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Zedler: Pflicht HIS-Data
5028-27-1592-10
Titel: Pflicht
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 27 Sp. 1592
Jahr: 1741
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 27 S. 809
Vorheriger Artikel: Pfletzschern (Hans)
Folgender Artikel: Pflicht, heißt in denen Rechten
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

  Text   Quellenangaben
  Pflicht, Obliegenheit, Officium.  
  Wir wollen hier zwey Stücke erwegen, erstlich was eine Pflicht sey; und denn wie vielerley sie sey?  
  Das erste, was eine Pflicht sey? betreffend, so kan ein und das andere vorher von dem Wort Officium, oder Pflicht angemercket werden, ehe wir zur Sache selbst kommen. Es kommt dieses Wort eigentlich aus der Schule der Stoicker, wie denn Zeno, der Urheber dieser Secte, nach dem Zeugniß des Diogenis Laertii in seinem Leben ein Buch von der Pflicht geschrieben; man findet aber nicht, daß sie eine deutliche Beschreibung davon gemacht, die man auch bey dem Cicerone nicht antrifft, ob er wohl drey besondere Bücher de Officiis hinterlassen.  
  Es kann diese Dunckelheit und Verwirrung sonderlich aus zweyen Ursachen her, aus der Unwissenheit so wohl, daß sie Tugend und Handlung, Gerechtigkeit und Klugheit nicht von einander unterscheiden konnten, als auch aus dem vielerley Gebrauch, den sie bey diesem Wort hatten. Sie sagten, eine Pflicht erfordere dreyerley; daß es eine Vernunfftmäßige Handlung wäre; hernach daß es auf eine solche Art geschähe, wie es die Vernunfft vorgeschrieben, und denn, daß es zu keiner andern Zeit geschehe, als es die Vernunft haben wolle, wovon Samuel Rachel über Ciceronis lib. 1. de offic. p. 18. nachzuschlagen, doch brauchten sie das Wort bald auf diese bald  
  {Sp. 1593|S. 810}  
  auf jene Art. Denn zuweilen faste man alle nützliche und zu unserer Erhaltung dienliche Handlungen darunter; und wiederum bedeutet es solche Handlungen, die so wohl dem Gesetz, als den Wohlstande gemäß waren; endlich aber verstande man dadurch nur solche Verrichtungen, welche tugendhafft und Gesetz mäßig wären.  
  Eben diese Weltweisen pflegten die Pflichten in katorthōmata und kathēkonta abzutheilen, und verstunden durch jene die vollkommene Pflichten, welche ihrer Meynung nach nur ein Weiser, von dem sie einen gar hohen Concept hatten, haben könnte. Die kathēkonta nahmen sie in verschiedenem Verstand. Denn zuweilen verstunden sie dadurch eine iegliche Pflicht; bisweilen alles dasjenige, was nach der Vernunfft zu beobachten war, und wenn sie das kathēkon dem katorthōmati entgegen setzten, so war es eine solche Verrichtung, die ein ieglicher in acht zu nehmen, und von der man eine wahrscheinliche Ursache angeben konnte, warum sie geschehen war, von welchen beyden Wörtern nachzusehen sind
  • Buddeus in analectis hist. philos. …
  • Cicero de officiis ...
  • und Eckhard in technic. sacr.
nebst den Auslegern der angeführten Stellen aus dem Cicerone.
  Ob nun wohl die Philosophen sich einen solchen Weisen vorstellten, der nur in ihrem Gehirn anzutreffen war, und von einer solchen vollkommenen Tugend redeten, die wenigstens nach den Kräfften der Natur nicht konnte ausgeübet werden, so sieht man doch so viel daraus, daß auch die Heyden nach der Vernunfft erkannt, wie man bey der wahren Weißheit und Glückseligkeit nach einer Vollkommenheit trachten müsse.  
  Nachgehends haben sich Leute gefunden, welche das Wort officium oder Pflicht in die Christliche Lehre gezogen, wie der Bischoff zu Meyland Ambrosius drey Bücher de officiis geschrieben, darinnen er dieses vor katorthōmata, oder vollkommene Pflichten ausgiebt, die ein Christ leisten kan, der einen höhern Grad der Vollkommenheit erreichet hat; kathēkonta aber, oder die mittelmäßige Pflichten wären, die insgemein von allen Menschen gefordert würden.  
  Man nimmt auch noch heut zu Tage dieses Wort bisweilen im weitern Verstand, daß man auch die Tugend mit darunter begreifft; die aber nach der eigentlichen und gewöhnlichen Bedeutung davon auszuschlüssen. Man lese nach, was von diesem Wort
  • Förtsch in comment. 1. in Ambrosii officia §. 4. p. 289.
  • Hochstetter in collegio Pufend. exerc. 1. p. 44. 45.
  • Buddeus in institut. theol. moral. part. 2, proleg. §. 5.
  • und Titius über Pufendorfen de officio hominis et civis §. 11.
angemercket haben.
  Doch wir kommen zur Sache selbst und verstehen durch die Pflicht eine solche Handlung, dazu man durch das Gesetz verbunden ist. Diese Beschreibung fasset drey Stücke in sich, die zu einer Pflicht nöthig sind.  
  Denn einmal muß es eine solche Handlung seyn, die an sich in des Menschen Freyheit stehet; worauf das Gesetz hinzu kommt, darunter man stehet, und weil selbiges eine Verbindlichkeit zu wege bringt, so wird dadurch die Freyheit, die man vorher hatte, aufgehoben, daß  
  {Sp. 1594}  
  eine moralische Nothwendigkeit entstehet, welche Nothwendigkeit eben das Formale, oder das wesentliche Stück einer Pflicht ist. Denn es kommen zwey wesentliche Theile dabey vor; einmal daß es eine Handlung sey, welches man nach den Schulen das Genus nennen kan; und dann daß es eine solche Handlung, die auf moralische Art nothwendig, so die Differentz wäre.  
  Ist aber die Pflicht eine Handlung, so folgt, daß sie von der Tugend zu unterscheiden. Denn die Tugend ist ein stetiges Bemühen, nach dem Willen GOttes zu leben, dahingegen die Pflicht eine würckliche Handlung, aus welchem gemeinen Unterscheid noch mehrere Umstände, darinnen sie von einander unterschieden, können geschlossen werden. Denn da die Tugend die Einrichtung des Gemüths betrifft, so ist sie was innerliches; die Pflichten aber, als würckliche Handlungen, können innerliche und äusserliche seyn. Eine Tugend kan sich niemals ohne einer Pflicht; wohl aber eine Pflicht ohne Tugend äußern; und obwohl alle Tugend in dem göttlichen Gericht eine Verbindlichkeit hat, so ist man doch vor Menschen zur Erweisung einer Pflicht verbunden, wenn sich gleich solche Verbindlichkeit nicht auf die Tugend erstrecket, dazu man äusserlich niemanden zwingen kan, welches hingegen bey den Pflichten angeht.  
  Vors andere sehen wir, wie vielerley die Pflicht sey? man theilt sie in Ansehung derer, gegen welche sie zu beobachten, in die Pflichten gegen Gott, gegen sich selbst und gegen andere ab, von deren jeden Art besondere Artickel folgen.  
  Was man sonst die Pflichten gegen sich heisset, daß nennt Rüdiger in institut. erudit. p. 477. officia erga alios indirecta, weil ein Mensch sich nicht selbst könne verbunden seyn, daher was ein Mensch auf Seiten sein selbst beobachte, gienge alles auf den Nutzen der Gesellschafft und anderer; wobey man aber erinnert, daß wenn ein Mensch gleich sich nicht selbst verbunden wäre, so habe er doch eine Verbindlichkeit gegen Gott dießfalls auf sich. Es würde auch daraus folgen, daß wenn der Grund solcher Pflichten der Nutzen der Gesellschafft seyn solte, z.E. der Selbst-Mord in gewissen Fällen erlaubet sey, welches zwar gedachter Rüdiger im angezogenen Ort einräumet.  
  Mehrere Pflichten zu statuiren, dazu hat man keinen Grund. Denn wolte man etwa die Geister oder unvernünfftige Thiere mit hinzu nehmen, so stehen selbige mit uns in keiner moralischen Gemeinschafft, und ob wir wohl in Ansehung derselben gewisse Pflichten auf uns haben, so gehören sie doch eigentlich entweder zu den Pflichten gegen Gott, oder gegen uns selbst. Z.E. einer, der gegen ein unvernünfftiges Thier grausam ist, und ihm seyn Futter nicht giebt, der handelt wider die Pflichten gegen sich selbst, daß er seine Affecten und seinen Geitz nicht im Zaum halten kan, wie aus dem folgenden mit mehrern zu ersehen seyn wird.  
     

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Stand: 8. Januar 2013 © Hans-Walter Pries