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Quellenangaben |
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Umstand, Umstände,
Lat.
Circumstantiae,
sind, die einen Theil des
Zusammenhanges der Dinge ausmachen und der
Grund
wahrscheinlicher
Vermuthungen sind. |
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Sie werden von den Rhetoricis in die
Umstände theils der
Personen, theils der
Sachen
theils der Verrichtungen oder
Handlungen
eingetheilet. |
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Die Umstände der Personen, werden
eingetheilet |
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1) |
in die Gaben des
Gemüths als da ist: |
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2) |
in die Gaben des
Leibes, als da ist: die |
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3) |
in die Gaben des
Glücks, als da ist: |
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Die Umstände der Sachen sind die
sogenannten propria und accidentia, z.E. Das
Königreich Preussen ist ein volckreiches, ein
fruchtbares, ein geseegnetes
Land. |
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Die Umstände der Verrichtungen oder
Handlungen, Lat. Circumstantiae, sind
dreyerley: Entweder ich beschreibe |
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- was vorgegangen
(antecedentia)
- was bey der Handlung selbst
vorgelauffen (concomitantia)
- und was endlich
erfolget ist, (consequentia);
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Oder man brauchet
dem bekannten Vers: Quis? Quid? ubi? quibus
auxiliis? cur? quomodo? quando? |
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In der Rede Kunst wird sonderlich auf die
Umstände der
Zeit und des
Ortes gesehen: Dahin
gehöret alles, was zur selben Zeit, oder an
selbigen Ort merckwürdiges geschehen; also
können die Jahres-Zeiten, die Sonn- und Fest-Tage, die merckwürdige-Tage im Calender, die
himmlischen Zeichen und Aspecten, berühmte
Belagerungen, und Feld-Schlachten,
Glücks und
Unglücks-Fälle hoher Personen, so sich zu
selbiger Zeit ereignen, u.d.g. Anlas zu artigen
Einfällen geben. |
Kemmerichs Academie der
Wissenschafften II Th. … |
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In Logicalischem
Verstande sind die
Umstände, oder alles das, was wir an dem Object
empfinden, der
Grund
wahrscheinlicher
Vermuthungen oder einer supponirten
Hypothesi.
Es kommet demnach eine Hypothesis mit einem
Um- |
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{Sp. 1064} |
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stande des Objects darinnen überein, wenn
dieser letztere aus der Hypothesi, als ein Effect
aus seiner
causa, durch richtige Folge sich
schliessen, und solcher gestalt die Art und Weise,
wie er zugehe, sich erklären lässet. Also ist z.E.
Die Coppernicanische Hypothesis oder
Vermuthung von dem Weltbau, oder Systemate
Mundi, allerdings wahrscheinlich, weil alle
Umstände, die man an dem Welt-Gebäude und
dessen Bewegungen wahrnimmt, sich aus
derselben durch richtige Folge herleiten, und in
Ansehung der Art und Weise, wie sie zugehen,
verstehen lassen. Die Ptolomäische Hypothesis
hingegen ist nicht wahrscheinlich, weil
unterschiedene wichtige Umstände der
Bewegung
der grossen
Welt-Cörper, insonderheit des
Mercurii und Veneris, sich mit derselbigen auf
keine Weise zusammen reimen lassen; z.E. Es
kan aus dieser Hypothesi nicht begrieffen werden,
wie es komme, daß die Erdkugel niemahls
zwischen der Sonne und dem Mercurio oder
Venere zustehen komme. |
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Die Umstände des Objects, auf deren
Übereinstimmung mit der Hypothesi die
Wahrscheinlichkeit gegründet ist, können von
zweyerley Gattung seyn. Einige eräugnen sich an
dem Object von
Natur und ohne unser Zuthun;
andere hingegen durch allerhand so wohl
theoretische als practische Versuche der
Menschen, die man insgemein Experimente
nennet. Wer demnach in wahrscheinlichen
Wissenschafften etwas leisten will, der muß
zuförderst die völlige
Historie des Objects, d.i.
alles, was sich mit demselben begiebet, nach
allen Umständen inne haben. Denn die
Übereinstimmung nicht etwa nur mit einem oder
dem andern, sondern, so viel
möglich, mit allen
Umständen des Objects, machet eine Hypothesin
wahrscheinlich. Wem es dahero nicht gegeben ist,
die Historie eines Objects inne zu haben, z.E.
einem Privat-Manne die eigentlichen Umstände
der Staats-Geschäffte, der wird, so weit die
Umstände der
Sache verborgen sind, kein
sattsam gegründetes
Urtheil fällen können, was in
Ansehung, derselben
glaublich sey. |
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Hieraus erhellet der Unterscheid zwischen
einem demonstrativen und probablen
Beweise. In
jenem ist ein eintziger wohlgegründeter, und mit
demonstrativer Gewißheit schliessender
Beweisgrund so gut als tausend; indem ein jeder,
eben, weil er demonstrativ ist, die
Möglichkeit des
Gegentheils ausschliesset. In einem probablen
Beweise hingegen der von der Übereinstimmung
der Umstände mit der zu beweisenden Hypothesi
hergenommen wird, beweiset ein eintziger
Umstand nichts; wenn er auch gleich durch
demonstrative Folge aus der Hypothesi hergeleitet
werden könnte; gleichwie auch, wenn gleich alle
Umstände des Objects mit demonstrativer Folge
aus der Hypothesi hergeleitet werden könten, die
Hypothesis dennoch durch solche demonstrative
Übereinstimmung nicht demonstrativ, sondern nur
höchst wahrscheinlich wird. Denn in der
Hypothetischen
Nothwendigkeit, dergleichen in
dieser demonstrativen Übereinstimmung ist, wäre
es ein grober paralogismus, von der
Wahrheit und
demonstrativen Folge des consequentis auf eine
ebenfalls unstreitige Wahrheit des antecedentis zu
schliessen. |
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In einem Beweise demnach, der demonstrativ
seyn soll, kan die Vielheit der
Gründe, |
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{Sp. 1065|S. 548} |
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deren man sich bedienet, den Mangel der
demonstrativen Folge, der sich in ihnen eintzeln
befindet, auf keine Weise ersetzen; wohl aber in
den probablen Beweise einer Hypotheseos, als in
welchem, obgleich aus keinem derer zum
Beweise angezogenen Umstände des Objects,
wenn man nehmlich einen jeden Umstand allein
zum Beweiß annehmen wolte, die Hypothesis
weder gewiß noch wahrscheinlich folget, dennoch
die Übereinstimmung ihrer aller mit der Hypothesi
allerdings eine Wahrscheinligkeit, die ihren Beyfall
verdienet, hervorbringet. |
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Wenn ein Umstand des Objects mit einer
Hypothesi nicht übereinstimmend befunden wird,
so kan solches auf zweyerley Art geschehen;
Denn der Umstand wiederspricht entweder der
Hypothesi, oder er wiederspricht ihr zwar eben
nicht; man kan aber nur nicht absehen, wie er aus
der Hypothesi folgen, und also aus derselben, wie
er eigentlich zugehe, begriffen werden
könne. |
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Im ersten Fall, da sich nehmlich ein
wiedersprechender Umstand findet, ist die
Hypothesis nicht vor wahrscheinlich anzunehmen,
sondern vielmehr in Ansehung des
Wiederspruches, wenn demselben auf keine
Weise abzuhelffen ist, als eine demonstrative
Falschheit zu verwerffen; wenn auch gleich sonst
sehr viele gar wohl übereinstimmende Umstände
sich finden solten. |
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Im andern Fall hingegen, wenn sich nehmlich
nur unverständliche oder schwierige Umstände an
dem Object hervorthun, ist ein Unterschied zu
machen, ob deren nur etwa einer und der andere,
oder aber sehr viele sich zeigen. Wenn dieses
letztere ist, so ist die Hypothesis, in Ansehung des
so vielfältigen Mangels der Übereinstimmung vor
unwahrscheinlich zu halten, und zwar mehr oder
weniger, nachdem solche Schwierigkeiten, oder
unverständliche Umstände denen
übereinstimmenden oder verständlichen an
Anzahl nahe kommen, oder nicht, oder selbige
wohl gar übertreffen. |
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Ist aber nur etwa einer oder der andere
unverständlich, und die übrigen stimmen mit der
Hypothesi in grosser Anzahl überein; so höret
wegen der Schwierigkeit etwa eines oder weniger
Umstände, die Hypothesis nicht sogleich auf,
vermuthlich zu seyn; dieweil solche Schwierigkeit
oder Unverständlichkeit vielleicht aus dem Mangel
des ingenii, oder daß man etwa der Neben-Umstände eines solchen Umstandes nicht
sattsam kundig ist, herrühren kan; dahero auch
offt mit der
Zeit, wenn man von solchen Neben-Umständen mehr und mehr Erkundigung
einzuziehen Gelegenheit findet, eine solche
Anfangs anscheinende Schwierigkeit sich gar
leicht heben lässet; obwohl die Beysorge des
Gegentheils durch einen und den andern solchen
unverständlichen Umstand, wenn man auf keine
Wege siehet, wie ihm abzuhelffen sey, in etwas
vermehret werden kan. |
Rüdiger de sensu Veri et
Fals. … |
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Zuweilen widerspricht ein Umstand der Sache
einer sonst guten und mit allen andern Umständen
wohl übereinstimmenden Hypothesi nur zum
Schein; in dem alle
Ideen und
Propositionen, unter
denen ein wahrhaffter Wiederspruch seyn soll,
allen Umständen nach in einerley Absehen und
Betrachtung genommen werden müssen, und es
sich leicht begeben kan, daß entweder von der an
sich selbst guten Hypothesi, oder |
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{Sp. 1066} |
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von dem Umstande, der ihr zu
wiedersprechen scheinet, etwa ein kleiner Neben-
Umstand unbekannt ist, welcher, wenn er
entweder durch Hülffe des Ingenii, oder durch
genauere
Erfahrung, sich endlich findet, der
Wiederspruch, oder auch die Schwierigkeit
hinwegfält. |
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Dahero folget daß man dem anscheinenden
Wiederspruche oder auch nur der Schwierigkeit
eines Umstandes, zuweilen dadurch abhelffen,
und also die
Wahrscheinligkeit der
Hypotheseos
sicherer und vollkommener machen könne, wenn
man zur Hypothesi einen an sich selbst möglichen
Zusatz, oder zu dem widersprechenden oder
schwierigen Umstand eine eigene Hypothesin
oder probable Raison zu finden weiß, vermittelst
deren, wenn man sie setzet, der Wiederspruch
oder die Schwierigkeit hinwegfalle. |
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Dergleichen Zusatz, oder Neben-Hypothesin,
nennet D. Rüdiger de Sensu Veri et Falsi …
hypothesin subsidiariam; und erhellet aus der
Natur der Wahrscheinlichkeit überhaupt, daß
dergleichen Zusatz oder Neben-Hypotheses,
wenn sie anders vor
wahrscheinlich und nicht vor
eine blosse Mögligkeit oder Gedicht paßiren soll,
nicht etwa nur mit dem unverständlichen, oder
dem Schein nach wiedersprechenden Umstande,
wegen welches sie angenommen wird, sondern
auch mit den andern Umständen des Objects, so
gut als die Haupt-Hypothesis, übereinkommen
müsse. |
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Wenn derowegen bey einer sonst sehr
wahrscheinlichen Hypothesis sich noch eine und
andere Schwierigkeiten finden; so ist solches
eine Anzeigung daß entweder die Hypothesis
vielleicht noch unvollkommen, und zu derselben
noch etwas hinzuzuthun sey; oder daß man
vielleicht von den Neben-Umständen das mit der
Hypothesis noch nicht zum besten
übereinkommenden Hauptumstandes nicht
genugsame Erfahrung habe; oder auch, daß ein
solcher Umstand vielleicht seine eigene
besondere
Ursache habe. Dahero die
Wahrscheinligkeit solchenfalls nicht alsobald
hinwegfällt, sondern etwa dem Grade nach in
etwas vermindert wird. |
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Also bleibet zum Exempel, bey der
Copernicanischen Hypothesi von dem Systemate
mundi, aus welcher sonst alle Umstände des
Himmelslaufs sich ungemein wohl verstehen
lassen, diese eintzige Schwierigkeit übrig, daß,
wenn die Erdkugel einmahl an einem Punct ihrer
Bahn, in welcher sie sich um die Sonne herum
beweget, daß andere mahl an dem andern
entgegengesetzten Puncte derselben stünde, die
Fix-Sterne in Ansehung des Diameters der
gedachten Bahn eine merckliche parallaxin haben
müsten; welches doch mit der Erfahrung nicht
übereinstimmet. |
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Diesen
Zweifel zu heben, hat
Copernicus
eine so unermeßliche Entfernung der Fix-Sterne
von der Erdkugel supponiret und zu Hülffe
genommen, daß in Ansehung derselben der
Diameter der Erdbahn nur vor einen Punct zu
halten, und daher die parallaxis eines Fix-Sterns
unmercklich sey; |
Wolffs Anfangsgründe der
Astronomie … |
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immassen die parallaxis eines Sternes immer
kleiner ist, je weiter er von der Erden abstehet,
und also durch die Weite der Entfernung endlich
unmercklich werden muß, |
ebend. … |
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Weil nun diese unermeßliche Entfernung der
Fix-Sterne aus einer Menge von Umständen sehr
wohl zu |
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{Sp. 1067|S. 549} |
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erweisen ist: so ist sie allerdings als eine
gute hypothesis subsidiaria zu billigen, aus welcher der
obgedachten Schwierigkeit gar wohl abzuhelffen
ist. |
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Hingegen wenn zur Ablehnung der
Schwierigkeiten, die sich mit der Ptolomäischen
Hypothesis in grosser Menge nicht wollen
zusammen räumen lassen, von den Vertheidigern
derselben supponiret wird, daß an den grossen
Zirckeln, die die Sterne in ihrem Umlauf um die
Erde beschreiben, andere kleine, die sie epicyclos
nennen, zu finden, welche sie, neben den
grossen, mit umlauffen müsten (Wolff c.l. …) so
siehet man leicht, daß die Supponirung dieser
epicyclorum keine gute und wahrscheinliche
hypothesis subsidiaria, sondern ein blosses
Gedicht sey: indem nicht allein diese supponirten
epicycli mit keinem andern Umstand erwiesen
werden können, als aufs höchste mit denjenigen,
wegen welcher sie aus Noth supponiret werden;
sondern auch, wenn man sie gleich einräumen
wolte, andere noch weit mehrere Schwierigkeiten
daraus entstehen, denen auch durch alle neue
wiederum zu Hülffe genommenen unerweißliche
hypotheses subsidiarias nicht einmahl abzuhelffen
ist. |
Müllers Philosoph.
I Th.
… |
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In moralischen und juristischen
Verstande
sind die Umstände zwar überhaupt bey jeder
Handlung und vorkommenden Fällen, bey denen
Verbrechen aber dennoch gantz besonders mit
Fleiß zu erwägen, und selbigen von dem
Richter
möglichst nachzuforschen, damit die Gerechtigkeit
um so viel besser in Acht genommen, und das
Recht vom Unrechte unterschieden, auch die
Billigkeit gebührend beobachtet werden möge.
Mithin ist vornehmlich zu betrachten, ob
etwas |
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1) |
vorsetzlich, oder doch aus
freyem Willen und wissentlich |
2) |
aus Fahrläßigkeit,
darunter auch die Unwissenheit und der Irrthum
gehöret oder aber |
3) |
von einem ungefärlichen
Zufall geschehen, den ein
Mensch durch seine
Vorsichtigkeit nicht abwenden
können. |
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Davon an gehörigen Orten mit mehrerm
gehandelt wird. |
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Insbesondere aber hat nach Maßgebung der
Chur-Sächsischen Rechte über einerley Punct
zwar
Beweis und Eydes-Delation zugleich nicht
statt, |
Proceß-Ordn. … |
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doch mag das Factum bewiesen, und über
dessen Umstände der
Eyd deferiret werden. |
Ibid. |
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Wer über einerley
Artickel oder Umstände
viele in unterschiedenen
Orten befindliche Zeugen
angiebt, mag dieserwegen nicht weniger als
wegen ausländischer Zeugen mit dem Eyde der
Boßheit oder vor Gefährde beleget werden. |
Erläut. Proceß-Ordn.
… |
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Wenn bey Fortsetzung des Processes
wahrgenommen wird, daß es an einem oder
andern Umstand noch fehle, ist auf dessen
sonderlichen Beweis ohne Anstellung einer neuen
Klage zu sprechen. |
Erläut. Proceß-Ordn.
… |
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Wichtiger Umstände halber findet wieder
eydliche Verträge die Entbindung von dem
Eyde |
c. 35. … |
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ingleichen Linderung der
Straffen statt. |
C. 22. … |
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Siehe anbey auch die Artickel: |
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- Circumstantiae, im VI
Bande,
p. 151
- und
Formalia, im IX Bande, p. 1492.
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