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Quellenangaben |
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Möglich, Possibile, ist überhaupt dasjenige,
was nichts
widersprechendes in sich hat,
z.E. ein
höltzerner Teller, eine
Maschine, die da
Stunden
anzeiget. |
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Wie aber das Mögliche nicht einerley
Bedeutung hat, sondern bald von diesem in
diesem, bald von dem andern in einem andern
Verstande gebrauchet wird: also entstehen daher
auch noch so viel besondere
Erklärungen oder
vielmehr Bestimmungen. |
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Im engen Verstande (stricte) wird es
genommen, was nur bloß bey der Möglichkeit
bleibet und niemahls zur
Würcklichkeit gelanget:
dergleichen die Platonische Republick ist. |
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Im weiten Verstande (late) heisset möglich,
was nicht nur bey der Möglichkeit bleibet, sondern
auch wahrhafftig
würcklich wird: es mag nun
schon da gewesen seyn, oder noch da seyn, oder
noch allererst kommen; in welcher Bedeutung die
Fatalisten das
Wort möglich gebrauchen. |
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Im weitläufftigsten Verstande (latissime) heist
es alles dasjenige, was
seyn kan, es mag nun
entweder nur bloß möglich bleiben, oder auch
würcklich werden. Dazu, daß etwas ist, ist nicht
genug, daß es nichts widersprechendes in sich
enthält. So ist z.E. klar, daß deßwegen nicht
gleich ein viereckigter Tisch rund wird, weil
viereckigt seyn und rund werden einander nicht
widerspricht, sondern beydes gar wohl neben
einander bestehen kan, indem wir begreiffen, daß
das viereckigte eine Rundung bekommet, wenn
die Ecken abgestossen werden. |
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Da nun dasjenige, was möglich, nichts
widersprechendes in sich enthält; so ist freylich
mehr als zu klar, daß etwas deßwegen noch nicht
ist, weil es möglich ist, und lässet sich von der
Möglichkeit allein nicht schliessen, daß es sey
oder seyn werde. Nemlich wenn ich
erkenne, daß
etwas möglich sey; so kan ich deßwegen nicht
annehmen, daß es würcklich da sey, oder vor da
gewesen oder auch künfftig kommen werde.
Es |
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{Sp. 758} |
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muß also ausser der Möglichkeit noch was
mehrers dazu kommen, wenn etwas seyn soll,
wodurch das Mögliche seine Erfüllung erhält. Und
diese Erfüllung des Möglichen ist eben dasjenige,
was man Würcklichkeit nennet. Worinne sie aber
bestehet, das ist, wie das Mögliche zur
Würcklichkeit gelanget, wird in dem
Artickel:
Würcklichkeit, gezeiget. |
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Wie nun das Mögliche an sich seinen
Grund
haben muß, warum es möglich, und nicht vielmehr
unmöglich ist; so muß auch die Vorstellung, wenn
man sich was als möglich vorstellet, ihre
Ursache
haben und das ist die
Erkänntniß der
Beschaffenheit der
Sache, die möglich seyn soll,
damit man siehet, ob was widersprechendes
darinnen enthalten sey, oder nicht? |
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Insonderheit hat man die Möglichkeiten von
den
Wahrscheinlichkeiten unterscheiden zu
lernen. Denn bey einer Möglichkeit hat man nur
einen Grund, warum eine Sache nicht unmöglich;
bey der Wahrscheinlichkeit hingegen sind auch
Gründe vor die würckliche
Existentz, daß sie
kommen werde, die zwar nur so beschaffen, daß
eine gegenseitige Möglichkeit dabey statt findet.
Z.E. daß ein frischer und gesunder
Mensch noch
diese Woche sterbe, ist nach gegenwärtigen
Umständen was mögliches; daß ein Patient, der
gefährlich kranck ist, diese Woche sterbe, ist
wahrscheinlich, aber nicht gewiß, eben daher, weil
die gegenseitige Möglichkeit statt findet, das ist,
es kan geschehen, daß er wieder aufkommt. |
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Solchen Unterscheid muß man nicht nur zur
Erkenntniß der
Wahrheit wissen, damit man nicht
von dem Möglichen auf das Wahrscheinliche, oder
wohl gar auf das Gewisse schliesse, wie es
offtmahls in der Physic von den Mechanicis
geschehen; sondern auch zur
Klugheit, wenn
man sich wegen des Erfolgs der künfftigen
Begebenheiten behutsam und vorsichtig verhalten
will, welches darauf ankommt. |
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1) |
Ein kluger
Mann richtet
seine Absichten nicht auf
unmögliche
Dinge, in
dem es närrisch wäre, wenn er selbige
hoffen,
oder sich dafür fürchten wolte; |
2) |
läst er sich nicht einmahl
durch bloß mögliche künfftige Zufälle einnehmen,
daß er auf Seiten des
Glücks hoffen und was
unglückliche Begebenheiten wären, sich fürchten
wolte. Denn bey einer bloß möglichen
Furcht, oder
Hoffnung, kan man sich zu nichts entschliessen,
was man zur Erhaltung des
Guten und
Abwendung des
Bösen vornehmen solte, indem
die möglichen Fälle nicht nur unendlich, sondern
auch bey ieglicher Möglichkeit das Gegentheil
statt findet. Z.E. es ist möglich, daß des
Sempronius
Geld in
Hamburg liegen blieben, und
also will er hinreisen und solches holen; es ist
aber auch möglich, daß es nicht daran liegen
blieben, und also muß er vermöge dieser letztern
Möglichkeit zu
Hause bleiben; folglich kommen
zwey practische Contradictoria,
reisen und nicht
reisen, heraus. |
3) |
Wenn die möglichen Fälle
des Glückes so beschaffen, daß man bey seinem
gegenwärtigen Glück nichts
verlieret, auch eine
geringere Mühe deswegen anzuwenden, so ist es
eben nicht unweislich gehandelt, wenn man auch
etwas blos mögliches mit abwartet, welches sich
auch auf solche Art bey den Umständen eines
möglichen
Unglücks verhält. |
4) |
Wie weise Leute aus
Möglichkeiten keine Wahrscheinlichkeiten
machen, und sich also hüten, |
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{Sp. 759|S. 401} |
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daß sie sich in keine vergebliche
Furcht oder
Hoffnung setzen; also machen sie auch aus den wircklichen
Wahrscheinlichkeiten keine Möglichkeiten. Denn erkennt man die
wahrscheinlichen Umstände des Glücks nicht und bildet sich selbige nur
vor möglich ein, so wird man
furchtsam und läst den Muth sincken;
gleichwie bey unglücklichen Fällen daraus eine
schädliche Sicherheit
entstehen kan, wofern man ein wahrscheinlich zu besorgendes
Ubel vor
einen bloß möglichen Zufall ansiehet. |
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Walch hat in der Einleitung in die Philosophie
… die Lehre von der Möglichkeit umständlicher
vorgetragen. |
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Es sind aber nicht alle
Dinge möglich. Denn
manchmahl verhindert eine
Sache möglich zu
machen die Ehre
GOttes, das Gewissen, die
Wahrheit, das
Recht und Gerechtigkeit, Ehrbarkeit
etc. welche verletzet werden. So saget Paulus
Röm. XII, 18. Ists möglich, so viel an euch ist,
haltet mit allen Menschen Friede. Erasmus
meynet zwar, diese Bedingung gehöre zu denen
vorhergehenden
Worten, von der Ehrbarkeit:
Fleißiget euch der Ehrbarkeit gegen iedermann,
so es möglich; aber gantz wider die Sache selbst
und ohne
Beweiß, denn geschweige daß die
Christen allezeit ohne einige Bedingung
gutes
thun, und der Ehrbarkeit sich befleißigen sollen
und auch können; So widersprechen auch solcher
Meynung alle
Griechische Exemplarien mit ihrer
Distinction. So hat es auch der Syrische
Dollmetscher nicht gelesen oder verstanden. |
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Gehören demnach ohne allen Widerspruch
die Worte zur Christlichen Friedseligkeit, welche
die Christen üben sollen, so es möglich. Womit
dem unrechtmäßigen
Frieden vorgebeuget wird,
welcher daher vor
unmöglich gehalten wird, weil
er mit der
Pflicht eines Gläubigen streitet, indem
er das Gewissen beschweret, und so wohl der
Wahrheit als göttlichen Ehre
nachtheilig ist. |
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Denn freylich können Christen nicht allezeit
Frieden haben, wenn sie gleich gerne wolten, sie
dörffen auch nicht. Die Kirche hat selbst ihre
Feinde, die verfolgen auch ein iedes wahres Glied
derselben. Das gehet öffters nicht sowohl ihre
Person, als die göttliche Wahrheit an, welche die
Feinde verlästern oder gar unterdrücken wollen.
Alsdenn ist es Christen nicht möglich Friede zu
halten; thäten sie es, so sündigten sie an
GOtt
noch darzu. Solcher gestalt wären sie von der
Welt; ihr Christenthum wäre eine lautere
Heucheley, und kein Ernst. |
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Wer war friedliebender als David? Doch war
es ihm nicht möglich mit allen, nemlich mit den
Feinden GOttes, Friede zu halten. Die
Jüden
hätten auch gerne Friede gehalten, aber wie war
es möglich, als die
Heyden GOtt, seinen Tempel
und Gottesdienst angriffen? da musten sie
nothwendig sich wehren und
Krieg haben, wie aus
denen
Büchern vielfältig erhellet. |
- Krausens Epist. Pred.
Schatz …
- Günthers Erklärung der Epistel an die
Römer, Th. II …
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Obgleich denen
Menschen nicht alles
möglich, so sind doch bey GOtt alle Dinge
möglich, |
- Matth. XIX, 26,
- Marc. X, 27.
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welches der Engel Gabriel gegen Marian also
ausspricht: bey GOtt ist kein Ding unmöglich, |
Luc. I, 37; |
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und ist dafür zu halten, daß dieser Spruch,
der die unendliche All- |
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{Sp. 760} |
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macht GOttes preist, ein alt und bekannt
Sprüchwort unter denen
Jüden gewesen sey, so
sie aus dem gemacht, was sie von GOtt und
seinen Propheten gehöret; als wenn der Sohn
GOttes zu Abraham sprach: solte dem Herrn
etwas unmöglich seyn? |
1 B. Mose XVIII, 14; |
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ingleichen, wenn es heist: sein Vermögen und
starcke Krafft ist so groß, daß nicht an einem
fehlen kan, |
Es. XI., 26, |
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du hast Himmel und Erden gemacht durch
deine grosse Krafft, und durch deinen
ausgestreckten Arm, und ist kein Ding vor dir
unmöglich, |
Jerem. XXXII, 17, |
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so spricht der Herr Zebaoth, düncket sie
solches unmöglich seyn vor den Augen dieses
übrigen Volcks zu dieser Zeit, solts darum auch
unmöglich seyn vor meinen Augen? |
Zachar. VIII, 6. |
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Aus diesen Sprüchen, da von GOtt
gesagt
wird, es sey nichts, so er nicht thun könne, haben
sie nun dieses Sprüchwort gemacht und gesagt:
bey GOtt sind alle Dinge möglich. Und es ist auch
dieses GOtt alleine eigen; Menschen müssen
vieles bleiben lassen, sie vermögen es nicht
auszurichten, ob sie schon gerne wolten, aber
GOtt ist alles möglich. Die
heilige Schrifft
erläuterts mit so viel Exempeln. |
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Das Eisen ist schwer, und fällt ordentlicher
Weise zu Boden, noch machte GOtt möglich, daß
es schwamm, |
2 Kön. VI; |
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Feuer brennet ordentlich, aber GOtt schaffte
dereinst, daß es nicht brannte, |
Dan. III; |
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das mag heissen: bey GOtt sind alle Dinge
möglich. |
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Von denen
Jüden haben es auch andere
gelernet, daher kommen viele Sprüche der
Heyden, die mit diesen gleiches Inhalts sind. Die
Griechen sagen: [ein Satz griechisch], Deo
annuente omnia possibilia. |
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[Ein Satz griechisch], illius potestati nihil
potest resistere, sagt Bardisanes Syrus beym
Eusebio, und die Stoici beym Cicero sagen:
nihil
est, quod Deus efficere non possit, auch nicht das
geringste sey es, so GOtt nicht ausrichten
könne. |
Zehners Adagia … |
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