Titel: |
Neigung des Gemüths |
Quelle: |
Zedler Universal-Lexicon |
Band: |
23 Sp. 1656-1659 |
Jahr: |
1740 |
Originaltext: |
Digitalisat BSB
Bd.
23 S. 845-847 |
Vorheriger Artikel: |
Neigung des einfallenden Strahles |
Folgender Artikel: |
Neigung Gottes |
Siehe auch: |
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Hinweise: |
- Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe
Hauptartikel
- Für die Auflösung der Quellenangaben siehe:
Personen
- Transkribierter griechischer Text der Vorlage
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Text |
Quellenangaben |
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Neigung des
Gemüths, Gemüths-Neigung. |
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Das
Wort Gemüths-Neigung wird bey den
Philosophen auf unterschiedene Art
genommen. Einige
verstehen darunter eine solche Beschaffenheit des
Willens, da er ein
gewisses Gut mehr verlange, als das andere, und dadurch eine
Gemüths-Bewegung, oder
Affect leichter, als ein anderer könne erreget werden. Diese wären von den
Affecten oder
Gemüths-Bewegungen darinnen unterschieden, daß bey dem Affecte eine äusserliche
Sache erfordert werde, welche den Willen in Bewegung bringen, da die Neigungen hingegen
in einem Trieb bestünden, welcher von der innerlichen Einrichtung der
Seele und des
Geblütes herrühre. Die Gemüths-Bewegungen dauerten nur eine kurtze Zeit, so lange
nemlich die Reitzung währte; die Neigungen aber wären was beständiges, so in dem Willen
blieben, |
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{Sp. 1657|S. 846} |
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wenn auch keine Reitzung vorhanden. Bey den Gemüths-Bewegungen werde das
Geblüt auf eine ausserordentliche Art beweget; bey den Neigungen aber bliebe der Umlauff
des Geblütes in seiner gewöhnlichen
Ordnung, |
siehe Kemmerichs Academie der Wissenschafften dritte Öffnung
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Andere nehmen das
Wort Gemüths-Neigung in weiterm
Sinn, und fassen darunter auch
die Gemüths-Bewegungen, oder die
Affecten, wie solche
Thomasius in der Ausübung der
Sitten-Lehre brauchet, und bey einigen bedeuten die Affecten nicht nur die
Gemüths-Bewegungen, sondern auch die Gemüths-Neigungen, welche sie die Affecten nennen, wie
sich dieses Worts Rüdiger in den instit. erudit. … und
Müller in den Anmerckungen über
Gracians Oracul bedienet haben. |
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Nehmen wir dieses alles zusammen, so treffen wir bey diesem unterschiedenen
Gebrauch vier
Ideen an, als die Idee des
Willens, des Verlangens oder der
Begierde; der
Neigung und des
Affects. Der Wille ist die Fähigkeit zu
wollen, woraus die verschiedenen
Arten des Willens als
Würckungen fliessen. Denn das Verlangen kan man entweder für die
Würckung an und vor sich selbst, oder für die natürlichen Begierden ansehen, in welcher
letztern Bedeutung solches Rüdiger … genommen, dergleichen Begierden die
Natur
eingepflantzt, und nicht erstlich von einer durch den
Verstand geschehenen Denomination
entstehen, ob sie schon nach dem
Fall durch den Verstand müssen
regieret werden. |
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Das
Wort Neigung könnte man in weiterm
Verstand nehmen, und überhaupt alle
Bewegungen des
Willens, so ferne sie durch vorhergegangene Vorstellung des
Verstandes
in uns entstehen, darunter begreiffen, welche entweder ordentlich oder ausserordentlich,
gelind oder hefftig sind. |
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Die ersten könte man Gemüths-Neigungen im engern
Verstande, die andern
Affecten,
nennen. |
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Die Gemüths-Neigungen im engern Verstande sind entweder gute, oder indifferente,
oder böse. Die guten gründen sich auf das dreyfache wahrhaffte Gut, und auf das dreyfache
wahrhaffte Böse, da hier die
Begierde der Tugend, der
Wahrheit und der Gesundheit; und
die Aversation vor das Laster, vor den Irrthum und vor die Kranckheit entstehet. |
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Die indifferenten sind bey Gelegenheit des dreyfachen Guts entstanden, dahin die
Begierde des
Geldes, der
Ehre und der Commodität; die Aversation vor die
Güter anderer,
vor den Hochmuth eines andern und vor die
Arbeit gehöret. |
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Zu den
bösen, die sich unter dem Schein der indifferenten und guten in die
menschlichen
Gemüther eingeschlichen, sind die Wollust, der Ehrgeitz und der Geldgeitz zu
rechnen. |
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Diese
böse Neigungen sind die Principal-Neigungen, mit denen alle übrige böse
Neigungen und
Affecten der
Menschen, und die daraus erfolgenden
Thaten eine gantz
augenscheinliche
Verknüpffung haben, und daraus als nothwendige
Würckungen fliessen.
Sie sind nichts anders, als gewisse
Arten der verderbten
Eigenliebe, daß wenn selbige auf
die Ehre fällt, so heißt sie der Ehrgeitz, suchet man aber sein Vergnügen in sinnreichen und
belustigenden
Dingen, so ist das die Wollust, gleichwie |
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{Sp. 1658} |
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die Eigenliebe zum Geldgeitz wird, wenn sie zu solchen
Gütern, die zu Haab und Gut
gehören, neiget. |
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Daß derselben drey und weder mehr noch weniger sind, läßt sich auch leicht
beweisen.
Denn alle
Sachen, dahin sich der
Mensch mit seiner verderbten Eigenliebe richten kan,
lassen sich in drey Classen entscheiden, daß es entweder
Dinge der Ehre, oder der Wollust,
oder des Geitzes sind, worzu noch kommt, wie kurtz vorher angemercket worden, daß alle
besondere
böse Neigungen,
Affecten und Laster die augenscheinliche Verknüpfung damit
haben, welches auch die
heilige Schrifft bestätiget. |
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Denn wenn Johannes Epistel 2. v. 16. der Fleisches-Lust, der Augen-Lust, und des
hoffärtigen Lebens gedencket, so
verstehet man billig durch die Augen-Lust den Geldgeitz,
welche Benennung nicht nur mit der
Sache selbst übereinkommt, so fern Geitzige ein
grosses Theil ihres Vergnügens darinnen suchen, daß sie ihre
Güter ansehen können;
sondern auch sonst der Schreib-Art der
heiligen Schrifft gemäß. Wenn Salomon im
Prediger-
Buch Cap. 4. v. 8. saget: Die Augen eines Geitzigen würden des Reichthums nicht satt. |
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Wir können auch viele Zeugnisse derer anführen, welche diese drey Neigungen vor die
drey Haupt-Neigungen
erkannt haben. Philo in explicatione decalogi
spricht: Alles
böse
entstehe aus
Begierde entweder nach
Reichthum, oder nach
Ehre, oder nach Wollust; und
Lactantius Lib. 6. instit. div.
schreibet: Tugend heißt den
Zorn bändigen, die Begierde
zwingen, die Geilheit bändigen: das heißt, das Laster meiden; Denn fast alles, was wider
Recht und
Billigkeit ist, entstehet aus diesen
Gemüths-Bewegungen. |
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Wie dieser Kirchen- Lehrer durch die
Begierde
den Geitz
verstehet, also gehet das, was er vom
Zorn sagt, den Ehrgeitz an, als
des Zorns vornehmste
Ursach; welches die darauf folgende Erklärung
bezeugt: Denn wenn man den wallenden Trieb dieser Gemüths-Erregung, die wir Zorn
nennen, zurück hält, so werden alle
böse Zänckereyen unter den
Menschen aufhören,
niemand wird den andern nachstellen, niemand wird sich aufmachen, den andern zu
schaden. Würde die Begehrlichkeit gemäßiget, so würde niemand zu Wasser und
Land
gefährlich herumstreichen, noch ein Heer ins Feld stellen, andern das ihre zu rauben, und
alles zu verwüsten. Löschte man ingleichen die
böse Brunst der
Geilheit, so würden alle
Menschen, sie seyn wes Alters und
Geschlechts sie wollen, fromm und
züchtig bleiben,
niemand würde was schandbares leiden oder thun. Kurtz alle Übelthaten und Boßheiten
würden aus der
Welt und menschlichen
Leben verbannt seyn, wo man sich dieser Gemüths-Bewegung durch Tugend bemeistern können. |
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So waren auch die Bemühungen der alten
Philosophen, wodurch sie sich zur Tugend
bereiten wolten, wider diese drey Haupt-Neigungen gerichtet, wie Buddeus
in analectis hist.
philos. … zeiget. |
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Es ist auch Aristoteles lib. 1. ad Nicom. cap. 4. dieser
Meynung. Denn nächst denen
theōrētikois, die sich auf Betrachtungen legen, machte er eine dreyfache Gattung der
Menschen,
und ihrer Lebens-Arten, |
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{Sp. 1659|S. 847} |
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im Genuß der Wollust seine Freude suchet, |
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- politikon, so nach Ehre strebet,
- und
chrēmatēstikon, so den Reichthum zum Zweck
setzet.
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Von welcher
Materie
überhaupt die Observat. Hall. … und
Buddeus in
institut. theol. moral. … nachzusehen. |
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Von einer jeden dieser Neigungen ist in
einem besondern
Artickel gehandelt worden, von
ihrer Vermischung aber, woraus die
Gemüths-Art
entstehet, ist der Artickel vom
Naturell des Willens
aufzusuchen; wo wir auch von dem
Grund der
Neigungen gehandelt, ob dieselbige in dem
Leibe
oder in der
Seelen zu suchen. |
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Zu Paris ist 1704 folgende
Schrifft herauskommen:
Systeme du coeur …,
welche 1708 vermehrter wieder gedruckt worden.
Man findet in dem Journal des Scavans 1708.
Septemb. davon einen Auszug. |
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