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Quellenangaben
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Schrifften, Scripta,
ist ein allgemeines
Wort, welches sowohl
Büchern als
Manuscripten pfleget
beygeleget zu werden. |
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Eine Schrifft, soferne sie bloß durch die Feder geflossen, heisset ein
Manuscript, wovon im XIX
Bande, p. 142 u.f.
sofern sie aber in
Druckereyen gesetzet und abgedrucket worden, wird sie ein
Buch
genennet, wovon ein
Artickel im IV Bande, p.
1736 u.ff. zu finden. |
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Dieses wird hoffentlich genug seyn, sich von den Schrifften, als einer
ohnedem genug bekannten
Sache, einen
Begriff zu machen. Solchemnach
reden wie
hier nicht insbesondere von Manuscripten, noch auch von
Büchern insbesondere,
sondern von dem, was beyden zugleich zukommet, das ist, sowohl von gedruckten
als ungedruckten Schrifften. |
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Urteile über Schriften |
Es ist also eines der Hauptstücke, so hier abzuhandeln, die Art, wie man von
Schrifften
urtheilen
soll? Wir
wollen die
Arten der Schrifften nach der Reihe
durchgehen: Die Schrifften handeln entweder von Geschichten, oder tragen
gewisse
Lehren vor. |
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historische |
Die ersten Schrifften, welche man
historische (Scripta historica)
zu nennen pfleget, erzehlen entweder, was in der
Natur
vorgegangen, oder was sich unter den
Menschen
zugetragen. Man kan also von einer historischen Schrifft nicht mehr erfordern,
als daß alles in solcher
Ordnung und mit solchen
Umständen erzehlet werde, wie
es geschehen. Dahero sind drey
Tugenden der historischen Schrifften: |
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2) |
die Vollständigkeit, und |
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Da man die historische
Wahrheit nicht
wissen kan, sondern nur
glauben muß;
so kan man von ihr urtheilen, wenn man dasjenige in acht nimmt, was in denen
Vernunfft-Lehren von dem Glauben beygebracht wird. Die
Vollständigkeit der historischen Schrifften muß aus der Absicht beurtheilet
werden, die ihr Urheber gehabt. Es kan aber diese gar sehr
verschieden seyn.
Derowegen ist es nicht undienlich, die Absichten überhaupt
vorzustellen, die man
sich dabey machen kan. |
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Wer die Geschichte der
Natur
beschreibet, will entweder einen
Begriff beybringen von leblosen und lebendigen
Creaturen, die in der
Welt
sind, und von allerhand zum
Theil seltenen Begebenheiten, die sich in der Natur
ereignen, oder durch Erzehlung besonderer
Würckungen und Begebenheiten der Natur
zu einer genauen
Erkenntniß
einen sichern
Grund legen. In dem ersten Falle hat er seinen
Zweck erreichet,
wenn er in acht nimmt, was von vollständigen Begriffen die Vernunfft-Lehrer
vorschreiben; in dem andern aber muß er alle, auch die geringsten Umstände
seines Experiments oder seiner Observation anführen. |
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Was die Geschichte der
Menschen
betrifft; so kan man sich dabey überhaupt vorsetzen, worauf wir in allen unsern
Handlungen sehen
sollen, auch wenn wir nur unsere
Vernunfft hören, nehmlich unsere
Vollkommenheit, von welcher
die Ehre
GOttes, und die Beförderung des
gemeinen Bestens nicht weg bleiben kan,
als welche beyde mit ihr unauflöslich
verknüpf- |
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{Sp. 1189|S. 609} |
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fet sind, massen die Vollkommenheit in nichts anders bestehet, als in einer
völligen, Zusammenstimmung aller
natürlichen und freywilligen Handlungen, die
dadurch erhalten wird, wenn diese von uns aus eben den Absichten determiniret
werden, wodurch von
GOtt die natürlichen, welche wir nicht in unserer
Gewalt
haben, determiniret sind. |
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Die
Historie soll die
Tugenden und
Laster, insonderheit die
Klugheit und
Thorheit durch
Exempel lehren. Woferne man nun diesen
Zweck erreichen will; so
muß sie solchergestalt
geschrieben seyn, daß, wenn der
Menschen ihre
Thaten
gegen ihren
Zustand gehalten werden, man daraus die
Regeln der Göttlichen
Regierung
erlernen kan, dadurch wir von den Vollkommenheiten des majestätischen
GOttes
immer je mehr und mehr überführet, und solchergestalt unser
Wille
zu solchen Handlungen gelencket wird, die sowohl den göttlichen
Vollkommenheiten, als unserer eigenen
Natur
anständig sind. Auch muß man von dem Verhalten anderer die Regeln der Klugheit
abmercken können, dadurch wir das
gemeine Beste und unsere
eigene Wohlfahrt
befördern können. Und die Tugenden und Laster müssen vollständig mit ihren
Ursachen,
so die Menschen dazu verleitet, und dem Anlaß, den sie dazu bekommen, ingleichen
mit demjenigen, was daraus erfolget, in den Exempeln abgeschildert seyn. |
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Insonderheit aber muß die Kirchen-Historie so eingerichtet werden, daß man
daraus die
Klugheit lernen kan, die Wohlfahrt der Kirche nach
Vermögen
zu befördern: welches man erhält, wenn darinnen umständlich
genug
vorgestellet wird, durch was vor
Mittel die Kirche in gutem Flor erhalten
worden, aus was vor
Ursachen sie verfallen, wie man sich, dem
Ubel abzuhelffen,
entweder mit gutem Fortgange, oder vergebens bemühet. |
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Gleicher
Gestalt müssen die
weltlichen Geschichte so beschaffen seyn, daß
man daraus ersehen kan, durch was vor Mittel das
gemeine Wesen in
gutem Flor erhalten worden, aus was vor
Ursachen es wieder verfallen, wie ihm
wieder aufgeholffen worden; was vor
Anschläge wohl von statten gegangen, welche
hingegen mißgelungen, und wie man die sich ereignenden Hindernisse
glücklich aus
dem Wege geräumet; was hohe Häupter vor
Recht auf
ihre Länder, die
sie bereits besitzen, und zugleich auf andere, die noch unter anderer
Bothmäßigkeit stehen, haben. |
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In der Geschichte der Gelehrten
hat man sonderlich die Grade der
Vollkommenheit
fleißig anzumercken, zu welcher die
Wissenschafften sind gebracht
worden. Es muß gewiesen werden, wo man dasjenige finden könne, was bereits
erfunden worden, damit wir uns nicht die
Wissenschafft
nützlicher
Dinge
berauben, wenn wir selbst nicht vermögend sind, die
Sachen durch eigenes
Nachsinnen heraus zu bringen, noch auch, wenn wir dieses
Vermögen haben, mit dem
vergebens die Zeit zu bringen, was schon von andern
gethan worden, da wir es
viel nützlicher auf solche
Dinge wenden, die noch nicht gethan worden. Ja man
muß darinnen zeigen, wie man aus demjenigen, was bereits erfunden worden, immer
weiter kommen, damit dadurch die
Kunst zu
erfinden ihren Wachsthum bekomme. |
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Die
Ordnung in den Geschichten der
Menschen
kan man gar leichte aus |
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{Sp. 1190} |
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den
Umständen, sonderlich der Zeit, abnehmen. In den natürlichen Geschichten
kan man es augenscheinlich
erfahren, wenn man das Experiment nachzumachen sich
gefallen lässet. Man kan es auch durch Nachsinnen inne werden, wenn man die
Ursachen
untersuchet, warum und wie solches geschehen. |
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Von Historischen Schrifften ist nicht
nöthig noch besondere
Reguln zu geben,
weil sie leicht aus dem, was
gesagt worden, zu nehmen sind. |
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Dogmatische |
Wir kommen also zu denjenigen Schrifften, darinnen
gewisse Lehren
vorgetragen werden, welche Lehr-Schrifften oder
Dogmatische Schrifften (Scripta Dogmatica)
genennet werden.
Wenn man von diesen
urtheilen
will; so siehet man entweder auf die
Sachen,
welche
vorgetragen werden, oder auf die
Art des Vortrages. |
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Der erste Fall
zertheilet sich in gar viel besondere Fälle. Denn entweder es
werden die
Sätze aus ihren
Gründen erwiesen, oder ohne
Beweis nur
schlechterdings hingesetzet. Über dieses wird entweder alles vorgetragen, was
man von einer Sache
wissen kan, oder nicht. Wenn man die Sätze erweiset; so hat
man acht zu geben theils auf die Beschaffenheit der
Gründe, theils auf die Art
und Weise, wie der Beweis daraus geführet wird. Jene sind entweder
augenscheinlich
wahr, oder
falsch, oder noch
zweiffelhafft. Wenn sie wahr sind,
zeiget entweder der Urheber des
Buches ihre
Wahrheit, oder er citiret einen, der
es gethan, oder er
unterlässet beydes. Wenn beydes unterlassen wird, so sind die
Gründe entweder so beschaffen, daß ein jeder ihre Wahrheit leicht siehet, wenn
er nur darauf acht hat, oder der Leser kan sich von sich selbst besinnen, wo sie
von andern
bewiesen werden, oder es gehet beydes nicht an. |
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Wenn man die
Art des
Beweises vor Augen hat; so wird entweder alles
ordentlich aus einander
geschlossen, oder man siehet nicht genug, wie eines aus
dem andern folgen soll. Wiederum es werden entweder die folgende Sätze beständig
aus den vorhergehenden geschlossen, oder es hat jeder Satz seine besondere
Gründe, daraus er erwiesen wird. |
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Wenn alles vorgetragen wird, was sich von einer
Sache nach den
Zustande
derselben Zeit, da man
schreibet, vortragen lässet; so ist die Schrifft
wenigstens nach den Zustande derselben Zeit vollständig (Scriptum
completum.) Hiervon nun zu urtheilen, ist nöthig, daß man in den
Geschichten der Gelehrten
erfahren sey. Man kan aber deswegen den Urheber einer
Schrifft nicht verachten, viel weniger schelten, wenn mit der Zeit seyn
Werck
unvollständig, weil nach diesem mehr erfunden worden: oder auch, wenn es nach
dem Zustande seiner Zeiten unvollständig ist, weil er weggelassen, was zu seinem
Zwecke nicht
dienet. Derowegen hat man in dem ersten Falle zu wissen vonnöthen,
zu welcher Zeit einer geschrieben hat, und was dazumahl erfunden gewesen; in dem
andern aber muß, man sich die Absicht der Schrifft entweder aus den
Titul, oder
aus der
Vorrede, oder aus andern Umständen bekannt machen. |
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Wenn von den bereits erfundenen
Sachen mehr vorgetragen werden, als der
Zweck der Schrifft erfordert; so hält sie überflüßige
Dinge in sich, und ist
also zu weitläufftig (Scriptum nimis prolixum). |
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Wenn man blosse
Sätze hervorbringt, die aus der |
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{Sp. 1191|S. 610} |
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Erfahrung genommen; so
saget man, der Urheber der Schrifft gehe auf die
blosse
Erfahrung.
Hält er sich nun hier nicht in den gebührenden
Schrancken, sondern giebet die
Sätze höher aus, als sie gelten; so nimmt er
ungewisses vor
gewisses an. Wenn
man aus einer Schrifft nicht ersehen kan, ob ihr Urheber die Sätze über die
Schrancken der Erfahrung setzet, oder auch Sätze ohne
Beweis beybringet, wie man
ohne Beweis nicht zugeben kan, oder solche Sätze in seinen Beweisen voraus
setzet, die dem Leser nicht
nothwendig bekannt, wenigstens nicht geläuffig sind;
so ist die Schrifft nicht accurat. Im widrigen Falle ist alles
zureichend
erkläret, und demnach die Schrifft accurat. |
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Wenn alle
nöthige
Wörter deutlich erkläret und die Sätze aus unumstößlichen
Gründen richtig
demonstriret werden; so ist alles
gründlich abgehandelt und die
Schrifft eine gründliche (Scriptum solidum.) Wenn aber
entweder
falsche, oder
zweiffelhaffte Gründe angenommen werden, auch im
Beweise
man es nicht sogar genau nimmt; so ist nichts gründlich abgehandelt, und die
Schrifft folglich ungründlich (Scriptum superficiorum.) |
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Wenn zwischen den
Gründen und den daher geleiteten Sätzen keine nothwendige
Verknüpffung erhellet, und die Verknüpffung bloß in der Verwandtschaft der
Wörter gesucht wird; so hat der Urheber der Schrifft ohne
Verstand allerhand zusammen geschrieben. |
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Wenn die nöthigen
Wörter entweder gar nicht, oder doch nicht deutlich genug
erkläret werden, noch die Verknüpffung des Satzes mit seinen
Gründen deutlich
erhellet; so kan man die Schrifft
ohnmöglichenrs recht
verstehen, und deswegen ist
sie dunckel (Scriptum obscurum.) Hieraus erhellet
zugleich, wie eine Schrifft beschaffen seyn müsse, wenn sie deutlich
(Scriptum perspicuum) ist. |
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Insgemein machen sich die Unverständigen
gantz andere
Begriffe von der
Dunckelheit und Deutlichkeit. Sie
nennen nehmlich dunckel, was mehrers
Nachdencken erfordert, als sie bisher bey den
Sachen angewandt, so sie gelernet:
hingegen deutlich, was nicht ein mehrers Nachdencken erfordert. Vielmehr
sollten
sie
sagen: Es ist mir schwer, oder es ist mir leichte, weil ich dergleichen
Sachen ungewohnt oder aber
gewohnet bin. |
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Endlich, wenn die letztern Sätze aus den erstern beständig hergeleitet
werden, wie in den Mathematischen Wissenschafften üblich; so hänget alles wohl
an einander. Sonst aber hangen die
Sachen nicht zusammen. Auch hier muß man ein
Vorurtheil benehmen, welches Arnauld in unsern
Tagen durch
Veranlassung des Ramus zuerst den Leuten in den
Kopf gesetzet,
als wenn nehmlich die Sachen in einer schönen
Ordnung
vorgetragen würden, so man
alles unter einem
Titul in ein Capitel zusammenbringt, was zu einer Sache
gehöret: Hingegen
Unordnung sey, wenn man alles bloß hintereinander setzet, wie
sich eines aus dem andern am füglichsten erweisen lässet. |
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Die erste ist die Schul-Ordnung und von gemeinen Gelehrten beliebt worden;
die andere aber die
Ordnung der Natur,
welche den Mathematic-Lehrern am besten gefallen. Jene ist vor das Gedächtniß,
daß man die
Sachen leicht behalten kan; diese vor den
Verstand, daß er recht |
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{Sp. 1192} |
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erleuchtet und überführet wird. Nach jener kan man nicht alles genau
erweisen, wie es die Elements de Geometrie des Arnauld
und Lamy ausweisen: nach dieser darf man in dem
Beweise nichts
vergeben, wie es die Schrifften der alten Geometrie-Lehrer bekräfftigen.
Derowegen lässet man gemeinen Gelehrten und Anfängern die Schul-Ordnung: die
aber die
Wahrheit tieffer einzusehen gedencken, erwählen die Ordnung der Natur: |
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Bisher haben wir von einfachen Fällen
geredet. Gleichwie aber die übrigen
aus diesen zusammen gesetzet werden; so ist es auch nicht schwer, die vorhin
abgefasseten
Urtheile zusammen zu setzen. Derowegen wollen wir weiter nichts
gedencken, als daß eine Schrifft in ihrer Art
vollkommen sey, wenn sie
vollständig ist, wenn alles genugsam erkläret und gründlich erwiesen wird, wenn
sie deutlich ist, und alles wohl zusammen hängt: hingegen aber nichts tauge,
wenn sie unvollständig ist, und die
Sachen nicht genug ausgeführet werden, wenn
sie ohne
Verstand zusammen geschrieben und dunckel ist, ja daß Hintere mit dem
Förderen nicht zusammen hänget.¶ |
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Lesen von Schriften |
Bisher haben wir gesehen, wie man von Schrifften urtheilen solle? wir gehen
weiter und
untersuchen ferner, wie man Schrifften recht mit
Nutzen lesen solle?
Wir lesen Schrifften, damit wir
erkennen lernen, was darinnen stehet. Also wird
dazu erfordert: |
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1) |
daß wir den
Verfasser recht
verstehen, und |
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2) |
daß wir die
vorgetragene
Sachen wohl fassen. |
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Da die historischen Schrifften bloß erzehlen, was geschehen ist; so brauchet
es nicht viel
Verstand und Nachdencken, dieselben zu lesen, sondern man
darf nur auf das acht haben, was man lieset, und sein
Gemüthe von fremden
Gedancken
befreien. Will man es wohl fassen; so
muß man nicht zu geschwinde, auch nicht zu
viel auf einmahl lesen. Gantz anders aber verhält es sich, wenn man von der
Historie Glaubwürdigkeit, von ihrer
Ordnung und Vollständigkeit
urtheilen, oder
auch die historische
Erkenntniß
zu ihrem vielfältigen
Nutzen anwenden will, da brauchet es allerdings Verstand
und Nachsinnen. Und je mehr sich einer im Nachdencken
geübet, je besser wird er
hier zu rechte kommen. |
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Wenn man andere Schrifften lieset, darinnen gewisse Lehren vorgetragen
werden; so hat man sich vor allen Dingen um die Absicht der
gantzen Schrifft,
aller Capitel, aller Absätze, mit einem
Worte, aller gemachten
Theile zu
bekümmern, damit man nehmlich inne werde, was der Urheber der Schrifft in jedem
Theile vorzutragen gesonnen. Die Absicht der gantzen Schrifft wird theils aus
den
Titul,
theils aus der
Vorrede
erkannt, darinnen gemeiniglich zu finden, was
Anlaß zu
schreiben gegeben, was man durch das Schreiben zu erlangen sich
vorgesetzet, warum man diese und nicht eine andere Art zu schreiben
erwehlet. |
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Alles aber, was in einer solchen Schrifft vorkommen kan, gehöret entweder
unter die
Erklärungen, oder die
Erfahrungen,
oder die
Sätze und ihren
Beweis, oder endlich unter die Anmerckungen. Damit nun
dieses umso viel leichter erhelle, muß man alle Sätze aus dem Texte mit
schlechten
Worten herausziehen, und von dem- |
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{Sp. 1193|S. 611} |
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jenigen absondern, was entweder zur Erläuterung, oder Erklärung, oder zum
Beweise angeführet worden. Wenn man aber alsdenn siehet, unter welche
Classe die
Sache gehöret, muß man sie nach Anleitung der Vernunfft-Lehre gehöriger Weise
untersuchen,
und von ihr ein
vernünfftiges
Urtheil fällen. |
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Und damit man alles wohl fasse; so muß man ferner die
Sache bey sich
überlegen, das heisset, einige mahl nacheinander überdencken. Absonderlich ist
wohl in acht zu nehmen, wenn man den
Verfasser einer Schrifft recht
verstehen
wolle, daß wir mit seinen
Wörtern eben dieselben
Begriffe
verknüpffen, die er
damit verbindet. Denn wenn dieses nicht geschiehet; so dichten wir ihm einen
falschen
Verstand an, und bürden ihm auf, was er nicht
gesaget:
welches gar offte zu geschehen pfleget. |
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Nun erkläret der Urheber einer Schrifft entweder selbst, was er vor
Gedancken
bey seinen
Worten führet, oder er
thut es nicht. In dem ersten Falle ist keine
andere Mühe
nöthig, als daß wir seine
Erklärungen etliche mahl überlesen und
überdencken, damit sie uns bald einfallen, so offte das Wort in dem
Wercke
vorkommt. In dem andern Falle hat man die
Bedeutung zu untersuchen, welche ein
Wort haben kan, und alsdenn zuzusehen, welche den
bequemsten
Verstand heraus
bringet: denn weil niemand ohne einen Schein der Wahrheit etwas bekräfftiget,
oder
verneinet; so hat man
Ursache zu
glauben, daß der Urheber der Schrifft auf
dieselbe Bedeutung gesehen, es sey denn, daß wir erweisen können, er habe bloß
aus dem
Gedächtnisse geschrieben, oder auch andere
Bücher nur ausgeschrieben.
Weil aber ein Wort vielerley Bedeutung haben kan; so pfleget öffters ein Wort in
einer Schrifft nicht immer unter einer Bedeutung vorzukommen, auch wenn es sich
der Verfasser einbildet. Derowegen müssen wir uns in acht nehmen, daß wir nicht
bald daraus
schliessen, er habe sich widersprochen, in dem wir nemlich einerley
Bedeutung überall behalten.¶ |
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Nunmehr wollen wir zeigen, wie eine mit
Verstand geschriebene Schrifft zu erklären sey? Eine mit
Verstand geschriebene Schrifft ist kein leerer Thon, denn sonst wäre sie zu
nichts nütze. Derowegen muß mit iedem
Worte ein gewisser
Begriff verknüpffet
werden, und, wer also dieselbe verstehen will, muß bey einem ieden Worte eben
die
Gedancken führen, die ihr Verfasser hat wollen damit verknüpffet wissen. Es
müssen aber die Worte an sich
geschickt seyn, die Gedancken in uns zu erregen,
welche wir dabey haben sollen, wenn nur nicht Vorurtheile uns verblenden, oder
sonst unsere Unachtsamkeit uns hindert. Solchergestalt muß ein ieder
verständiger Schrifftsteller entweder selbst lehren, was wir uns vor einen
Gedancken bey diesem oder jenem Worte machen sollen, oder er muß keinen andern
Begriff voraus setzen, als den wir schon vorhin haben. Da wir nun aber keinen
andern Begriff haben können, als der in uns erreget wird, wenn wir die
Sachen
gegenwärtig
empfinden; so müssen wir auch keinen andern als diesen Begriff damit
verbinden. |
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Es bestehet aber die Erklärung einer jeden Schrifft darinnen, daß wir |
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1) |
den rechten
Verstand der
Worte, und |
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{Sp. 1194} |
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Verknüpffung der
Wahrheiten zeigen. |
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Ein mehrers von der Erklärung oder Auslegung einer Schrifft belehret der
Artickel: Hermenevtick, im XII
Bande, p.
1729. u.ff. |
Siehe übrigens
Wolffens vernünfftige Gedancken von den
Kräfften des menschlichen Verstandes etc. woraus wir vorstehendes entlehnet
haben.¶ |
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Gelehrte Schrifften bilden die
Gedancken
der Gelehrten, welche sie über diese oder jene
Sache gehabt haben, deutlich ab,
und erhalten bey denen Nachkommen das Andencken derselben lebendig. |
Plinius L. III. Ep. 7. |
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Schrifften können auch dazu
dienen,
daß man aus selbigen ziemlichermassen der
Verfasser
Gemüthe
erkennen kan. Ob nun wohl zu dem Ende die Schrifften nicht
ausgestellet werden, und man daher solchen
Gebrauch nicht vor einen
Nutzen
angeben kan, der den Schrifften
eigenthümlich oder
wesentlich; so wollen wir
doch etwas davon beybringen: Man pflegt zu
sagen: Weß das Hertz voll ist, deß
gehet der Mund oder die Feder über, und
schreibet ein iedweder nach seiner in
ihm verborgenen
Neigung. |
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Man hat überhaupt zu sehen, was sich einer vor
Materien auslieset, und wie
er dieselben ausarbeitet. Weil ein ieder diejenigen Materien ausarbeitet, daran
er Gefallen hat, so kan man aus den
Büchern, die einer
schreibet, eines Neigung
wahrnehmen. Wer nichts, als Romainen und
Liebes-Bücher schreibet, der scheinet
wohl mehr zur Liebe und den
Wollüsten, als zur
Gottesfurcht geneigt zu seyn.
Doch ist dieser
Schluß auch nicht richtig: Er hat verliebte, traurige, lustige
Sachen geschrieben, also ist er einer verliebten, traurigen, lustigen Art,
u.s.w. Denn nachdem einer zu einer
gewissen Zeit in einer
Gemüths-Bewegung ist,
nach dem
schreibet er etwas, dazu er doch sonst eben nicht geneigt ist. Dieses
aber ist
gewiß, daß, worinnen es einem in seinen Schrifften am besten glückt, er
auch zu solchen am meisten geneigt sey.
Z.E. Es hat einer verliebte, traurige,
satyrische und andere Verse geschrieben, die verliebten aber sind unter allen am
besten gerathen, so kan man schlüssen, daß er auch zu dieser
Leidenschafft möge
geneigt seyn. |
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Ferner hat man bey den Schrifften zu sehen auf die Art, wie sie einer
ausarbeitet. Der in seinen Schrifften nichts
erkläret, und entweder gar nichts,
oder doch mit sehr schlechten
Gründen seine Sätze
beweiset, keine richtigen
Haupt-Gründe setzt, der erweiset sich hierdurch, daß er von schlechter Fähigkeit
seyn müsse, und entweder nicht besser habe nachsinnen können, oder nicht besser
nachsinnen wollen. Denn manche übereilen sich aus einer
Begierde viel zu
schreiben, die doch ihre
Sachen
geschickter könten ausarbeiten, wenn sie ihre
Kräffte
des
Verstandes recht zusammen nähmen. |
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Von denen, die ihren
Nahmen nicht vor die
Bücher setzen, kan man nichts
gewisses
urtheilen, sondern man muß, ehe man urtheilet, auf den Verfasser, die
Materie, und andere
Umstände mehr sehen. Einige
thun es aus Sittsamkeit und
Verachtung des eiteln
Ruhms, den sich ein anderer hierdurch zuwege bringen will,
einige aus Ehrgeitz, daß die Leute desto begieriger nach dem Urheber
fragen
sollen, und ihn hernach, wenn er entdecket wird, vor bescheiden halten, einige
setzen ihren Nahmen nicht |
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{Sp. 1195|S. 612} |
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davor, wegen ihres hohen
Standes,
weil bey etlichen das Bücher-Schreiben vor disreputirlich will gehalten werden.
Einige tragen Bedencken, wegen der Materien, davon sie schreiben, ihren
Nahmen
den Schrifften vorzusetzen. |
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Von dem, der seine
Meynung öffters ändert, kan man ziemlich
wahrscheinlich
urtheilen, daß er bey seiner Schrifft nicht sonderlich nachgedacht gehabt, und
auch in seinen andern
Handlungen unbeständig seyn mag. Der in Widerlegung
anderer Schrifften sehr harte und grobe
Redens-Arten gebrauchet, erweiset, daß
er nicht allein einer sehr hitzigen u. geschwinden Art, sondern auch
unverständig sey. Von denen aber, die ihre Widersacher mit der grösten
Höflichkeit und Bescheidenheit widerlegen, darf man nicht allezeit gedencken,
daß sie aus einem gelassenen
Gemüthe solches thun, und alle
gute Meynungen vor
ihre Gegner haben, weil sie aus Ehrgeitz öffters eine Gelassenheit erweisen, um
bey Verständigen den Ruhm sittsamer Leute zu erlangen. |
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