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Zedler: Höflichkeit HIS-Data
5028-13-353-12
Titel: Höflichkeit
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 13 Sp. 353
Jahr: 1735
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 13 S. 190
Vorheriger Artikel: Höfer, (Wolfgang)
Folgender Artikel: Höffler, (Conrad)
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel

  Text Quellenangaben
  Höflichkeit, hat ohne Zweifel von Hofe, Hof-Leben seine Benennung.  
  Grosser Herren Höfe sind ein Schau-Platz, wo ieder sein Glück machen will. Dieses läßet sich nicht anders thun, als wenn man des Fürstens und derer Vornehmsten am Hofe Zuneigung gewinnet. Man giebt sich also alle ersinnliche Mühe, denenselben sich beliebt zu machen. Hierinnen vermag nichts mehr, als wenn man den andern glaubend machet, daß wir bey aller Gelegenheit nach äussersten Kräfften ihm zu dienen bereit seyn. Gleichwohl sind wir dazu nicht allezeit vermögend, wollen auch wohl nicht, und dieses viel Mahls aus gerechten Ursachen.  
  Dieses alles ersetzet die Höflichkeit. Da geben wir dem andern durch unsere äusserliche Bezeigung so viel Versicherung, daß er eine gute Hoffnung von uns fasset, wie wir ihm zu dienen willig. Dieses erwirbt uns bey dem andern ein Vertrauen in uns, woraus denn unvermerckt eine Liebe gegen uns sich erzeuget, nach welcher er uns gutes zu thun begierig wird.  
  Dieses ist bey der Höflichkeit so allgemein, daß sie dadurch dem, der sie besietzet, einen sonderbaren Vorzug zu Wege bringet. Geschicklichkeit und Tugend sollten zwar eigentlich dieses seyn, welches uns derer Menschen Hochachtung erwerben solte. Wie wenig sind aber derer beyder rechte Kenner? Ja wie noch wenigere halten sie einiger Ehren werth? Das, was äusserlich in die Sinne fällt, rühret die auf das äusserliche allzu sehr geworffene Menschen weit mehr, zu Mahl wenn noch solche  
  {Sp. 354}  
  Umstände dabey vorkommen, welche ihren Willen sonderbar rühren.  
  Dieses trifft bey einem Höflichen gantz genau ein. Seine äusserliche Aufführung siehet iedermann. Sie ist so verbindlich, daß sie ein offenbarer Zeuge eines Gemüths seyn will, welches uns ergeben. Der Ehrgeitzige findet hier was er haben will; durch unsere höfliche Bezeigung achtet er sich geehret; der Wollüstige ist so aller Freund, und da ist es ihm das gröste Vergnügen, eine Person um sich zu haben, dessen Höflichkeit ein gleiches weiset; so gar dem Geldgeitzigen ist der Höfliche nicht zuwider. Von selbigen glaubet er desto zuversichtlicher, er werde nach der ihm eigenen Höflichkeit seine interessirten Absichten nachdrücklich zu befördern suchen.  
  Da nun der Mensche weit eher und zuverläßlicher das seinige thut, wenn seine Begierden einen Gewinnst vor sich dabey sehen; so ist der Vortheil von der Höflichkeit desto gewisser und allgemeiner, ie mehr der menschliche Wille dadurch gefesselt wird. Ja die Höflichkeit ist so gar so starck, daß sie deinen Feind ohnmächtig machen, und das feindliche Esaus-Hertze zu einen liebreichen Jacob machen kann.  
  Ein Feind kan eigentlich von uns keine Gefälligkeit fordern, noch hat er auch wegen der obschwebenden Feindschafft einige zu hoffen, weil solche eine Freundschafft bey denjenigen zum voraus zu setzen scheinet, welcher solche erweiset. Wie sehr muß also das feindselige Hertz gerühret werden, wenn du dich gegen ihn höflich bezeigest. Wird er nicht, wenn er nur die geringste Überlegung gebrauchen will, solches einer Großmuth, so bey dir wohnet zuschreiben?  
  Du deines Ortes, der du solche Höflichkeit beweisest, verlierest auch nichts dabey. Ein liebreiches Wort, eine reitzende Miene, eine freundliche Stellung ist noch nichts würckliches, was du jenen giebst. Es sind nur Zeichen, wodurch du ihm Hoffnung machest, daß du in Zukunfft ihm dienen wollest. Es sey dann, daß dein Feind deine Höflichkeit vor eine niederträchtige Furchtsamkeit ansehen wolle, so wird einige Härte gegen ihn dir freylich mehr als deine Höflichkeit nützen.  
  In dem allen must du aus andern Regeln der Klugheit freylich gelernet haben, ieden nach seinem Stande zu tractiren. Eine Höflichkeit, so dem Vornehmern als dem Geringern mit gleichen Maße zugemessen wird, verlieren ihren Werth. Der Höhere will und muß vor denen Geringern vorgezogen werden. In nur beniemten Falle aber bildet sich ersterer ein, daß wir keinen Unterschied machen, und dieser wird mit uns gemein.  
  Ob zwar übrigens nicht zu läugnen, daß die Höflichkeit nicht auf der Gold-Waage abzumessen. Die Höflichkeit kostet nichts und der Gewinnst daher ist doch gemeiniglich sehr groß. Ist dein Mit-Bürger von der Art, daß er viele Höflichkeit verlanget, so würde es wider deinen wahrhafften Nutzen, denn auch hier ist der nicht aus denen Augen zu setzen, seyn, wenn du deine Höflichkeit nicht so hoch treiben wolltest, besonders wenn iemand höhers mit in der Gesellschafft, als bis du sein Hertz zu dir gewandt  
  Dieses alles fasset Gracian Orac. Max. 118. sehr schön zusammen, wenn er saget: Angenehme Höflichkeit ist der vornehmste Theil der Geschicklichkeit kluger Welt- Leute. Sie bezaubert die Gemüther, und gewinnet das Wohlwollen der Menschen; gleichwie hingegen die Unhöflichtkeit eine allgemeine Verachtung, einen aUgemeinen Eckel würcket: denn wenn sie aus Hochmuth entspringet, wird sie mit Haß; und  
  {Sp. 355|S. 191}  
  wenn sie aus grober Ungeschicklichkeit entstehet, mit Verachtung angesehen. Die Höflichkeit thut in ihren Liebkosungen allezeit lieber etwas zuviel, als zu wenig; iedoch bedienet sie sich derselben nicht gegen iedermann in gleichem Maaße, weil sie ausser diesen zur Ungerechtigkeit werden würde. Sie ist vermögend, so gar unter Feinden eine Verbündlichkeit hervor zu bringen, woraus man ihre Macht erkennen kann. Sie kostet wenig und gilt doch viel. Müller ad h. l.
  Es ist also die Höflichkeit eine Klugheit, die da machet, daß wir den andern uns beliebt zu machen uns nach seinen Neigungen richten. Ein wahrhafftig kluger Mensch aber wird sich nach des andern Neigungen nicht länger richten, als die Gesetze der Ehrbarkeit es nicht verbieten. Verbotene Liebe also ausüben wird bey rechten Kennern nie Mahls unter dem schönen Namen der Höflichkeit begrieffen werden, wie doch wohl etwa heute zu Tage an solchen geschiehet, die allen Sünden eine Decke der Tugend geben wollen.  
  Zweyerley aber ist, welches einen vollständigen höflichen Menschen ausmachet, nemlich Gefälligkeit und Bescheidenheit. Durch jene messen wir unsere Reden und Thun in Gesellschafft nach der Gemüths-Art des andern ab, dem wir uns beliebt machen wollen; durch diese aber lassen wir das, was der andere redet oder thut, wenn es uns auch an sich selbst zuwieder seyn sollte, demnach in Absicht auf ihn uns gerne und ungezwungen mit gefallen.  
  Es folget also von selbst, daß wer des Ruhms der Höflichkeit theilhafftig seyn will, in Gesellschafft seines eigenen herrschendes Adfects vollkommen Meister seyn müsse. Denn der ist nicht höflich, welcher seinen eigenen Neigungen nachgehet, wohl aber der, der sich in anderer Gemüther zu schicken weiß. Wer seiner Begierden nicht mächtig ist, wird in mancherley Ungefälligkeiten und Unbescheidenheiten verfallen, zu Mahl da es in Gesellschafften nicht an Gelegenheit mangelt, wodurch die Begierden gereitzet werden. Willt du also mit Recht den Namen eines Höflichen führen, so versiehe dich wohl darauf, wie die menschlichen Begierden so wohl in Ansehung deiner als anderer wollen tractiret seyn. Dieses aber wird unter iedem besondern Namen derer menschlichen Begierden gewiesen.
  • Müller Politic. 4. §. 6.
  • Callier de la Science du Monde 2.
  • Esprit de la Faussete des vertus humain. Tom. I. c. 7.
  Zum Schlusse zeigen wir noch an, daß Müller Politic. 5. §. 31. Anmerck die Höflichkeit von der Manierlichkeit wohl unterschieden wissen wolle. Die Höflichkeit sey das vornemste Mittel, sich beliebt zu machen; die Artigkeit aber und äusserliche Ansehnlichkeit der Manier, mit welcher man seine Höflichkeit anzubringen wisse, helffe viel dazu, daß solcher Zweck desto leichter erlanget werde, weil offt eine an sich selbst gar angenehme Höflichkeit durch die Unmanierlichkeit, mit welcher sie angebracht wird, alle Annehmlichkeit verlieret.  
  Eine angenehme Schmeicheley oder äussserliche Ehr-Bezeugung, die man einem Ehrgeitzigen mache, sey eine Höflichkeit, folglich eine vernünfftige Klugheit, und nicht eine blosse Manierlichkeit. Sie thue ihre Würckung, den Menschen beliebt zu machen, auch wohl an sich selbst, wenn sie auch gleich mit sonderbar artigen Manieren nicht angebracht werde, welches man insonderheit in dem Falle wahrnehme, wann dergleichen kluge Höflichkeit an einem Menschen, dem der Mangel der äusserlichen Manier zu gute gehalten wird, z. E. einem Bauer,  
  {Sp. 356}  
  gefunden werde.  
  Bey einem Menschen, der geschicklich und manierlich erzogen ist worden, komme freylich zu solcher Höflichkeit, was die Worte betrifft, die unter feinen Leuten gebräuchliche Zierlichkeit derer Redens-Arten, die Nettigkeit der Aussprache, die Lieblichkeit der Stimme; in denen Bewegungen des Leibes die aufgeweckte Freundlichkeit derer Gebärden, die geschickte Gefügigkeit derer Glieder, das freye ungezwungene artige Wesen, hinzu, durch welches die Höflichkeit, als eine an sich selbst vernünfftige Klugheit, mit Menschen umzugehen, diejenige artige Manierlichkeit erhalte, durch welche die Höflichkeit ihre Würckung, den Menschen beliebt zu machen, auf eine weit angenehmere Art, folglich weit leichter thue.  
  Da man nun solcher Gestallt an geschickten Leuten gesehen, wie sie alle schon an sich selbst kluge Höflichkeiten auch jeder Zeit mit der artigsten Manierlichkeit anzubringen wissen; so wäre man auf Veranlassung des gemeinen Fehlers, durch welchen man meist nur auf das äusserliche siehet, leicht auf die Verwirrung gefallen, daß man die unter der äusserlichen Artigkeit verborgene kluge Höflichkeit von der Artigkeit derer Manieren nicht gnugsam unterschieden, und also die Höflichkeit selbst mit der Manierlichkeit sie anzubringen vor einerley gehalten; daher es kommen, daß man fast insgemein die Höflichkeit mit unter die Manierlichkeiten gerechnet, deren Unterscheid doch auch daher gantz deutlich erhelle, daß auch eine würckliche Unhöflichkeit dennoch mit guter äusserlicher Manierlichkeit begangen werden könne, welche dadurch zwar zuweilen in etwas erträglicher, aber deswegen nicht zu einer Höflichkeit werde, z. E. wenn man einen Menschen, dem man es wohl ansehe, daß er nicht gern spielen wolle, auch auf das manierlichste zum Spiele nöthige, nur weil man selbst gerne spielen mögte.  
  Der Schade, der aus dieser Verwirrung erwachsen wäre, daß man dadurch veranlasset worden, von der Höflichkeit derer Sitten sich den bekannten unzulänglichen Begrieff zu machen, da man die Schahle vor den Kern ergreiffet, und auf die wahre innerliche Klugheit, sich in so mancherley Gemüther zu schicken, die zu wahrer Höflichkeit schlechter Dings erfordert werde, wenig oder nicht gedencke, sondern vermeyne, die Höflichkeit geschickter Welt-Leute bestehe bloß in der äusserlichen Manierlichkeit, und man könne keiner Unhöflichkeit beschuldiget werden, wenn man die Regeln des äusserlichen Wohlstandes wohl innehabe, und genau beobachte.  

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Stand: 27. Oktober 2016 © Hans-Walter Pries