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Quellenangaben |
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Gewohnheit,
Lat.
Consuetudo,
bedeutet überhaupt alle diese
Handlungen, welche durch öfftere Wiederholung uns geläufig geworden. |
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Daß dieses geschiehet, können sowohl äusserliche als innerliche
Ursachen
seyn. So ist bey manchen
Menschen eine
Neigung zu
Lastern, wodurch, wenn eine
kleine Übung dazu kommet, gar geschwinde es zur Fertigkeit gedeyet. |
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Von aussen machet eine Gewohnheit, wenn man eine Handlung öffters siehet, da
man denn bey nahe unvermerckt sich eben dergleichen angewöhnt. Nimmt man denn
die
Sache
öffters vor sich, so werden wir immer fertiger darinnen. Daher ist
gegründet,
was man im Sprichworte
saget: Consuetudo est altera natura, nur daß
solches die Gerechtsame einer Handlung noch nicht
darthut. Denn zielet die
Gewohnheit auf was
gutes, so ist sie lobens-würdig; hat sie aber
böses zum
Zweck,
so ist sie verwerfflich. |
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Haben wir uns also was böses angewöhnet, so
müssen
wir uns solches wieder abgewöhnen. Selbiges geschicht Theils in Ansehung des
Verstandes,
welcher überzeuget wird, daß unsere Gewohnheit
böse, Theils in Ansehung des
Willens, welchen wir am besten dadurch bezwingen, wenn wir ihn auf das
Gegentheil führen
wollen; doch muß solches eben auf die Art geschehen, wie es
mit der abzugewöhnenden Gewohnheit zugegangen, nemlich nach und nach, weil sonst
ein weit grösseres
Übel entstehen würde, wenn man solches auf ein Mahl
thun
wolte. So würde
z.E. ein
Mensch, der sich aus Gewohnheit oder bishero ungemein
an das Taback-Schnupfen gewöhnet, sich auf ein Mahl schaden, wenn er mit eins
davon ablassen wollte. |
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Bey denen Juristen ist die Gewohnheit oder das
Herkommen, so durch einen
langen
Gebrauch in einer Societät,
Policey oder
Gemeine,
daß es ein
Recht
sey,
vernünfftig
eingeführet und hergebracht ist, auch vor Recht gehalten, ob es gleich nicht
durch
Gesetze
geboten. |
- l. 32. §. 1.
π. de L. I. 35. eod.
-
§. 9.
Inst. de J.N. et G.
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Eines jeden Beginnen aber, daß dieser oder jener vornimmt, oder vielen eine
Zeit lang nachgelassen worden,
mag eine solche rechtliche Gewohnheit nicht
geheissen werden. |
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Es kann eine Gewohnheit eingeführet werden, nicht allein in einer
Republic,
wo das
Regiment durch das
gantze
Volck oder die
Vornehmsten im Volck geführet
wird, sondern auch in einer
Monarchie, nicht zwar, daß die Gewohnheit ihre
Gültigkeit vom Volcke habe, sondern von der
Majestät oder dem
Regenten: denn das
Volck oder die
Bürger führen nur die
Actus ein; daß es aber die
Art eines
Gesetzes überkomme, rühret her von der
Wissenschafft, welche wenigstens
vermuthet wird, und von der Ge- |
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{Sp. 1399|S. 717} |
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nehmhaltung eines Regenten. |
-
Struu. S.C. Ex XI. th. 19.
- Hunn. Encycloped. Jur. Part. I. 4.
- ab Andler in Corpor. Const. Imp. Dom. 2.
v.
Consuetudo.
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Es wird aber zu einer beständigen Gewohnheit erfordert: |
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1) |
daß sie nicht irraisonabel oder
unbillig
sey; |
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2) |
daß sie durch
unterschiedene Actus
eingeführet; |
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3) |
und es eine
geraume Zeit hero so gehalten worden. |
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So viel das erste Requisitum betrifft,
soll die Gewohnheit nicht
seyn wieder das
natürliche und
göttliche oder auch
Völcker-Recht, und wieder die Erbarkeit. Solchem nach sind ungültige
Gewohnheiten, oder viel mehr Corruptelen: |
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- wenn bey dem Schiffbruch Schiff-Waaren und
Menschen der Obrigkeit
verfallen seyn sollen, welches sie sonsten ein Grund-Ruhr-Recht nennen;
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- wenn ein Fuhrmann mit dem Wagen umwirfft, und dadurch ein
Mensch
erschlagen wird, daß er der
Obrigkeit mit
Pferd und Wagen verfallen seyn soll;
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Ord. Crim. Art. 218. |
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- daß ein Mörder von der Todes-Straffe
frey sey.
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Carpz. IV. 9. 6. |
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Dergleichen unbillige
Gewohnheiten den Verbrecher nicht einmahl von der
Straffe
frey machen, es sey denn ein kleines Verbrechen, oder durch das bürgerliche
Gesetz
verboten gewesen. |
Struu.
Disp. de Consu. ration.
et irrat.
Jen. 1667. |
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Im übrigen kan die Gewohnheit wohl seyn wieder die Ration der
bürgerlichen
Gesetze.
Auch ist nicht sofort diejenige vor unbillig zu achten, welche etwas hart zu
seyn scheinet. Demnach ist die Gewohnheit gültig: daß ein
Weib des
Mannes
Schulden bezahlen müsse. |
Carpz. I. Dec. 60. |
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Vor das andere werden unterschiedene Actus erfordert; in raren
Fällen zum wenigsten zwo, |
Carpz. II. 3. 22. in
fin. |
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in
Sachen
aber, die öffters vorkommen, müssen derer mehr vorhanden seyn, welches auf des
Richters
Gutbefinden ankömmt. |
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Es müssen aber die Actus
öffentlich, beständig, einander
conform seyn: denn die wiedrigen Actus, ob sie zwar die schon
eingeführte Gewohnheit nicht können aufheben, so verhindern sie doch, daß die
Gewohnheit nicht eingeführet werde. |
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Es sind aber hinlänglich sowohl die ausser-gerichtlichen als gerichtlichen
Actus, wie denn auch nicht schadet, daß die erstern Actus
wieder die Civilen-Gesetze
gewesen, oder daß diejenigen, welche die Actus subpeditiren, die
Meynung eine Gewohnheit einzuführen nicht gehabt. |
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Drittens wird eine
geraume Zeit erfordert. Die Zahl derer
Jahres aber ist
zwar, nach Kayserlichen Rechten, nicht benennet, sondern beruhet auf Ermessen
eines
Richters,
wie viel Jahre, nach
Gelegenheit der
Sache
und deren Richtigkeit,
nöthig, daß die Genehmhaltung
hoher Obrigkeit
daraus zu vermuthen oder abzunehmen. |
Gail. II. Obs. 31. |
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Zwar die
Sächsischen Rechte erfordern zur Einführung einer Gewohnheit 30.
Jahr, Jahr und
Tag. |
Carpz. II. 3. 21. |
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Wenn aber jemand sich auf eine Gewohnheit bezühet, so lieget demselben ob,
solche zu
beweisen. Es langt aber nicht die Adsertion eines
Rechts-Gelehrten oder eines
Richters,
ja nicht einmahl eines
Fürsten;
denn in denen Stücken, welche Facti sind, gar leicht mag geirret
werden; |
Carpz. I. Def. 3. |
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sondern es müssen, nebst der
Zeit, die Actus, wodurch die
Gewohnheit, dem Vorgeben nach, in- |
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{Sp. 1400} |
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duciret seyn solle,
bewiesen werden, und zwar nicht
taliter, qualiter, sondern vollkömmlich. |
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Coler de Process. Exsecut. p. 1. c.
3. n. 34. giebt hierzu folgende Einleitung: Man solle ein und
andere alte Actus, so weit man kommen kan, anführen;
nächst dem einige Actus neulichster Zeit, so wären
alsdenn die Actus der mittlern Zeit zu
praesumiren, auch wäre zugleich lapsus temporis,
(die Zeit) als das dritte Requisitum bewiesen.
Dieses ist nicht nöthig, daß
bewiesen werde, es sey die Gewohnheit nicht
irraisonable. |
Meu. II. d. 378. |
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Wäre aber eine Gewohnheit kundbar, so ist sie zwar noch zu adlegiren,
sie brauchet aber keines
Beweises,
jedoch muß die Notorietät zu Zeiten bewiesen werden. Ingleichen wenn sie
geschrieben oder zum
Druck befördert, zumahl mit
Obrigkeitlicher
Auctorität;
wiewohl sie dieser wegen zu denen
geschriebenen Gesetzen
nicht zu rechnen, weil
man dieses Andenckens wegen thut. Sollte auch
hohe Obrigkeit
die Gewohnheit
confirmiren, so behält sie doch die
Art der Gewohnheit, hat auch ihre Gültigkeit
nicht von der
Zeit der Confirmation, sondern vorhero; jedoch brauchet es keines
mehrern Beweises. |
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Endlich hat eine zu
Recht
beständige Gewohnheit gleichmäßige
Würckung
mit dem geschriebenen Recht; solchem nach hebet es die vorgehenden
Gesetze
auf. Aber wie, wenn das Gesetze die künfftige Gewohnheit inhibiret?
Alsdenn mag die Gewohnheit die vorigen Gesetze nicht cassiren; es sey
denn
Sache,
daß andere
Ursachen
und
Umstände der
Zeit, da die Gewohnheit inducirt wird, sich finden, welche
vorhero dem Legislatori nicht bewust oder damahls vorhanden gewesen. |
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Im übrigen bleibet man bey der Gewohnheit stricte, in denen Fällen,
worinnen sie induciret, und mag auf andere Fälle nicht einmahl, wegen
Gleichheit der
Ursache,
gezogen werden, welches jedoch fehlet in solchen
Gewohnheiten,
so in einer
eignen
Art der
Sache, Caussarum genere, als von denen Lehn-Gütern
handeln. |
- Rosenthal de Feud. I. c. 15.
- Gundlingiana VII. n. 3.
- Müllers
Natur- und Völcker-Recht 19. §. 4. p. 648.
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