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Text |
Quellenangaben |
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Sitten, Mores, wird in einem dreyfachen
Verstande genommen. |
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Erstlich
verstehet man dadurch |
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{Sp. 1847|S. 937} |
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den Habitum oder die Einrichtung des
menschlichen Willens, da er zu
gewissen
Thun und
Lassen geneigt ist, welcher Habitus entweder nach
der gesunden
Vernunft eingerichtet; oder mit
derselben streitet. |
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Im ersten Fall ist er
vernünftig theils nach der
Ethic, welches die tugendhafften Sitten sind, theils
nach der
Politic, so die artigen Sitten
genennet
werden; Jene bestehen darinnen, daß ein
Mensch
sich nach dem
göttlichen Willen, welchen er durch
die Vernunfft aus der
Natur
erkennet, in dieser oder
jener
Verrichtung zu richten, allezeit willig ist. Diese
hingegen sind, wenn man sich bey vorfallender
Gelegenheit nach den eingeführten
Gewohnheiten
geschickter Leute äusserlich aufführet. |
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Streiten die Sitten mit der gesunden Vernunfft,
so geschiehet solches ebenfalls auf zweyerley
Weise: einmahl nach der Ethic, wenn man nach
dem Triebe der verderbten
Neigungenn, des
Ehrgeitzes,
Geld-Geitzes und der
Wollust zu
gewissen Thun und Lassen geneigt ist welches man
die Lasterhafften Sitten nennet; hernach nach der
Politic, wenn man sich dem Geschmack geschickter
Leute nicht accommodiret, und sich nach solchem
wunderlichen Eigensinn richtet, welches die groben
und wunderlichen Sitten sind. |
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Jene, als die Lasterhafften, können in einer
doppelten Absicht betrachtet werden: Erstlich in
Ansehung der drey Haupt-Neigungen an sich selbst,
und da entstehen die Sitten eines Ehrgeitzigen,
Geldgeitzigen und
Wollüstigen; denn in Ansehung
der Verbindung einer Neigung so wohl mit gewissen
Fähigkeiten des
Verstandes, als mit andern
Neigungen, welche Verbindung in Ansehung der
Grade der Lebhafftigkeit
muß geprüfet werden.
Denn andere Sitten wird man antreffen bey einem
Ehrgeitzigen als Geldgeitzigen[1]; andre bey dem, da
Ehrgeitz und Wollust, oder Geld-Geitz einander die
Wage halten; Andre bey einem Ehrgeitzigen, der
zugleich
guten Verstand hat. |
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HIS-Data: korrigiert aus: Ehrgeitzigen |
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Vors andre versteht man durch die Sitten das
Thun und Lassen selbst, so fern solches nach dem
angenommenen Habitus geschiehet; und drittens
bedeuten
solche auch eine gewisse blosse äusserliche Beschaffenheit des Thun und Lassens,
zu welcher dritten Bedeutung die
unterschiedenen
Arten der Sitten in Ansehung des
Alters, des
Geschlechts, der
Profeßion, des
Standes, der
Ämter
und anderer
Umständen, die man pfleget
anzuführen, gehören. |
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Man betrachtet den
Unterschied der Sitten
insgemein nach zweyerley Umständen, deren sich
einige an dem Menschen selbst; einige aber ausser
demselbigen befänden. Zu jenen rechnet man |
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1) |
die Beschaffenheit des
Leibes, und zwar insonderheit des Geblüts, oder
des Temperaments, welches zu den Gemüths-Neigungen
und Sitten viel beytrage, so durch die
tägliche
Erfahrung bestärcket werde, wenn man
gleich die Art und Weise, wie es zugehe, nicht
wissen könnte, auch
ungewiß sey, ob die
Determination, da man auf eine gewisse Art der
Schein-Güter und also auf gewisse Neigungen falle,
von dem Leibe und dessen Temperament den
Ursprung habe; oder ob in der
Seelen selbst, wie
sie ausser dem Leibe vor sich betrachtet werde,
bereits ein Unterschied der Neigungen zu finden
sey. Hiervon wird in dem Artickel: Temperament,
ausführlich gehandelt. |
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{Sp. 1748} |
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fenheit des
Alters, da das
unterschiedliche Alter auch einen mercklichen
Unterschied unter den Sitten verursache, so nicht
weniger die Erfahrung bezeuge, wie nehmlich,
Kinder, Jünglinge,
Männer, alte Leute in ihren Sitten
von einander
unterschieden, welcher Punct in dem
Artickel: Alter, in den Supplementen zu diesem
Lexico zu suchen. |
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3) |
Die Beschaffenheit des
Geschlechts, daß man bey dem
Frauen-Zimmer
andre Sitten, als bey den
Manns-Personen antreffe.
Denn die
Weibs-Personen hätten mehr
sanguinisches, oder phlegmatisches an sich, und
daher wären sie weichlicher, zärtlicher, von einer
starcken Einbildungs-Krafft, schwächerem
Judicio,
auch neugierig, vorwitzig, leichtgläubig,
veränderlich, zuweilen listig, mehr zu lustigen als
ernsthaften
Dingen geneigt, auch mehrentheils
verliebter, als die Manns-Personen. |
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Ihre
Ehre suchten sie nicht
in grossen Dingen, sondern in dem
Ruhm, daß sie
schön und galant wären. Weil ihre Einbildungs-Krafft sehr starck, so wären sie von geschwinden
Affecten, daß sie sich leicht
erzürnen,
freuen,
betrüben, hoffen, fürchten können. |
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Doch sey unter den Weibs-Personen selbst ein grosser
Unterscheid, daß
ausser dem Naturell, so diesem Geschlecht
eigen
sey, manche noch was besonders vor den andern
habe. Ja man fände bey einigen wohl mehr, als
männliche
Geschicklichkeit. Dieses sähe man aus
den
Exempeln derer, die zum
studieren nicht
ungeschickt gewesen, und das Scepter
glücklich
geführet. Wiewohl von solchen etlichen Exempeln
kein allgemeiner
Schluß auf die andern alle zu
machen, noch deswegen das, was von den Sitten
dieses Geschlechts bekannt und am
Tage sey, in
Zweiffel zu ziehen. |
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Die äusserlichen Umstände, welche den
Unterschied der menschlichen Sitten verursachen
und befördern
sollen,
theilet man in
natürliche und
moralische; Zu den natürlichen pflegt man unter
andern den
Ort und die
Zeit zu ziehen. So haben
die
Gelehrten nach unterschiedlicher Beschaffenheit
der Örter auch unterschiedliche Sitten der
Menschen bemercket, welches sich so gar auf
gantze
Völcker erstrecket, wovon oben in dem
Artickel, vom
Naturell der Völcker, im XXIII p. 1246
u.ff. geredet worden. |
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Daß nach dem Unterschied der Zeit die Sitten
unterschiedlich und veränderlich, ist klar. Man darf
nur die
alten Zeiten gegen die jetzigen halten, so
wird sich dieses zeigen. Unsere
deutsche Nation
hat jetzt eine gantz andere Art zu
leben, als ihre
Vorfahren gehabt, wie sie Tacitus beschreibet. Die
Zeit an sich selbst thut hierbey nichts, welche
keinen Eindruck in die menschlichen
Gemüther hat;
Weil aber die Zeit die
Veränderung der Sitten, so
aus gantz andern
Ursachen herrühret, gleichsam
anzeiget, und entdecket, so pfleget es zu
geschehen, daß der Zeit selbst diese Veränderung
beygemessen wird. |
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Es können aber dieser Veränderungen
Ursachen mancherley seyn, als der
Regenten
Exempel und Anordnungen, wenn sie eben dahin
abzielen, daß eine gewisse
Lebens-Art oder
besondere Sitten sollen eingeführet werden; Die
Reisen der Völcker aus einem
Land in das andere;
die Haupt-Veränderungen der
Reiche und der
Staaten, und was dergleichen mehr ist. |
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Weil nun solche Veränderung unvermerckt
geschiehet, |
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{Sp. 1849|S. 938} |
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und wir es gemeiniglich nur gewahr werden,
wenn es vorbey ist, daß diese und andere Sitten zu
der und jener Zeit mode gewesen, so pflegt man
solches der Zeit zuzuschreiben. Es haben einige
einen genium seculi statuiren
wollen, welcher nach
den Zeiten die Gemüther der Menschen lencke, und
die Sitten der Menschen verändere. Dieser
Meynung ist Barclajus, welcher in icone animor. …
saget: omnia secula genium habent, qui mortalium
animos in certa studia solet inflectere. |
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Mit diesen
stimmet überein der ungenannte
Auctor, der Germania milite destitutam
geschrieben,
und der so genannte Peter Firmianus, von dem ein
besondres
Buch unter dem
Titel: Seculi genius,
Paris 1663 in 12 heraus. Allein es
urtheilet
der
Herr
Heumann in act. philos. … gar recht, es gehörten
diese genii seculorum mit in das
Capitel, welches
Clericus in arte critic. … verfertiget, es wären
blosse
Wörter, da diejenigen, die sie brauchten,
selbst nicht
wüsten, was sie damit haben
wolten. |
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Durch die
moralischen Dinge verstehet man
diejenigen
Sachen, denen die Menschen entweder
nach ihren Gutbefinden einen Werth beygeleget,
oder die lediglich auf menschliche Anordnungen
ankommen. Denn ob sie schon vor sich keinen
Einfluß in die menschlichen Gemüther hätten, so
gäbe doch die Einbildung, die man von ihnen habe,
zur Veränderung der Sitten Anlaß. In
Erwegung
dessen, pflegt man den
Unterschied der Sitten zu
bemercken |
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1) |
in Ansehung des
Standes,
so fern die Menschen entweder
Regenten, oder
Unterthanen, entweder
edle oder unedle wären.
Denn Regenten wären mehrentheils
ehrgeitzig,
wiewohl sie sich anders in der
Monarchie, anders in
der Aristocratie verhielten. So wäre auch bey den
Adelichen mehrentheils ein Ehr-Geitz, nachdem das
äusserliche Bezeugen eingerichtet werde; Das
gemeine
Volck hingegen liesse sich insgemein von
Wollust und
Geldgeitz beherrschen |
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2) |
in Ansehung des
Vermögens.
Reiche Leute wären stoltz, frech und
vermessen, und achteten andre Leute nicht viel;
Arme aber wären niedergeschlagen, kleinmüthig,
verzagt, und weil sie sich Kümmerlich behelffen
müsten, nehmen sie leicht geitzige Sitten an. |
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3) |
In Ansehung der
Lebens-Art, da man vielerley
Arten der Menschen, folglich
auch der Sitten habe. Denn da wären
Hof-Leute,
Gelehrte, Soldaten,
Kauffleute,
Handwercks-Leute,
und die das Land-Leben
erwehlten. |
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Es können hier
verschiedene
Schrifften
nachgelesen werden. Von denen, die in ihren
Moralen diese
Materie mitgenommen, ist
aufzusuchen |
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-
Buddäus in
elementis philosophiae practicae …
- Kemmerich in der Academie der Wissenschafften,
3te Öffnung ...
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Gewisser massen kan man auch diejenigen
hieher rechnen, die durch Kennzeichen und
Caracteres die menschlichen Sitten der
Tugend und
des Lasters
vorgestellet. Unter den
Alten ist
Theophrastus bekannt, dessen Caracteres offt
griechisch und
lateinisch, sonderlich durch Vorsorge
des Casauboni und Petri Needhams
herausgegeben worden. Diesem
Exempel sind viele
neuere, besonders unter denen Frantzosen
gefolget, und haben allerhand
Bücher unter dem
Titel Caracteres herausgegeben, von denen
Walch |
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{Sp. 1850} |
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in der
Dissertation de arte aliorum animos
cognoscendi … eine Nachricht gegeben, auch
Fabricius in Bibliotheca graeca … und Paschius
de variis modis moralia tradendi … gehandelt. |
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Die Sitten der Völcker
untersuchet |
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- Bodinus in Methodo hist. … und de Republic.
…
- Besoldus
in Discursu de natura populorum;
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Der Regenten aber nach der unterschiedenen
Regiments-Art Machiavellus in Discurs. in Livium.
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Walchs Philosophisches
Lexicon. |
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