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Text |
Quellenangaben |
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Wohlfahrt, Wohlergehen, Wohlseyn, heisset der ungehinderte Fortgang in
Beförderung seines Bestens. |
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Die Erlangung des Wohlseyns eines
Menschen beruhet
auf die
Erkenntnis
und Ergreiffung der
Mittel seines Wohlseyns.
Denn obwohl
GOtt den Menschen
ihren letzten
Zweck, als den
Grund ihres
wahrhafften Wohlseyns, dem
Wesen nach durch
die
Natur gesetzet;
so hat er doch die
würckliche
Erlangung desselben, in Ansehung der
Wahl der Mittel
der menschlichen
Freyheit
anheim gegeben, so, daß es bey dem Menschen stehet, den ihnen bestimmten Zweck, und
die zu dessen willkührlicher Erlangung in die
Grentzen ihrer
Freyheit gesetzten Mittel zu erkennen und zu ergreiffen, oder nicht; mithin ihr
Wohlseyn zu erlangen, oder dessen
verlustig zu seyn: Da
hingegen GOtt andere
Vernunfft-
und leblose Geschöpfe, in Ansehung der natürlichen Zwecke, zu denen er sie bestimmet,
in keinen solchen
Stand der
Freyheit gesetzet; indem sie nicht ihrer selbst, sondern anderer
Dinge wegen, sind,
und also als Dinge, die sich nur zu Mitteln sollen gebrauchen lassen, keiner Freyheit
benöthiget sind. |
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Der Erfolg nun der Zwecke aus ihren Mitteln ist, ohngeachtet der menschlichen
Freyheit, nach der würcklich hergestellten
Ordnung der
Natur, und also nach dem
Willen
Gottes,
nothwendig: Dieweil
alle Mittel nichts anders, als natürliche
Grund-
Ursachen, und alle Zwecke nichts anders, als vorher bestimmte
Würckungen
solcher Grund-Ursachen oder Mittel sind; und es nach der Natur
unmöglich ist, daß
wenn man zulängliche Grund-Ursachen eines
Effects setzt, der
Effect nicht
solte |
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{Sp. 86} |
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erfolgen
müssen. |
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Derowegen muß aus denen von Gott in der Natur geordneten Mitteln des Wohlseyns
der Menschen, wenn diese nur durch rechten
Gebrauch ihre Freyheit
sie, erkennen und ergreifen
wollen, das
Wohlseyn der Menschen
nothwendig erfolgen.
Und hingegen, weil wenn die
Ursache hinwegfället, auch zugleich ihre Würckung hinweg fallen muß;
so muß, wenn die Menschen durch den Mißbrauch ihrer Freyheit, die von Gott bestimmten
Mittel ihres Wohlseyns nicht erkennen und ergreifen, sondern ihnen entgegen
handeln, eben so
nothwendig der
Verlust ihres
Wohlseyns, oder ihre
Unglückseligkeit erfolgen. |
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Auf solche Art finden die Menschen, wenn sie den Zweck ihrer
wahren
Glückseligkeit
erlangen wollen, eine ihnen auferlegte
Nothwendigkeit, in dem Gebrauch ihrer natürlichen Freyheit nach der
von GOtt in der Natur geordneten Subordination der Mittel sich zu richten. Da aber
der Mensch eine doppelte Natur hat nemlich eine physicalische und
moralische,
deren die erste in dem natürlich belebten
Leibe zu finden, die
andere aber in dem freywillig würckenden
Gemüthe
anzutreffen ist: So ist er auch, daferne er sein Wohlseyn nicht selbst verhindern
will,
verbunden,
nach beyden Naturen dem göttlichen Willen gemäß zu
leben. |
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Es lebet aber der Mensch nach der
Ordnung Gottes
in Ansehung der physicalischen Natur, wenn er nach den physicalischen Gesetzen der
Gesundheit des Leibes lebet; die
Kräffte derer
ausser ihm befindlichen Dinge erkennet, und sie durch
Kunst zu seinem
Gebrauche tüchtig
machet: Da hingegen, wenn er den natürlichen Kunst-Bau seines Leibes zerstöhret, er
nach der von GOtt in der Natur bestimmten Ordnung der Folge der Dinge aus einander,
durch eine physicalische Nothwendigkeit, und also durch einen strengen Willen Gottes,
siech und elend wird; gleichwie auch, wenn er die Kräfte anderer natürlicher Dinge
nicht, oder
übel erkennet und anwendet,
sie durch eine eben so unvermeidliche physicalische Nothwendigkeit, und also durch
einen eben so strengen Willen GOttes, ihm unnütz oder schädlich, und folglich an
seiner Wohlfahrt verhinderlich werden müssen. |
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Gleichergestalt lebet der Mensch nach der Ordnung Gottes in Ansehung der
moralischen Natur, wenn er die mutuelle Subordination, die Gott zum Zweck des
allgemeinen menschlichen Wohlergehens zwischen dem Wohlergehen eines Menschen, und
dem Wohlergehen des andern, ferner zwischen dem Wohlergehen dieses andern und dem
Wohlergehen wiederum eines andern, und also zwischen dem Wohlergehen des
gantzen menschlichen
Geschlechts,
geordnet,
vernünfftig
erkennet,
und sich nach derselben achtet: dahingegen er solche warhafftig göttliche
Subordination, von Seiten seiner gegen andere Menschen, durch den Mißbrauch seiner
Freyheit nicht
trennen, und, an statt
daß er ein Menschen-Freund seyn solte, ein Menschen-Feind werden kan; daß nicht
solche Subordination auch von Seiten anderer Menschen gegen ihn, durch eine
moralische Nothwendigkeit, und also durch einen nicht weniger strengen Willen Gottes
ebenfalls aufhören, und er also die |
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{Sp. 97|S. 62} |
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gegenseitige Feindschafft anderer Menschen, durch
bürgerliche
Straffen
und in andere Wege mit seinem
empfindlichen
Schaden nicht solle
erfahren
müssen.¶ |
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Weil die Folge der Würckungen aus ihren Grund-Ursachen, und also auch der Zwecke
aus ihren Mitteln, nothwendig ist: so muß ein
tugendhafftes Leben,
das nach den Gesetzen der Natur, das ist, nach der Vorschrifft der Mittel, denen GOtt
das Wohlergehen der Menschen, als einen Effect seinen Grund-Ursachen subordiniret
hat, geführet wird,
ordentlicher
Weise durch eine natürliche Nothwendigkeit ein wahrhafftes Wohlseyn der Menschen
würcken; und ein
lasterhafftes Leben, das
wider die Gesetze der Natur geführet wird, muß ordentlicher Weise durch eine eben so
natürliche Nothwendigkeit die Unglückseligkeit der Menschen nach sich ziehen. |
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Nun ist die Natur und deren unverrückter ordentlicher Lauf, krafft dessen die
Effecte beständig aus ihren Grund-Ursachen erfolgen müssen, ein Werck GOttes der sie
durch seinen Willen oder freye Thätigkeit also geordnet. Dahero muß nothwendig alles
menschliche Wohlergehen, das ordentlicher Weise durch natürliche Folge aus einem
tugendhafften Leben fliesset, ein von GOtt in der Ordnung der Natur bestimmter
angenehmer Effect, d. i. eine wahrhaffte göttlicher Belohnung der
Tugend seyn: und alles
Elend, das ordentlicher Weise durch natürliche Folge, aus einem lasterhafften Leben
entspringet, muß gleichfalls ein von GOtt in der Ordnung der Natur bestimmter
unangenehmer und trauriger Effect, das ist, eine wahrhaffte göttliche Bestraffung der
Laster seyn. |
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Dannenhero sind aus dem in der Ordnung der Natur hervorleuchtenden besondern
Willen GOttes in Ansehung der Menschen, den wir das göttliche natürliche Gesetz
nennen, zwo besondere göttliche
Eigenschafften, oder Relationen GOttes gegen die Menschen zu
schliessen: nehmlich theils die Güte oder
Liebe, theils der Ernst
oder
Zorn GOttes gegen die
Menschen; die wir jedoch beyde, weil in GOtt keine
Affecten seyn
können, nach den
Regeln einer
gesunden Anthropopathie uns
vorzustellen
beflissen seyn, und also nichts anders darunter
verstehen müssen, als
Thätigkeiten, durch welche sich GOtt in der Natur gegen die Menschen äussert, die wir
nur aus dem Grunde ihrer Ähnlichkeit, die sie, was den Effect betrifft, mit
dergleichen menschlichen Thätigkeiten haben, uns unter dem Bilde dieser menschlichen
Affecten vorstellen. |
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Nehmlich die Güte oder Liebe GOttes gegen die Menschen ist eine Thätigkeit
GOttes, durch welche er die Menschen nicht allein in Ansehung ihrer Natur zum Zwecke
einer wahren Glückseligkeit erschaffen, sondern auch die Ordnung der Natur, d. i. die
Reyhen der natürlichen Grund-Ursachen, in ihren Folgen auf das wahre menschliche
Wohlergehen abgerichtet, und zu dem Ende einen bescheidenen
Theil derselben in die
Grentzen ihrer
Freyheit dergestalt gesetzet, daß sie sie erkennen, und durch freywillige Richtung
derselben den Zweck ihres
wahren
Wohlergehens erreichen können und sollen, der Ernst hingegen, oder der Zorn GOttes,
ist eine Thätigkeit GOttes, durch welche er die Reyhen der natürlichen Grund-
Ursachen, in ihren Folgen auf den
Zustand der
Menschen in |
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{Sp. 98} |
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Ansehung ihres Wohlergehens also abgerichtet, daß, wenn die Menschen die ihrer
freyen Richtung überlassenen Grund-Ursachen nicht, oder übel erkennen und gebrauchen,
daher durch eine natürliche Folge das Elend der Menschen entstehen müsse. |
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Die
Nothwendigkeit dieser Folge zeiget von Seiten der
Liebe GOttes die Festigkeit
und Beständigkeit derselben, von Seiten des Zorns GOttes die Strengheit desselben an;
dargegen aber auch daher, daß es nicht durch einen jeden begangenen Fehler sofort mit
uns gar aus ist, die göttliche Langmuth deutlich erhellet. |
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Beyde zusammen, nehmlich sowohl die Güte GOttes in Belohnung des Guten, als der
Ernst GOttes in Bestraffung des Bösen, heissen mit einem Worte die göttliche
Gerechtigkeit. |
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Daß aber ordentlicher Weise aus der Tugend, oder dem
Gehorsam, den man dem göttlichen Gesetze leistet, Wohlergehen, aus
den Lastern aber oder dem
Ungehorsam Elend erfolgen müsse, ist leicht zu erweisen, wenn man
erweget, daß alles
wahre Wohlergehen der Menschen ein
Effect ist, dessen
Existens oder
würckliche Erlangung, wie die Existens aller anderer Effecte der Natur von der
Subordination derer von GOtt hierzu geordneten Grund-Ursachen
dependire. |
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Diese Subordination oder Ordnung GOttes, so weit sie dem Menschen zur Richtschnur
des Gebrauches seiner Freyheit vorgeschrieben ist, ist das göttlich natürliche
Gesetz. Also muß aus Beobachtung des göttlichen Gesetzes so nothwendig wahres
Wohlseyn, und aus Übertretung desselben so nothwendig wahres Elend erfolgen, als
nothwendig es, Krafft der Ordnung der Natur, in beyden Fällen ist, daß, wenn die
würckende Ursache da ist,
nothwendig auch die
Würckung
erfolgen
müsse. |
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Das, was den fürnehmsten
Zweifel wider diese
Nothwendigkeit des Erfolgs des menschlichen Wohlergehens aus der Tugend und des
Übelergehens aus den Lastern, erregen kan, ist, daß man doch gleichwohl befinde, daß
offt aus den Lastern, durch eben so nothwendige Folge, als aus der Tugend etwas
Gutes erfolgen könne. Denn
wer wolle ein Laster begehen, wenn er nicht etwas Gutes dadurch zu erhalten suchte,
und, wo er anders in der
Wahl der Mittel
nicht fehlet, auch würcklich erhielte? |
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Aber hierauf dienet zur Antwort, daß ein eintzelnes Gut noch nicht das
gantze Wohlergehen des
Menschen ausmache, sondern man auf den gantzen Zusammenhang der Begebenheiten seines
Lebens, bis an das Ende, zu sehen habe. Denn kein Mensch von gesundem
Verstande wird
z. E. die diebische
Erlangung einer Summe
Geldes, die
aber zuletzt die
Strafe
des Stranges nach sich ziehet, oder die betrügerische Erlangung eines oder des andern
Gewinnstes, auf welche der
Verlust alles guten
Credits, und unzehlige andere
Übel erfolgen, vor ein
wahres und gründliches Wohlergehen halten. |
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Wolle man
sagen, daß
man nur die kleinen und albern Diebe, die sich fangen lassen, hencke, und nur die
kleinen und albernen Betrüger, wegen der Folgerungen ihrer Schelmstücke besorgt zu
seyn Ursach haben; nicht aber die grossen oder
mächtigen und
schlauen: so ist zu erwegen, daß kein Mensch weder so schlau, noch so mächtig sey,
daß er den gantzen Zusammenhang seines Schicksals, und alle Folgerungen seiner Tha-
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{Sp. 99|S. 63} |
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ten bis ans Ende solte übersehen, oder denselben gewachsen seyn können. |
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Über dieses ist zum wenigsten das
gewiß bevorstehende
schlechterdings letzte Ende allen Lasterhafften schlechterdings zu
fürchten, und allen
Tugendhafften freudigst zu erwarten; und kommt mit der Schrecklichkeit des ersten die
kurtze und doch allzeit gar kümmerliche
Lust dieses
Lebens, mit der
Annehmlichkeit aber des andern die kurtze und meistens noch gar erträgliche
Unlust dieses Lebens, als
eine Kleinigkeit, in gar keine Vergleichung. |
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Wolte man die kettenweise an einanderhangende Reyhe derer allesamt nothwendigen
Folgen, durch welche das Wohl und Wehe der Menschen determiniret wird, in gesundem
Verstande ein Fatum oder Schicksal
nennen, also nehmlich,
daß
GOTT in solches
Fatum nicht selbst mit verwickelt, sondern als ein freyhester
Regierer desselben
ihm vorgesetzet, der Mensch aber demselben zwar unterworffen werde, aber nicht in
seinen freyen
Handlungen, sondern
nur in Ansehung derer Folgen derselben als deren
Nothwendigkeit auf solche Art nur
hypothetisch wäre,
und zwar nicht nur in Absicht auf eine andere
Welt,
sondern auch in dieser: so würde man darwider nicht viel einzuwenden haben; zumahl da
bey diesem Fato, die sonst von den Vertheidigern eines Fati ihm beygelegte
Eigenschafft
der Unvermeidlichkeit gehöriger Massen eingeschräncket würde; massen solchergestalt
das Wohl oder Wehe der Menschen zwar durch eine unvermeidliche fatale Nothwendigkeit
erfolget, jedoch nur mit Bedingung, nachdem der Mensch die nothwendige und
unvermeidliche Folge des einen oder des andern durch sein freyes Verfahren
verursachet, so, daß es von dem menschlichen Verfahren dependiret, ob das eine oder
das andere durch solche fatale Nothwendigkeit erfolgen solle; da denn die fatale
Nothwendigkeit in diesem
Verstande eine gar feine
Idee wäre, sich
vorzustellen, wie gewiß und
unveränderlich
die göttliche Güte gegen die Fronmmen, und wie unvermeidlich die göttliche Rache
denen Bösen sey. |
Fast gleiche Gedancken hat hiervon der berühmte Englische Theologus, Wilhelm
Scherlock, in seinem Traité sur la Providence, chap. 3.¶ |
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Da die Güte GOttes in Belohnung des Guten, und, der
Zorn GOttes in
Bestraffung des
Bösen,
gewiß, und die Folgen des
Wohlergehens aus der
Tugend, und des
Übelergehens aus den Lastern,
nothwendig und
unvermeidlich sind, die menschliche
Seele aber, als
ein unverweßliches und unsterbliches
Wesen, auch nach
dem
Tode des Menschen übrig
bleibt, und ihren in diesem Leben angefangenen
moralischen
Zustand behält; durch den Tod aber die Subordination der menschlichen Seele, und
ihres Wohlergehens, mit der vergänglichen
cörperlichen Natur
völlig aufhöret, und
dagegen allein die Subordination, die Seele unstreitig sodann
unmittelbar
mit GOtt hat, übrig bleibet: so folget, daß, gleichwie die in diesem Leben nur
mittelbar angefangene Subordination der Seelen mit GOtt, nach dem Tode unmittelbar,
und also weit
vollkommener
continuiren wird; also auch die göttliche Belohnung der Tugend und Bestraffung der
Laster die in diesem zeitlichen Leben ordentlicher Weise nur vermittelst der Sub-
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{Sp. 100} |
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ordination der natürlichen Grund-Ursachen in der erschaffenen Welt geschiehet,
auch nach dem Tode durch die sodann unmittelbare Subordination der Seelen mit dem
theils gütigen, theils zornigen GOtte selbst, beständig und unveränderlich fortgehen,
folglich der Baum so, wie er mit dem Ende dieses Lebens fällt, nach dem Leben auch
liegen bleiben werde. |
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Und zwar muß solche unmittelbare Subordination derer durch den Tod über alle
Stuffen der Subordination der cörperlichen Reyhen der Dinge erhabenen Seelen mit dem
gütigen oder zornigen GOtte, (in welcher unmittelbaren Subordination sonder
Zweifel Himmel und
Hölle, der Stand der Seligkeit und Unseligkeit oder Verdammniß bestehet.) nothwendig
in Absicht auf uns, auf unsere Erkenntniß, und selige oder unselige
Empfindung, die
allervollkommenste seyn, deren wir nach dem
Lichte der
Vernunft
fähig seyn können. |
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Denn in der mittelbaren Subordination der Menschen mit GOtt, d.i. in diesem
Leben stellen uns
die unzehligen in einander verwickelten Reyhen derer natürlichen Begebenheiten
gleichsam einen Irrgarten vor, aus welchem unser
Verstand, als welcher die so ungeheuren, auf so unzehlige
Arten in
einander verwickelten Reyhen der
Dinge nicht vom
Anfange bis zum Ende
übersehen kan, sich nicht zu finden
weiß, in welchem
also, da uns das Ende der Dinge verborgen ist, es offt denen Frommen sehr
übel, denen Bösen sehr wohl
zu ergehen scheinet; daß man fast
glauben solte, die
Subordination der Frommen mit einer gütigen, und der Bösen mit einer zornigen
Gottheit, der
Tugenden mit ihren
Belohnungen, der
Laster mit ihren
Bestraffungen, sey gäntzlich unterbrochen, oder wohl nie eine gewesen, und die
Folgerungen der menschlichen
Thaten
nicht einem durch den weisen und gerechten GOtt regierten Schicksal, sondern weiß
nicht was vor einem blinden Hazard oder
Glücks-Falle
unterworffen. |
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Dieses ist dasjenige, was denen Frommen in dieser Welt den Weg zu dem gütigen
GOtte, d.i. die so lange Subordination so unzehliger in einander verwickelter
Begebenheiten, als die sie nie gäntzlich übersehen können, offt so kümmerlich und
Sorgen-voll; die Bösen aber auf dem Wege zu dem zornigen GOtte, wegen gleichmäßiger
Ursachen so sicher und sorgenlos machet. |
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Weil nun hingegen in der auch nach diesem Leben verbleibenden Subordination der
Seelen mit GOtt, keine so in einander verwickelte Reyhen natürlicher Dinge und
Begebenheiten mehr darzwischen seyn werden, die denen Bösen in ihrer Subordination
mit dem zornigen GOtte durch ein betrügliches Vergnügen, denen Frommen in ihrer
Subordination mit dem gütigen GOtte durch einen betrüglichen Kummer selten teuschen
können: so muß unstreitig die sodann unmittelbare Subordination der Seelen mit dem
theils gütigen theils zornigen GOtte die allervollkommenste seyn; immassen die daraus
erwachsende Seligkeit oder Unseligkeit der Seelen, nehmlich die
Erkenntniß
und
würckliche
Empfindung der
unendlichen
Liebe und des unendlichen
Zornes GOttes, die in
diesem Leben nur mittelbar war, sodann gantz unmittelbar, folglich die Seligkeit der
Frommen ohne alle darzwischen kommende betrügliche
Unlust, die Unseligkeit
aber der Lasterhaff- |
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{Sp. 101|S. 64} |
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ten, ohne alle darzwischen kommende betrügliche
Lust seyn wird: denn die
falsche Lust und Unlust
kan nur in der mittelbaren Subordination der Seele mit GOtt, in dem dazwischen
liegenden Zeitlichen sich einflechten, und also nur in diesem zeitlichen Leben unserm
Verstande auf der einen Seite die Güte, auf der andern den Zorn GOttes auf eine
Zeitlang verdunckeln. |
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Der
Unterschied, den
wir in diesem Stücke zwischen dem Lichte der
Natur, und dem
Lichte der
Gnade und göttlichen
Offenbahrung befinden, ist sonder
Zweiffel dieser, daß
wir nach dem Lichte der Natur nur die bevorstehende
Existentz der
unmittelbaren Vereinigung unserer Seelen mit GOtt auf die angeführte Art zu erkennen
und zu erweisen vermögen; die göttliche Offenbahrung aber über dieses die
übernatürliche Art und Weise solcher Vereinigung zeiget, daß wir nemlich hierzu einen
Mittler, Christum, bedürffen. Dahero, wie in andern, also auch in diesem Stücke, die
geoffenbarte
Theologie die
natürliche nicht aufhebt, sondern vielmehr voraus setzet, herrlich vermehret, und
ihre
Mängel ersetzet.¶ |
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Nunmehro werden die Einwürffe sich
völlig ablehnen lassen,
die man von uralten
Zeiten her wider
die göttliche
Gerechtigkeit und
wider den in seinem
Grunde
unumstößlichen
Satz, daß aus der Tugend
Wohlergehen, aus den Lastern Elend, durch eine von GOtt geordnete natürliche
Nothwendigkeit erfolgen müsse, sich gemacht hat: daß nemlich der erwehnte Satz, man
möge ihn im abstracto auch so schön erweisen als man wolle, dennoch wider die
Erfahrung
streite, als welche
lehre, daß es denen Tugendhafften offt gar übel, denen Lasterhafften offt gar wohl
ergehe. |
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Und ist bekannt, was vor Irrungen in der Lehre von der Weißheit und Gerechtigkeit
der göttlichen Fürsehung, ja von der Existentz eines weisen und gerechten GOttes
selbst aus dieser übel erwogenen Erfahrung von
Alters her
erwachsen: so daß auch David im 73 Psalm, da er diesen Einwurff so gründlich
abhandelt, als man irgendwo finden wird, V. 2 bekennet, sein Fuß habe in Beurtheilung
desselben schier gestrauchelt, und sein Tritt bey nahe geglitten. |
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Man mag seine
Gedancken auf
das
Subject dieses
Einwurffs, nemlich auf die Tugendhafften und Lasterhafften, oder auf das Prädicat,
daß es jenen so übel, diesem so wohl ergehe, richten: so wird man die Unrichtigkeit
desselben, und daß die vorgegebene Erfahrung nicht rein, sondern mit voreiligen
Urtheilen untermischet, ja aus dergleichen gäntzlich zusammen
gesetzet sey, erkennen. |
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Denn was erstlich die
Idee der
Tugendhafften und Lasterhafften betrifft, so ist
gewiß, daß die wenigsten
Menschen einen richtigen
Begriff von beyden
haben: Indem die
Erfahrung,
und alle so wohl geistliche als
weltliche
Geschichte bekräfftigen daß immer die tugendhafftesten und redlichsten Leute vor böse
Leute, und dargegen lasterhaffte Heuchler vor heilige Leute mit gemeinen Beyfall
gehalten worden, und sich auch wohl selbst darvor gehalten: dahero es etwas gantz
gewöhnliches
ist, daß auch die bösesten Menschen, wenn sie itzt die unangenehmen Folgerungen ihrer
La- |
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{Sp. 102} |
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ster, als göttlche natürliche
Straffen
derselben, empfinden müssen, sich damit zu trösten
wissen, und
von andern ihres gleichen reichlich damit getröstet werden, daß eine fromme
Seele viele
Widerwärtigkeit in der
Welt
ausstehen müsse, zu dem, wo ist wohl unter würcklich tugendliebenden Menschen einer,
der sich mit
Wahrheit
rühmen könne, daß seine
Tugend eben gar
vollkommen, und nicht
mit Lastern, ingleichen mit dem Mangel gehöriger
Klugheit und
Fürsichtigkeit hin und wieder beschmitzet sey? und wie gewöhnlich ist es nicht, daß
tugendliebende Menschen die ihnen noch anklebenden
Thorheiten mit zu ihrer
Tugend rechnen, oder doch nicht genugsam von derselben
unterscheiden; und
sodann wenn sie die wahrhafften nothwendigen Würckungen, ihrer Thorheit leiden, sie
nicht davor erkennen, sondern sie lieber vor eine verhaste Zulage, die, weiß nicht
durch was vor ein hartes Verhängniß immer bey der Tugend anzutreffen sey, halten
wollen; Gleichwie man auch gleiche Verwirrung zwischen der Gottlosigkeit und der mit
derselben sehr offt verbundenen Klugheit, (welche eine würckliche vor den Gottlosen
nur gemißbrauchte Ordnung GOttes ist, die einige als einen Rath GOttes dem Gesetze
GOttes entgegen setzen,) zu machen pfleget; da dann, wenn denen Lasterhafften ihre
bösen, aber klüglich ausgeführten Absichten gelingen, man mit den bösen Absichten die
darbey gebrauchte Klugheit, oder wohl gar den richtigen Zusammenhang der Mittel mit
dem Succeß, den sie natürlicher Weise haben, verwirret, und sodann durch die
Erfahrung angemerckt zu haben vermeynet, daß es denen Lasterhafften wohlgehe; gleich
als ob nemlich guter Succeß, oder die Erlangung eines Zweckes, als eine Würckung,
nicht von dem Vermögen der Mittel, als seiner Grund-Ursachen, denen ihn GOtt in der
Natur zum freyen Gebrauch aller Menschen ohne Unterschied subordiniret, sondern von
seiner (des Zweckes) blosser Güte unmittelbar dependiren, oder die Güte eines
Zweckes, weiß nicht was vor eine erdichtete Wunderkrafft haben müste, auch die
ungeschicktesten Mittel dennoch practicable zu machen. |
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Ein schönes
Exempel eines bösen
Menschen, dem es auf die Art, wie es gottlosen Leuten natürlicher Weise wohl gehen
kan, gar wohl gienge, stellet dort Christus im Evangelio an dem ungerechten
Haußhalter vor, und
lehret dabey vollkommen wohl, wie man die
Boßheit und Untreue
dieses Menschen, mit seiner gescheuten Fürsichtigkeit nicht verwirren, noch die
richtig zutreffende Würckungen dieser letzten jener ersten zuschreiben müsse. Denn
der Herr lobete den ungerechten Haußhalter, nicht wegen seiner Ungerechtigkeit,
sondern daß er klüglich gethan hatte; und empfiehlet den
Kindern des Lichts
bey ihrer Frömmigkeit, wenn sie auch in dieser Welt
bequemlich
leben
wollen, mehrere
Klugheit als sie insgemein zu üben gewöhnet sind. |
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Sehen wir zum andern auf das vermeynte üble Ergehen der Tugendhafften, und
Wohlergehen der Lasterhafften, so ist zwar an dem, daß da in dieser Welt die Bösen
und Guten theils einerley
Kräfften der
Natur
unterworffen sind, theils auch einer- |
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{Sp. 103|S. 65} |
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ley natürliche Kräffte ihrem freyen Gebrauche unterworffen finden, (oder, wie die
Schrifft
redet, da
GOtt, weil er
allen Menschen will geholffen wissen, seine Sonne scheinen lässet über die
Bösen und über die
Guten:) die Guten oder
Tugendhafften ungeachtet ihrer
Tugend auch an den
Mängeln der Natur, die
ihre Endlichkeit mit sich bringet, und die Bösen und Lasterhafften auch an den
Vortheilen der Natur,
gleichen
Theil haben; und daß es
also in dieser Welt freylich nicht
möglich sey, daß denen
Guten allein lauter gutes, und denen Bösen allein lauter böses solte begegnen
können. |
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Ja es ist auch gar natürlich, und also nicht zu verwundern, daß die Guten in
ihrem willkührlichen
Thun mehr
Noth, als die Bösen; und
hingegen die Bösen mehr Vortheile haben, als die Guten: indem da die Natur beyden
einerley Kräffte der
Mittel darleyhet, die
Bösen aber in dem
Gebrauch derselben sich
an keine
Gesetze der
Tugend binden, welches
hingegen die Guten nach
Vermögen thun; das Verfahren der Guten oder Tugendhafften weit
gebundener und eingeschränckter ist, als das Verfahren der Lasterhafften, und also
freylich dieses in so weit viel besser von statten gehen muß, als jenes. |
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Allein aus diesen allen folget noch nicht, daß es denen Tugendhafften wahrhafftig
übel, und denen Lasterhafften wahrhafftig wohlergehe. Denn das Wohl- oder Übelergehen
eines Menschen muß nicht aus einer und der andern eintzelnen Begebenheit, sondern aus
dem gantzen Zusammenhange seines Schicksals, und insonderheit aus dem Ende
beurtheilet
werden. |
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Nun sind wir nicht vermögend den gantzen Zusammenhang unsers, und anderer
Menschen Schicksals bis an das Ende zu übersehen. Dahero ist es
falsch, daß es eine so
gar ungezweiffelte
Erfahrung
sey, daß es tugendhafften Leuten übel, und lasterhafften wohl ergehe. Also wer
zum Exempel die
gantze Lebensgeschichte
Josephs 1 Buch Mose XXXVII bis XLVII betrachtet, der wird bekennen müssen, daß dieser
fromme
Mann den höhesten
Gipffel zeitlicher
Glückseligkeit
in seinem gewiß sehr merkwürdigen
Leben
erstiegen. |
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Nichts destoweniger wird er, nebst seinen frommen
Vater, sonder
Zweiffel sein vermeintes
Unglück jämmerlich
beseuffzet haben, als er von seinen neidischen Brüdern als ein Sclave
verkaufft auch in der
Sclaverey selbst seine Tugend äusserst verfolget, und er in ein hartes Gefängniß
geworffen wurde: dieweil er freylich nicht vorher
wissen
konnte, daß diese Sclaverey, die
anfangs zwar den Weg zur
allerempfindlichsten Verfolgung seiner Tugend, und von dar noch weiter der Weg in das
härteste Gefängniß war, endlich im fernern Fortgange seiner an einander hangenden
Begebenheiten der Weg zur höhesten
Würde und
Macht eines
Premier-Ministers, und zur Rettung seines gantzen
Hauses von dem
gäntzlichen Untergange, den ihm die grausame Hungersnoth androhete, werden würde;
welchen wunderbaren Weg er nicht eher, als bis er ihn zurück geleget hatte,
erkennete. |
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Wolte man sagen, daß dieser
Mangel gnugsamer
Vorhersehung auch diesem Ausspruche, daß aus der Tugend Wohlergehen, aus den Lastern
Elend erfolge, entgegen |
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{Sp. 104} |
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stehe: So kan man darauf füglich mit nein antworten. Denn dieser Ausspruch
bleibet wohl gewiß in Ansehung des Endes, vermöge der angeführten
Gründe. Daraus aber
daß weder die Tugendhafften, noch die Lasterhafften den gantzen Zusammenhang ihrer
Lebens-Begebenheiten bis ans Ende übersehen könen, folget nur so viel daß beyde,
nemlich so wohl die tugendhafften als Lasterhaften, in Unwissenheit und
Ungewißheit sind
in Ansehung der Zwischen-Begebenheiten, durch welche ihr Leben von den
gegenwärtigen
bis an das denen Guten nothwendig bevorstehende gute, und denen Lasterhafften
nothwendig bevorstehende böse Ende, in richtiger Subordination fortgehen werde. |
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In Ansehung demnach dieser eintzelnen Zwischen-Begebenheiten kan man willig
einräumen, daß die darinnen uns
täglich vorkommenden
Schwierigkeiten dem menschlichen Verstande unauflößlich sind, in Ansehung nemlich
seiner Unwissenheit: Denn alle solche Schwierigkeiten vollkommen bis ans Ende durch
alle Mittel-Begebenheiten aus einander zu wickeln, wird ein Verstand, der das gantze
Leben eines, ja aller Menschen, ja die gantze Natur, vollkommen übersehe, d. i. ein
göttlicher Verstand erfordert. |
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Dahero ist es nicht allein nicht zu verwundern , sondern wir begreifen auch gantz
deutlich, daß es so und nicht anders, seyn müsse, daß in den Mittel-Reyhen der
menschlichen Begebenheiten bis ans Ende den menschlichen Verstande unauflößliche
Zweifels-Knoten vorkommen müssen; deren Auflösung die Frommen mit
freudiger
Hoffnung, die Bösen mit
billiger
Furcht, von der höhern
göttlichen Weißheit erwarten müssen. |
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Eben also löset diesen alten Zweifel auch David im LXXIII Psalm v. 16 auf: Ich
dachte ihm nach, daß ichs begreiffen möchte: aber es ware mit zu schwehr, bis daß ich
gieng in das Heiligthum GOttes, und merckte auf ihr Ende. |
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Im übrigen mag wohl zu dem Ärgerniß, daß die Frommen an ihrem vermeinten
Übelergehen, und an dem vermeynten Wohlergehen der Bösen in der Welt nehmen, ein
grosses beytragen die gewöhnliche Ungenügsamkeit der Menschen, da niemand mit seinem
Glück
zufrieden zu
seyn pfleget, und immer aus Unwissenheit des wahren Zustandes des andern, an der
Stelle des andern zu seyn sich wünschet. |
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Ein jeder fühlet nur seine
Noth die Noth des andern
aber nicht; ja diese erfähret er selten, indem die stoltzen Menschen, die man so gar
glücklich in der Welt preiset, mit ihrem Glücke, nicht aber mit dem darmit
verbundenen Elende, Parade machen. |
Müllers
Einleitung in die Philosophischen Wissenschafften, II Th. Cap. 12 §.
17.18.19. |
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Man sehe übrigens auch den Artickel:
Glückseligkeit,
im X Bande, p. 1703. u f. |
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