Titel: |
Naturell des Willens |
Quelle: |
Zedler Universal-Lexicon |
Band: |
23 Sp. 1251 |
Jahr: |
1740 |
Originaltext: |
Digitalisat BSB
Bd.
23 S. 643 |
Vorheriger Artikel: |
Naturell der Völcker |
Folgender Artikel: |
Naturelle Musique |
Siehe auch: |
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Hinweise: |
- Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe
Hauptartikel
- Für die Auflösung der Quellenangaben siehe:
Personen
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Text |
Quellenangaben |
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Naturell des
Willens, ist eine Beschaffenheit der
Vermischung der drey Haupt-Neigungen
unter
einander, die ein
Mensch von
Natur in seinem
Gemüthe hat, welches auch sonst die Gemüths-Art
heißt, und von
Walchen auch das Temperament
des Willens pflegt
genennet zu werden. |
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Denn nachdem die menschliche Natur durch
den Fall so sehr verderbet worden, so werden alle
Menschen mit einer unvernünfftigen
Eigen-Liebe,
und insonderheit mit einer verderblichen Neigung
zur
Wollust,
Ehre und
Geld
gebohren, dergestalt,
daß solche Neigungen nunmehro allgemein
und |
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{Sp. 1252} |
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erblich worden. Es sind aber selbige in ihrer
Lebhafftigkeit nach dem
Unterscheid der Menschen
von Natur auf
unterschiedene Art vermischt, daß
unter andern bey dem einen der
Ehrgeitz voran, der
Geldgeitz zuletzt, und zwischen beyden die Wollust
gemäßiget stehet, davon man hingegen bey einem
andern das Gegentheil findet, daß er im höchsten
Grad Geldgeitzig, mittelmäßig wollüstig ist, und
dabey was weniges von dem Ehrgeitz besitzet. |
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Die Art solcher Vermischung macht das
Naturell des Willens aus, welches sich in drey
Arten
abtheilen lässet; Die erste ist, wenn nur eine
Neigung die Oberhand hat, welches daher entweder
ein ehrgeitziges, oder wollüstiges, oder geitziges
Naturell. Die andere ist, da zwey Neigungen mit
gleicher
Gewalt vor der dritten herrschen, welche
daher wieder sechs Gattungen unter sich fasset,
wenn nemlich Wollust und Ehrgeitz, Wollust und
Geldgeitz, Ehrgeitz und Wollust, Ehrgeitz und
Geldgeitz, Geldgeitz und Wollust, Geldgeitz und
Ehrgeitz, in der Stärcke einander die Waage halten.
Die dritte ist, wenn alle drey Neigungen in gleichem
Grad der Lebhaftigkeit stehen. |
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Wie aber ein Mensch vermöge des
Naturells
seines Verstandes zu
gewissen Arten der
Gedancken
geschickt, indem die Arten der
Gedancken, die aus dem
Gedächtniß,
Ingenio und
Judicio fliessen,
wesentlich von einander
unterschieden sind; also ist er auch krafft des
Naturells seines Willens zu besondern
Begierden,
Gemüths-Bewegungen,
Affecten,
Lastern und
natürlichen
Tugenden geneigt, die auf gleiche
Weise wie die Gedancken ihren wesentlichen
Unterscheid unter sich haben. |
Man lese
Walchs
Gedancken vom Philosophischen Naturell … und desselben
Dissertation de arte aliorum animos cognoscendi
… nebst
Rüdiger in philosoph. pragmatica ... |
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Es ist eine schwere
Frage, wenn man
sagen
soll: woher der Unterscheid dieses Naturells
komme, daß nemlich einige ehrgeitzig, andere
geldgeitzig, und noch andere wollüstig sind? Wir
haben schon vorher in dem
Artickel von dem
Naturell der Seelen überhaupt unsere Gedancken
eröffnet, und zwey
Ursachen, als die Beschaffenheit
der
Eltern und des
Ortsts, wo jemand
gebohren
worden, und der darinnen sich befindenden
Lufft
angegeben. |
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Damit wir dieses etwas ausführlicher auf den
Willen appliciren, so setzen wir voraus, daß man
hierinnen keine
gründliche und hinlängliche
Erkänntniß haben könne, und indem man nur mit
einer
Wahrscheinlichkeit vorlieb nehmen
muß, so ist
zwar eine angenommene wahrscheinliche
Hypothesis nicht hinreichend, alle hier
vorkommende
Umstände zu
erklären; weil sie aber
gleichwohl wahrscheinlich, so ist sie besser als eine
unwahrscheinliche. |
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Es kommen daher zwey
Fragen für: |
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1) |
ob der
Grund der
unterschiedenen
Neigungen in der
Seele selbst, wie
sie ausser dem
Leibe vor sich betrachtet wird, oder
in der Beschaffenheit des Leibes zu suchen? davon
jenes wahrscheinlicher als dieses ist. Denn da die
Neigungen
Würckungen, oder vielmehr Habitus des
Gemüths sind, welches bey den andern Begierden
niemahls von dem Leibe, sondern vielmehr vom
Verstande
regieret wird, so siehet man keine
Ursache, warum eben die habituellen Be- |
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{Sp. 1253|S. 644} |
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gierden von der
Beschaffenheit des Leibes herkommen solten. Man
findet weder in der
Sache selbst, noch in der
Erfahrung einen Grund dazu. |
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Denn was die Sache und
deren Natur anlangt, so kan man daraus um
deßwegen keine Ursache angeben, weil uns nicht
bekannt, auf was Art und Weise Leib und Seel mit
einander vereiniget; und wenn man auch das
Systema des natürlichen Einflusses annimmt, so
kan man doch nicht begreiffen, wie der Leib seinen
Einfluß in die Seele habe, und die Seele in den Leib
würcke, folglich so lange man davon keine deutliche
Idee hat, so läst sich auch von einer Sache aus
ihrer Natur nicht
urtheilen. |
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So kan auch die Erfahrung
hierinnen den Ausschlag nicht thun. Denn man
weiß
daher weiter nichts, als daß gewisse
Veränderung
des Leibes die Gemüths-Neigungen modificiren
können,
z.E. bey
Wollüstigen kan die Wollust nach
Beschaffenheit der Speisen und des Geträncks bald
erreget, bald niedergedrucket werden, und nach
dem Unterscheid des Wetters sind wir im Gemüth
bald aufgeräumt, bald
verdrießlich und
niedergeschlagen, welches wir alles gar gern
einräumen: es folgt aber weiter nichts daraus, als
daß die Beschaffenheit des Leibes, und
insonderheit des Geblüts in demselbigen
veranlasset, daß gewisse Neigungen bald auf diese
bald auf jene Art können modificiret, bald heftiger
erwecket, bald aber schwächer gemacht
werden. |
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Wenn aber auf diese Art der Grund des
Gemüths-Naturells in der Seele selbst liegen soll, so
fragt sich |
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2) |
wie eine gewisse Gemüths-Art der Seelen eingepflantzet worden? |
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Es ist selbige natürlich, und
daher kan sie nicht von den Gedancken entstehen
und nach und nach, nach Art eines Habitus,
angenommen werden; da man aber weiß, daß
Kinder gewisse Flecken des Leibes von ihren Eltern
haben; also ist unter allen
Meynungen diese wohl
die sicherste und leichteste, wenn man
sagt, daß
die Seelen der Kinder von den Eltern fortgepflantzet
werden, und daß das Kind seine Gemüths-Art von
Eltern bekomme. |
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Es steht hier nichts
entgegen, als daß man Kinder habe, deren Naturell
von der Gemüths-Art der Eltern
gantz
unterschieden; welches wir gern zugeben, ohne daß
unserer Meynung als einer Wahrscheinlichkeit
dadurch etwas abgehe. Denn man muß auch mit in
Erwegung ziehen, in was vor einem
Zustand die
Eltern zur
Zeit des
Beyschlaffs gewesen, und ob die
Mutter währender Schwangerschaft
ausserordentliche Gemüths-Bewegungen gehabt.
Ja wenn sich auch alles in einem
ordentlichen
Zustand befunden, so ist doch die Erfahrung vor
unsere Hypothesin stärcker, als die gegenseitige,
welches zur Wahrscheinlichkeit schon
hinlänglich. |
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