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Zedler: Verdienst HIS-Data
5028-47-335-10
Titel: Verdienst
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 47 Sp. 335
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 47 S. 181
Vorheriger Artikel: Verdienen, (Straffe)
Folgender Artikel: Verdienst … Lohn
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

  Text Quellenangaben
  Verdienst, Lat. Meritum, man pfleget dieses Wort in weitern und engern Verstande zu nehmen. In jenem sieht man solches vor eine Würckung einer moralischen That an, die darinnen bestehe, daß man von rechtswegen der Straffe, oder der Belohnung würdig geachtet wird; siehe Thomasii fundamenta Juris naturae et gentium ...
  Insbesondere nennet man das Verdienst das Verhältniß derjenigen Verrichtungen, die wir dem andern zu gefallen thun, so ferne sie gegen dasjenige gehalten werden, daß man deswegen von dem andern entweder vermöge eines Vertrags oder nach der Billigkeit zu erwarten hat.  
  Zu einem solchen Verdienste werden gewisse Eigenschafften erfordert, daß man die Absicht gehabt, dem andern einen Gefallen zu thun; daß der andere, dem man eine Gefälligkeit erweiset, es davor annehme; daß man dazu nicht verbunden gewesen; und daß man durch seine eigene Kräffte die Sache ausgerichtet habe, wovon zu lesen.
  • Pufendorff in jure naturae et gentium
  • Buddeus in elementis philos. pract. …
  • Hochstetter in Colleg. Pufendorf. …
  • Walchs Philosophisches Lexicon.
  Im Theologischen Verstande ist das Verdienst eigentlich eine solche Verrichtung, welcher von Rechtswegen die verdiente Belohnung gebüh-  
  {Sp. 336}  
  ret,  
  1) wegen der Vollkommenheit, denn was unvollkommen ist, das kan nichts verdienen, wer nicht in allen Stücken des Gesetzes beharret, der ist verflucht, 5 B. Mos. XXVII, 15- 26;
  2) wegen der Verbindlichkeit, denn wenn wir nur thun, was wir sollen, so haben wir gethan, was wir zu thun schuldig waren, und haben damit gar nichts bey GOtt verdienet, Lucä XVII, 10,
  3) wegen der eigenen Beschaffenheit, denn wer nicht von seinen eigenen, sondern von seines Herrn Vermögen und Gütern einem andern etwas giebt oder schenckt, wie der ungerechte Haußhalter, Luc. XVI,
  der kan dadurch nichts verdienen;  
  4) wegen der Vollgültigkeit, denn da David dem Barsillai vor geringe Dinge Königliche Güter und Wohlthaten geben wolte, so war dieses kein Verdienst, sondern eine hohe Gnade, 2 Sam. XVII, 27. Cap. XIX, 33.
  Die Schul Lehrer behaupteten vormahls nach ihrer eigenen Philosophie, daß der Menschen Verdienst zweyerley sey, einmahl ex congruo, bequemungsweise, wenn nehmlich der Sünder, ehe er gerechtfertiget wird, sich zu bequemen anfänget, so bald ihn GOtt mit seiner Gnade zuvor kömmt, und also durch freyen Willen und natürliche Krafft, so in ihm nach dem Fall noch geblieben, nächst der Göttlichen Hülffe mit würckt, damit er durch Busse, das ewige Leben, so ihm GOtt versprochen, verdienen könne. Sonst wird dieses bey ihnen, die erste oder vorhergehende Gnade, dadurch der Sünder nach Pflicht, und Schuldigkeit noch nichts verdienet, genennet.  
  Ferner lehren dieselben, wenn der Mensch die vorkommende Gnade erlanget, so verdiene er nachmahls ex condiguo, Rechtswegen, aus Pflicht, durch eingegossene Tugend, sonderlich der Liebe und andern Wercken, daß ihm GOtt das ewige Leben zu geben schuldig sey. Dieses wird von ihnen die andere oder verdienende Gnade genennet.  
  Allein ihr eigener Lehrer Durandus setzet sich dieser unverantwortlichen Meynung sehr entgegen, und schreibt ausdrücklich, daß es lästerlich zu sagen sey, daß GOtt aus Pflicht und Schuldigkeit auf unser Verdienst, das ewige Leben geben müsse, und wenn solches nicht geschehe, er deswegen Unrecht thue. Diese Lehre ist nachmahls mit allgemeinem Beyfall in der Römischen Kirche aufgenommen, und bis auf den heutigen Tag hitzig vertheidiget worden.  
  Der Herausgeber von P. Quesnels Betrachtung der Glückseligkeit eines Christlichen Todes schreibt zwar …: Daß die Lehre der Papisten vom Verdienste der Wercke eine Privat-Meynung sey; er muß aber entweder die Schrifften der Papisten, und das Concilium zu Trident nicht gelesen haben, oder er bemühet sich ein Blendwerck zu machen, unter welchem er den Indifferentismum ausbreiten will.  
  Im 13 Jahrhundert hat die Abendländische Kirche noch durchgehends geglaubet, daß Christus sein theures Blut vor der gantzen Welt Sünde vergossen, und Menschen Verdienste zur Seligkeit nichts nütze wären. Dieses siehet man aus dem noch jetzo in der Römischen Kirche bekandtem Liede des Thomas de Aquino; Pange lingua gloriosi Corporis mysterium. Denn Aqui-  
  {Sp. 337|S. 182}  
  nas singt in diesem Liede: Sanguinem in mundi pretium Rex effudit gentium, nobis natus, nobis datus. Womit er dem Concilio zu Trident offenbar wiederspricht. Desgleichen findet man ein recht Evangelisches Bekenntniß in des Aquinas Worten: Ad confirmandum cor sincerum sola fides sufficit, welches das Tyrolische Hymnarium, so 1524 zu Siegmund-Lust in 8 herausgegeben worden, übersetzet: Der gute Glaube ist genug geachtet. Man kan diesen Beweiß vollständiger nachlesen in Peter Buschens Betrachtung der Evangelischen Wahrheit, von der Communion beyderley Gestalt, in einigen vor der Reformation Lutheri schon bekannten Liedern, Hannover 1732.
  Im 14 Jahrhundert hatte sich die Lehre von dem Verdienste der Wercke schon in der Kirche überall ausgebreitet. Im Königreiche Dännemarck war um diese Zeit und sonderlich in der Mitte dieses Jahrhunderts die theure Wahrheit von dem Weg des Sünders zu Gott durch Versöhnung und Heiligung in Christi Blut fast gantz in Vergessenheit gekommen, und hatte an deren statt die Zuversicht nicht nur auf die verstorbenen Heiligen, sondern auch vornehmlich auf eigene, und anderer sündhafften Menschen so genannte gute Wercke überhand genommen. Dieses erhellet am deutlichsten daraus, daß man mit dem Antheil an fremden guten Wercken, einen ordentlichen Kauf-Handel trieb, und Kauf Contracte schloß, in der festen Zuversicht, daß dieselbe von dem Allerhöchsten, gültig und genehm gehalten werden müsten. Ein Beyspiel davon zu geben, so heißt es in Annal. Hamsfort MST. des Jahrs 1379 also:  
  „Conrad, der Betrieger, ein Bothe der Brüder St. Antonii, kam hieher, und nahm jederman, der ihm Geld gab, in seinen Orden auf, unter andern zehn Schwestern, des Klosters Dallum. Unter diesen sind die fünf klugen Jungfrauen nicht gewesen."  
  Andere gemeine Exempel jetzo vorbey zu gehen, so kauffte sich jetzo die Königin Margaretha in die Brüderliche Gemeinschafft der Prämonstratenser-Mönche zu Borglum, und der Ripischen Canonicorum ein, und erhielt von ihnen den schrifftlichen Revers, daß sie als ihre Schwester, vor GOtt angesehen seyn, und an allem dem, was sie Verdienstliches thun würden, ihren Antheil haben solte.  
  George Cassander, der zu den Zeiten Ferdinands I, und Maximilians I gelebet hat, meynt in Consultatione de articulis religionis inter Catholicos et Protestantes controversis …: Die Päbstlichen Scribenten verstünden durch das Verdienst der guten Wercke ein Verdienst aus Gnaden, wenn sie jenes erhüben. Allein dieses ist wiedersprechend, und den Worten des Apostels Paulus zuwieder, welcher Verdienst und Gnade einander entgegen setzet, Röm. XI, 6.
  Doch hat Bellarmin im V Buche de Iustificat. Cap. VII, gestanden, es sey sicherer, alles Verdienst der Wercke fahren zu lassen, und allein zu GOttes Gnade zu fliehen. Hingegen bedient er sich Tom. IV. … folgender Worte:  
  „Wer den den Überwindern das Kleinod nicht giebt, der thut Unrecht, wie solte denn GOtt aus Verdienst das ewige Leben nicht geben."  
  Diese harte Redensart, die ehemahls von den Parisischen Theologen ver-  
  {Sp. 338}  
  dammet, vom Guido vor unverantwortlich gehalten, und 1354 als Ketzerisch wiederrufen worden, hat Bellarmin von neuen vorzutragen sich nicht gescheuet.  
  Dem Tridentinischen Concilio unterwerffen sich alle Catholicken. Diese Väter lehren in demselben, daß alle diejenigen, die bis an ihr Ende in guten Wercken verharren, das ewige Leben, oder die Crone der Gerechtigkeit erlangen, und als einen Lohn, welchen GOtt selbst verheissen hat, wegen ihrer guten Wercke und Verdienste nach dem Kampffe empfangen sollen. Concil. Trident. …
  Die Tridentiner werden niemahls behaupten können, daß Paulus und alle heilige Männer dergleichen Redensarten jemahls im Munde geführet: GOtt müsse die Crone des Lebens nach Pflicht und Verdienst austheilen. Man wendet zwar ein, die Schrifft sage: Wenn du zum Leben eingehen wilst, so solst du die Gebote halten. Nun aber verursache die Verheissung, die mit Bedingung der Wercke geschiehet, daß man sein Versprechen halte, und verbinde zugleich, daß die Person, die das Werck gethan, vermöge ihres Rechts, den Verdienst fodern könne.  
  Allein hierauf antworten unsere Gottesgelehrten, daß zwar stehe: halte die Gebote, allein daß man das ewige Leben damit verdiene, findet man nirgends. Es stehet geschrieben: Glaube an den Herrn JEsum, so wirst du und dein Hauß selig, oder wie David sagt: Der dir alle deine Sünde vergiebt, und heylet alle dein Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöset, und dich crönet mit Gnade und Barmhertzigkeit.  
  Übrigens hat diese irrige Lehre der Wiedersacher einen grossen Einfluß in den Grund der Rechtfertigung, welchen die Römische Kirche nicht in dem Glauben allein, sondern in den guten Wercken sucht, welchen sie ein Verdienst zuschreibt. Man kan davon den Artickel: Wercke (gute) nachsehen, wohin diese Abhandlung eigentlich gehöret.  
  Wir gehen also zur Abhandlung der Lehre vom Verdienste Christi fort, davon wir die unterschiedenen Meynungen vortragen wollen. Es ist wohl ausgemacht, daß die Lehre vom Verdienste JEsu die wichtigste Wahrheit unsers Glaubens ist; man muß sich aber entsetzen, wenn man die Irrthümer ansiehet, worein die Menschen in diesem Stücke gefallen sind. Manche haben das Verdienst unsers Erlösers schlechterdings geläugnet, andere haben es zu sehr eingeschränckt, und noch andere haben es durch andere Irrthümer verunehret.  
  Zu der ersten Classe, die das Verdienst Christi verwerffen, gehören die Naturalisten. Diese erheben die natürlichen Kräffte ebenfalls in Ansehung des Willens, und dadurch kommen sie insonderheit auf den Pelagianismum. Denn sie meynen, der Mensch könne aus eigenen Kräfften Tugendhafft leben, nach geschehener Beleidigung Busse thun, sich selbst wieder mit GOtt versöhnen, und durch eigenes Verdienst die Seligkeit erlangen. Damit läugnen sie das natürliche Verderben der Menschen, sie wollen nichts von der Erbsünde wissen, und verwerffen die Gnade Got-  
  {Sp. 339|S. 183}  
  tes, das Verdienst Jesu Christi, und was damit verknüpfft ist. Dieses kan nicht anders seyn, da sie keine andere, als die natürliche Religion haben wollen.  
  Dem ohngeachtet glauben sie ohne das Verdienst Christi die Seeligkeit zu erlangen. Sie setzen keinen andern Grund als die Natur mit ihren Kräfften. Sie meynen, wenn man erkenne, daß ein GOtt sey, und ihm nach dem natürlichen Vermögen durch einen tugendhafften Wandel diene, so könne man seelig werden; geschähe es aber, daß man GOtt beleidige, so müsse man wohl mit ihm vorher ausgesöhnt werden, ehe man zum würcklichen Genuß der Seeligkeit gelangen wolte, welches denn auch durch natürliche Mittel möglich zu machen sey, und folglich sey die Natur zur Seeligkeit allerdings hinlänglich. Eduard Herbert de Cherbury giebt zum Mittel solcher Aussöhnung die Busse an, und meynt, wenn man sich seiner Sünden wegen betrübe, und darüber einen Schmertz empfände, so werde auf Seiten dessen, welcher gesündiget, die Schuld, und auf Seiten GOttes die Beleidigung aufgehoben, und erfolge also eine Aussöhnung. Dieses schreibet er de religione gentilium ...
  Solche Busse setzet er in einen bloß natürlichen Schmertz über die Sünde, wenn man sich derselben erinnere und Misfallen darüber habe; folglich wünsche, daß solche nicht möchte geschehen seyn. Damit meynt man auf eine gantz leichte Art, durch natürliche Kräffte seelig zu werden, man will nichts von Christo, und dessen Verdienste, vom Glauben, Rechtfertigung und Heiligung, nichts von den verordneten Gnaden Mitteln wissen.  
  Die Mahomedaner läugnen ebenfalls das Verdienst Christi, und folglich fält der gerecht und seligmachende Glauben an ihn gäntzlich weg. Sie meynen man könne durch sich selbst, oder durch die guten Wercke gerecht und seelig werden. Das ist der Naturalismus dieser Religion. In dem Alcoran wird zwar des Glaubens an Christum und an GOtt gedacht; zugleich aber von beyden ein solcher Begriff gemacht, daß er zu der wahren Rechtfertigung nicht hinreiche. Denn an Christum glauben, soll nichts anders seyn, als denselben vor einen Knecht und Gesandten Gottes erkennen; den Glauben aber an GOtt setzet man darinne, daß man einen GOtt annehme, und auf ihm, als ein gütiges und mächtiges Wesen, sein Vertrauen überhaupt setze. Mit einem solchen Glauben, den man zur Seeligkeit haben müsse, verknüpffen die Mahomedaner noch die guten Wercke, die durch Göttliche Direction geschehen müsten, jedoch dirigire, erwehle, reinige, mache gerecht und selig GOtt, wen er wolle. Hieraus siehet man, daß sie es vor unnöthig halten, daß Verdienst Christi zu ergreiffen.  
  In den neuern Zeiten hat Dippel das Verdienst und die Gnugthuung Christi auf eine freche Art niederzuschlagen gesucht, welches man aus seinem Buche: Der von den Nebeln des Reichs der Verwirrung gesäuberte helle Glantz des Evangelii Jesu Christi, oder Schrifft- und Wahrheitmäßiger Entwurf der Heyls-Ordnung in 153 Fragen aus einander gelegt, ersiehet. Diese Fragen machten  
  {Sp. 340}  
  in Schweden, wo er sich damahls aufhielt grosses Aufsehen, und er muste das Königreich deswegen räumen. Überhaupt hat Dippel an vielen Orten in seiner Vera demonstratione Evangelica die Absicht gehabt zu beweisen, daß man das Verdienst Jesu Christi und die Rechtfertigung durch den Glauben nicht nöthig habe; der Mensch könne selbst, durch die Verläugnung und Ergebung in den Willen GOttes die Sünde in sich tilgen, und wieder in den Stand der ersten Unschuld kommen, worinne Christus mit seinem Exempel voran gegangen wäre.  
  Er gesellet sich auf eine offenbare und freche Art zu den Feinden des Verdienstes und Genugthuung unsers theuresten Heylandes, und hat nach der Boßheit seines Hertzens aus seinem verdüstertem Verstande allerhand zusammen gesucht, damit er seinem gräulichen Irrthum einen Schein geben möchte. Er sucht zu behaupten, die ohne und wider die Schrifft ersonnene Wörter: Verdienst und Gnugthuung, führten nicht nur in sich selbst gantz ungeschickte Begriffe bey sich, da in beyden das höchste Gut, welches nichts bedürffe, von der Creatur zu seiner Befriedigung etwas fodere; sondern es könnte auch eins bey dem andern nicht stehen, da der, so genug thue, nicht verdienen könne; sondern nur, es sey vor sich, oder einen andern, zahle, was er schuldig sey, und der, so verdiene, demjenigen der seine Hülffe bedürffe, vor den stipulirten Lohn sein stipulirtes Werck leiste.  
  Er erinnert noch weiter, man werde aus keiner Stelle heiliger Schrifft erweisen, daß Christi Gerechtigkeit dem Glauben oder dem Gläubigen zugerechnet werde: was Christus, als der Mittler, vor uns, wie die Schrifft rede, gethan, das habe er zwar uns zum Besten aber nicht an unserer Statt gethan. In der Haupt-Summa der Theologischen Grundlehren Chr. Democriti 1732 trägt er alle diese Irrthümer von neuen wieder vor, und läugnet nochmahls, daß Christus vor uns genug gethan, oder uns etwas verdienet habe.  
  Diesem Feind und Spötter der Evangelischen Wahrheit muste man sich billig entgegen setzen, welches auch von verschiedenen Gottesgelehrten in öffentlichen Schrifften geschehen ist. Als D. Joachim Lange des Grotius Buch: Confessio fidei catholicae de satisfactione Christi 1730 wieder drucken ließ, fügte er … bey: Ideam Systematis apostolici et Evangelici de salutis oeconomia in Christo in catenato XXIV propositonum nexu delineatam ... Der Herr Neumeister zu Hamburg gab heraus: Vestgegründeten Beweiß aus der Heil. Göttlichen Schrifft, daß Christus Jesus für uns und unsere Sünde genug gethan, nebst beygefügter Widerlegung der vornehmsten Einwendungen, welche Christian Democritus in einer Schrifft, genannt, vera demonstratio Evangelica dargegen setzen wollen. 1730 in 8. Ausser diesen kamen noch sehr viele andere Schrifften zum Vorschein, die wir hier nicht anführen können.  
  Der bekannte Tuchtfeld gerieth auf eben diese Abwege, und machte sich der Irrthümer Dippels sonderlich in der Lehre von Christo und dessen Verdienst und Gnugthuung vor unsere Sünde, theilhafftig.  
  {Sp. 341|S. 184}  
  Die Antinomi sind in der Lehre vom Verdienste Christi wie die vorigen, auf Abwege gerathen, doch ihre Irrthümer sind nicht so grob, wie der vorhergehenden. Ihr gantzes Lehrgebäude kam vornehmlich auf drey Stücke an: auf das Verdienst und Genugthuung JEsu Christi vor unsere Sünde; auf die Art und Weise, wie man desselben theilhafftig werden, und die Rechtfertigung erlangen müsse; und denn auf die guten Wercke, wie weit man dabey das Gesetz nöthig habe, und was die eigentliche Absicht derselbigen sey.  
  Von den beyden erstern Stücken müssen wir weitläufftiger handeln, weil sie hieher gehören.  
  Was den erstern Punct anlanget, welcher die Lehre von dem Verdienst und der Genugthuung JEsu Christi betrifft, so hielten sie zwar dafür, dieselbe sey allgemein, und Christus sey für alle gestorben; sie meynten aber dabey, er habe nicht bloß unserer Sünden Schuld und Straffe, sondern auch unsere Sünde selbst auf sich genommen. Zu dem Ende berief man sich unter andern auf Jes. LIII, 5. 6.da vom Meßias gesagt wird, er sey um unserer Missethaten willen verwundet, und um unserer Sünde willen zuschlagen: wie aber dieses auf die Sünden-Straffe gienge, also folge darauf der HErr warf unser aller Sünde auf ihn, nehmlich die Sünde selbst, nicht bloß nach ihrer Schuld und Straffe, eben wie es 2 Corinth. V, 21 hieße; GOtt habe den, der von keiner Sünde wuste, für uns zur Sünde gemacht.  
  Doch wuste man sich hierinne nicht deutlich zu erklären, daß man daher nicht genau sagen kan was eigentlich ihre Meynung gewesen. Die Sache selbst, wie sie von ihnen vorgetragen wird, ist so beschaffen, daß man sie entweder nicht wohl begreiffen kan, oder wo man sich zu einen Begriff determiniren will, solches zum Nachtheil der Heiligkeit Christi gereichen kan, wo man nicht vorsichtig genug dabey ist. Sagt man er habe nicht nur der Sünden Schuld und Straffe; sondern auch die Sünde der Menschen selbst auf sich genommen, so fraget sichs: Wie die Sünden selbst der Menschen zu verstehen sind, so fern sie der daher entstehenden Schuld und Straffe entgegen gesetzet sind? Will man sie als Actus ansehen, so würde es gantz ungeräumt seyn, wenn man in diesem Verstande sagen wolte, daß einer des andern Sünde, oder die würckliche und mit dem Gesetz streitende Handlungen übernehme, indem ein actus von solcher Beschaffenheit ist, daß wenn er einmahl geschehen, derselbe vorbey gegangen, und nicht mehr vorhanden seyn kan.  
  Gesetzt, es wäre dieses möglich, so würde doch eine solche Zurechnung, oder Übernehmung der Sünde gantz unnöthig und vergeblich seyn. Denn, wenn man die Schuld, und mit derselben die Straffe übernimmt, so wird man ohne dem schon angesehen, als wenn man die Sünde gethan. Fällt dieses auf solche Art weg, und man meynt, daß, weil bey einer Sünde ausser der eigentlichen Schuld, da sie einem kan zugerechnet werden, und der Straffe, noch eine gewisse Befleckung oder Verunreinigung in der Seele dessen, der sie begehe, entstünde, Christus nebst der Schuld und Straffe solche zugleich übernommen habe, so geht das auch nicht so schlechterdings an, und wenn man ja der-  
  {Sp. 341}  
  gleichen Redensart brauchen wolte, so müste sie nur auf gewisse Masse, unter einem richtigen Sinn genommen werden. Solches könnte geschehen, wofern man sie so verstünde, daß nachdem Christus die Sünde der Menschen übernommen, so habe er in dem Göttlichen Gerichte die Person der Sünder vorgestellet, und sey angesehen worden, als wenn er die Sünde selbst begangen habe. In dieser Absicht heißt es vom Meßias, es würden sich viele über ihn ärgern, weil seine Gestalt häßlicher sey, denn anderer Leute, und sein Ansehen, denn der Menschen Kinder, Jesai. LII, 4.
  und unter den Kirchen-Lehrern hat Gregorius Nyssenus gesagt, Christus habe getragen tōn amartiōn hemōn rypon, den Flecken unserer Sünde.  
  Solte hingegen der Verstand dahin gehen, daß Christus die aus der Sünde entstehende Befleckung, oder die maculam an sich genommen, und selbige sich an ihm, wo nicht auf eine physische, doch auf eine moralische Art befunden, so wäre das gottlos und höchst ärgerlich, weil es seiner Heiligkeit schnurstracks zuwider ist. Übrigens scheinen die Antinomi bey dieser Meynung eben keine böse Absicht gehabt zu haben, und wie sie vielleicht dadurch die Grösse des Verdiensts JEsu Christi, und den Reichthum der Gnade GOttes desto nachdrücklicher vorstellen wollen; also ist auch zu vermuthen, daß sie es nicht so übel verstanden.  
  Der andere Punct betrifft die Art und Weise, wie man des Verdiensts JEsu Christi theilhafftig werde, daß man die Rechtfertigung, oder Vergebung der Sünden erlange. Hiervon lehren die Antinomi in ihren Schrifften folgendes:  
  Es sey die Gnade Gottes, welcher uns des Verdiensts Christi theilhafftig mache und applicire, gantz frey und an keine Bedingung gebunden; damit man aber wisse, wie sich der Glaube dabey verhalte, so müsse man unter der Erlangung und unter der Offenbahrung der Rechtfertigung einen Unterscheid machen. Bey jener wenn man durch Christum wolle gerecht werden, verlange GOtt keine gewisse Beschaffenheit des Menschen, keine Betrübniß und Beängstigung über die Sünden, keinen Glauben an Christum. Vielmehr werde er durch blosse Betrachtung des grossen Elendes, darinne er den Sünder antreffe, bewogen, ihm der von Christo erworbenen Gnade theilhafftig zu machen, eben wie man sonst einem in grosser Noth steckendem Menschen zu Hülffe komme, wenn er gleich darum nicht nachgesucht, oder selbige verlangt habe.  
  Darum hieße es auch vom Meßia, er sey gesandt den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Hertzen zu verbinden, zu predigen den Gefangenen eine Erledigung, den Gebundenen eine Öfnung, Jes. LXI, 1.
  mithin müsse Christus in seinem Verdienste den Menschen, so fern sie sich in ihren ordentlichen sündlichen Zustand und Elend befänden, mitgetheilet werden.  
  Ja wolte man sich auch hier wiedersetzen, und die Gnade nicht annehmen, so würde GOtt doch durchfahren, und es gleichsam wie ein Artzt machen, der den Patienten bisweilen wieder ihren Willen die Artzeney eingäbe. Sey die Rechtfertigung auf solche Art bloß durch die Erbarmung GOttes oh-  
  {Sp. 343|S. 185}  
  ne Busse und Glauben des Sünders erlangt, so müsse die Offenbahrung, oder Versicherung derselbigen in der Seele darzu kommen, worzu der Glaube nöthig sey. Dieser gehe daher nicht vor der Rechtfertigung her, sondern folge darauf, und thue dem Menschen kund, daß er gerechtfertiget sey.  
  Bey dieser Lehre mögen diese auch keine übele Absicht gehabt, und vielleicht gesucht haben, das Werck unserer Rechtfertigung als ein blosses Gnadenwerck, dazu der Mensch nicht das geringste beytragen könne, vorzustellen; sie sind aber in dem Vortrag selbst gar sehr von der Wahrheit abkommen, und haben die von GOtt verordnete und in Heiliger Schrifft vorgeschriebene Heyls-Ordnung gleichsam umgekehrt. Solches scheint daher zu rühren, daß sie in einigen Stücken die Wahrheit eingesehen, in andern hingegen irrige Begriffe aus des Calvinus Lehre von der Prädestination beybehalten, und also das wahre und falsche unter einander gemischt. Dieses ist die Lehre, welche die Antinomi vom Verdienste Christi haben.  
  Unter diejenigen die das Verdienst Christi einschräncken und particulair machen, müssen vornehmlich die Reformirten gerechnet werden. Denn der unbedungene Rathschluß Gottes bringt unmittelbar mit sich, daß die Gnade Gottes in Ansehung der Seeligkeit der Menschen nicht allgemein, sondern particulair sey. Und eben hieraus muß die Particularität des Verdienstes JEsu Christi fliessen, daß er nur der Auserwählten Heyland sey, welches nach dem einmahl angenommenen Grundsatz der absoluten Prädestination nicht anders seyn kan. Denn ist das der beständige und unveränderliche Wille GOttes, daß nur etliche, die er ausersehen hat, die Seeligkeit erlangen sollen, warum hätte Christus auch vor diejenigen sterben wollen, die gleichwohl nach dem unbedingten Rathschluß Gottes verdammt werden? Wäre das nicht etwas vergebliches gewesen; mithin auch etwas, somit der Weißheit und Gerechtigkeit Gottes gestritten hätte, wenn Christus auch vor derjenigen Sünden hätte leiden und sterben sollen, denen doch sein Verdienst nicht zu statten kommen kan?  
  Solcher Schluß ist den Reformirten nicht entgegen. Sie bekennen sich dazu mit ausdrücklichen Worten, und verwerffen die Lehre von dem allgemeinen Verdienste Christi. Dieses ist aus dem auf dem Synodus zu Dordrecht gemachten Schlusse in secundo doctrinae capite de morte Christi et hominum per eam redemtione Artic. VIII zu ersehen.
  Diesen stimmen die Reformirten Lehrer in ihren Privat-Schrifften bey, und sagen ohne Bedencken, es sey nicht ein jeder Christ schuldig zu glauben, daß Christus für ihn gestorben sey. Heidegger schreibet in corpore doctrinae …, die Verworffenen werden keines weges verbunden an Christum, als den vor sie gestorbenen Heyland zu glauben, und der jüngere Spanheim giebt Tom. III. oper. … vor etwas höchst falsches aus, daß alle Berufenen, ehe sie ernstlich Busse thäten, solten schuldig seyn, zu glauben, daß Christus auch vor sie gestorben wäre.  
  Es lassen zwar diese Lehre viele unter den Reformirten fahren, die Englische Kirche hält das Verdienst Christi vor allgemein, wie Nichols in defensione  
  {Sp. 344}  
  eccl. Anglic … bezeuget; und in den Märckischen Glaubens-Bekenntnissen wird solche Allgemeinheit auch gelehret, so D. Balthasar in Censura Confessionis fidei 1725 bewiesen hat. Allein dem ohngeachtet bleibt es ein allgemeiner Lehrsatz aller genuinen Reformirten, welche sich zu den Schlüssen des Dordrechtischen Synodi bekennen, dabey man Cyprian im Unterricht von Kirchlicher Vereinigung der Protestanten … lesen kan.
  Da nun die Gnade und das Verdienst JEsu Christi particulair seyn soll, so folget auch daraus, die Particularität des Gnaden-Beruffs und der Gnaden-Mittel. In der Liturgie, welche unter Carln I, König von Großbritannien, die Bischöffliche den Schottländern haben aufdringen wollen, haben diese vieles ausgesetzet, unter welchen manches gantz unnöthig ist, und aus offenbaren Affecten geschehen. Unter andern tadeln die Schottländer an der Liturgie, sie lehre das allgemeine Verdienst Christi. Wir wollen hier nicht eine Sache beweisen, die in der Schrifft so deutlich vorgetragen ist, wir wollen nur sehen, woraus dieselben schliessen, daß die Verfasser der Liturgie die allgemeine Erlösung Christi lehren? Sie sprechen, weil sie die Worte gebrauchen: Christus hat mich und das gantze menschliche Geschlecht erlöset; solche Worte aber nirgend anders erklären.  
  Wir müssen diesen Schluß billigen, und halten davor, daß die Verfasser allerdings Christi Verdienst für allgemein gehalten. Wenn wir aber die gleichgültigen Worte Johannis 1 Joh, II, 2. ansehen, daß Christus die Versöhnung nicht allein für unsere, sondern auch für der gantzen Welt Sünde sey, welche Worte der Apostel nirgends anders auslegt; müssen wir denn nicht eben den Schluß machen, oder gelten lassen, daß Johannes die allgemeine Erlösung Christi geglaubt und gelehret? Und ist es denn billig, daß wir den vorgefaßten Wahn, Gottes Gnade sey unwiederstreblich, und es sey nicht möglich, selbige, wenn man sie einmahl gehabt, zu verliehren, welcher doch so vielen Exempeln wiederspricht, uns so weit treiben lassen, zu behaupten: Christus habe die nicht erlöset, und nicht verlanget, im Ernste seelig zu machen, die nicht würcklich seelig werden?  
  Die Socinianer können vermöge ihres Lehrgebäudes nicht zugeben daß das Verdienst und die Genugthuung Christi geschehen sey. Denn da sie Christum vor keinen wahren GOtt erkennen, so müssen sie nothwendig auch dessen Verdienst, wie wir es nach der Schrifft beweisen, läugnen.  
  Unter diejenigen welche das Verdienst JEsu geringschätzig halten, müssen auch die Papisten gerechnet werden. Denn sie erheben das Verdienst guter Wercke, vom Verdienste JEsu aber höret man unter ihnen wenig oder gar nichts. Gleichwie aber unsere Lehre von dem Verdienste Christi, von der Rechtfertigung und den guten Wercken augenscheinlich in Gottes Wort enthalten ist; also hat dieselbe freylich dadurch grossen Unwillen der päbstlichen Geistlichkeit auf sich geladen, daß sie die bußfertigen Sünder zu Christo geführet, und aus dem Irrwahn gesetzet, darein der  
  {Sp. 345|S. 186}  
  Süder Sächsische König Ceadwalla geführet war, als er das Kloster Selesey in Engelland stifften, und schreiben muste: Wir müssen vor die irrdischen und vergänglichen Güter, den ewigen und himmlischen Lohn des obern Vaterlandes einkauffen. Man findet diese Begebenheit beym Dodsworth u. Dugdale appendice ad monastici Anglicani tomum primum edit. Londini 1661. ...
  Dieses ist eben der irrige Wahn, mit welchem das blutige Verdienst Christi noch heut zu Tage in der Römischen Kirche nicht hoch genug erhaben wird. Denn so schreibet Mariales Tom. IV. Bibliothecae interpretum ad summam D. Thomae …: "Die Jesuiten u. Dominicaner sind darinnen einig, daß niemand seelig werde, als durch sein eigen Verdienst, wenn er erwachsen ist."  
  In der Grafschafft Hohenstein haben sich zu Anfange dieses Jahrhunderts schwere Irrthümer wider das Verdienst Christi hervor gethan. Der sogenannte Democritus Christianus u. C.E. Triller mochten wohl grossen Antheil an diesen Unordnungen haben. Denn diese bemüheten sich das Verdienst Christi dem einfältigen Hauffen aus dem Hertzen zu reissen. Hierzu ließ sich vornehmlich der damahlige Superintendent zu Elrich, M. Otto Christian Damius, brauchen. Denn dieser gab um das Jahr 1707. ein neues Gesang- Buch heraus, in welchem er überall die Lieder, die von Christi Verdienste handeln, geändert, zerstümmelt, oder ausgelassen, damit den Leuten das Andencken dieser Lehre entrissen werden möchte. Ferner hat er verschiedenen Predigern einen geschriebenen Aufsatz zugestellt, unter dem Titel: Frage, ob Christi Gerechtigkeit den gläubigen Menschen zugerechnet werde? In welchem er diese Irrthümer weitläufftiger auszubreiten und zu behaupten gesucht hat.  
  Sonst hat auch D. Meyer in seinem Anti Spenero, der 1695. heraus gekommen, dem seel. Spener in dem Artickel von Christo unter andern Irrthümern auch diesen … beygemessen, daß er das allgemeine Verdienst Christi geläugnet, indem er in der Evangelischen Glaubens-Lehre … gesagt hätte: Das Hohepriesterliche Amt Christi gehe in gewisser masse alle Menschen an, und da rede er nicht von dem Nutzen, sondern von dem Objecte und von dem Angehen des Hohenpriesterlichen Amtes, und indem er fortfahre: "Nachdem aber die heylsame Gnade GOttes allen Menschen nicht nur den Juden Tit. II, 11. in Christo erschienen ist, so ist unser Hohepriester ein Priester der gantzen Welt, daß alle und jede Menschen Theil haben an seinem Priester-Amte;" so folge daraus offenbar, daß die Heyden die Krafft des Hohenpriesterlichen Amtes zu den Zeiten des Alt. Testaments nicht angegangen, wenn er erst zur Zeit des Neuen Testaments, wie Spener vorgäbe, ein Priester der gantzen Welt worden sey.  
  Allein auf diese Beschuldigung hat er im Anhange an die aufrichtige Übereinstimmung … sich so erkläret, und geantwortet, daß man nachgehends davon abgelassen, und Speners Orthodoxie in dem Artickel von Christo niemand leicht im Verdacht zuziehen sich unterstanden, zumahl da so viele andere Proben davon am Tage liegen. Er bekennet in dem berührten Anhange, daß Christus alle verdammte und verlohrne Menschen erlöset, und daß die Krafft sei-  
  {Sp. 346}  
  nes Verdienstes und blutigen Opffers auch die Menschen des Alten Testaments angegangen, und er zur Zeit Alten und Neuen Testaments der gemeine Welt Heyland sey. Da nun dieses sein Glaube und seine Lehre von Jugend auf gewesen, so sey es eine offenbahre Falschheit, deren man sich vor GOtt und Christlichen Hertzen billig schämen solte, wenn man ihm einen doppelten Wiederspruch wider diese Wahrheit beymessen wolte; worauf er zeigt, wie man seine Worte boshafftig, nur zerstümmelt angeführet und verkehrt, damit man nur mit Gewalt eine irrige Consequenz daraus erzwingen können.  
  Wir wollen zur Sache selbst nunmehro fortgehen und einige wichtige Wahrheiten abhandeln, die auf die Lehre vom Verdienste JEsu beruhen.  
  Erstlich setzen wir die Wahrheit: Christus habe uns ein Verdienst, das ewig gilt, erworben, als ein Principium voraus, daraus man die Unendlichkeit der Höllen-Straffen beweisen kan. Wir müssen als ausgemacht annehmen, daß zwischen dem Verdienste, so Christus erworben, und den Straffen, so die Menschen wegen ihrer Sünden hätten ausstehen sollen, eine Proportion und Gleichheit seyn müsse. Denn wenn das Verdienst die Straffe überträffe, so hätte Christus mehr bezahlt, als nöthig gewesen wäre, welches aber nicht hat angehen können, weil es der Gerechtigkeit und Liebe seines himmlischen Vaters entgegen gewesen wäre. Der Gerechtigkeit hätte dieses entgegengestanden, weil er eine grössere Bezahlung hätte angenommen, als sich die Schuld belauffen, welches als etwas ungerechtes anzusehen gewesen wäre. Wider die Liebe wäre solches gewesen, weil er seinen eingebohrnen und allerliebsten Sohn grössere Marter hätte ausstehen lassen, als nöthig gewesen wäre.  
  So konte das Verdienst nicht grösser seyn, als die Straffe. Doch konnte es auch nicht geringer seyn. Denn in diesem Fall wäre wohl in etwas, aber nicht völlig der göttlichen Gerechtigkeit Gnüge geschehen. Es wäre noch etwas zurücke geblieben, so GOtt und die Menschen noch immer von einander unterschieden, und da hätte die Straffe nicht können aufgehoben werden.  
  Ist dieses richtig, daß zwischen dem Verdienst und der Straffe eine Proportion seyn muß, so schliessen wir daraus, daß wenn Christi Verdienst von einer unendlichen Gültigkeit, auch der Sünden unendliche Straffe müsse verdienet haben. Gewiß die Endlichkeit der Straffe, stimmet mit dem unendlichen Werthe des Verdienstes Christi nicht zusammen. Hätte GOttes Zorn durch unendliche Straffen können befriediget werden, was wäre nöthig gewesen, daß GOtt eine unendliche Genugthuung gefodert; daß sich Christus selbst zu einem Opffer, von einer unendlichen Gültigkeit hätte aufopffern lassen? Man siehet daher, daß, wenn man behauptet, die Sünde hätte nur eine endliche Straffe nach sich gezogen, dabey die Nothwendigkeit der Genugthuung Christi nicht bestehen könne. Ist aber die Straffe unendlich, und den Verdammten, wenn sie in der Hölle sitzen, kan sodann Christi Verdienst nicht zu statten kommen, so sehen wir nicht, wie sie daraus mögen befreyet werden.  
  Es redet die Schrifft von dem Verdienste Christi auf solche Art, daß man ebenfalls daraus schliessen kan, es sey keine Erlösung aus der Hölle zu er-  
  {Sp. 317|S. 187}  
  warten, man mag die Sache auf Seiten der Teuffel, oder auf Seiten der verdammten Menschen ansehen.  
  Wir haben nur jetzt aus dem unendlichen Verdienste Christi erwiesen, daß die Straffe der Sünder an sich unendlich sey, und dieselben ihrer Sünde wegen unendlich leiden müssen. Wir wollen dieses weitläufftiger ausführen, und wider die Einwürffe retten, weil dieser Beweiß unter dem Artickel von den Höllen-Straffen, im XL Bande, p. 549 u.ff. nicht mit angeführt worden ist.  
  Die Gegner wenden hier ein, die Sünder und Verdammten würden zwar unendlich leiden müssen, wenn Christi Verdienst nicht vorhanden, es werde aber auch solches den Verdammten zu statten kommen, daß sie an Christum glauben, und dadurch ihre Befreyung erlangen würden. Auf solche Weise ist nun nöthig in der Sache weiterzugehen, und darzuthun, wie durch Christi Verdienst keine Erlösung aus der Hölle zu erwarten, ja selbiges in H. Schrifft vielmehr so vorgestellet werde, daß man daher noch deutlicher die Unendlichkeit der Höllen-Straffen erkennen könne.  
  Ausser diesem ist kein eintzig Mittel vor die Verdammten übrig. Entweder sie müssen die Straffe unendlich leiden, oder durch Christum davon befreyet werden. Das letztere gehet nicht an und also muß das erstere geschehen, weil der Göttlichen Gerechtigkeit darunter nichts abgehen kan. Daß ihnen Christi Verdienst nicht könne zugerechnet werden, erhellet wieder daher, indem selbiges die Teuffel an sich nicht angehet; was aber die verdammten Menschen betrifft, so ist er zwar auch vor dieselben gestorben, nachdem sie aber in diesem Leben die erworbene Gnade GOttes beständig von sich gestossen, so wird ihnen selbige in jenem Leben nicht weiter angeboten.  
  Und das ist es, was mir nunmehro mit Unterscheid sowohl auf Seiten der Teuffel als der verdammten Menschen erweisen wollen. Es ist kein Grund vorhanden, wie die Teuffel aus der Hölle könnten befreyet werden. Die Befreyung muß eine Aussöhnung mit GOtt voraussetzen. Zu dieser kan man durch keinen andern Weg als durch Christum kommen. Aber nun ist zu mercken, daß Christus mit seinem Verdienste die gefallenen Engel oder die Teuffel gar nichts angehe, er ist nicht ihr Heyland, er ist nicht für sie gestorben, er hat nicht für ihre Sünden gebüsset, er hat nicht sein Blut für sie vergossen, er hat sie nicht mit GOtt ausgesöhnet.  
  Dieses ist ein wichtiger Umstand bey dieser Sache mit. Wir treffen auch davon die Zeugnisse in heiliger Schrifft auf das allerdeutlichste an. Sie lehret uns dieses auf unterschiedene Art. Denn es heist  
  1) in der Epistel an die Hebräer II, 16. er nimmt nirgend die Engel an sich, sondern den Saamen Abrahä nimmt er an sich: so machen wir daraus den Schluß, daß Christus nicht vor die Engel gelitten und gestorben, deswegen, weil er ihre Natur nicht an sich genommen. Dieser Schluß gründet sich denn darauf, daß zwischen dem Mittler-Amte Christi, und der angenommenen Natur eine solche Verwandtschafft, daß selbiges nur diejenigen angehet, deren Natur er angenommen. Er ist nicht vor sich, sondern vor andere gestorben, und zwar vor diejenigen, deren Natur er angenommen. Er ist nicht vor sich, sondern vor andere gestorben, und zwar vor diejenigen, deren Natur er theilhafftigg  
  {Sp. 348}  
  worden;  
  2) bezeugt die Schrifft, daß Christi Verdienst die Teuffel nichts angehe, damit, daß sie einen solchen Endzweck seiner Menschwerdung angiebt, der nicht vor, sondern wider den Teuffel war;  
  3) heist es: Christus sey ein Mittler zwischen GOtt und den Menschen, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung, 1 Timoth. II, 5 u.f.
  Was die Krafft des Verdienstes Christi in Absicht auf die verdammten Menschen betrifft, so kan man davon den Artickel: Verdammten, nachsehen.  
  Desgleichen kan man die Lehre von dem Verdienste Christi, in so ferne es die äusserliche antreibende Haupt-Ursache unserer Rechtfertigung ist, den Artickel: Rechtfertigung, im XXX Bande, p. 1383 u.ff. nachschlagen.
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Stand: 25. Februar 2013 © Hans-Walter Pries