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Zedler: Leben HIS-Data
5028-16-1261-3
Titel: Leben
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 16 Sp. 1261
Jahr: 1737
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 16 S. 642
Vorheriger Artikel: Lebedos
Folgender Artikel: Leben, ist dreyerley
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text   Quellenangaben
  Leben, Vita, Vie, wird alles, was eine Würckung und Bewegung spühren lässet, genennet, obgleich dasselbe nach dem Unterscheide derer Dinge, an denen es sich befindet, mercklich unterschieden ist.  
  Das Leben eines Cörpers bestehet in seiner stetigen Bewegung. Es muß aber ein Cörper, der des Lebens fähig seyn soll, aus vielen und mancherley Theilen bestehen, die auf eine wundersame Weise zusammen gesetzet ein Gantzes machen, und in demselben ein gewisses Naß mit seinem Umlauffe durch alle dessen Theile eine Wärme und Bewegung verursachen, wodurch der Cörper tüchtig wird, die Lebens-Kräffte zu äussern, welche in der Nahrung, Wachsthume und Fortpflantzung bestehen. Auf solche Weise leben die Gewächse und die Thiere.  
  Das Leben des Menschen, ausser dem vorhergehenden, welches er dem Leibe nach mit denen andern lebenden Cörpern gemein hat, bestehet in einer unzertrennlichen Gemeinschafft der Seele und des Leibes, der Gestallt, daß bald auf einen gewissen Gedancken in der Seele eine gewisse Bewegung an dem Leibe, bald hinwieder auf gewisse Bewegungen des Leibes gewisse Gedancken in der Seelen erfolgen, und diese gemeinschafftliche Würckungen währen so lange, als die beyden wesentlichen Theile, daraus der Mensch bestehet, in gehörigem Zustande und Beschaffenheit vereiniget bleiben.  
  Das Leben eines Geistes bestehet in Gedancken, weil das Leben eine Würckung ist, an einem Geiste aber von uns keine andere Würckung als das dencken erkannt wird. Andere beschreiben das Leben kürtzer, als eine wohlgeordnete Würcklichkeit, so aus Verknüpfung der Materie und der Form entspringet, und ein jedes Ding in seyn vollkommenes Wesen setzet.  
  In der Natur-Kunde wird gefraget, welches in denen Cörpern der Anfang und Grund des Lebens sey? Da denn kein Zweifel, daß, wie die Bewegungs-Kräffte aus dem Hirn, also die Lebens-Kräffte aus dem Hertzen ursprünglich kommen, und folglich das Blut das vornehmste Werck Zeug sey zu dessen Unterhaltung, wie wohl die übrigen Säffte davon nicht klar auszuschlüssen.  
  Zu Unterhaltung des menschlichen Lebens werden sechs Dinge, so die Gelehr-  
  {Sp. 1262}  
  ten unnatürlich nennen, unvermeidlich erfordert, Lufft und Odem, Speise und Tranck, Ruhe und Bewegung, Beladung und Ausleerung, schlafen und wachen, Regungen derer Sinnen und des Gemüths, an derer rechtem Gebrauche, welches man die Diät nennet, der Wohlstand und die Gesundheit, folglich auch das Leben des Menschen hanget, davon gantze Bücher handeln.  
  Ob man durch Artzneyen das Leben verlängern, und auf eine ungewöhnliche Zeit erstrecken, oder gar ungekränckt beständig erhalten könne, wird unter denen Artzneyverständigen gefraget, und haben hierzu Anlaß gegeben diejenigen, so gerühmet, daß ihre Tinctura vniuersalis, oder Lapis Philosophorum, oder Aurum potabile, dergleichen zu Wege bringen solle, weil aber die Möglichkeit noch durch kein Exempel bewiesen worden, mag man sicher das Gegentheil schlüssen. George Derharding Specim. Manuductionis ad Vitam longam, quod tradit regulas generales circa motum et quietem hominibus obseruandas, Rostoch 1723.
  Von des Menschen Leben, Gesundheit, Kranckheit und Tode haben geschrieben Corn. Bontekoe und Christ. Fridr. Richter ausführlich in seiner Erkenntniß des Menschen.  
  In Rechten wird gefraget: Wie lange ein Mensch natürlich leben könne, und wenn man mit gutem Grunde schlüssen möge, daß er gestorben sey? Da denn einige auf 80. andere bis auf 100. Jahre antragen. Naurath de Vita et Morte Hominis.
  Es enthält aber das Leben gewisse von GOtt gegebene Kräffte. Da nun deren Richtigkeit die Gesundheit ausmachet, so folget von selbst, daß ieder Verlust der Gesundheit, er sey, so klein er wolle, einen Theil des Lebens mit sich wegnehme. Wer mir also meiner Gesundheit schadet, wird eines Theils an mir zum Mörder. Niemand achte auch ein oder das andere Gliedmaß seines Cörpers vor gering, weil man, wenn man es verlieret, noch nicht eben gleich daran stirbet. Wirff immer ein Stück nach dem andern von deinem Leibe weg, und siehe, ob nicht endlich der Tod beschlüssen wird. Das Bein also sich ablösen zu lassen, damit der Brand nicht gar in Leib trete, ist freylich wohl ein geringeres Übel, aber in Ansehung dieses Gliedes bist du tod, und deinen übrigen Cörper wird doch der Tod beschleinigen.  
  Die Erkenntniß aber nun derer Lebens-Kräffte weiset, wie weit solchen Ziel und Maaß gesetzet sey. Es hat dieselben ein höheres Wesen gegeben, also muß sich der untergebene nach jenes Vorschrifft richten. Das erkennen wir aus der genauen Prüfung solcher Kräffte. Alle Kräffte in der Welt, nach dem du sie so oder so betrachtest, geben bald Mittel zu höhern, bald Zwecke der darunter gesetzten ab. Dein Leben zu erhalten zu wünschen, und Mittel anzuwenden, ist nichts unrechtes. GOtt hat dir es gegeben, daß du dadurch eine Empfindung des vorfallenden haben sollst. Verlörest du nun dein Leben, gienge auch göttlicher Absicht verloren.  
  Es stehet also nicht etwa nur in deinem Belieben, dein Leben zu erhalten, sondern du must auf alle Weise dein Leben zu erhalten suchen. Diese Erinnerung mögte einem und dem andern unnöthig scheinen, gleich als ob in einem ieden eine so starcke Lust zu leben wallete, daß es keines Gesetzes nöthig wäre.  
  {Sp. 1263|S. 643}  
  Zugeschweigen aber, daß der Grund nicht zulänglich, davon keine Gesetze zu geben, weil in solchem Falle rechtschaffenen Leuten in den gemeinen Wesen kein Gesetze was angienge, da dieselben mit dem grösten Vergnügen die vorgeschriebenen Pflichten verrichten; so fehlet es ja an Leuten nicht, die ihr Leben mehr als zu geringe achten.  
  Wer ist denn wohl der Sachen so unkundig, daß er nicht hier und da von Menschen gehöret, die sich selbst umgebracht. Doch deren Anzahl, die durch öffentlichen Rechts-Spruch als Selbst-Mörder erkennet werden, mögte gegen das gantze menschliche Geschlecht noch ein geringes seyn; aber wie viel sind deren, die am Ausgange mit jenen einerley, nur daß sie nicht als jene angesehen werden. Stich dir den Degen durch den Leib, oder nimm Gifft zu dir, der erst nach vielen Jahren seine Würckung thut, solltest du nicht bey einem so gut als bey dem andern Ursache deines Todes seyn, und werden nicht selbst in öffentlichen Gerichts-Stäten die letztern so gut als die erstern gestraffet, wenn sie dergleichen gegen andere gebrauchet? Alles, was aus einer Ursache als eine Würckung folget, ist jener zuzuschreiben. Thust du dir nun durch Handlungen, so deinem Leben entgegen, Schaden, bist du so gut Ursache an deinem Tode.  
  Dieser Verdammniß hält man auch schon im gemeinen Leben die würdig, welche durch fressen, saufen, huren, Jachzorn, u.d. in ihre Gesundheit hinein stürmen; von denen dencket man aber nichts böses, welche durch übermäßiges unnöthiges studiren, Nachtsitzen, Traballen u.d. ihre Lebens-Kräffte schwächen. Erfolget aber nicht endlich daraus der Tod, und durch wen, als durch sich selbst? Dem gemeinen Welt-Lauffe nach pflegt man zwar solche Leute bey Lebzeiten durch unnöthige Lobeserhebung in ihrem Irrthume nur noch desto mehr zu bestärcken, und ereilt sie ein frühzeitiger Tod, bedauert man zwar, welches nicht unrecht ist, ihren frühzeitigen Verlust, rühmt ihnen aber gleich alle eine Tugend nach, daß sie sich zu Tode gearbeitet, studiret, kühne auf den Feind loßgegangen, u.d. Ist das, was oben vorgebracht worden, richtig, solte man vielmehr solche unter dem Scheine der Tugend versteckte Laster entdecken, damit nicht andere zu gleichen verführet werden, wenn sie durch ein so freygebig ausgeschüttetes Lob zu gleichen Unternehmungen angeflammet werden.  
  Wir haben aber oben wohlbedächtig von unnöthiger Verkürtzung des Lebens geredet. Ein Held, der nach reiffer Überlegung sich vor das Wohl vieler Länder in Gefahr begiebt, so, daß kein gelinderes Mittel vorhanden, verrichtet eine Tugend, folglich, thut er sich an seinem Leben damit Schaden, spricht ihn sein Gewissen von allem Selbst-Morde frey. Sietzt dem Fürsten so ein geschickter treuer Rath zur Seiten, ohne dessen unabläßiges arbeiten das Wohl seiner Unterthanen verloren gehen würde, ist es eine Tugend, daß er nicht durch Pflegung seiner des Landes wahrhafftes Wohl darüber verscherztet. Lehrer haben die Sorge vor die ihnen anvertrauten Seelen. Wollten die geruhig schlaffen, beym Essen sich nichts stören lassen, und ihrer Gemächligkeit nichts abbrechen, wie leichte könnten einige von denen ihnen anvertrauten darüber versäumet werden. Löblich demnach,  
  {Sp. 1264}  
  wenn ihnen mit Recht die Grabschrifft kan gesetzet werden: Consumor aliis: andern zum besten. Billig und gerecht ist es demnach, dem natürlichen Zuge, sein Leben zu erhalten, zu folgen.  
  Man muß sich wundern, wie sehr sich der Mensch bemühet, sein Leben zu verlängern. Ein Missethäter bittet, so ihm sein Gefängniß nicht gar zu unerträglich gemachet wird, ihm wenigstens nur nicht das Leben zu nehmen, wenn er gleich davor in ewiger Gefangenschafft und mit schlechter Pflege bleiben sollte. Hat des Menschen Ungeduld sich öffters den Tod gewünscht, o! wie groß ist die Furcht, wenn sich dessen Vorboten bey ihm melden? Wie eiligst wird nach dem Artzt geschickt? Wie begierig ist man nach Hülffs-Mitteln? Und wie gedacht, diese Begierde ist an sich nichts unrechtes, wenn sie nur höhern von GOtt gesetzten Zwecken nicht zu wider läuffet.  
  Gebrauche dich demnach aller ersinnlichen Mittel, dein Leben zu erhalten. Iß, trincke, schlaffe, setze aus in der Arbeit, mache dir ein Vergnügen, gehe spatziren, schicke nach den Artzt, und bediene dich dessen vorgeschriebener Medicin, weil auch diese von GOtt zu deinem besten geschaffen ist; doch alles, in so ferne es Mittel zu deiner höhern Endzwecken unterworffenen Erhaltung des Lebens sind. Will man deiner Gesundheit und Leben Dort thun, so rette dich mit der Flucht, oder, so dieselbe vor dies Mahl nicht thulich, wehre dich, so gut du kannst. Unterliessest du alles dieses, schlügest du eine Sache in die Schantz, die dir von GOtt zu bewahren anvertrauet worden.  
  Wills es damit nicht ausgerichtet seyn, ergreiff schädlichere Mittel, wenn nur ausser denenselben nicht noch geringere und unschädlichere da gewesen wären, und der Verlust durch dieselben nicht etwa grösser als der gegenseitige Gewinnst. Leidet darüber dein Nächster Schaden an seiner Gesundheit oder Leben, ja verliert wohl dasselbe gar dabey, wenn nur solches ohne deine Schuld und mit deinem Wiederwillen, darffst du dich keines Brandmahls des Gewissens dabey befürchten. Es war kein anderes Mittel da, dein Leben zu erhalten. Ja sollten auf der andern Seite eben so viel Kräffte verloren gehen, als du in Erhaltung deines Lebens gewönnest, begehest du doch nichts unrechtes.  
  Ein ieder vernünfftiger Mensch wird zwar sich wünschen, daß ihm dergleichen Fälle nie begegnen mögten. Wie wir schon mehr Mahls erinnert, setzen wir zum Voraus, daß durchaus kein anderes Mittel vor Handen; denn iede Handlung, da diese Prüfung nicht Statt hat, ist sündlich und unrecht. Es bleibe auch in solchem Falle auf der andern Seite, wer da wolle, wenn nur du, die deinigen und das gemeine Wesen nicht mehr dabey verlieret, als sie durch deine Erhaltung gewinnen; und dies mit soviel grösserm Rechte, je unbilliger jener deiner Gesundheit und Leben drohet.  
  Ambrosius de Offic. … Grotius de Iur. Bell. ac Pac. … und andere sind hier am unrechten Orte barmhertzig, dem angegrieffenen rathende, sich lieber umbringen zu lassen, als durch des angreiffenden Tod sich in Sicherheit zu setzen. Es haben sie aber Pufendorf de Iur. Nat. et Gen. … Thomasius Iurispr. Diu. … und andere schon wiederleget. Gewiß da würde die Bosheit un-  
  {Sp. 1265|S. 644}  
  ter denen Leuten erst recht hoch steigen, wenn sie wüsten, daß ein jeder, den sie anfiellen, sich nicht wehrte, sondern lieber sterben wollte. Was hält nicht noch manchen zurück, dem andern was zu thun, weil er meynt, jener möchte sich auch seiner Haut wehren, und da möchte er vielleicht dabey den kürtzern zühen? Und wie soll denn dem, der den andern wieder Recht und Billigkeit angegriffen, die Sache vor voll hinausgehen? Wird nicht das gemeine Wesen, wo nicht das gantze Gebäude aus einander fallen soll, nothwendig das göttliche Urtheil: wer Menschen-Blut vergeust, des Blut soll wieder vergossen werden, an einem so frevelhafften Übertreter vollzühen, wo er nicht in seiner Bosheit bestärcket, und zu mehrerer Unruhe soll aufgemundert werden. Und so gewinnt dieser durch jenes Tod doch nichts, ja das gemeine Wesen verliert an Stat eines Bürgers, der noch dazu ein Störer der gemeinen Ruhe worden, zwey, unter welchen der eine in diesem Falle unschuldig.  
  So weit gehen nun die Grentzen, innerhalb deren Du dir dein Leben mit des andern Schaden retten magst; gehet es über dieselben hinaus, will GOtt ein anderes. Derselbe liebt dich, aber auch deinen Nächsten. Liebt er nun einen ieden als sein Geschöpfe, müssen viele, wenn sonst kein würcklicher Vorzug unter denenselben, mehr als einer Recht haben. Und würden nicht deine Mitbürger, so Du dich entschlagen solltest, dein Leben oder Gesundheit vor sie hinzugeben, dich davor ansehen, als ob du dich besser als sie alle hieltest, da du dich denen gemeinschaftlichen Pflichten entzögest? Oder würde dich nicht eben das böse treffen, daß du jetzt alleine leidest, nur mit dem Unterscheide, daß andere mit lidten, welches jedoch in der Sache selbst nichts hilfft?  
  Recht und billig ist demnach, daß einer, daß etliche vor das Volck sterben: daß einige unserer Mitbürger sich der einbrechenden Feindes-Gewalt entgegen stellen, wenn sie auch dabey Schaden an ihrer Gesundheit oder Leben nehmen sollen. Den Glauben, die Religion, wichtige, nützliche Lehren mit seinem Märtyrer-Blute zu versiegeln ist im Falle der Noth nicht minder nöthig, und deswegen gerecht, und, denen es zukommt, gebührend.  
  Übrigens, merckest du, daß dein Lebens-Ziel auf dieser Welt herbey nahe, so ergieb dich in Gelassenheit dem Willen deines Schöpfers, der dir das Leben gegeben, daß ers ja auch wieder von dir fordern könne. Setze dich bey Zeiten in gute Bereitschafft, in ein solches Leben überzugehen, wo du ewig glückselig seyn wirst. Denn das ist der Unterscheid dieses Lebens, daß in demselben eine beständige Vermischung des guten und bösen, dort aber entweder ewig wohl oder ewig wehe seyn wird.  
     

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Stand: 28. März 2013 © Hans-Walter Pries