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Zedler: Buch HIS-Data
5028-4-1736-1
Titel: Buch
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 4 Sp. 1736
Jahr: 1733
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 4 S. 883
Vorheriger Artikel: Bucerus, (Martinus)
Folgender Artikel: Buch, Bücher
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

  Text   Quellenangaben und Anmerkungen
  Buch, in Ansehung seiner Teutschen Benennung, mag wohl, wie de Ludewig Vit Justin.muthmaßet, von dem Baume, Buche genannt, herkommen, weil ehemahls, ehe das Pappier bereitet worden, man zu denen Büchern die innerste Rinde, Blätter, oder auch wohl das geschliessene Holtz von Buch-Bäumen genommen.  
  Es sind aber Bücher, nach ihrer innerlichen Beschaffenheit, Gedancken, welche deswegen aufgezeichnet worden, damit selbige vielen andern mitgetheilet, und auch an und vor sich der Vergessenheit entzogen werden können. Durch die Gedancken verstehen wir alles dasjenige, welches in dem menschlichen Verstande vorgehet, es mag sich nun solches entweder auf die gemeine Erfahrung, oder auf das scharffsinnige Nachdencken gründen; dahero man denn die Bücher überhaupt in gelehrte und ungelehrte eintheilen kan. Beyde sind in ihrer Art nützlich, und da die Zufälle gegenwärtiger Zeiten ihren Einfluß in die zukünffti-  
  {Sp. 1738[1]|S. 884}
[1] HIS-Data: 1737 übersprungen
  gen haben, so ist die Aufzeichnung solcher Geschichte unumgänglich nothwendig.  
  Gesetzt auch, daß man durch das eigene Nachdencken die tieffste Einsicht in denen Gründen der Weißheit erlangen könte, so erhellet doch hierbey klärlich, daß die erstere Gattung von Schrifften unentbehrlich sey. Wollte man auch gleich einwenden, daß in denen erstern Zeiten der Welt man sich vielmehr des mündlichen Vortrags als derer Bücher, zu Erhaltung derer Geschichte, bedienet hätte, und daß man diesem Beyspiele folgen könne; so wollen wir doch nur dieses eintzige noch dargegen setzen: Die Länge der Zeit hat die Geschichte vermehret, und die Grösse der heutigen Welt, welcher in der Zusammenverbindung vieler Menschen bestehet, macht zugleich die Erkänntniß von denen Umständen derer Menschen weitläufftig. Wir bemercken in allen Dingen, daß ihr Anfang klein gewesen, und sie nicht auf einmahl, sondern nach und nach zu ihrer ietzigen Grösse gelanget sind.  
  Ehemals lebten nicht nur gantze Völcker, sondern wohl gar eintzele Familien vor sich, ohne sich mit einander zu verbinden; Nunmehro ist es nicht nur dahin gekommen, daß der gemeine Nutzen die Reiche von Europa mit einander auf das genaueste verbindet, sondern auch die entlegensten Welt-Theile sind in die Umstände von Europa verwickelt. Die Welt ist also viel grösser, als sie vor dem gewesen, welches wir sonderlich von denen allerersten Zeiten verstehen, und dahero ist das menschliche Gedächtniß, ohne Beyhülffe derer Schrifften, einen solchen weitläufftigen Zusammenhang derer Dinge zu fassen, nicht mehr fähig.  
  So wenig aber die gemeine Erfahrung, in demjenigen Verstande, da auch die Geschichte der Welt drunter begriffen werden, ohne Bücher bestehen kan, so unentbehrlich sind selbige bey der Gelehrsamkeit. Die Eitelkeit derer Gelehrten zu einer die menschlichen Kräffte übersteigenden Vollkommenheit zu gelangen, hat auch einige dahin verleitet, die falsche Meynung zu ergreiffen, ohne Bücher gelehrt zu werden. Was die Prahlerey an solchem Vorgeben vor einen Antheil habe, erhellet aus dem Exempel des Cartesii, welches Stolle in der Historie der Gelahrheit … anführet. Gesetzt auch, daß man einen solchen Mann, welchen man billig vor ein Wunder anzusehen hat, finden könne; so muß man doch dabey nachfolgenden Gedancken Platz geben.  
  Die Gelehrsamkeit kan man auf folgende Art eintheilen: Einer ist in so weit gelehrt, daß er zu Verrichtung nützlicher Dienste in den gemeinen Wesen nicht ungeschickt ist. Hierzu wird erfordert, daß er einen Zusammenhang dererjenigen Gründe begreiffe, welche zu Verrichtung seines Vorhabens unumgänglich nothwendig sind. Wir sprechen solchen keinesweges den Ruhm eines nützlichen, und auf gewisser Maaße gelehrten Mannes ab. Die Wissenschafften sind anfänglich auch nicht in Büchern abgefasset gewesen. Der menschliche Verstand hat solche durch Erfahrung und Nachdencken erfunden: Also ist es nicht unmöglich, daß nicht ein grosser Kopff auch auf dergleichen Spuren kommen solte.  
  Auf der andern Seite aber muß man sich einen weitläufftigern Begriff von einem Gelehrten machen. Es sind viele Dinge in der Gelehrsamkeit, welche, wenn wir sie an und vor sich selber betrachten, keinen Nutzen zu haben scheinen; dennoch gehören dieselbe als Theile  
  {Sp. 1739}  
  zu dem Gantzen einer Disciplin, wenn nun das Gantze würcklich einen Nutzen hat, so muß derselbe auch denen kleinsten Theilen zugeschrieben werden. Niemand wird diesen Satz leichter begreiffen können, als diejenigen, welche sich mit fleißigen Nachdencken über die Einrichtung derer Disciplinen beschäfftigen. Wer sich nun also vor einen vollständigen Gelehrten ausgeben will, derselbe muß so wohl den genauesten Zusammenhang seiner Gründe auch in denen kleinsten Theilen zu ertheilen wissen, als auch denselben wieder die Gegen-Meynungen, nebst Anzeigung des Grundes solcher Irrthümer vertheidigen können.  
  Wir reden hier keinesweges denen Grillenfängern das Wort. Alles in der Welt ist eitel. Diese Eitelkeit erstrecket sich auch auf die Gelehrten, von welcher Hilscher de Periergia seu inani studio Eruditorum. Lipsiae 1693. sattsame Proben anführet; nur muß man in diesem Falle nicht allzusehr auf das Gegentheil fallen, und den Nutzen gelehrter Sätze nicht nur aus der Betrachtung des eintzeln Satzes, sondern des gantzen Zusammenhanges zu beurtheilen suchen.  
  Wer nun eine solche Gelehrsamkeit zu erlangen meynet, kan freilich derer Bücher nicht entbehren. Sowohl die Kürtze des menschlichen Lebens, als die eingeschränckten Kräffte unsers Verstandes, erlauben einem eintzigen Menschen nicht alle Gedancken, die hierzu gehören, ohne eintzige Anleitung bey sich zu verspüren. Den Grund der Gegen-Meynung zu erfinden, ist ohne die Geschichte derer Gelehrten zu wissen, gleichfals fast nicht möglich, und wenn auch alles dieses angehen möchte, so würde doch ein jeder Mensch denjenigen verlachen, welcher aus blossen Eigensinn, um sich der Hülffe eines Wegweisers nicht zu bedienen, seine Reise durch viele Irr-Wege im Jahres-Frist vollenden wolte, da er doch solche, wenn er andern hätte folgen wollen, in wenigen Tagen hätte vollbringen können. Das Urtheil Stollens in der Historie der Gelahrheit … ist deswegen sehr vernünfftig, da er spricht: Es würden viele noch gelehrter seyn, wenn sie weder die Bücher, noch Lehrmeister an die Seite gesetzet hätten, zugeschweigen, daß die, so beyde verworffen, sehr übel daran sind, weil es ihnen an dem einen Auge der Gelahrheit, nehmlich der Historie, fehlen muß.  
  Wir wollen über dieses noch drey Gründe hinzu setzen: Wer sich in Erlernung seiner Wissenschafften nicht zugleich um anderer ihrer Schrifften bekümmert, siehet alle seine Erfindung vor neu an; dieses gefällt ihm, und suchet er sich dadurch groß zu machen. Gleichwohl erhält er dadurch nichts anders, als daß man ihn entweder eines Plagii beschuldiget, oder er doch durch seine Hoffart lächerlich wird. Zu diesem kömmt noch hinzu, daß es das gröste Verderben vor einem Gelehrten ist, wenn er sich allein vor klug hält; das ist aber der nächste Weg hierein zu verfallen, wenn man nicht zugleich andere hören will. Jeder Gelehrter, welcher sich nur selbst erkennet, wird gestehen müssen, daß ihm nichts so schwer zu bestreiten sey, als das Vorurtheil von seinen eignen Kräfften.  
  Ferner, so ist bekannt, wie die Gelehrten zu allen Zeiten, nicht sowohl in denen Sachen selbst, als in der Sprache, womit sie ihre Begriffe bezeichnen, von einander unterschieden gewesen sind: Mit welcher Art von Gelehrten man umgehen will, deren ihre so genannte Sprache  
  {Sp. 1739|S. 885}  
  muß man verstehen lernen. Dieses aber kan auf keine andere Weise geschehen, als wenn man sich in ihren Schrifften umsiehet. Ist solches ein Unglück vor das menschl. Geschlechte, so ist doch auch in diesem Falle die Creatur der Eitelkeit unterworffen, wider ihren Willen.  
  Drittens, so erfordert die Ordnung der menschl. Natur, daß keiner ohne dem andern bestehen kan, sondern auch hier der Satz des Sallustii Catil. 1 eintrifft: Unusquisque per se indigens, alter alterius auxiliis eget. Hiervon können sich keines weges die Gelehrten ausnehmen, und da es ihre vornehmste Pflicht ist, der Ordnung der Natur zu folgen, warum wollen sich denn dieselben nicht auch die Kräffte anderer bedienen? Die Einwendungen, daß man sich leichte verwirren könne, ist nur ein Vorwand schwacher Köpffe. Ein geprüffter Witz weiß iederzeit das Wahre von dem Falschen zu unterscheiden, und wer dergleichen nicht besitzt, mag zufrieden seyn, ein mittelmäßiger Gelehrter zu werden, weil er doch niemahls zu der Höhe eines Haupt-Gelehrten gelangen wird.  
  Aus diesem allen erhellet nun sattsam, daß wir uns derer Bücher bedienen müssen. Hierzu wird nun erfordert, daß man eine Erkänntnis von Büchern habe; solche nun zu erlangen, finden wir in denen vorhandenen Schrifften von der Historie der Gelahrheit, und in dem Umgange mit andern Gelehrten, gnugsame Gelegenheit. Unser Absehen erlaubet uns nicht hiervon an diesem Orte insonderheit zu handeln. Wir bleiben nur bey gemeinen Betrachtungen, und setzen zum Voraus, daß die Erkänntnis der Bücher noch keine wahre Gelehrsamkeit sey, sondern nur ein dienliches Mittel zu derselben zu gelangen. Es verhält sich mit solcher, als wie mit der Mitwissenschafft der Sprachen. Diese ist gleichfalls das Mittel der Gelehrsamkeit, aber noch keine wahre Gelehrsamkeit selber.  
  Die Gewohnheit der ietzigen Zeiten hat die Erkänntnis der Bücher so groß gemacht, daß viele ein Haupt Werck daraus machen. Es ist auch solches wegen der Weitläufftigkeit diese Erkänntnis höchst nöthig. Diejenigen, welche solche besitzen, verdienen nothwendig ihren Ruhm: Wollen sie aber das hochmüthige Vorurtheil von sich selber ablegen, so werden sie zugestehen müssen, daß sie nichts anders, als gelehrte Handlungen können genennet werden. Hierunter gehet ihrer Würde nicht das geringste ab. Zu denen größten Gebäuden werden auch dergleichen Leute erfordert. Die Gelehrten solten von Rechts wegen alle Dinge nicht nach dem äußerlichen Ansehen, sondern nach der innerlichen Beschaffenheit, betrachten. Thäten sie solches, so würde sich keiner dem andern vorzuziehen suchen, sondern sich allerseits vor nützliche Glieder des gemeinen gelehrten Wesens, halten.  
  Bey der Erkänntnis derer Bücher ist zu mercken, daß selbige zweyerley ist: einmahl, die Historische; das andere mahl die Critische. Die Historische bestehet in der gemeinen Erfahrung, sie lehret uns, von wem, zu welcher Zeit,, und mit was vor Umständen ein Buch an das Licht getreten. Sie bekümmert sich um die unterschiedenen Auflagen, Verbesserungen und Verschlimmerungen derer Bücher. Diese gehöret eigentlich vor die Buchhändler, schadet aber auch den Gelehrten nicht, nur muß er bey dieser Erkänntnis nicht stille stehen, sondern hauptsäch-  
  {Sp. 1740}  
  lich um die Critische Erkänntnis bemühet seyn.  
  Diese erfordert, daß man den wahren Werth eines Buches wisse. Hierzu sollten die so häuffig herauskommenden Monat-Schrifften von gelehrten Sachen die besten Mittel seyn. Wann man aber unter andern erweget, daß es fast unumgänglich nothwendig seyn will, zu Erlangung eines Urtheils, das Buch als ein Geschencke zu überreichen, und leider dabey immer der Contractus innominatus, do, ut facias, tacite verstanden wird, so werden die Leser schon unsere übrige Gedancken errathen können. Gleichwohl ist dieser Satz, so, wie in andern Fällen, wo man eine Beschreibung von vielen machet, nur von den meisten zu verstehen.  
  Was soll man aber nunmehro bey diesen Umständen anfangen? Ein jedes neues Buch, um dessen wahren Werth zu erkennen, sich anzuschaffen, ist theils allzubeschwerlich, theils, wegen derer Unkosten, fast gar unmöglich. Kan man also durch die eigene Durchlesung zu einer Gewißheit in diesem Falle nicht kommen, so sind gewisse Wahrscheinlichkeiten vorhanden, nach welchen wir von einem Bucher urtheilen können. Wir finden selbige in Stollens Historie der Gelahrheit … welche wir mit unseren Anmerckungen hier hersetzen wollen:  
 
1.) Wenn ein Buch von einer Materie handelt, zu deren Ausführung solche Gaben gehören, die der Auctor besessen, so hat man Ursache zu glauben, das Buch werde gut seyn.
 
 
  Hierbey muß man nur dieses mercken: daß man auch zugleich auf die übrigen Umstände Acht habe, welche den Auctorem bewogen, solche Schrifft heraus zu geben; manchmahl machen die Umstände des Staats einen Verfasser partheyisch; manchmahl sucht der Verfasser, um vielen Widerwärtigkeiten zu entgehen, sich in einer andern Gestalt zu zeigen, als er ist: Und endlich, Noth bricht Eisen; und auf dem Parnasso der Gelehrten mag man wohl Blumen, sehr selten aber Korn, welches doch der Grund des täglichen Brodts ist, antreffen.
 
 
2.) Ein Buch, das einer herausgegeben, dessen vorher ausgegangene Schrifften gut sind, wird muthmaßlich vor gut gehalten.
 
 
  Hierbey ist wohl zu mercken, daß es nur muthmaßlich ist. Denn gemeiniglich pflegt es zu geschehen, daß diejenigen Schrifften, wodurch ein Verfasser berühmt wird, beynahe die besten sind; denn sonst würde er solchen Ruhm nicht erlanget haben. Hat man einmahl den Namen eines Gelehrten erhalten, so folget offtermahls die Einbildung, daß man sich selbst nicht unähnlich werden könne, darauf; Da muß dann offt der blosse Name ein Buch verkauffen, und ein sonsten offt nichtswürdiges Buch findet offtmahls einen Käuffer, wenn etwan eine Vorrede von einem grossen Manne davor stehet, und wenn der Titel mit der Lehr-Art eines berühmten Mannes pranget, so erregt solches die gröste Andacht in den Hertzen derer unerfahrnen Leser. Ubrigens ist aus der Erfahrung bekannt genung, wie offtermahls die letztern Schrifften gelehrter Männer nichts als nur ihren Namen bey sich geführet haben.
 
 
3.) Ein Buch, darüber ein Auctor lange zugebracht, und beständig daran gearbeitet, hat die Praesumtion vor sich, daß es gut sey.
Siehe von dergleichen Arten von Schrifften Jo. Christ. Ernesti Diss. de Eruditorum Cunctatione in componendis libris ad Fa-
  {Sp. 1741|S. 886}  
    bii Libr. X. Wittenberg 1717.
 
  Gute Sachen erfordern freylich Mühe und Arbeit. Man muß aber zugleich dabey bedencken, daß durch eine sorgfältige Ausarbeitung offtermahls die Kunst die Natur verderben kan. Gleichfalls finden wir auch an dem Exempel des Chapelain, welcher dreyßig Jahre an dem Gedichte La Pucelle gearbeitet, daß auch eine langwierige Arbeit nicht allemahl zum Besten ausschlage; ungeachtet man diese Langwierigkeit des Chapelains mehr dem Vorsatze, die Pension, die er deßwegen gehabt, desto länger zu genüßen, als daß solcher beständig daran gearbeitet habe, zuschreiben will.
Siehe hiervon Stollen in der Historie der Gelahrheit …
 
4.) Ein Buch, das von einem gelobt wird, der es gelesen, und dessen Geschmack von Büchern man sonst richtig befunden, kan man vor gut halten, es wäre denn, daß er des Auctoris Freund wäre.
 
 
  Dieses ist wohl das allersicherste Mittel ein Buch zu erkennen, nur muß man den Verstand und Redlichkeit eines solchen Freundes, dessen Zeugniß man annehmen will, wohl zu untersuchen wisse.
 
 
5.) Ein dogmatisch Buch, das ein Eclecticus geschrieben, hält vermuthlich ehe was nützliches in sich, als eines, so von einem Sectirer verfertiget worden.
 
 
  Wer einer Secte anhänget, ist zufrieden, die Lehr-Sätze seiner Secte in ihrer Ordnung deutlich vorzutragen; ein Eclecticus hingegen suchet immer neue Wahrheiten hervor; denn eben dadurch, weil er mit der Wahrheit einer Secte nicht zufrieden gewesen ist, ist er ein Eclecticus geworden.
 
 
6.) Ein historisches Buch, das von einem herkommt, der die Geschichte, so er ediret, wohl wissen können, auch von niemand dieselbe zu schreiben gedungen worden, auch den Ruhm hat, daß er kein Schmeichler sey, hat die Muthmaßung vor sich, daß es gelesen zu werden wohl verdiene.
 
 
  Zu diesen muß nur noch hinzugesetzt werden, erstlich, daß er kein Lästerer sey, und hernachmahls, daß er zu einer solchen Zeit geschrieben habe, bey welcher es die Klugheit nicht verboten, dasjenige, was wir wissen wollen, nach der wahrhafften Beschaffenheit vorzutragen.
 
 
7.) Ein Buch, zu dessen Verfertigung Belesenheit erfordert wird, kan man vor gut halten; wenn man weiß, daß der Auctor wohl belesen, und entweder selbst eine schöne Bibliotheck, oder doch gute Bibliothecken an der Hand gehabt, deren er sich bedienen können.
  • Struv Introduct. ad Hist. rei Litterar. …
  • et Caroli Friderici Buddei Schediasma litterarium de Criteriis boni libri. Jenae 1714. in 4to.
  Es sind aber auch noch andere Kennzeichen vorhanden, woraus man von Büchern zu urtheilen pfleget, die aber meistentheils mehr betrüglich als die vorigen sind, als:  
 
8.) Wenn ein Buch in viele Sprachen übersetzet worden.
 
 
  Hierdurch pflegen sich die Verfasser dererselben sehr zu erheben, es zeiget auch solches so viel an, daß selbige einigen Beyfall müsten erhalten haben, indem sonst niemand die Unkosten wagen würde, solches übersetzen zu lassen. Gleichwohl ist offtermahls ein einiger Umstand, welcher sich zu dem Geschmacke derer Zeiten schicket, mehr die Ursache, der Ubersetzung, als die wahre Güte des Buches.
 
 
9.) Wenn von einem Buche viele Auflagen vorhanden sind.
 
 
  Dieses zeuget von dem Abgange desselben, und würde ein richtiges Kennzeichen eines guten Buches seyn, wenn nicht der Geschmack derer Käuffer in solchen Fällen offtermahls der unrich-
 
  {Sp. 1742}  
 
  tigste wäre.
 
 
10.) Wenn ein Buch sich rar gemacht; Gemeiniglich vermeynet man große Heimlichkeiten darinnen anzutreffen.
 
 
  Die Neugierigkeit derer Menschen strebt nach nichts mehr, als paradoxe Meynungen zu erfahren; dieses verspricht man sich in solchen Büchern, welche unterdrücket worden, und diejenigen Bücher, welche nicht sollen verkaufft werden, werden am eyfrigsten gesuchet, und am kostbarsten bezahlet. Da aber der Eigensinn derer Gelehrten und die Umstände der Zeit ein Buch vielmahls, ohne sattsame Ursache, unterdrücken; so findet man sich in diesen Stücken betrogen, und kan aus solchen Schrifften nichts anders lernen, als solche Sätze, welche allbereit vorgetragen worden, ungeachtet sie damahls keinen solchen grossen Lerm erreget haben, wie solches mit des Bodini Heptaplomeres, siehe Thomasii gemischte Philosophische und Juristische Händel, Tom. I. in 8vo. erster Handel, und andern Schrifften könte erwiesen werden.
 
 
  Offtermahls ist es auch ein sonderbahrer Kunst-Griff eines Verfassers, nur wenige Exemplaria von seinen Schrifften drucken zu lassen. Die Ursache ist, damit man sie, wegen ihrer Seltenheit, vor etwas Kostbares halten möchte, und das Vorurtheil einer gewissen Hochachtung vor unbekannte Dinge, hat vielmahls aus Zwergen Riesen gemacht.
 
  Das beste Mittel ein Buch zu erkennen, ist nun also wohl, wenn man, so uns nicht erlaubt seyn solte, das Werck selbst von Anfange bis zum Ende durchzulesen, wenigstens die Vorrede desselben ansiehet, damit man den Vorsatz des Verfassers errathen könne; hernachmahls eine Stelle aus demselben nach ihrer Ausführung betrachte, und also ex ungve leonem beurtheile; denn so widerwärtig sind die Buch-Händler zu unsern Zeiten auch nicht, daß sie uns nicht zu Durchsehung eines Buches eine Viertel-Stunde Zeit lassen solten.  
  Bey der Erkänntniß derer Bücher müssen wir noch eine Anmerckung machen. Es ist eine gewisse Art Leute, welche sich begnügen lassen den Titel eines Buchs zu kennen, und sich mit solchen, ohne zu wissen, was er eigentlich in sich begreiffe, breit machen. Eine solche Erkänntnis gehöret nicht einmahl zu der Historischen, die wir oben angeführet haben, geschweige denn zu der Critischen, welche ein Gelehrter haben soll. Wer also den Namen eines unnützen Titel-Krämers nicht verdienen will, muß sich einer solchen schlechten Prahlerey enthalten.  
  Hat man sich die Erkänntnis guter Bücher zuwege gebracht, so entstehet nunmehro die Frage: was man vor Bücher, und wie viel man sich dererselben anschaffen müsse? Einige Gelehrten sollen der Anzahl ihrer Bücher gantz enge Grentzen gesetzet haben. Cornelius Agrippa soll zu einer Bibliothec nur den Plinium und Plutarchum; Guido Patinus, nebst obigen zweyen, den Aristotelem und Senecam, erfordert haben; und von dem Melanchthone will man sogar berichten, daß er nur die Bibel, den Aristotelem, Plinium, Plutarchum und Ptolemäum besessen habe. Siehe Stollens Hist. der Gelahrheit …
  Die Bücher alleine machen freylich keinen gelehrten Mann, sondern sie sind nur die Materialia der Gelehrsamkeit. Die Form aber bestehet in denen gesunden Begriffen eines jedweden Gelehrten. Man kan deswegen von der Anzahl derer Bücher, die einer braucht, keine gewisse Regeln voraussetzen, sondern es muß ein jedweder seinen End-  
  {Sp. 1743|S. 887}  
  Zweck und die Beschaffenheit seines Beutels dabey zu rathe ziehen.  
  Siehe Bücher-Sammlung. [1]
[1] HIS-Data: Artikel fehlt, siehe Bücher-Vorrath.
  Bücher besitzen, ohne dieselben zu lesen, ist eine der grösten Thorheiten. Es ist eben so viel, als ein Herr von einem grossen Schatze zu seyn, dessen Gebrauch uns der Geitz verbietet. Es sind aber die Bücher in diesem Falle zweyerley. Einige Bücher müssen wir uns gantz zu eigen machen, als einige Systemata, denn solche sind der Grund, zu welchem wir die übrigen Stücke unserer Gelehrsamkeit sammlen müssen: Andere hingegen handeln von besondern Materien, die wir nur in gewissen Zufällen brauchen, und solche sind zum Nachschlagen. Von diesen letztern ist genug, wenn wir überhaupt eine Erkänntnis von solchen haben, damit wir wissen, wo wir uns im Fall der Noth Raths erholen sollen. Zu dem Lesen derer Bücher gehöret Jo. Guilielmi Bergeri Dissert. de cauta librorum lectione ad Fabii Librum X. Wittenb. 1718.
  Sonst kommen auch noch andere Fragen bey denen Gelehrten vor. Als  
 
1) Ob kleine Bücher besser sind, als große?
siehe Stollen l.c.
 
  Es ist aber dieses ein äuserlicher Umstand, welcher zu dem Werthe der innerlichen Beschaffenheit nichts beyträget.
 
 
2.) Ob Christliche Bücher Heydnischen und Jüdischen vorzuziehen sind?
siehe Stollen ib. §. 21.
 
  Da man aber eine jede Materie in ihrem Grunde suchen muß, so siehet man wohl, daß keine von allen Arten zu verwerffen sey. In den meisten Theilen der Gelehrsamkeit wird nichts anders als das natürliche Licht der Vernunfft erfordert, und dieses ist so wenig denen Heyden abzusprechen, als die Christen auch unvernünfftig seyn können.
 
 
3.) So hat auch das Gedichte des Berault le siecle de Louis le Grand zu einem grossen Streite Gelegenheit gegeben: Ob die Schrifften derer Alten denen neuern vorzuziehen sind?
siehe hiervon Stollen l.c. …
 
  Alle beyde Theile sind Gelehrte, aber auch Menschen gewesen, deswegen finden wir bey beyden Vernunfft, aber auch Fehler. Wenn man also die Sache ohne Vorurtheil betrachtet, so reimet die gründliche und vernünfftige Ausführung, nicht aber das Alter, einem vor dem andern den Vorzug ein.
 
 
4.) So ist noch zu bedencken: Ob es besser sey, diejenigen Autores zu lesen, welche anderer ihre Meynung colligiret haben, oder ob man viel lieber die Fontes selber durchlesen soll?
 
 
  Die von der erstern Meynung, führen die grosse Beschwerlichkeit an, so viele Bücher selbst zu lesen; da uns doch andere solcher Mühe überhoben hätten. Die Vertheydiger der letzten Meynung hingegen sagen: Man sehe alsdenn nur mit fremden Augen, man müsse andern mehr glauben, als daß man selber davon überzeuget wäre. Die Mühe der langwierigen Arbeit würde durch die Erlernung vieler nützlichen Neben-Sachen ersetzet, und man müsse doch endlich, wenn die Sache zum Streite käme, auf die Fontes selber zurücke gehen. Wir überlassen es unsern Lesern, ob sie denen letztern Gründen beypflichten wollen, wenn es anders ihnen Zeit und Gelegenheit erlaubet, ihre Gelehrsamkeit so sehr zu erweitern.
 
  Dieses fällt uns noch zu erörtern vor, wie man sich bey dem Bücherschreiben verhalten müsse? Daß die Welt mit Büchern überhäuffet sey, hiervon soll schon Salomo Eccles. XII, 1 12. geklaget haben. Es hat auch hier-
  {Sp. 1744}  
    von Schufner in Diatriba Academica de multitudine librorum. Jen. 1702. in 4to. und andere, siehe Stollen l.c. … gehandelt.
  Der Nutzen des Buch-Handels, der Mangel des Brods bey denen Gelehrten, und ihr unbesonnener Eiffer, ihren Namen unsterblich zu machen, haben hierzu die gröste Gelegenheit gegeben. Dessen ungeachtet werden und können dennoch täglich gute und nützliche Bücher zum Vorschein kommen: Nur muß ein Verfasser nicht zugleich einige ihm von ohngefehr eingefallene, und offtmahls recht läppische Gedancken, nicht so gleich des Druckes würdig schätzen, sondern den Nutzen seiner Schrifften, nebst denen übrigen Umständen, nicht nach Schein-Gründen, sondern nach der Wahrheit, überlegen, auch andere Gelehrte darüber zu Rathe ziehen.  
  Insonderheit ist es eine grosse Thorheit, ohne die geringste Nothwendigkeit, sich durch seine eigene Schrifften ins Verderben zu stürtzen, wie dergleichen Exempel Joann. Christian. Klozius Dissert. de Libris Auctoribus suis fatalibus. Wittenb. 1728. anführet. Wo aber die Wahrheit unserer Feder benöthiget ist, so muß sich auch ein Gelehrter nicht scheuen, ein Märtyrer zu werden.  
  Wie alt ein Gelehrter seyn müsse, ehe er die Feder ansetzet, ist ein äusserlicher Umstand, welcher keiner Betrachtung würdig ist; denn die Stärcke des Verstandes, und nicht die Anzahl derer Jahre, macht uns zu wahrhafftigen Gelehrten.  
  Wir wollen noch kürtzlich etwas von der äußerl. Beschaffenheit der Bücher anführen, als da handelt  
 
  • Jo. Gottlieb Schwarz in Dissertatione prima, Leipzig 1705. et Dissertatione altera. Leipz. 1706. de Ornamentis librorum apud Veteres usitatis.
  • Idem in Schediasmate Philologico de Libris Ilicatilibus Veterum. Altdorf A. 1717.
  • Idem Exercitatione de Varia Supellectile Rei Librariae Veterum. ibid. 1725.
 
  Siehe das übrige unter den Titeln Buch-Händler und Buchdruckerey. [1]
[1] HIS-Data: siehe auch Buch, Lat. Liber
     

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Stand: 7. April 2013 © Hans-Walter Pries