|
Text |
Quellenangaben
|
|
Ehre ist eine
Meynung andrer Leute, nach der sie einem
Menschen einen
Vorzug
vor den andern beylegen. |
|
|
Diejenigen Mittel, dadurch Ehr-begierige
Gemüther einen Vorzug vor andern zu
suchen pflegen, sind
unterschieden. Der eine sucht durch Tapffer- |
|
|
{Sp. 416} |
|
|
keit, der andere durch
Gelehrsamkeit, der dritte durch besondre Heiligkeit,
der vierte durch äusserlichen Pracht, und so weiter sich bey andern schätzbar zu
machen; doch können alle diese Vorzüge in zwey
Classen
eingetheilet werden |
|
|
Einige suchen ihre Ehre, in innerlichen
Vortheilen, die sie in der
Geschicklichkeit der
Welt zu dienen durch sonderbaren
Fleiß erlanget haben. Man
nennet dergleichen insgemein
Verdienste. Andere hingegen suchen ihre Ehre in
äusserlichen Vortheilen, welche sie entweder durch ihren Beytrag, oder auch
durch das
Glück alleine, an
Stand,
Reichthum und dergleichen, erlangt haben. |
|
|
Auf Seiten andrer Leute kan die Ehre, in Ansehung, daß es eine
Meynung ist,
mit Affecten
verknüpfft seyn oder nicht, dahero sie denn in eine
passionirte und unpassionirte eingetheilet werden kan. |
|
|
Der Mensch sucht gar zu sehr die
Vollkommenheit, und
will gar keine Grade
haben; weßwegen er bey Erblickung einer grössern
Sache die mittlere, die doch
ihre Hochachtung verdienet, verachtet. |
|
|
Eben in voriger Betrachtung wird die Ehre in eine
vernünfftige und
unvernünfftige eingetheilet. Die erste
gründet sich auf die
Wahrheit, sie wird
nur denen
wahren Tugenden, als denen rechten
Vorzügen des
Menschen beygeleget,
und ein solches
Urtheil ist niemand als ein weiser
Mann zu fällen fähig. Die
letztere entspringet von dem Pöbel, dieser läßt sich durch den falschen Schein
verblenden, er verfällt auf das äusserliche, und folget demjenigen, was ihm
gegenwärtig ins Auge fällt. Es ist also ein grosser
Unterscheid, ob man von
weisen Leuten oder von dem gemeinen Hauffen verehret werde, oder der Beyfall
eines eintzigen von der erstern Art, ist besser, als das einhellige
Lob von dem
letztern. |
|
|
Weil aber die Ehre ein
Mittel ist, die
Kräffte
andrer Leute mit denen seinigen zu verbinden, und doch alle Leute nicht weise
Leute sind, sondern mit
Recht zu dem Pöbel gerechnet werden; so ist es der
Klugheit gemäß, durch den äusserlichen Schein auch den Pöbel auf seine Seite zu
ziehen. |
- Müller in Gracians Oracel
max. 28. in der Anmerck. p. 181. ...
- Heumann
im politischen Philosopho 7.
|
|
Die Ehre selbst
muß man weder mit dem
Ehren-Amte oder der
Ehren-Stelle, noch mit dem
Rang, noch
mit der Fama oder
Ruhm verwechseln. Der
Mensch besitzet
gewisse
Vortheile und
Vorzüge; hält man ihn deswegen höher als einen andern, so ist es
die Ehre. Legt man ihn, vermöge eines Vertrages, gewisse
Pflichten zu, in einem
und dem andern
Stande, mit einer gewissen Auctorität und
Macht
dem
gemeinen Besten
Dienste zu leisten, so heißt es ein Ehren-Amt. |
|
|
Aus der Ehre flüsset als eine
natürliche
Würckung der
Rang, da einer dem
andern in der
Ordnung vor und nachgehet. Wird die Ehre durch gute Nachrede
öffentlich kund gemacht, so heißt es die Fama oder der
Ruhm. |
|
|
Ausser den obigen
Eintheilungen der Ehre kan dieselbe annoch in die
äusserliche und innerliche Ehre eingetheilet werden. Die innerliche ist, wenn
sie nur in der hohen
Meynung von einer
Sache bestehet. Die äusserliche aber
erfordert, daß die Meynung durch
Worte oder
Thaten an den
Tag geleget werde. Die
äusserliche wird wieder in die natürliche und bürgerliche eingetheilet. Die
natürliche bestehet in der
Willkühr eines ieden, wie er dieselbe zu Bezeigung
seiner innerlichen Hochachtung anstellen
will. Die bürgerliche aber ist die
Ordnung, welche die bürgerlichen
Gesetze
mit denen
Ehren-Ämtern
verknüpffen. |
|
|
Die innerliche Ehre ist das Haupt-Werck, worinnen die Ehre bestehet; die
äusserliche Ehre ist nicht
nothwendig mit einer innerlichen Hochachtung
verknüpfft. Man
weiß, daß sie der Hochmuth am meisten
begehret, deswegen pflegt
man sich zu verstellen, und die äusserliche Bezeigungen
stimmen offtmahls am
wenigsten mit der innerlichen
Meynung
überein. |
|
|
Da also die äusserliche Ehre überhaupt betrüglich ist: so ist unter ihren
Arten, die bürgerliche an allerbetrüglichsten. Die
Freyheit
derer
Urtheile ist bey derselben aufgehoben, sie ist mit dem
Amte, nicht aber mit
denen Personen
verknüpfft, und ein nichts-würdiger
Mensch, welchem andrer Unverstand ein
solches zugetheilet, genüsset eben das Vorrecht, welches der aller
geschickteste
genüssen würde. |
Müller in der Ethic. ... |
|
Nachdem wir die
Natur der Ehre und ihre
Arten vorgestellt, so wollen wir
erwägen, |
|
|
1) |
ob man die Ehre suchen
müsse
? |
|
|
|
2) |
was man vor Ehre suchen müsse ? |
|
|
|
3) |
wie die Ehre zu suchen sey ? |
|
|
|
4) |
Wen man verehre müsse ? |
|
|
|
5) |
Wie man seine Ehre retten müsse ? |
|
|
|
so ist unsre
Meynung diese: Alle
wahre
Mittel unsrer
Glückseligkeit sind vor
Endzwecke anzusehen, und wir müssen uns darnach bestreben. Die
Natur
derer
Menschen ist
gesellig; keiner kan ohne den andern bestehen, die Beyhülffe
andrer ist das gröste Mittel unsern Wohlstand zu befördern, niemand aber sucht
uns zu helffen, wenn er uns nicht vor ein Mittel ansiehet, wodurch er seinen
Nutzen befördern könne.
Soll er uns vor so ein |
|
|
{Sp. 417|S. 224} |
|
|
solches Mittel halten: so muß er eine
gute Meynung von unsern
Kräfften
hegen; eine gute Meynung aber von unsern Kräfften ist die Ehre. Die Ehre
verhilfft uns also zu der Beyhülffe andrer, durch die Beyhülffe andrer werden
wir
glücklich. Ist also die Ehre ein Mittel zu unsrer Glückseligkeit, und also
zu suchen. |
|
|
Wir können es aber auch auf diese Art erweisen: Was mit einer
wahren
Lust
verknüpfft ist, das ist
natürlich. Die
Natur
ist der
Wille Gottes
, und was
GOTT
will, das
müssen wir zu unsern
Endzwecke machen. Nun findet sich bey der Ehre
eine wahre Lust, das ist, eine solche, die mit keiner folgenden Verdrüßlichkeit
verknüpfft ist: also ist die Ehre etwas natürliches, also müssen wir dieselbige
zu unsern Endzwecke machen. |
|
|
Von dem andern. Was man vor Ehre suchen müsse ? dencken wir also: die
innerliche Ehre ist das
Leben der wahren Ehre; ohne dieselbe ist die äusserliche
unbeständig. Diese innerliche Ehre müssen wir von weisen Leuten erwarten. Der
Pöbel kann uns zwar auch innerlich verehren, seine
Meynung aber ändert sich mit
seinen
Neigungen. Sie ist also unbeständig. Etwas unbeständiges aber zu
begehren, ist wider die
Regeln der
Weisheit. Die innerliche und sich auf
Vernunfft
gründende Ehre ist also diejenige, welche wir zu unsern eigentlichen
Zweck zu machen haben. |
|
|
Gleichwohl aber müssen wir die äusserliche und
unvernünfftige Ehre nicht
gantz und gar verwerffen. Es ist ein
Unterschied zu machen, unter demjenigen,
was ein Weiser suchen, und unter demjenigen, was ein Weiser bey
Gelegenheit
mitnehmen
soll. Die äusserliche ist einmahl ein Kennzeichen von der innerlichen.
Sie ist kräfftig, wenn sie sich auf die innerliche gründet. Hernachmahls so
breitet sie sich auch auf andre aus, welches die innerliche nicht thut. Der
öffentliche Ruff eines berühmten
Mannes bringt ihm eben daher so viel Verehrer,
weil er öffentlich ist. |
|
|
Es kann also die äusserliche Ehre ihren
Nutzen haben, und deßwegen sucht ein
kluger
Mensch dieselbige mitzunehmen. Weil der Pöbel uns
dienen kann, so müssen
wir es gleichfalls nicht versäumen, wenn wir uns bey ihm in Hochachtung setzen
können. Er lässet sich durch den äusserlichen Schein betrügen; deßwegen erfodert
es die Klugheit, quandoque plus videri, quam esse. Manchmahl mehr zu
scheinen als zu seyn. Dieses verträgt sich gantz gut mit der
Weisheit. Die
innerliche und
vernünfftige Ehre machen wir zum Haupt-Endzweck, die äusserliche
und unvernünfftige zum Neben-Zweck. |
|
|
Die dritte
Frage: Wie wir die Ehre suchen sollen? Beantworten wir mit diesen
Worten des Plinii Epist. I. 8. n.
14. Sequi gloria, non adpeti debet. Die Ehre muß folgen, und nicht
gesuchet werden, das ist, wir müssen
tugendhaffte
Thaten
verrichten, deren
Folgerung
gantz
gewiß die Ehre ist, nicht aber die Leute dabey zwingen
wollen,
daß sie uns verehren
sollen. |
|
|
Die Ehre besteht in der
Meynung derer andern. Die Meynung
gründet sich auf
die Erkenntniß,
die Erkenntniß aber läßt sich nicht zwingen. Derjenige wird verlacht, welcher
seine Verdienste eher
erkennet, als andre; und da die
Eigenliebe so sehr
eingerissen ist, so hält man denjenigen nicht vor lobenswürdig, der sich selber
ehret. |
|
|
Die andre
Regel ist, loquere, vt te videam. Man muß dem andern
Gelegenheit geben, seine
Tugenden zu
erkennen. Es ist denen
Menschen nicht
gegeben, dem andern ins |
|
|
{Sp. 418} |
|
|
Hertze zu sehen. Und wenn einer noch so groß ist, so bleibt er doch deßwegen
klein, wenn er dem andern die
Mittel der Erkenntniß raubet, auf welche sich doch
die Ehre gründet. |
|
|
Dieses alles aber muß auf eine
gesellige Art und Weise geschehen. Wir können
uns über andre erheben, wir können andrer ihre
Kräffte
mit denen unsrigen verbinden, aber nicht so, daß uns nur der andre soll zu
Diensten
leben, und daß der
Nutzen von seiner Hochachtung nur auf uns, nicht
aber zugleich auf ihn gehen soll. Wer sich auf diese verkehrte Art nach der Ehre
bestrebet, der wird zwar wohl eine Hochachtung von andern erlangen, sie werden
aber auf alle Art und Weise vermeiden, sich mit ihm zu verbinden, und dadurch
wird der Endzweck der Ehre hinwegfallen. Das Mittel wird ohne
rechtmäßigen
Endzweck seyn, und also zu einer Eitelkeit werden |
|
|
Fragen wir viertens, wen man verehren müsse ? So ist zwar
Tugend und
Verstand, als die besten Mittel zur Beförderung der
Glückseeligkeitt, so wohl was
die
Gesellschafft, als eintzelne
Personen
anbetrifft, allen andern vorzuziehen. Weil aber
Macht
und
Reichthum, wenn sie wohl angewendet werden, gleichfalls als Mittel der
Glückseeligkeit können angegeben werden: so verdienen zwar solche Personen, die
selbige besitzen, keinen besondern
Vorzug,
weil sie nicht so wohl selbst, als die Glücks-Fälle in ihnen verehret werden;
dennoch aber müssen solche, eben ihres
Glückes wegen, nicht von uns zu unsern
und der Gesellschafft
Schaden gäntzlich verachtet, und hintenangesetzet werden.
Es ist gut, solche Leute ie mehr und mehr zu erheben, um ihnen Gelegenheit zu
geben, daß sie mehr nutzen können. |
|
|
Fünfftens haben wir zu betrachten: Wie wir unsre Ehre retten müssen? Die
Ehre ist ein
Gut, wie wir oben gehöret, also haben wir das
Recht,
dieselbige zu vertheidigen. Wir vertheidigen sie wieder unsre Verläumder. Diese
dichten uns
Unvollkommenheiten an, welche wir nicht haben. Die
Klugheit lernet
uns dreyerley hiebey zu betrachten: |
|
|
1.) |
Die Verläumder selbst. |
|
|
|
|
|
|
3.) |
Die Art und Weise, wie wir uns retten. |
|
|
|
Was die Verläumder anbelanget, so
müssen wir nicht auf eine unnütze Art die
Zeit bey ihnen
verliehren.
Männern, die sonst
Verstand und
Ansehen
haben, müssen wir uns wiedersetzen, denn sie können
Glauben finden. Bey Leuten,
deren Unverstand und weniges
Ansehen bekannt ist, haben wir solches nicht
nöthig. Sie sind gestrafft genug, daß sie selbst in
Irrthum stecken, und uns
bringt derselbe keine Gefahr, weil er nicht fortgepflantzet wird. Doch müssen
wir hierbey mehr der
Wahrheit, als dem äusserlichen Scheine folgen, und unsern
Feind nicht ohne
Ursache vor allzugering achten. Es ist eine
Klugheit, selbst
seinen Feind grösser zu machen, weil wir dadurch unsern Sieg vergrössern. |
|
|
Ist die Verläumdung an und vor sich selbst offenbar, so dürffen wir uns
dießfalls keine Mühe geben, weil sie sich von sich selber wiederleget. Was die
Art und Weise der Wiederlegung anbelangt, so kann dieses entweder durch
Thaten,
oder durch
Worte geschehen. Durch Thaten zeigen wir das Gegentheil, was von uns
ist geredet worden. Derer Worte aber müssen wir uns bedienen, wenn sich nicht
gleich die Gelegenheit findet, solche Thaten zu vollbringen, und uns das
Stillschweigen vor eine Zagheit könnte ausgeleget werden. |
|
|
Doch alles dieses muß auf eine liebreiche Art geschehen. Wenn wir das
Recht
uns zu vertheidigen haben, so erstrecket sich dasselbe nicht |
|
|
{Sp. 419|S. 225} |
|
|
so weit, daß wir den andern deßwegen
beleidigen könnten; es müste denn seyn,
daß wir auf eine andre Art zu unsrer Vertheidigung nicht gelangen könnten: Was
wir unsrer
eignen Ehre schuldig sind, das müssen wir auch bey Rettung andrer
ihrer Ehre beobachten. Wir haben hiervon einen gedoppelten
Nutzen. Einmahl
machen wir uns Freunde, hernachmahls wenn die Ehre eines andern gegründet ist,
so zeigen wir dadurch unsre
Geschicklichkeit, das
Gute einzusehen. Es ist nichts
leichtes, etwas mit
Grunde zu ehren und zu loben, weil man das Gute und dessen
Werth
erkennen muß. |
|
|
Aus diesen allgemeinen
Regeln lassen sich hernachmahls gar leichte die
Schlüsse ziehen, wie man sich bey
gelehrten Streitigkeiten zu verhalten habe. In
den Theologischen Streitigkeiten ist dieses von
Buddeo
in Disquisitione Theologica de moderamine
inculpatae tutelae in certaminibus Theologorum, die sich bey seiner
Introductione ad Historiam Philosophiae Ebraeorum befindet, ausgeführet
worden. |
|
|
|
|