Titel: |
Unordnung |
Quelle: |
Zedler Universal-Lexicon |
Band: |
49 Sp. 1911 |
Jahr: |
1746 |
Originaltext: |
Digitalisat BSB
Bd. 49 S. 971 |
Vorheriger Artikel: |
Unordiges Wesen |
Folgender Artikel: |
Unordnung, im Kriegs-Wesen |
Siehe auch: |
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Hinweise: |
- Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe
Hauptartikel
- Für die Auflösung der Quellenangaben siehe:
Personen
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Text |
Quellenangaben |
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Unordnung, Confusio, ist ein
Mangel der
Ähnlichkeit des Mannichfaltigen in der Folge
auf |
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{Sp. 1912} |
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und nacheinander,
z.E. wenn ein Hauffen
Menschen unter einander lauffen, daß man bey
dem vorhergehenden nicht wahrnehmen kan, daß
sich auch bey den folgenden befinde, (es wird
aber jetzt auf nichts anders als ihren
Stand gegen
einander und auf ihr Gehen gesehen); so ist nichts
ähnliches bey den Gehen dieser Menschen
anzutreffen und wegen dieses Mangels
sagt
man: sie lauffen unordentlich untereinander. |
Wolffs Gedancken von GOtt
der Welt etc. ... |
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Andere beschreiben die Unordnung also:
Unordnung ist ein Verhältniß der
Dinge gegen
einander ohne Einrichtung nach ihrer
Beschaffenheit und
Endzweck.
Also ein eingefallen
Hauß lieget unordentlich unter
einander weg: Denn man wird keinen
Grund
anzeigen können, warum ein
Theil an diesem das
andere Stück an jenem
Orte, weder seiner
Beschaffenheit nach, noch nach einem
gewissen
Endzweck liegen
müsse. |
Zimmermanns natürliche
Erkenntniß GOttes der Welt und des
Menschen ... |
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In den neuern
Zeiten hat man diese
Frage
weitläufftig
untersucht: ob die Unordnung der
Theile zur
Ordnung des
Gantzen was
beytrage? Der
Herr von Leibnitz hat in seiner Theodicäaa weitläufftig
dargethan, daß die Unordnung, die man in der
Welt wahrnehme, sehr viel zur Schönheit und
Ordnung der gantzen Welt beytrage. Er schärfft
seinen Gegnern den Grund-Satz der Rechts-Gelehrten ein: Incivile est, nisi
tota lege perspecta, de lege judicare: also
solten sie auch nicht von der
Bemerckung der Unordnung in einigen Theilen
sogleich auf das gantze
schliessen. Denn wir
erkennen ja das allerwenigste in der Welt; wie
wollen wir dann daraus auf die Verhältniß der
Dinge in Gantzen schliessen? Wäre das wohl ein
vernünfftiger
Schluß: weil ein Haar des Löwens
schwach ist, so wird der gantze
Leib schwach
seyn? Oder weil es in einem unterirrdischen
Gefängnisse finster ist, so wird es in der gantzen
Welt finster seyn? Wenn es
möglich wäre, daß wir
das gantze übersehen könnten: so würden wir
finden, daß die höchste
Übereinstimmung und die
schönste Ordnung zu finden ist. |
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Wir wollen noch eine besondere
Ursache von
der Schein-Unordnung in demjenigen, was den
Menschen betrifft, aus des Herrn von
Leibnitz Theodicäa
anführen. |
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„Solche, spricht er daselbst, bestehet darinnen, daß GOtt dem
Menschen das Bild der Gottheit geschencket, indem er ihn den
Verstand gegeben: er läßt ihn in seinem
kleinen Districte einigermassen handthieren. Er
concurriret bloß auf eine verborgene Art: denn er
giebt Seyn, Stärcke, Leben, Vernunfft, ohne sich
sehen zulassen. Hier hat der freye Wille seyn
Spiel; Und GOtt spielt, so zu reden, mit diesen
kleinen Göttern, die er hervorzubringen vor gut
befunden, wie wir mit den Kindern spielen, die
sich allerhand Sachen zu thun machen, die wir
unter der Hand befördern oder verhindern, wie es
uns beliebt. |
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Der Mensch ist also, wie ein kleiner GOtt, in
seiner eigenen Welt, oder Microcosmo, die er
nach seiner Mode regieret. Er thut in selbiger
bißweilen Wunder und seine Künste ahmen offte
der Natur nach: |
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{Sp. 1913|S. 972} |
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[acht Zeilen lateinische Verse] |
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Allein eben dieser Mensch begeht auch
grosse Fehler, weil er sich den Affecten ergiebt,
und weil ihm GOtt seinen eigenen Sinn
überläßt. GOtt strafft ihn auch darum bald wie
ein Vater oder Lehrmeister, der die Kinder übt
und züchtiget, bald wie ein gerechter Richter, der
diejenigen bestrafft, die ihn verlassen; und das
Böse geschieht meistentheils, wenn diese
Intelligentzien oder ihre kleinen Welten an einander
stossen. |
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Nachdem nun der Mensch unrecht hat,
nachdem befindet er sich übel dabey: Allein GOtt
wendet und kehret alle Fehler dieser kleinen
Welten, durch eine erstaunenswürdige Kunst, daß
sie zur grösten Zierde seiner grossen Welt
ausschlagen. Es ist fast wie in denenjenigen
Perspectivischen Erfindungen, allwo ein gewisser
schöner Entwurff nichts als Verwirrung zu seyn
scheinet, bis man ihn nach seinen rechten
Gesichts-Puncte oder durch ein gewisses Glas
oder Spiegel betrachtet. Wenn man solche Bilder
gehörigermassen aufstellt und recht gebrauchet,
so werden sie zu einer Zierde eines Zimmers.
Eben also werden die Schein-Unförmlichkeiten unserer
kleinen Welt in Grossen zu Schönheiten, und
haben nichts in sich, das mit der Einigkeit eines
allgemeinen unendlich vollkommenen Principii
stritte: Vielmehr machen sie, daß seine Weißheit
noch mehr bewundert wird, die alles sowohl
verrichtet, daß auch das Böse zu den grösten
Guten dienet." |
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Er fähret an einen andern Ort fort |
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„man muß schliessen, daß die Misgeburten
mit in der Ordnung begrieffen sind. Und es ist billig
zu bedencken, daß es nicht allein besser
gewesen, diese Fehler und Misgeburten
zuzulassen, als die allgemeinen Gesetzen zu
übertreten (wie der P. Malebranche urtheilet); sondern, daß
auch diese Misgeburten selbst den Regeln und
den allgemeinen Göttlichen Willen gemäß sind, ob
wir gleich diese Übereinstimmung zu entdecken
nicht vermögen. Es ist wie in der Mathematick, da
es bisweilen scheinet, als wären einige
Unordnungen vorhanden, die aber endlich die
schönste Ordnung zeigen, wenn man sie völlig
eingesehen hat. Derowegen ist wohl zu mercken,
daß eine jede eintzelne Begebenheit, ohne
Ausnahme, ein Erfolg des allgemeinen Willens
sey. |
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Man darff sich gar nicht befremden lassen,
spricht der Herr von Leibnitz weiter, daß ich diese Sachen mit
solchen Gleichnissen zu erläutern suche, die aus der Mathesi pura genommen sind,
darinnen alles in der schönsten Ordnung gehet,
und da man Mittel und Wege hat, solche Ordnung
durch ein genaues Nachsinnen, wodurch wir
gleichsam einen Blick in die Göttliche Ideen thun
können, zu entdecken. Man kan ei- |
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{Sp. 1914} |
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ne dem Scheine nach gantz und ordentliche
Reihe Zahlen setzen, da die Zahlen auf sehr
unterschiedene Art zu und abnehmen, ohne
daß die geringste Ordnung unter ihnen zu seyn
scheinet. Inzwischen aber, wer den Schlüssel
darzu weiß, und den Ursprung und die
Zusammensetzung dieser Reihe Zahlen verstehet,
der kan eine Regel geben, die, wenn sie wohl
verstanden wird, genungsam zeiget, daß die
Reihe gantz ordentlich ist und sehr schöne
Eigenschafften hat. |
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Man kan es in Linien noch deutlicher machen:
Eine Linie kan hin und her, hinauf und herunter
gehen; sie kan in gewissen Puncten umkehren,
oder eingebogen, auch wohl gar unterbrochen
werden, und andere Veränderungen bekommen,
so daß man weder Geschicke noch Gelencke
darinnen findet; sonderlich wenn man nur einen
Theil der Linie betrachtet: Und dennoch gehet es
an, daß man die Aequation und Construction davon geben kan, darinnen ein
Geometra die Ursache und
Übereinstimmung dieser vermeinten Irregularitäten zu finden weiß. Und eben so
muß man auch von den Irregularitäten derer
Misgeburten und andern vermeinten Fehlern in der
Welt urtheilen. |
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In diesem
Verstande kan man die schönen
Worte des H. Bernhardi Epist. 276 ad Eugen III. gebrauchen:
Ordinatissimum est, minus interdum ordinate fieri aliquid. Ja man kan
sagen, diese kleine Unordnung scheine nur in
Gantzen eine Unordnung zu seyn; und sie
scheint auch nicht einmahl in Ansehung dererjenigen eine Unordnung zu seyn, die sich in
den Weg der Ordnung zu finden wissen." |
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Wörter-Buch III Th. ...
- Der Prüffenden Gesellschafft zu
Halle Schrifften I Band ...
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Wenn man in dieser
Sache sich richtig
belehren will lassen, muß man den
Artickel:
Böse,
im IV
Bande,
p. 392 u.ff. nachschlagen, woselbst
weitläufftig vom
Ursprung des Bösen, wohin
gleichfalls die Unordnung gehört, gehandelt
wird. |
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