicht gantz böse, doch unreine
und von ihrem Zwecke abgewichene Begierde. Das
Hertz empfindet seine Lüste, die niemahls so
beschaffen sind, daß man sie loben könnte. Diese
Lüste werden durch innerliche oder äusserliche
Vorstellungen erhitzet und erreget. In diesem
Zustande zeugen sie Furcht, Traurigkeit, Hoffnung,
Freude und die übrigen Leidenschafften. |
|
|
Wird ein Kind einer verdorbenen und unreinen
Mutter nicht ebenfals eine unreine und befleckte
Frucht seyn ? Ist es möglich, daß man das gut oder
gleichgültig nennen könne, was durch einen
unseeligen Trieb hervorgebracht und erweckt wird?
Kan man sagen, die Freude, die Judas empfindet,
da er seine Geldbegierde vergnügt sieht, sey nicht
verwerfflich, obgleich die Lust, aus der sie
entstehet, zu seiner bösen Natur gehöre? |
|
|
Es ist nicht nöthig, dieses weilläuftiger
auszuführen. Wer billig ist. wird es ohne Beweis
einräumen, daß die Würckungen einer Sache von
eben der Art seyn müssen, wie die Sache selbst.
Kan man auch Trauben lesen von Dornen, oder
Feigen von den Disteln, |
Matth VII, 26. |
|
Die Natur der Affecten, oder ihre Art den Geist
zu bewegen, macht uns ihre Heßlichkeir noch
deutli cher. Man kan sich hierbey getrost auf die
Erfahrung aller Menschenberuffen. Keiner, der sie
empfunden, und wer hat sie nicht empfunden?
Keiner wird sagen, daß ihr Anlauf richtig, ordentlich
u. unsrer Beschaffenheit gemäß sey. Und keiner,
der einen rechten Begriff von dem, was gut, gerecht
und GOtt gefällig ist, wird einen solchen
unordentlichen Anlauf für was erträgliches und dem
Menschen anständiges ausgeben |
|
|
In dem ersten Menschen, auch wenn er nicht
gefallen wäre, hätten sich Aspecten äussern und
regen müssen. Allein sie würden die Ordnung des
Schöpffers nicht verkehret, noch den Menschen
seiner Stille, seiner Freyheit, seiner wahren
Gelassenheit und Ruhe beraubt haben. Es wären
sanfte, richtige, stille Regungen gewesen , welche
die guten und nützlichen Begierden der Seele in
ihrer rechten Krafft erhalten, und der Seele dabey
das Vermögen gelassen hätten, sich ihrer
verliehenen Gaben verständig zu bedienen. Sie
wären einem wärmenden und stärckenden Feuer
ähnlich gewesen, wodurch das Leben des Geistes
mehr ermuntert, als gedämpffet worden, und hätten
uns zur Ausübung heiliger und GOtt gefälliger
Wercke geschickt und tüchtig gemacht. |
|
|
Unsre jetzigen Affecten sind von einer gantz
andern Beschaffenheit. Wie geschicht uns, wenn
eine solche Bewegung unversehens unser Hertz
einnimmt, und in seiner Ruhe stöhret? Scheinet es
nicht, als wenn ein gewaltsamer Strom aus feinen
Ufern breche, und alles überschwemme? Scheinet
es nicht, sonder |
|
{Sp. 894} |
|
lich in denen, die von lebhafften Geiste sind, als
wenn ein hefftiges Feuer sich anzünde, und mit
einem dicken und unangenehmen Dampffe den
gantzen Raum unsrer Seelen anfülle? der Verstand,
das Licht, das den gantzen Menschen führen soll ,
wird dunckel, und gleichsam mit einem gifftigen
Nebel umgeben. Man sieht selber nicht, und weiß
nicht, was man wehlen soll. Und die, so noch
sehen, und uns durch ihre Vernunfft führen wollen
können den Eingang zu unsern Hertzen nicht
finden. |
|
|
Wie zerrüttet muß der Geist eines Menschen
seyn, der einer fremden Vernunfft bedarff, und sich
doch derjenigen, die ihm zum Gebrauch angeboten
wird, nicht bedienen kan? Der Wille kennet in
diesen Umständen weder Maaß noch Ziel Er hat
seinen Führer verlohren, und sieht sich genöthigt,
der Gewalt der blinden und rasenden Begierde zu
folgen, die bald auf diese bald auf jene Seite fällt.
Der Leib geräth in Unordnung, und muß offt durch
Schmach und Unlust die Fehler der verunruhigten
Seele büssen Haben nicht viele, denen ein
gesetzter und gesunder Leib ein hohes Alter zu
versprechen schiene, das Grab gar frühe gefunden,
weil sie einem einreissenden Affecte nicht
widerstehen können? |
|
|
Der, so am gelindesten von diesen Regungen
angegriffen wird fühlet doch so viel, daß er sich
versichern kan, diese hefftigen und ungestümen
Bewegungen können nicht von einem gerechten
und liebreichen Wesen kommen, das die Wohlfahrt
seiner Geschöpffe liebet Solte der GOtt, der unsern
Geist mit Witz und Verstand begabet, demselben
ein gefährliches Feuer zur Seiten gesetzt haben,
wodurch dieses unschätzbare Gut unbrauchbar
gemacht und verdorben werden könnte? Solte der
HErr, der uns unsre Erhaltung anbefohlen, ein
verborgnes Gift in uns geleget haben, welches die
Kräffte des Leibes unvermerckl abnützen, und
unsern Untergang nach und nach zu wegen bringen
könnte? Solte das gewaltige Brausen, das uns
untüchtig macht, an uns selbst zu dencken, und die
Kräffte der Seelen die in einer beständigen
Vereinigung arbeiten sollen, so von einander
trennet, daß die eine stille stehet, wenn die andre in
Bewegung ist, solte dieses eine Anstalt des
Höchsten seyn, der Ordnung, Erkänntniß, Verstand
und Stille verlanget. |
|
|
Es ist wahr: Ein Affect legt vor sich ein Zeugniß
von der Macht und Güte des Schöpffers ab. Aber
die Gewalt und Hefftigkeit desselben; die Art, womit
er die Seele rühret und einnimmt; die Unordnung,
die er auch nach seinem Abzuge zurücke läßt, ist
ein Beweiß von seinem Verderben und dem
unheiligen Zustande des Menschen. |
|
|
Man kan sich noch auf eine andere Art von
dem Verderben der Affecten überführen, wenn man
auf das Maaß ihrer Kräffte und Würckungen in
den Menschen Acht giebt. Eine Sache, die von
einem weisen Künstler darzu bestimmt ist, daß sie
andre Dinge stützen, und in Ordnung erhalten soll,
wird, so lange sie unbeschädigt bleibet, stets so viel
Krafft hergeben, als der Zustand der Sache
erfordert, der sie dienen soll. |
|
|
Die Triebfedern, Räder und Gewichte , die den
Gang einer Uhr erhalten sollen, stimmen in ihren
Würckungen allezeit mit der Absicht überein, zu der
|
|
{Sp. 895|S. 461} |
|
das Werck verordnet ist, woferne sie nicht
aufgehalten oder verletzt werden. Und geht die Uhr
unrichtig und wider die Absicht des Verfertigers, so
zweifelt niemand, daß die Stücke und Theile in
derselben, welche eine Regelmäßige Bewegung
unterhalten solten, verdorben und verfälscht sind.
|
|
|
Es ist ausgemacht, daß der Herr, der uns mit
ei ner erstaunenden Weisheit zusammen gefüget,
die Affecten zu dem Ende in uns geleget habe,
damit unsre Begierden dadurch im Gange erhalten,
und wir dadurch desto geschickter würden, an
unsrer Wohlfarth und Glückseligkeit zu arbeiten.
Das Uhrwerck, wenn man so reden darf, das
Gewichte, das Maaß der Affecten müßte also stets,
wenn der Mensch in seinen rechten Zustande wäre,
nach den Begierden und dem Werthe oder
Unwerthe derselben sich richten. |
|
|
Auf eine Begierde, die auf eine grosse und
vortreffliche Sache gerichtet ist, müßte ein Affect
folgen, der hefftig, starck und der Natur der Sache,
die man wünschet, gemäß ist. Der Verlust einer
Sache, die zu unsrer Wohlfarth unentbehrlich,
müßte eine besondere und ungemeine Traurigkeit
begleiten, um den Menschen zu erwecken, alle
Kräffte wider solche übel anzuwenden. |
|
|
Die Wahrscheinlichkeit etwas zu gewinnen, das
uns in der That vollkommner und glückseeliger
machen könnte, müßte nach der Ordnung GOttes
eine starcke und lebendige Hoffnung erwecken, um
uns zum Eyfer zu ermuntern, dieses Gut an uns zu
bringen. Begierden hingegen, die mit gemeinen
schlechten und wenig nützenden Dingen
beschäfftiget, solten mäßige, geringe und halb
lebendige Bewegungen nach sich ziehen. |
|
|
Die Traurigkeit und Furcht eines Menschen, der
eine Sache von schlechter Wichtigkeit eingebüsset
hat, oder verliehren soll, müßte so geschwinde
entstehen, als vergehen, und dem Gemülhe eine
gar kleine Beschwerlichkeit erwecken. Die Freude,
das Vergnügen, die Hoffnung derer, die etwas
suchen, woran so gar viel nicht gelegen, solte
gelinde und von einer kurtzen Dauer seyn. Mit
einem Worte: Unsere Affecten solten steigen und
fallen, sich erheben und niederlassen , wie es der
Werth der Dinge, worauf unsre Neigungen fallen,
erforderte, und stets nach der Grösse und Würde
der Güter, die wir verlangen, eingerichtet und
gemäßiget seyn. |
|
|
Ist das Maaß der Affecten in uns so
beschaffen? Oder verhält es sich umgekehrt? Man
wird bald, wenn man will, aus seinen eignen
Empfindungen lernen, daß diese Bewegungen in
uns bald starck, wo sie schwach seyn solten, bald
schwach, wo sie Stärcke haben solten, und da. wo
sie sich am allermeisten zeigen solten, gar nicht
einmahl aufgebracht und erreget werden können.
Das Gleichgewichte, das zwischen den Affecten
und Begierden seyn solte, ist verlohren, und die
Affecten selber können deswegen in dem
natürlichen Menschen nicht anders; als für verderbt
und sündlich gehalten werden. |
|
|
Unsre Affecten sind da schwach. wo sie
starck seyn solten. Wissenschafft , Tugend ,
Vernunfft, Klugheit sind ausser Streit die edelsten
Dinge, die ein Mensch besitzen kan Man kan mit
einer mittelmäßigen Beredsamkeit den Zustand
eines |
|
{Sp. 896} |
|
Menschen, der mit diesen Gaben versehen, so
abmahlen, daß die Lasterhafftesten ihn loben
müssen. Man kan gar durch eine kluge und richtige
Vorstellung in denen, die am weitesten davon
entfernet sind, elne Begierde darnach zuwege
bringen. Würde diese Begierde durch eine starcke
Liebe und hefftigen Haß begleitet, so würde sie ein
Feuer werden, das Arbeit, Fleiß, Bemühung
würckte, diese Güter an sich zu bringen. |
|
|
Allein der Affect will das Leben der Begierde
nicht unterhalten. Die Regungen, die man Haß und
Liebe nennet, bleiben zurücke. Ist es möglich, etwas
von demselben in gewissen Gemüthern zu erregen,
so ist die Bewegung doch viel zu unmächtig, als
daß sie der Begierde einen rechten Nachdruck
geben könnte. Sie ist wie ein falscher Blitz, der nicht
zündet. |
|
|
Daher kömmt es, daß die gute Regung gleich
wieder vorüber geht, und die Spuren der
aufgebrachten Neigung durch die ersten Dinge, die
uns begegnen, wieder ausgetreten werden. Ist
dieses nicht ein Zeichen unsers Elendes, und ein
Beweiß, daß unsre Seele ihre rechte Ordnung
verlohren, und die Affecten nicht so mit derselben
gepaaret sind, als es billig seyn solte? |
|
|
Unsre Affecten sind da starck, wo sie schwach
und geringe seyn solten. Was ist Stand, Ehre,
Hoheit Reichthum vor sich betrachtet? Sind es nicht
Dinge, die sich wie nichts gegen unsre wahre
Glückseeligkeit verhalten? Sind es nicht Güter , die
uns meistenheils durch ihre Gegenwart mehr
beunruhigen als vergnügen? Haben die, so am
meisten mit denselben begabt gewesen, nicht
zuletzt gestanden, daß sie einen Schatten der
Glückseeligkeit ergriffen , und ein gläntzendes
Elend für ein wahres Gut angesehen? |
|
|
Unsere Affecten müßten demnach, wenn sie in
ihrer rechten Ordnung stünden, denen Begierden,
welche auf diese Dinge fallen, mit wenigen Kräfften
zu Hülffe kommen Und geschiehet nicht das
Gegentheil? Kaum hat sich die Begierde nach der
Hoheit in dem Hertzen eines Menschen gereget, so
schickt der Affect der Liebe sein gantzes Vermögen
zu ihrer Stärckung ab. Kaum hat sich der Schein
des Reichthums unsrer Seelen gezeiget, so ist
Liebe, Hoffnung, Freude, Verlangen mit einer
solchen Stärcke da, daß die Begierde nicht sterben
oder nachlassen kan. |
|
|
Was sind einige Jahre mehr oder weniger in
einem Leben, das aus Mühe, Arbeit und Unlust
größtentheils zusammen gesetzet ist? Wir wissen,
daß auch die Weisesten sich des Wunsches zu
leben, nicht gantz entschlagen können. Allein solte
diese Begierde sich lange bey ihnen aufhallen?
Solte die Versicherung, daß man noch eine kleine
Anzahl von Tagen in der Gemeinschafft eines
geplagten Leibes würde zubringen können, die
Stärcke haben, das Hertz in eine ausserordentliche
Wallung zu bringen und eine ungemessene Freude
zu erwecken? Und was ist doch gewöhnlicher?
|
|
|
Unsre Affecten sind da ganz und gar stille,
wo sie am allermeisten arbeiten solten.
Unschuld, Heiligkeit, und die Seeligkeit in jener Welt
sind die allergrößten Schätze, die uns verheissen
worden. Von Natur ist kein rechtes Verlangen nach
denselben in uns. Wären wir zu einem |
|
{Sp. 897|S. 462} |
|
solchen wahren Verlangen durch die
angebohrnen Kräffte fähig, so wären wir nicht ferne
vom Reiche GOttes. Doch das ist gewiß, daß in uns
allen eine Art einer natürlichen Sehnsucht nach
diesen Dingen wohne, die durch Kunst etwas
ermuntert werden kan. |
|
|
Wer von denen , die Christen seyn wollen,
wünschet nicht, so bald er gläubet , daß ein GOTT
und eine künfftige Seeligkeit sey, jenem zu gefallen,
und diese zu erhalte ? Und wie offt wird dieser stille
Wunsch in den Stunden, die man zur Andacht
aussetzet, oder durch das Anhören einer
erbaulichen und weisen Rede angefrischet und
aufgewecket , ohne daß deswegen eine wahre
Heiligung und Bekehrung oder ein ernstlicher Eifer
nach dem Reiche GOttes entstehet? |
|
|
Jener Schrifftgelehrter lässet sich durch ein
solches natürliches Verlangen der Seeligkeit dahin
lencken,daß er bey unserm Heylande nach den
Mitteln fraget, das ewige Leben zu erwerben. |
Luc. X, 25. |
|
Was wären wir. wenn zu dieser Begierde sich
gleich eine Liebe GOttes ein Haß der Sünde, eine
Furcht, dem HErrn zu misfallen, gesellete?
allerdings würde diese todte und unmächtige
Regung durch diese Affecten, Krafft gewinnen, und
der Gnade GOttes, die uns angeboten wird, alle
Zugänge des Hertzens öffnen. Allerdings würden
sie die wiederspenstige Seele, die zu ihrem
Unglücke mit den Zügen der Krafft des HErrn, die
uns wieder gebähren will, streitet, zur Ruhe bringen,
und in den Stand setzen, die Gnade nicht vergeblich
zu empfahen. |
|
|
Unser Unglück ist, daß sich nichts von einem
solchen Affecte bey uns rühren will , dieses
Verlangen zu bekräfftigen, so groß die Sachen sind,
die wir uns zum Zwecke unserer Wünsche
vorstellen. Der Wille , der in einem gewissen
Verstände gut heissen kan, erkältet daher sogleich
wieder. Die Gnade, die allein das rechte Wollen und
Vollbringen würcken muß, kehret fruchtloß zurücke.
Der Sünder bleibt im Tode, und würde, wenn er sich
ermuntern könnte, bedauren, daß ihn seine Affecten
in der Stunde stets völlig verliessen, in der sie ihm
die meiste Hülffe erweisen solten. |
|
|
Hierzu kömmt noch eines. Die unbändigen und
unordentlichen Affecten verstellen die ohne dem
heßliche Seele noch mehr, und machen den
verdorbnen Menschen immer verderbter. |
Eph. IV, 22. |
|
Sie sind es, die den Verstand benebeln, und
die Krafft der er noch geniesset, ersticken. Sie sind
es, die den bösen Willen in seinen sträfflichen
Neigungen verhärten, und ein heimliches Gifft der
Seelen einflössen, wodurch die Begierden
unterhalten, und bey der ersten Gelegenheit
erwecket werden. Wer sich von ihnen treiben, und
ohne Wiederstand lencken lässet, der wird endlich
ungeschickt, die Wahrheit einzusehen, und
entfernet sich völlig von der Hoffnung, aus seinem
elenden Zustande heraus zu kommen. Der Geist
GOttes ermahnet die Christen deswegen ernstlich,
ihrer Gewalt durch die Gnade mit Nachdruck zu
wiederstehen, und sich von ihrem Zwange, so viel
es möglich ist. frey zu machen. |
- Röm.Vl, 12. VIII, 13.
Gal. V, 24.
|
|
Wir haben noch eines zu erwegen, das
Verderben der Affecten in dem Menschen, wie er
jetzt ist, vollkommen kennen zu lernen. Sie
vergrössern durch ihre Gewalt und Hefftigkeit die
Unart, in |
|
{Sp. 898} |
|
der wir gebohren werden. Sie machen aus
Leuten, die der Welt noch etwas nützen könnten,
unverständige Knechte von sich selber, die dahin
lauffen, wohin sie von dem blinden Befehl der Lust
gewiesen worden, und sich mit Fleiß in dem
Abgrund vertieffen, woraus sie sich retten solten.
Sie sind das , was eine hefftige Bewegung in einem
siechen und abgezehrten Cörper ist, die insgemein
die Kranckheit vermehret, und den Rest der Kräffte
völlig wegnimmt. Muß man das nicht für recht böse
und sündlich halten, was die Herrschafft der Sünden
erweitert, und den Menschen immer untüchtiger
macht, dem Ruffe der Gnaden, die ihn retten will, ja
die Stimme der Vernunfft, der noch etwas sehen
kan, Gehör zu geben? |
|
|
Wir wollen jetzt den Schaden vorüber gehen ,
den diese Bewegungen in dem Leibe des
Menschen, und in dem gantzen Leben desselben
stifften. Er ist jederman aus der Erfahrung
genugsam bekannt. Den allgemeinen Beweiß davon
, daß der Mensch durch die Hefftigkeit der Lüste
und Affecten stets verschlimmert werde, kan man
ans der Schrifft nehmen. Paulus redet die Epheser
mit diesen Worten an: So leget nun von euch ab ,
nach dem vorigen Wandel, den alten Menschen, der
durch Lüste in Irrthum sich verderbet. |
Eph. IV, 22. |
|
Man siehet gleich , daß in dieser Stelle diese
Lehre enthalten sey: Der alte Mensch verderbet
sich, oder wird verdorben durch die verführerischen
Lüste, durch die Lüste, die verführen. Diese
Übersetzung wird niemand befremden, der
geschickt ist, von der Schreibart des H. Pauli zu
urtheilen, und seine Worte in der Sprache zu lesen,
in der sie geschrieben sind. Alle vernünfftige
Ausleger sind einig, daß die Worte, welche Lutherus
gegeben hat: Lüste in Irrthum; eigentlich dem
Verstande nach übersetzt werden müssen: Lüste
der Verführung, Lüste des Irrthums, oder besser,
nach unsrer Sprache zu reden , betrügliche,
verführerische Lüste. |
|
|
Ein jedweder verstehet die Krafft dieses
Nahmens, der den Lüsten hier beygeleget wird. Wer
weiß nicht, daß die Lüste der Natur uns in Irrthum,
in Elend, ins Verderben zu stürtzen, oder zu
verführen pflegen ? Paulus redet von den Lüsten
oder von den Begierden ; Und hier wird von den
Affecten gehandelt, die von den erstern
unterschieden sind. Gehöret dieser Ort denn
hierher? |
|
|
Diesen Zweifel zu heben, muß man mercken,
daß der heilige Paulus zwar zuweilen die Lüste und
Affecten durch ihre eignen Nahmen unterscheide,
aber auch offt die Wörter, womit die Griechen die
Lüste und die Affecten zu benennen pflegen, mit
einander verwechsele. Paulus hat hierinnen die
besten unter den Griechen zu Vorgängern. |
|
|
Man muß weiter mercken, daß Paulus an den
meisten Orten, wo er der Lüste blos erwehnet ,
gewaltige und hefftige Lüste meyne, die, so offt sie
nur erreget werden, sich durch Affecten
offenbahren. Dieses verstehet sich ohne Beweiß.
Wer kan es glauben, daß Paulus so starck gegen
solche Lüste eifern solte, die nie recht zur Krafft
kommen können, und in ihrer Geburt wiederum
ersticken ? |
|
|
Auf diese beyde Anmerckungen gründet sich
die Regel: Wo der Geist GOttes der Lüste und
Begierden erwehnet, da müssen |
|
{Sp. 899|S. 463} |
|
meistens allezeit die Affecten mit verstanden
werden , und wo allein der Affecten gedacht wird,
da müssen die Lüsten , aus welchen die Affecten
entstehen , nicht ausgeschlossen werden. Der Ort,
der jetzt erkläret wird, ist so beschaffen, daß man
aus der Sache selber abnehmen kan, daß diese
Regel hier statt habe. Es wird von Lüsten oder
Begierden geredet, die den alten Menschen, der in
sich böse ist, noch mehr verderben. Wird man
solches von solchen Begierden verstehen können,
die keine Affecten nach sich ziehen, und schwerlich
so weit gebracht werden, daß sie in Hitze gerathen
? |
|
|
Das übrige, so zur Erklärung dieser Stelle
nöthig ist, betrifft das Wort Verderben. Die Ausleger
können sich nicht recht vergleichen, in welchem
Verstande sie dasselbe hier nehmen sollen. Allein
die meisten glauben mit guten Grunde, daß das
Griechische Work phtheirein hier seine
gewöhnlichste Bedeutung behalte, und nichts mehr
heisse, als etwas verschlimmern , und in einen
schlechten Zustand setzen. |
|
|
Paulus vergleicht die unreine und sündliche
Begierde, die von Natur in uns wohnet, mit einem
Menschen, der durch das Alter und andere Dinge
kranck, elend, und der Verfaulung nahe ist. Und die
bösen und unordentlichen Lüste und Affecten
betrachtet er, wie die Dinge, welche diesen
angesteckten und verdorbenen Menschen gantz
und gar verwüsten. |
|
|
Man weiß, daß solche Leiber, die aus unreinen
und zur Verwesung geneigten Theile bestehen,
wenn sie in eine innwendige Bewegung gebracht
werden, immer mehr angezündet, stinckend
gemacht, und zum völligen Verderben zubereitet
werden. Ein solcher Leib ist gleichsam das Hertze
des Menschen. Die Gewalt der Lüste und Affecten
erhitzet das krancke Wesen desselben mehr und
mehr, und machet dadurch, daß sein elender
Zustand vergrössert wird , und die ohnedem
krancke und unreine Natur auch den Schein des
Lebens verliehret. |
|
|
Die Wahrheil dieser Lehre wird aus dem
erhellen, was von dem Schaden, den die Affecten
den Kräfften der Seelen insonderheit zufügen,
gemeldet werden soll. Die Krafft des Verstandes,
die den Willen regieren soll, wird durch diese
Bewegung allezeit mehr geschwächet und
verfinstert. Alle Menschen werden es inne, daß ein
Affect, der nur mittelmäßig starck ist, dem
Verstande alle Macht benehme, seine Begriffe in
Ordnung zu bringen, dieselben deutlich zu
betrachten, und gründlich darüber zu urtheilen.
|
|
|
Es ist nicht anders, als wenn eine Finsternis in
uns entstünde, so bald eine rechte erweckte Lust
unser Hertz in eine gewaltige Bewegung bringt. Der
weiseste und beredteste, der einen Menschen, so
von Furcht und Traurigkeit oder Hoffnung recht
getrieben wird, zur Vernunfft und Überlegung führen
will, verliehrt alle Frucht seiner Arbeit und
Bemühung. Man hat keine Vernunfft, wenn man
einem Affecte Raum über sich gelassen: Und die
Vernunfft anderer Menschen , die uns sonst dienen
kan, wenn unsere eigene ihre Hülffe versaget, kan
den Ort nicht finden, wodurch sie in ihre Seele
dringen will. |
|
|
Was nützet es, daß Paulus mit der grösten
Gelassenheit und Ordnung zu einer erbitterten und
aufgebrachten Gemeine |
|
{Sp. 900} |
|
redet, und seine Unschuld mit den kläresten
Grün- den darthut ? Der Zorn machet es, daß sie
taub und blind ist, und mit einem unbändigen
Geschrey, mit Staubwerffen und andern Zeichen
der Raserey antwortet. |
Apostelg. XXll, 22. 23.
|
|
Die Sinnen selber verrichten. in diesem
Zustande ihr Amt nicht mehr, und überliefer ihre
gantze Kraffrt in die Herrschafft des wütenden
Affects. Man siehet und höret nichts anders , als
was dieser haben will. Der gestern ein Buch, das
die Vernunfft selber aufgesetzt, mit Bedacht gelesen
, und mit einer Art der Entzückung gepriesen, siehet
heute, da die Traurigkeit sich seiner Seelen
bemeistert, nichts als Unordnung und Schwachheit
darinnen. Die Wörter und Buchstaben selber
werden seinen Augen, so zu reden, unkenntlich. Er
übersiehet die Verbindung der Gedancken und
Sätze, und meynet eine Schrifft zu lesen, welche ein
blinder Zufall auf das Papier geworffen, oder ein
irrender Verstand mehr verlohren, als hervor
gebracht hat. Wir sammeln, wenn diese Hitze sich
etwas geleget, einige Kräffte zu dencken und zu
urtheilen wieder: aber es währet lange, ehe alles
wieder in seine Ord nung kömmt. Und was gehen
indessen nicht vor Fehler für. |
|
|
Was noch mehr? Es bleibet fast stets, wenn der
Affect hefftig gewesen, ein gifftiger Nebel zurücke,
der den Verstande von einer gewissen Seite den
freyen Gebrauch seiner Krafft benimmt, wo er ihn
nicht gar untüchtig darzu machet. Ein jeder hefftiger
Affect nimmt etwas von der Schärffe unsers
Verstandes hinweg, indem er die Einbildung von
einer gewissen Seite verderbt, und widerspenstig
machet. Je mehr Affecten auf einander folgen, je
tieffer wurtzeln diese Mängel ein; je vielfältiger die
Ursachen sind, wodurch sie erwecket und gerühret
werden, je enger wird die Krafft unsers Verstandes
zusammen gezogen. |
|
|
Eben so viel Unheil verursachen diese
Bewegungen in der andern Krafft der Seelen,
welche der Wille heisset. Die Vollkommenheit des
Willens bestehet darinnen, daß die Begierden
desselben der Vernunfft gehorchen und nicht eher
ausbrechen , bis sie von derselben gut geheissen
worden. Wie viel ist von dieser Vollkommenheit
übrig, nachdem wir die erste Unschuld
eingebüsset? Was die Krafft hat, die Neigungen und
Begierden des Willens in Ordnung zu bringen, und
der Vernunfft mehr und mehr zu unterwerffen, das
befördert die Vollkommenheit desselben. Was
hergegen darzu Gelegenheit giebt, daß diese
Neigungen leichter und geschwinder aufwachen,
daß sie mehr Stärcke gewinnen, daß sie freyer und
ungehinderter herrschen , und gegen die Vernunfft
toben, das verderbt den Willen, und vergrössert
seine natürliche Knechtschafft. |
|
|
Die Erfahrung hat längstens alle, die sich und
andere Menschen zu kennen gesucht, überzeuget,
daß die Affecten das unseelige Vermögen haben,
dieses letztere auszurichten, und die Gewalt und
unbändige Herrschafft der streitenden und
unruhigen Begierden zu vermehren. Es braucht mit
der Zeit fast gar keiner Vorstellung mehr, die
Begierde in Bewegung zu bringen. Sie findet sich
gleichsam selbsten. |
|
{Sp. 901|S. 464} |
|
Ein Winck, ein Wort,ein nichtswürdiger Einfall,
eine geringe Gleichheit gewisser Dinge,- die in der
That ungleich sind, eine Falte des Gesichts, ja
nichts zuweilen macht sie lebendig. Man sieht nichts
mehr in solchen Umständen. Man muß den Feind
wüten und toben lassen, der insgemein einen neuen
Affect zu Hülffe nimmt, sich in seiner Herrschafft zu
befestigen und nicht eher ruhet, bis er in einer
sündlichen That seine unbändige Hitze abgekühlet.
|
|
|
Zuletzt bleibt der Mensch kein Mensch mehr. Er
muß sich lencken lassen, wohin ihn die Begierde
führen will, und kan nicht eher ruhen, bis dieselbe
den Leib und die Geister so weit ermüdet und
verzehret hat, daß sie ihr keinen Unterhalt weiter
geben können. |
|
|
Die Neigungen und Begierden, die ihren Sitz
in dem Willen haben,sind eben so wenig rein und
richtig, als der Wille selber, zu dem sie gehören. Die
besten und reinesten Begierden, die der HErr in die
Seele des Menschen gepflantzet, sein wahres
Glück zu befördern, sind verlohren. Wer von denen
Menschen weiß mehr von einer wahren Liebe zu
GOtt? Wer weiß mehr von einem reinen Verlangen
ihm zu gefallen, und sich täglich vollkommner zu
machen ? Wer weiß mehr von einer Begierde,
andern, die ihm der Natur nach ähnlich sind, zu
dienen, und zu einer rechtschaffenen
Glückseeligkeit und Zufriedenheit behülfflich zu
seyn? Wer weiß endlich von einer rechten
Sehnsucht, den allgemeinen Wohlstand der Welt
und der Menschen recht zu bauen, und zu
befestigen ? |
|
|
Es halten sich noch in der Seele des Menschen
Begierden auf, die vor sich und in ihrer Natur nicht
sträflich oder sündlich sind. Es sind Begierden bey
uns unsern Leib zu erhalten und zu erquicken,
unsern Geist zu vergnügen, unser Geschlecht
fortzupflantzen. |
|
|
Es ist bey den meisten Menschen ein
Verlangen, sich Liebe und Ansehen bey andern zu
erwerben, und von Mangel und Elend befreyt zu
leben. Es sind Neigungen zu gewissen Gewerben,
Verrichtungen, Lebens-Arten, Sitten in dem
Menschen. Diese Neigungen,welche an und vor
sich selbst unschuldig sind, hat der Fall gantz
verunreiniget,u. in Unordnung gebracht. Sie sind in
dem verderbten Menschen theils mit bösen und in
sich sündlichen Neigungen vereiniget, theils übel
unter einander gepaaret und verbunden. |
|
|
Dieß ist der Ursprung von dem Streite der
Begierden, wodurch wir öffters so empfindlich
beunruhiget werden. Wären sie von dieser üblen
Beschaffenheit befreyet, so wären sie deswegen
nicht unsträflich. Sie fallen einmahl auf solche
Dinge, die zu dem Zwecke nicht dienen, worzu sie
gegeben sind. Sie schweiffen vors andre weit über
das Ziel, und halten weder Maasse noch Ordnung.
Sie haben alle, Drittens, eine Absicht, die mit den
Absichten GOttes nicht übereinstimmet, und
machen den Menschen, in dem sie wohnen, zu
einem Götzen, dem sie alleine zu dienen schuldig
wären. |
1 Joh. II, 10. |
|
Diesen allen ungeachtet, könnten wir uns doch
noch einer gewissen Art der Glückseeligkeit rühmen
, wenn diese unruhigen Begierden, die wir nicht
bändigen können, in unsrer Seele blieben, und ihre
Macht bloß anwendeten, die Ruhe unsers Gemüths
zu stöhren. Sie gehen weiter. Sie sind mit der
Herrschafft über unsern Geist nicht vergnügt. Sie
wollen |
|
{Sp. 902} |
|
völlig befriediget seyn, und ruhen nicht eher, bis
wir ihrem Triebe Genüge geleistet, und die böse
That begangen haben, wodurch sie können
gesättiget werden. |
Jac. l, 15. |
|
Hierdurch wird unser geistliches Elend
vollkommen. Wir behalten, wenn die Begierde
vergnügt, und die Sünde vollzogen ist, ein
beängstetes Hertz und verwundetes Gewissen: Wir
häuffen uns Quaal und Unruhe auf die Stunden, in
denen wir wieder zu uns selber kommen: Wir
werden an dem Verderben und Unglück andrer
Menschen schuldig, und stürtzen diese in eine
zeitliche Unlust, andre gar in die ewigen Straffen,
die die göttliche Gerechtigkeit den Sündern bereitet
hat. Wie groß ist also die Macht auch dieses
geistlichen Feindes? |
|
|
Die Bücher des neuen Bundes warnen uns an
sehr vielen Orten für demselben, und ermuntern uns
zum Streite wider unser Fleisch. Paulus sagt:
Welche aber Christo angehören, die creutzigen
(oder haben gecreutziget, wie das Griechische
lautet) ihr Fleisch sammt den Lüsten und Begierden.
Dieser Ort ist der deutlichste von denen, in welchen
von den Stücken, die zu dem Verderben des
Willens gehören, gehandelt wird. |
|
|
Paulus unterscheidet drey Dinge: Das Fleisch,
die Lüste dieses Fleisches und die Begierden von
einander. Das heisset recht genau und eigentlich
den Zustand des verdorbenen Menschens
vorstellen. |
|
|
Fleisch ist die allgemeine und natürliche
Neigung zu den Sünden und bösen Begierden, die
in allen Menschen sich aufhält. Diese Neigung kan
leicht durch eine Vorstellung der Sinnen oder der
Einbildung erwecket und rege gemacht werden.
|
|
|
Alsdenn entstehen die Begierden, epithymiai.
Die Begierden erzeugen die Affecten. Diese hat
Lutherus in seiner Übersetzung Lüste genennet.
Das Griechische Wort, welches er so giebt, ist
dasjenige, so einen Affect eigentlich bedeutet. |
|
|
Diese drey Dinge werden von denen
gecreutziget, die Christi sind, oder zu seinem
Hause gehören, wie man füglich übersetzen kan.
Dieses Wort schliesset ein Bild in sich, das von den
Übelthätern hergenommen ist, die an einem
Creutze ihr Leben beschliessen müssen. Und wenn
man die Sache die Paulus vorstellet, durch ein
Gleichniß erklären solte, so würde man mit allem
Nachsinnen kein geschickteres erfinden können.
|
|
|
Man kan nicht sagen, daß der heilige Mann den
Tod des Creutzes nach allen seinen Umständen vor
Augen gehabt, da er dieses Wort hingesetzet, und
uns also ein Recht gegeben, alles das, was bey
einer Creutzigung ehedem vorgegangen, mit der
Bemühung der Gerechten, ihre Lüste zu dämpffen,
zu vergleichen. Eben so wenig kan man es wissen,
ob seine Meynung gewesen, die bösen Begierden
in einem so weitlaufftigen Verstande denen
Missethätern, die man an einem erhöheten Pfahle
sterben liesse, entgegen zu stellen, daß wir alle
Eigenschafften eines solchen Unglückseligen auf
die unartigen Lüste unsers Hertzens ziehen kön
nen. |
|
|
Man hat in Erklärung dieser Bilder nur auf die
Haupteigenschafften derselben Achtung zu geben.
Der Hauptbegriff des Creutzigens ist dieser: Einen
Menschen fest an ein Holtz nageln oder binden,
damit er langsam und allgemählig an demselben
sterben möge. Und es ist genung, auf diesen allein
an diesem Orte zu sehen, und die übrigen Um-
|
|
{Sp. 903|S. 465} |
|
stände, die bey dieser Todes-Art vorkommen,
zurücke zu setzen. |
|
|
Paulus will also dieses sagen: Wie der Leib
JEsu an ein Creutz genagelt worden, und an
demselben endlich gestorben ist: Also sind die,
welche ihm angehören, verbunden, die bösen Lüste
und Affecten, so zu reden, feste zu binden, oder
alles, was sie in Bewegung und Arbeit bringen kan,
wegzunehmen, damit sie endlich völlig ersterben,
und in ihnen alle Kraffr und Stärcke verliehren
mögen. |
|
|
Sieht nicht iederman, daß das Bild einer
Creutzigung sich vortrefflich zu der Sache
schicke,die hier eingeschärffet werden soll ? Es
stellet die Bemühung der Heiligen gegen ihre Unart
recht lebhafft und nachdrücklich vor. Wir binden
zuerst unsre Lüste. Wir nehmen ihnen durch den
Geist, der uns gegeben ist, ihre alte Gewalt und
Stärcke. Indeß leben sie noch, wiewohl schwächer,
denn vorhin. Sie arbeiten sich los zu wickeln und zu
ihrer vorigen Gestalt zu gelangen. Die Gnade
fesselt sie immer mehr. Und sie verliehren dadurch
immer etwas mehr von ihrem Leben, bis sie endlich,
wie ein Gecreutzigter, nach vielen vergeblichen
Bemühungen, langsam dahin sterben. |
- Carpzovs Syst. Theol.
Dogm. T. II.
- Mosheims Sittenn-Lehre …
- Buddei
Theol. mor.
|