Titel: |
Flucht |
Quelle: |
Zedler Universal-Lexicon |
Band: |
9 Sp. 1340 |
Jahr: |
1735 |
Originaltext: |
Digitalisat BSB
Bd. 9 S. 689 |
Vorheriger Artikel: |
Fluchen laß ihn, denn der HErr hats ihm geheissen |
Folgender Artikel: |
Flucht auf die Berge |
Siehe auch: |
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Hinweise: |
- Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe
Hauptartikel
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Text |
Quellenangaben |
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Flucht, Lat.
Fuga, ist eine
Handlung, durch
welche man einem bevorstehenden
Übel entgehen
will. |
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Nachdem selbige aus trifftigen und
gerechten
Ursachen
geschiehet, nachdem ist sie gerecht oder
ungerecht. Solange ist
die Flucht gerecht, so wir durch dieselbe ein
böses, das wir
nicht
verdienet, noch aus
eigenem Verschulden
uns zugezogen, entgehen können. Ja unsere
Schuldigkeit ist, so
lange, als wir dadurch ein |
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{Sp. 1341|S. 690} |
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grössers Übel vermeiden können, der Flucht uns zu bedienen. Wir werden
unrechtmäßiger Weise angefallen, sehen wir nun eine sichere Retirade vor uns,
so ist es durchaus nicht erlaubt, uns der Nothwehr gegen den anfallenden zu
gebrauchen, weil hierdurch
vermuthlich
ein grosses Unheil, es sey auf welchem
Theile es wolle,
erfolgen könnte. |
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Gantz anders
mögte zu
sprechen seyn, wenn wir durch eine unzeitige Flucht unsern
Feind nur behertzter machen, daß er mit desto grösserem Muthe entweder ietzo
uns nachsetze, oder desto öffterer ein ander Mahl uns insultire. Dieses
würden wir vielleicht haben vermeiden können, wenn wir ihm gleich zum ersten
Mahle, soviel als die
Regel der
Klugheit
erlaubet, gewiesen, daß wir uns vor ihm nicht
fürchteten,
wodurch er denn vielleicht es etwas gelinder gegebene und uns beständig in
Ruhe gelassen. |
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Ausser dieser schon jetzo angeführten
unvernünfftigen und ungerechten
Art der
Flucht giebt es auch noch eine andere, da man wegen begangener Missethat
flüchtig wird. Indem wir
Bürger
eines
gemeinen Wesens
worden, haben wir uns anheischig gemacht, die
Gesetze der
Gesellschafft zu beobachten. Ist nun eines von denenselben,
daß die Missethäter andern zum Abscheu
sollen bestraffet
werden, so sind wir, indem wir unsern Consens zu dergleichen Gesetze gegeben,
nach dem Vertrage gehalten, die gehörige
Straffe davor auszustehen, welches aber nicht geschiehet,
wenn wir die Flucht ergreiffen; zugeschweigen, daß unser Verbrechen einer
andern unschuldigen
Person kann
beygemessen werden, wir also an dem Übel, daß derselbigen wegen vermeynter
Missethat zugefüget wird,
Schuld, und wir
also nur böses mit bösem häuffen. |
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Gantz was anders ist es, wenn wir uns versehen und wieder unsern
Willen
einen
Schaden
gethan,
als in welchem Falle auch eine Flucht erlaubet seyn könnte, und darinnen der
vernünfftige
Grund derer
Frey-Städte zu suchen, siehe Frey-Städte. |
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Bey denen Criminalisten wird die Flucht mit unter die
Ursachen, um welcher willen die Inquisition anzustellen,
gezählet, so
gar, daß, wenn jemand sich mit der Flucht salviret, der
Richter wegen des Anzeigen der Flucht, es mag solche schon
würcklich ergriffen, oder nur Anstallt dazu
gemacht worden seyn, zur Captur und Inhafftirung schreiten könne, |
Farin. Lib. I. Tit. 4. Qu. 27. 131. |
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ja auch gar zur Tortur oder Marter. |
Carpzou. Quaest. Crim. III. n. 35. |
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Es
muß aber allezeit
das Verbrechen
gewiß seyn, und
müssen andere
Umstände mit
unterlauffen. |
Carpzou. Pract. Crim. Quaest. 120. n. 62. et
seq. |
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Wenn wieder einen, der die Flucht ergriffen, der Rechts-Process
angestellet werden soll, wird
nothwendig
erfordert, daß er in der Flucht entweder schwerlich oder gar nicht zu
erlangen sey, denn wenn man ihn zur Hafft hat, oder dazu bringen kann, so
bedarff es keines Achts-Processes, oder Poenae Contumaciae, welches die
Acht
ist, sondern es wird mit der Inquisition wieder ihn verfahren. |
Carpzou. P. III. Qu. 107. n. 62. et Qu. 104. n.
34. |
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Wiewohl auch über die genommene Flucht noch mehr Verdacht erfordert wird,
daß nemlich die Persona fugitiua das Delictum
wahrhafftig,
völlig und
vorsetzlich verübet. Um deßwillen alle
Zeit von
Anstellung des Achts-Processes eine summarische Inquisition und Erkundigung
wegen des Corporis Delicti und des Thäters geschehen muß. |
Carpzou. d. Qu. 140. n. 49. 50. |
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Welches gar leicht erfolgen kann, wenn nach obigen
Unterricht bey der Rüge die
nothwendigen
Umstände, wer es
ge- |
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{Sp. 1342} |
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than? aus was Ursachen? wer am nächsten dabey gewesen, der es gesehen,
gehöret, und die beste Wissenschafft davon hat? erkundiget, sodann dieselben
Personen, nach der registrirten Rüge sobald erfordert, die
Wahrheit an
Eides Stat,
oder wohl gar nach zugleich vorgehaltenem und würcklich abgelegten Eide, und
gnungsamer Verwarnung vor des Mein-Eides schwerer Straffe, mit
Fleiß examiniret,
und ihre Aussagen gebührend registriret werden. |
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Es erfordert auch
Käyser
Caroli V. und des H. Röm.
Reichs
peinliche Halß-Gerichts-Ordnung Art. 206. daß sodann bey
einer solchen peinlichen
That und
vorhabenden Achts-Processu des flüchtigen Delinquenten
Vermögen gerichtlich adnotiret, und in Sicherheit gebracht
werde. |
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Wieder einen Missethäter, der die Flucht bereits ergriffen, pflegen und
sollen die Gerichts-Diener von der
Obrigkeit mit
offenen Steck-Briefen nachgeschicket werden, in welchen die Obrigkeit jedes
Orts bittlich ersuchet wird, daß, an welchem Orte der
flüchtige angetroffen werden mögte, denselben mit Vergünstigung der Obrigkeit
in gefängliche Hafft zunehmen erlaubet seyn möge. In diesen Steck-Briefen
wird kürtzlich erzählet, was der Flüchtige vor eine Missethat verübet habe,
hiernächst auch nicht nur sein
Name,
sondern auch die
Gestallt des
Leibes, das
Gesicht, und die darinnen befindlich-sonderbare Kennzeichen,
z. E. ein
aufgeworffen Maul, stumpffigte Nase, it. die Haare, Bart und Kleidung mit
allem Fleiß beschrieben, damit, wenn er sich ja etwa in einem Stücke
verstellet, man ihn dennoch an denen andern erkennen möge. Dergleichen Steck-
Briefe pfleget man nur in dem Falle nachzuschicken, wenn der Flüchtige ein
solch Verbrechen begangen, welches eine
Leib- und Lebens-Straffe nach sich zühet. |
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