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Quellenangaben |
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Leben, Vita, Vie, wird alles, was eine
Würckung
und
Bewegung spühren lässet,
genennet, obgleich dasselbe nach dem
Unterscheide
derer
Dinge,
an denen es sich befindet, mercklich
unterschieden ist. |
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Das Leben eines
Cörpers
bestehet in seiner stetigen
Bewegung. Es muß aber ein Cörper, der des Lebens
fähig seyn soll, aus vielen und mancherley Theilen bestehen, die auf eine
wundersame Weise zusammen gesetzet ein Gantzes machen, und in demselben ein
gewisses Naß mit seinem Umlauffe durch alle dessen Theile eine Wärme und
Bewegung verursachen, wodurch der Cörper tüchtig wird, die Lebens-Kräffte zu
äussern, welche in der Nahrung, Wachsthume und Fortpflantzung bestehen. Auf
solche Weise leben die Gewächse und die Thiere. |
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Das Leben des
Menschen,
ausser dem vorhergehenden, welches er dem
Leibe
nach mit denen andern lebenden
Cörpern
gemein hat, bestehet in einer unzertrennlichen Gemeinschafft der
Seele und des
Leibes, der
Gestallt, daß bald auf einen gewissen
Gedancken in der Seele eine
gewisse
Bewegung an dem Leibe, bald hinwieder auf gewisse Bewegungen des Leibes
gewisse Gedancken in der Seelen erfolgen, und diese gemeinschafftliche
Würckungen währen so lange, als die beyden wesentlichen Theile, daraus der
Mensch bestehet, in gehörigem
Zustande und Beschaffenheit vereiniget bleiben. |
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Das Leben eines
Geistes
bestehet in
Gedancken, weil das Leben eine
Würckung ist, an einem Geiste aber
von uns keine andere Würckung als das dencken
erkannt wird. Andere beschreiben
das Leben kürtzer, als eine wohlgeordnete
Würcklichkeit, so aus
Verknüpfung der
Materie und der
Form entspringet, und ein jedes
Ding in seyn vollkommenes
Wesen
setzet. |
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In der Natur-Kunde wird gefraget, welches in denen
Cörpern
der Anfang und
Grund
des Lebens sey? Da denn kein Zweifel, daß, wie die
Bewegungs-Kräffte aus dem
Hirn, also die Lebens-Kräffte aus dem Hertzen ursprünglich kommen, und folglich
das Blut das vornehmste Werck Zeug sey zu dessen Unterhaltung, wie wohl die
übrigen Säffte davon nicht klar auszuschlüssen. |
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Zu Unterhaltung des menschlichen Lebens werden sechs
Dinge,
so die Gelehr- |
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{Sp. 1262} |
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ten unnatürlich nennen, unvermeidlich erfordert, Lufft und
Odem, Speise und Tranck, Ruhe und
Bewegung, Beladung und Ausleerung, schlafen
und wachen, Regungen derer
Sinnen
und des
Gemüths, an derer rechtem Gebrauche, welches man die Diät nennet, der Wohlstand und die Gesundheit, folglich
auch das Leben des
Menschen hanget, davon gantze
Bücher handeln. |
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Ob man durch Artzneyen das Leben verlängern, und auf eine ungewöhnliche Zeit
erstrecken, oder gar ungekränckt beständig erhalten könne, wird unter denen
Artzneyverständigen gefraget, und haben hierzu Anlaß gegeben diejenigen, so
gerühmet, daß ihre Tinctura vniuersalis, oder Lapis Philosophorum,
oder Aurum potabile, dergleichen zu Wege bringen solle, weil aber
die Möglichkeit noch durch kein Exempel
bewiesen worden, mag man sicher das
Gegentheil schlüssen. |
George Derharding Specim. Manuductionis
ad Vitam longam, quod tradit regulas generales circa motum et quietem hominibus
obseruandas, Rostoch 1723. |
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Von des
Menschen
Leben, Gesundheit, Kranckheit und
Tode haben geschrieben
Corn. Bontekoe und Christ. Fridr. Richter
ausführlich in seiner Erkenntniß des Menschen. |
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In
Rechten
wird gefraget: Wie lange ein
Mensch
natürlich leben könne, und wenn man mit gutem
Grunde
schlüssen möge, daß er
gestorben sey? Da denn einige auf 80. andere bis auf 100.
Jahre antragen. |
Naurath de Vita et Morte
Hominis. |
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Es enthält aber das Leben gewisse von
GOtt gegebene
Kräffte. Da
nun deren Richtigkeit die Gesundheit ausmachet, so folget von selbst, daß ieder
Verlust der Gesundheit, er sey, so klein er wolle, einen Theil des Lebens mit
sich wegnehme. Wer mir also meiner Gesundheit schadet, wird eines Theils an mir
zum Mörder. Niemand achte auch ein oder das andere Gliedmaß seines
Cörpers
vor gering, weil man, wenn man es
verlieret, noch nicht eben gleich daran
stirbet. Wirff immer ein Stück nach dem andern von deinem
Leibe weg, und siehe,
ob nicht endlich der
Tod beschlüssen wird. Das Bein also sich ablösen zu lassen,
damit der Brand nicht gar in Leib trete, ist freylich wohl ein geringeres Übel,
aber in Ansehung dieses Gliedes bist du tod, und deinen übrigen Cörper wird doch
der Tod beschleinigen. |
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Die
Erkenntniß
aber nun derer Lebens-Kräffte weiset, wie weit solchen Ziel und Maaß gesetzet
sey. Es hat dieselben ein höheres Wesen gegeben, also muß sich der untergebene
nach jenes Vorschrifft richten. Das
erkennen wir aus der genauen Prüfung solcher
Kräffte.
Alle Kräffte in der
Welt,
nach dem du sie so oder so betrachtest, geben bald Mittel zu höhern, bald Zwecke
der darunter gesetzten ab. Dein Leben zu erhalten zu wünschen, und Mittel
anzuwenden, ist nichts unrechtes.
GOtt hat dir es gegeben, daß du dadurch eine
Empfindung
des vorfallenden haben sollst. Verlörest du nun dein Leben, gienge auch
göttlicher Absicht verloren. |
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Es stehet also nicht etwa nur in deinem Belieben, dein Leben zu erhalten,
sondern du must auf alle Weise dein Leben zu erhalten suchen. Diese Erinnerung
mögte einem und dem andern unnöthig scheinen, gleich als ob in einem ieden eine
so starcke Lust zu leben wallete, daß es keines
Gesetzes
nöthig wäre. |
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{Sp. 1263|S. 643} |
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Zugeschweigen aber, daß der
Grund
nicht zulänglich, davon keine Gesetze zu geben, weil in solchem Falle
rechtschaffenen Leuten in den
gemeinen Wesen
kein Gesetze was angienge, da dieselben mit dem grösten Vergnügen die
vorgeschriebenen
Pflichten
verrichten; so fehlet es ja an Leuten nicht, die ihr Leben mehr als zu geringe
achten. |
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Wer ist denn wohl der
Sachen so unkundig, daß er nicht hier und da von
Menschen gehöret, die sich selbst umgebracht. Doch deren Anzahl, die durch
öffentlichen Rechts-Spruch als Selbst-Mörder
erkennet werden, mögte gegen das
gantze menschliche
Geschlecht noch ein geringes seyn; aber wie viel sind deren,
die am Ausgange mit jenen einerley, nur daß sie nicht als jene angesehen werden.
Stich dir den Degen durch den
Leib, oder nimm Gifft zu dir, der erst nach vielen
Jahren seine
Würckung thut, solltest du nicht bey einem so gut als bey dem
andern
Ursache deines
Todes seyn, und werden nicht selbst in öffentlichen
Gerichts-Stäten die letztern so gut als die erstern gestraffet, wenn sie
dergleichen gegen andere gebrauchet? Alles, was aus einer Ursache als eine
Würckung folget, ist jener zuzuschreiben. Thust du dir nun durch Handlungen, so
deinem Leben entgegen,
Schaden, bist du so gut Ursache an deinem
Tode. |
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Dieser Verdammniß hält man auch schon im gemeinen Leben die
würdig, welche
durch fressen, saufen, huren,
Jachzorn, u.d. in ihre Gesundheit hinein stürmen;
von denen dencket man aber nichts
böses, welche durch übermäßiges unnöthiges
studiren, Nachtsitzen, Traballen u.d. ihre Lebens-Kräffte
schwächen. Erfolget aber nicht endlich daraus der
Tod, und durch wen, als durch
sich selbst? Dem gemeinen Welt-Lauffe nach pflegt man zwar solche Leute bey
Lebzeiten durch unnöthige Lobeserhebung in ihrem Irrthume nur noch desto mehr zu
bestärcken, und ereilt sie ein frühzeitiger Tod, bedauert man zwar, welches
nicht unrecht ist, ihren frühzeitigen
Verlust, rühmt ihnen aber gleich alle eine
Tugend nach, daß sie sich zu
Tode gearbeitet, studiret, kühne auf den
Feind loßgegangen, u.d. Ist das, was oben vorgebracht worden, richtig, solte man
vielmehr solche unter dem Scheine der Tugend versteckte Laster entdecken, damit
nicht andere zu gleichen verführet werden, wenn sie durch ein so freygebig
ausgeschüttetes Lob zu gleichen Unternehmungen angeflammet werden. |
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Wir haben aber oben wohlbedächtig von unnöthiger Verkürtzung des Lebens
geredet. Ein Held, der nach reiffer Überlegung sich vor das Wohl vieler
Länder in Gefahr begiebt,
so, daß kein gelinderes Mittel vorhanden, verrichtet eine Tugend, folglich, thut
er sich an seinem Leben damit
Schaden, spricht ihn sein Gewissen von allem
Selbst-Morde
frey. Sietzt dem
Fürsten
so ein
geschickter treuer Rath zur Seiten, ohne dessen unabläßiges arbeiten das
Wohl seiner
Unterthanen verloren gehen würde, ist es eine Tugend, daß er
nicht durch Pflegung seiner des Landes wahrhafftes Wohl darüber verscherztet.
Lehrer haben die Sorge vor die ihnen anvertrauten
Seelen.
Wollten die geruhig schlaffen, beym Essen sich nichts stören lassen, und ihrer
Gemächligkeit nichts abbrechen, wie leichte könnten einige von denen ihnen
anvertrauten darüber versäumet werden. Löblich demnach, |
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{Sp. 1264} |
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wenn ihnen mit
Recht
die Grabschrifft kan gesetzet werden: Consumor aliis: andern zum
besten. Billig und gerecht ist es demnach, dem natürlichen Zuge, sein Leben zu
erhalten, zu folgen. |
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Man muß sich wundern, wie sehr sich der
Mensch
bemühet, sein Leben zu verlängern. Ein Missethäter bittet, so ihm sein Gefängniß
nicht gar zu unerträglich gemachet wird, ihm wenigstens nur nicht das Leben zu
nehmen, wenn er gleich davor in ewiger Gefangenschafft und mit schlechter Pflege
bleiben sollte. Hat des Menschen Ungeduld sich öffters den
Tod gewünscht, o! wie
groß ist die Furcht, wenn sich dessen Vorboten bey ihm melden? Wie eiligst wird
nach dem
Artzt geschickt? Wie begierig ist man nach Hülffs-Mitteln? Und wie
gedacht, diese
Begierde
ist an sich nichts unrechtes, wenn sie nur höhern von
GOtt gesetzten
Zwecken
nicht zu wider läuffet. |
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Gebrauche dich demnach aller ersinnlichen Mittel, dein Leben zu erhalten.
Iß, trincke, schlaffe, setze aus in der
Arbeit, mache dir ein Vergnügen, gehe spatziren, schicke
nach den Artzt, und bediene dich dessen vorgeschriebener Medicin, weil auch
diese von
GOtt zu deinem besten geschaffen ist; doch alles, in so
ferne es Mittel zu deiner höhern
Endzwecken
unterworffenen Erhaltung des Lebens sind. Will man deiner Gesundheit und Leben
Dort thun, so rette dich mit der Flucht, oder, so dieselbe vor dies Mahl nicht
thulich, wehre dich, so gut du kannst. Unterliessest du alles dieses, schlügest
du eine
Sache in die Schantz, die dir von GOtt zu bewahren anvertrauet worden. |
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Wills es damit nicht ausgerichtet seyn, ergreiff
schädlichere Mittel, wenn
nur ausser denenselben nicht noch geringere und unschädlichere da gewesen wären,
und der Verlust durch dieselben nicht etwa grösser als der gegenseitige
Gewinnst. Leidet darüber dein Nächster
Schaden an seiner Gesundheit oder Leben,
ja verliert wohl dasselbe gar dabey, wenn nur solches ohne deine Schuld und mit
deinem Wiederwillen, darffst du dich keines Brandmahls des Gewissens dabey
befürchten. Es war kein anderes Mittel da, dein Leben zu erhalten. Ja sollten
auf der andern Seite eben so viel
Kräffte
verloren gehen, als du in Erhaltung deines Lebens gewönnest, begehest du doch
nichts unrechtes. |
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Ein ieder
vernünfftiger
Mensch wird zwar sich wünschen, daß ihm dergleichen Fälle nie begegnen mögten.
Wie wir schon mehr Mahls erinnert, setzen wir zum Voraus, daß durchaus kein
anderes Mittel vor Handen; denn iede Handlung, da diese Prüfung nicht Statt hat,
ist sündlich und unrecht. Es bleibe auch in solchem Falle auf der andern Seite,
wer da wolle, wenn nur du, die deinigen und das
gemeine Wesen nicht mehr dabey
verlieret, als sie durch deine Erhaltung gewinnen; und dies mit soviel grösserm
Rechte, je
unbilliger jener deiner Gesundheit und Leben drohet. |
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Ambrosius de Offic. …
Grotius de Iur. Bell. ac Pac. … und andere sind hier am unrechten
Orte barmhertzig, dem angegrieffenen rathende, sich lieber umbringen zu lassen,
als durch des angreiffenden
Tod sich in Sicherheit zu setzen. Es haben sie aber
Pufendorf de Iur. Nat. et Gen. …
Thomasius Iurispr. Diu. … und andere schon wiederleget. Gewiß da
würde die Bosheit un- |
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{Sp. 1265|S. 644} |
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ter denen Leuten erst recht hoch steigen, wenn sie wüsten, daß ein jeder,
den sie anfiellen, sich nicht wehrte, sondern lieber
sterben wollte. Was hält
nicht noch manchen zurück, dem andern was zu thun, weil er meynt, jener möchte
sich auch seiner Haut wehren, und da möchte er vielleicht dabey den kürtzern
zühen? Und wie soll denn dem, der den andern wieder
Recht
und
Billigkeit
angegriffen, die
Sache
vor voll hinausgehen? Wird nicht das
gemeine Wesen,
wo nicht das gantze Gebäude aus einander fallen soll, nothwendig das
göttliche
Urtheil: wer Menschen-Blut vergeust, des Blut soll wieder
vergossen werden, an einem so frevelhafften Übertreter vollzühen, wo er nicht in
seiner Bosheit bestärcket, und zu mehrerer Unruhe soll aufgemundert werden. Und
so gewinnt dieser durch jenes
Tod doch nichts, ja das gemeine Wesen verliert an
Stat eines
Bürgers, der noch dazu ein Störer der gemeinen Ruhe worden, zwey,
unter welchen der eine in diesem Falle unschuldig. |
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So weit gehen nun die Grentzen, innerhalb deren Du dir dein Leben mit des
andern Schaden retten magst; gehet es über dieselben hinaus, will
GOtt ein anderes. Derselbe
liebt dich, aber auch deinen
Nächsten. Liebt er nun einen ieden als sein Geschöpfe, müssen viele, wenn sonst
kein würcklicher
Vorzug
unter denenselben, mehr als einer
Recht
haben. Und würden nicht deine Mitbürger, so Du dich entschlagen solltest, dein
Leben oder Gesundheit vor sie hinzugeben, dich davor ansehen, als ob du dich
besser als sie alle hieltest, da du dich denen gemeinschaftlichen
Pflichten
entzögest? Oder würde dich nicht eben das
böse treffen, daß du jetzt alleine
leidest, nur mit dem Unterscheide, daß andere mit lidten, welches jedoch in der
Sache selbst nichts hilfft? |
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Recht und
billig ist demnach, daß einer, daß etliche vor das
Volck
sterben: daß einige unserer Mitbürger sich der einbrechenden Feindes-Gewalt
entgegen stellen, wenn sie auch dabey Schaden an ihrer Gesundheit oder Leben
nehmen sollen. Den Glauben, die Religion, wichtige, nützliche Lehren mit seinem
Märtyrer-Blute zu versiegeln ist im Falle der Noth nicht minder nöthig, und
deswegen gerecht, und, denen es zukommt, gebührend. |
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Übrigens, merckest du, daß dein Lebens-Ziel auf dieser
Welt
herbey nahe, so ergieb dich in Gelassenheit dem
Willen deines Schöpfers, der dir das Leben gegeben,
daß ers ja auch wieder von dir fordern könne. Setze dich bey Zeiten in gute
Bereitschafft, in ein solches Leben überzugehen, wo du ewig glückselig seyn
wirst. Denn das ist der Unterscheid dieses Lebens, daß in demselben eine
beständige Vermischung des guten und
bösen, dort aber entweder ewig wohl oder
ewig wehe seyn wird. |
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