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Text |
Quellenangaben |
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Höflichkeit, hat ohne Zweifel von
Hofe, Hof-Leben seine
Benennung. |
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Grosser
Herren
Höfe sind ein Schau-Platz, wo ieder sein
Glück machen
will. Dieses
läßet sich nicht anders
thun, als wenn
man des
Fürstens und derer
Vornehmsten am Hofe
Zuneigung gewinnet. Man giebt sich also alle ersinnliche
Mühe, denenselben sich
beliebt zu machen. Hierinnen vermag nichts mehr, als wenn man den andern
glaubend machet, daß wir
bey aller
Gelegenheit nach
äussersten
Kräfften ihm zu
dienen bereit seyn.
Gleichwohl sind wir dazu nicht allezeit
vermögend,
wollen auch
wohl nicht, und dieses viel Mahls aus gerechten Ursachen. |
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Dieses alles ersetzet die Höflichkeit. Da geben wir dem andern durch unsere
äusserliche Bezeigung so viel Versicherung, daß er eine
gute
Hoffnung von uns fasset,
wie wir ihm zu dienen willig. Dieses erwirbt uns bey dem andern ein Vertrauen in uns,
woraus denn unvermerckt eine
Liebe gegen uns sich
erzeuget, nach welcher er uns gutes zu
thun begierig
wird. |
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Dieses ist bey der Höflichkeit so allgemein, daß sie dadurch dem, der sie
besietzet, einen sonderbaren
Vorzug zu Wege
bringet.
Geschicklichkeit und
Tugend
sollten zwar eigentlich
dieses seyn, welches uns derer
Menschen
Hochachtung erwerben
solte. Wie wenig sind
aber derer beyder rechte Kenner? Ja wie noch wenigere halten sie einiger
Ehren werth? Das,
was äusserlich in die
Sinne fällt,
rühret die auf das äusserliche allzu sehr geworffene Menschen weit mehr, zu Mahl wenn
noch solche |
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{Sp. 354} |
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Umstände dabey
vorkommen, welche ihren
Willen sonderbar
rühren. |
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Dieses trifft bey einem Höflichen
gantz genau ein. Seine
äusserliche Aufführung siehet iedermann. Sie ist so verbindlich, daß sie ein
offenbarer Zeuge eines
Gemüths
seyn will, welches uns ergeben. Der
Ehrgeitzige findet hier
was er haben will; durch unsere höfliche Bezeigung achtet er sich geehret; der
Wollüstige ist so
aller Freund, und da ist es ihm das gröste Vergnügen, eine Person um sich zu haben,
dessen Höflichkeit ein gleiches weiset; so gar dem
Geldgeitzigen ist der
Höfliche nicht zuwider. Von selbigen glaubet er desto zuversichtlicher, er werde nach
der ihm eigenen Höflichkeit seine interessirten Absichten nachdrücklich zu befördern
suchen. |
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Da nun der Mensche weit eher und zuverläßlicher das seinige
thut, wenn seine
Begierden einen
Gewinnst vor sich dabey
sehen; so ist der
Vortheil von der
Höflichkeit desto
gewisser und allgemeiner,
ie mehr der menschliche Wille dadurch gefesselt wird. Ja die Höflichkeit ist so gar
so starck, daß sie deinen Feind ohnmächtig machen, und das feindliche Esaus-Hertze zu
einen liebreichen Jacob machen kann. |
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Ein Feind kan eigentlich von uns keine Gefälligkeit fordern, noch hat er auch
wegen der obschwebenden Feindschafft einige zu hoffen, weil solche eine Freundschafft
bey denjenigen zum voraus zu setzen scheinet, welcher solche erweiset. Wie sehr
muß also das feindselige
Hertz gerühret werden, wenn du dich gegen ihn höflich bezeigest. Wird er nicht, wenn
er nur die geringste Überlegung gebrauchen will, solches einer Großmuth, so bey dir
wohnet zuschreiben? |
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Du deines Ortes, der du solche Höflichkeit
beweisest,
verlierest auch nichts
dabey. Ein liebreiches
Wort, eine
reitzende Miene, eine freundliche Stellung ist noch nichts
würckliches, was du jenen giebst. Es sind nur
Zeichen,
wodurch du ihm
Hoffnung machest, daß du
in Zukunfft ihm dienen wollest. Es sey dann, daß dein Feind deine Höflichkeit vor
eine niederträchtige Furchtsamkeit ansehen wolle, so wird einige Härte gegen ihn dir
freylich mehr als deine Höflichkeit nützen. |
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In dem allen must du aus andern
Regeln der
Klugheit freylich
gelernet haben, ieden nach seinem
Stande zu
tractiren. Eine Höflichkeit, so dem
Vornehmern als dem
Geringern mit gleichen Maße zugemessen wird,
verlieren ihren Werth.
Der Höhere will und muß vor denen Geringern vorgezogen werden. In nur beniemten Falle
aber bildet sich ersterer ein, daß wir keinen
Unterschied machen,
und dieser wird mit uns gemein. |
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Ob zwar übrigens nicht zu
läugnen, daß die
Höflichkeit nicht auf der Gold-Waage abzumessen. Die Höflichkeit kostet nichts und
der
Gewinnst daher ist doch
gemeiniglich sehr groß. Ist dein Mit-Bürger von der Art, daß er viele Höflichkeit
verlanget, so würde es wider deinen wahrhafften
Nutzen, denn auch
hier ist der nicht aus denen Augen zu setzen, seyn, wenn du deine Höflichkeit nicht
so hoch treiben wolltest, besonders wenn iemand höhers mit in der
Gesellschafft, als bis du sein Hertz zu dir gewandt |
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Dieses alles fasset Gracian Orac. Max. 118. sehr schön zusammen, wenn er
saget:
Angenehme Höflichkeit ist der vornehmste Theil der Geschicklichkeit kluger Welt-
Leute. Sie bezaubert die Gemüther, und gewinnet das Wohlwollen der Menschen;
gleichwie hingegen die Unhöflichtkeit eine allgemeine Verachtung, einen aUgemeinen
Eckel würcket: denn wenn sie aus Hochmuth entspringet, wird sie mit Haß; und |
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{Sp. 355|S. 191} |
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wenn sie aus grober Ungeschicklichkeit entstehet, mit Verachtung angesehen. Die
Höflichkeit thut in ihren Liebkosungen allezeit lieber etwas zuviel, als zu wenig;
iedoch bedienet sie sich derselben nicht gegen iedermann in gleichem Maaße, weil sie
ausser diesen zur Ungerechtigkeit werden würde. Sie ist vermögend, so gar unter
Feinden eine Verbündlichkeit hervor zu bringen, woraus man ihre Macht erkennen kann.
Sie kostet wenig und gilt doch viel. |
Müller ad h. l. |
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Es ist also die Höflichkeit eine
Klugheit, die da
machet, daß wir den andern uns beliebt zu machen uns nach seinen
Neigungen
richten. Ein wahrhafftig kluger Mensch aber wird sich nach des andern Neigungen nicht
länger richten, als die
Gesetze der
Ehrbarkeit es nicht verbieten. Verbotene Liebe also ausüben wird bey rechten Kennern
nie Mahls unter dem schönen
Namen der
Höflichkeit begrieffen werden, wie doch wohl etwa heute zu
Tage an solchen
geschiehet, die allen
Sünden eine Decke der
Tugend geben
wollen. |
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Zweyerley aber ist, welches einen vollständigen höflichen Menschen ausmachet,
nemlich Gefälligkeit und Bescheidenheit. Durch jene messen wir unsere
Reden und
Thun in
Gesellschafft nach der
Gemüths-Art des
andern ab, dem wir uns beliebt machen wollen; durch diese aber lassen wir das, was
der andere redet oder thut, wenn es uns auch an sich selbst zuwieder seyn
sollte, demnach in
Absicht auf ihn uns gerne und ungezwungen mit gefallen. |
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Es folget also von selbst, daß wer des
Ruhms der Höflichkeit
theilhafftig seyn
will, in Gesellschafft seines
eigenen herrschendes
Adfects
vollkommen
Meister seyn
müsse. Denn der ist nicht
höflich, welcher seinen eigenen
Neigungen
nachgehet, wohl aber der, der sich in anderer
Gemüther zu
schicken
weiß. Wer seiner
Begierden nicht
mächtig ist,
wird in mancherley Ungefälligkeiten und Unbescheidenheiten verfallen, zu Mahl da es
in Gesellschafften nicht an
Gelegenheit
mangelt, wodurch die
Begierden gereitzet werden. Willt du also mit Recht den Namen eines Höflichen führen,
so versiehe dich wohl darauf, wie die menschlichen Begierden so wohl in Ansehung
deiner als anderer wollen
tractiret seyn. Dieses
aber wird unter iedem besondern Namen derer menschlichen Begierden gewiesen. |
- Müller Politic. 4. §. 6.
- Callier de la Science du Monde
2.
- Esprit de la Faussete des vertus humain. Tom. I. c. 7.
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Zum Schlusse zeigen wir noch an, daß
Müller Politic.
5. §. 31. Anmerck die Höflichkeit von der Manierlichkeit wohl
unterschieden
wissen wolle. Die Höflichkeit sey das
vornemste
Mittel, sich beliebt zu
machen; die Artigkeit aber und äusserliche Ansehnlichkeit der Manier, mit welcher man
seine Höflichkeit anzubringen wisse, helffe viel dazu, daß solcher
Zweck desto
leichter erlanget werde, weil offt eine an sich selbst gar angenehme Höflichkeit
durch die Unmanierlichkeit, mit welcher sie angebracht wird, alle Annehmlichkeit
verlieret. |
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Eine angenehme Schmeicheley oder äussserliche Ehr-Bezeugung, die man einem
Ehrgeitzigen mache, sey
eine Höflichkeit, folglich eine
vernünfftige
Klugheit, und
nicht eine blosse Manierlichkeit. Sie thue ihre
Würckung, den
Menschen beliebt zu machen, auch wohl an sich selbst, wenn sie auch gleich mit
sonderbar artigen Manieren nicht angebracht werde, welches man insonderheit in dem
Falle wahrnehme, wann dergleichen kluge Höflichkeit an einem Menschen, dem der
Mangel der äusserlichen
Manier zu gute gehalten wird,
z. E. einem
Bauer, |
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{Sp. 356} |
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gefunden werde. |
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Bey einem Menschen, der geschicklich und manierlich erzogen ist worden, komme
freylich zu solcher Höflichkeit, was die
Worte betrifft,
die unter feinen Leuten
gebräuchliche
Zierlichkeit derer
Redens-Arten,
die Nettigkeit der Aussprache, die Lieblichkeit der Stimme; in denen
Bewegungen des
Leibes die
aufgeweckte Freundlichkeit derer Gebärden, die
geschickte Gefügigkeit derer Glieder, das freye ungezwungene artige
Wesen, hinzu, durch welches die Höflichkeit, als eine an sich selbst vernünfftige
Klugheit, mit Menschen umzugehen, diejenige artige Manierlichkeit erhalte, durch
welche die Höflichkeit ihre Würckung, den Menschen beliebt zu machen, auf eine weit
angenehmere Art,
folglich weit leichter thue. |
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Da man nun solcher Gestallt an
geschickten Leuten gesehen, wie sie alle schon an sich selbst kluge
Höflichkeiten auch jeder
Zeit mit der
artigsten Manierlichkeit anzubringen
wissen; so
wäre man auf Veranlassung des gemeinen Fehlers, durch welchen man meist nur auf das
äusserliche siehet, leicht auf die Verwirrung gefallen, daß man die unter der
äusserlichen Artigkeit verborgene kluge Höflichkeit von der Artigkeit derer Manieren
nicht gnugsam
unterschieden,
und also die Höflichkeit selbst mit der Manierlichkeit sie anzubringen vor einerley
gehalten; daher es kommen, daß man fast insgemein die Höflichkeit mit unter die
Manierlichkeiten gerechnet, deren
Unterscheid doch
auch daher gantz deutlich erhelle, daß auch eine würckliche Unhöflichkeit dennoch mit
guter äusserlicher Manierlichkeit begangen werden könne, welche dadurch zwar zuweilen
in etwas erträglicher, aber deswegen nicht zu einer Höflichkeit werde, z. E. wenn man
einen Menschen, dem man es wohl ansehe, daß er nicht gern
spielen
wolle, auch auf das manierlichste zum
Spiele nöthige, nur weil
man selbst gerne spielen
mögte. |
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Der
Schade, der aus dieser
Verwirrung erwachsen wäre, daß man dadurch veranlasset worden, von der Höflichkeit
derer
Sitten sich den
bekannten unzulänglichen
Begrieff zu
machen, da man die Schahle vor den Kern ergreiffet, und auf die
wahre
innerliche Klugheit, sich in so mancherley Gemüther zu schicken, die zu wahrer
Höflichkeit schlechter Dings erfordert werde, wenig oder nicht gedencke, sondern
vermeyne, die Höflichkeit geschickter Welt-Leute bestehe bloß in der äusserlichen
Manierlichkeit, und man könne keiner Unhöflichkeit beschuldiget werden, wenn man die
Regeln des
äusserlichen Wohlstandes wohl innehabe, und genau beobachte. |
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