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Lebens-Art,
Lat.
Genus Vitae, ist in der
Welt
nicht alle
Zeit einerley gewesen, sondern man ist
Staffels-Weise fortgegangen. |
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Der erste Grad war Vita siluestris, da die
Menschen vor Erbauung derer
Städte und
Dörffer
in denen Wildnissen wie die Thiere sich
erhielten, |
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[zwei Zeilen lateinische Verse] |
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da die kalten Höhlen ihre
Häuser wären, und
sie ihre Kost bloß an denen Gewächsen, wie das
Erdreich selbige freywillig hervor brachte, sucheten. Insonderheit sind die
Eicheln deswegen
berühmt, daß sie vor dem
Acker-Bau denen
Menschen an |
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{Sp. 1273|S. 648} |
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Statt des Brodes gedienet: Dahin man denn
auch Äpfel, Birnen und andere Früchte und Kraut-Wurtzeln rechnen kann. |
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Hierauf ist gefolget Vita pastoralis, die Vieh-Zucht, oder das Hirten-Leben, da die Menschen
einige
Arten derer Thiere in denen
Wäldern
gefangen, eingesperret und zu ihrem
Nutzen
gezähmet. Unter denenselben sind die Schaffe die
ersten gewesen, und hierzu am meisten
beqvem
geachtet worden, Theils weil sie an sich selbst
nicht sehr wild, sondern sanfftmüthig, Theils weil
sie zur Speise ihre Milch, Käse und Butter, zur
Kleidung aber ihre Wolle darreichen. |
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Der dritte Grad ist Vita agrestis oder
Agricultura, der
Acker-Bau. Bey welchem dennoch
die Menschen die vorigen beyden Arten zu leben
nicht abgeschaffet, sondern, was ihnen aus
denenselben dienlich, beybehalten. Jedoch hat
der Acker-Bau den
Vorzug erlanget, und ist auf
denselben nicht allein vom Pöbel, sondern auch
von
Fürsten und
Königen grosser
Fleiß
angewendet worden, so gar, daß derer
Regenten
Einnahme und
Vermögen fast allein im Acker-Bau
und Wiese-Wachs bestanden. Ja wenn man einen
loben wolte, so war es gnug, daß man von ihm
sagen konnte, er sey bonus
Colonus, ein guter
Acker-Mann. Aus diesem sonderbahren Fleisse,
den Acker-Bau fortzutreiben, entstund eine solche
wohlfeile Zeit, daß man selbige Seculum aureum, die goldene Zeit genennet. |
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Nachdem ist aufkommen Vita cíuilis siue
vrbana et mirior, da die Menschen nach
abgeschafften Wildnissen und wilden Früchten
angefangen, ihnen schöne Häuser, und durch die
Gärtnereyen mancherley schmackhaffte Früchte
zu verschaffen, die Vieh-Zucht, den Acker-Bau,
die Jägerey, den Vogel-Fang, die Fischerey und
den Wein-Bau stattlich zu verbessern, und ihr
Haus-Wesen also einzurichten, damit in Küch und
Keller alles sauber, und an der Taffel alles
ordentlich zugienge. Welche Art zu leben, wenn
sie in ihren Grentzen bleibet, ohne Zweifel die
beste, ungeachtet selbige von einigen Stoicis
getadelt, und vor verschwenderisch ausgeruffen
wird: sinte Mahl die Verschwendung nicht
bestehet in dem Wechsel, sondern in dem
Überflusse derer Speisen. |
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Obgleich nun des Luculli Apicii und anderer
ihr unerhörter Überfluß in Tractamenten billig zu
verwerffen, so ist dennoch zuläßig, daß die
Menschen ihre Speisen nach der
Geschicklichkeit,
die ihnen
GOtt
verliehen, ändern. Warum hätte
sonst derselbe gütige Vater so mancherley
Getraide, Wein-Stöcke, Öl-Bäume und Obst, ja die
Thiere, Fische und Vögel selbst erschaffen, wenn
der Mensch zu seiner
Beqvemlichkeit nicht
brauchen solte? Denn daß man zu rechter Zeit
säet, mähet und einbringet, ist keine
Wissenschafft des Viehes, sondern es gehöret zu
des Menschen Unterhalt, und zwar nicht ohne
Unterscheid vor alle, sondern nur vor diejenigen,
die den Acker- Garten- und Wein-Bau
verstehen.
Denen aber diese
Wissenschafften mangeln, die
nennet man noch heute zu Tage billig wilde Leute
und Barbarn. |
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Über Haupt aber wird jeder
Stand des
Menschen, so lange er lebet, eine Lebens-Art
genennet. Nach dem nun der Mensch die in ihm
gelegten Kräffte wohl oder übel gebrauchet, nach
dem sagt man, er habe eine gute oder böse
Lebens-Art. Diese zu ergreiffen hat GOtt in
den |
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{Sp. 1274} |
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freyen Willen des Menschen gesetzet, und
ihn dadurch in
Stand gesetzet, daß, wenn er eine
gute Lebens-Art erwählet, er den
Namen eines
tugendhafften erhält, welches ausser dem mit
Recht nicht geschehen könnte; dagegen aber
auch sich zuzuschreiben, wenn er durch eine üble
Lebens-Art sich den Schand-Flecken eines
lasterhafften zuzühet. |
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Damit nun dieses unterbleibe, und jenes
geschehe, ist es freylich eine wichtige
Sache, eine
rechte Lebens-Art zu erwählen. Dies ist der
nächste Zweck derer Kirchen und
Schulen. Man
weiset uns da den Weg zu einer vernünfftigen
Lebens-Art, welche die, so ihr nachgehen, am
Ende crönet. Wir selbst liegen so im finstern, daß
wir ohne Handleiter nicht dahin gelangen können.
Daher folget, daß junge und derer Sachen
unwissende vor sich keine Lebens-Art ergreiffen
können. Sie müssen sich von solchen leiten
lassen, die die Sache
verstehen. Sich selbst
hierinnen zu rathen, ist gefährlich. Man kennet
meisten Theils weder sich noch die Lebens-Art,
die man annehmen will. Und da gehet es auf ein
gerathe wohl. |
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Der Trit, den du hier thust, ist leichte gethan,
aber auch desto gefährlicher. Untersuche also
deinen Beruff. Den wirst du am besten erfahren,
wenn du dich erst recht erkannt. Ein wichtiges
Werck, wozu viel zu wenig, daß
Eltern mit einem
Macht-Spruche: das und das soll mein Kind
werden, solches heben. Dein
Kinde kan zwar eine
ehrliche Lebens-Art in der Welt ergreiffen, die aber
doch unrecht. Z.E. dein Kind wird von dir der
Artzney-Kunst gewiedmet; es fehlen aber die
Gaben dazu, so sündiget ihr beyde wieder GOtt.
Dieser als der Schöpfer hat deinem Kinde Kräffte
gegeben, die einen andern
Endzweck haben.
Dieser soll sich nun deiner eitlen, wo nicht gar
meisten Theils sündlichen Absichten wegen
ändern, und die Mittel darzu ändern sich nicht. Du
elender unvermögender gebiete ein Mahl der
Natur, daß sie sich nach deinen
Leidenschafften
ändere, so mögte es angehen. So lange aber dies
nicht ist, welches nimmermehr geschehen wird, so
lange bist du der gröste Thor, daß du eine Sache
verlangest, dazu dir die Kräffte, und folglich die
Mittel fehlen. |
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Wie gemein ist aber nicht diese Sünde.
Gemeinen Leuten mögte man es in etwas zu gute
halten, weil sie es nicht
verstehen, doch in so
ferne nicht gantz zu entschuldigen sind, weil sie
klügere und unparteische um Rath fragen, aber
auch denselben folgen sollten; aber daß
gemeiniglich
gelehrte auch gelehrte, vornehme
auch wieder in vornehmen
Amts-Stellen sich
befindende Kinder haben wollen, mögte wohl
zeigen, daß ein nicht geringer unverantwortlicher
Hochmuth dahinter stecke, der doch je weiter von
ihnen entfernt seyn sollte, je besser sie sich als
der gemeine Mann düncken. |
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Dieses Versehen beruhet unsers Bedünckens
auf einer unrecht erkannten Einrichtung des
gemeinen Wesens. Lauter hohe machen den
Staats-Cörper nicht aus, und lauter niedrige
können sich alleine nicht
regiren. Wer nun die
Sache nicht recht kennet, bildet sich den, der über
andere was zu gebieten hat, um vieles glücklicher
als den ein, dessen Schuldigkeit zu gehorchen,
welches doch im Grunde falsch. Einen andern zu
regiren, ist so schwer, als wohl immer zu
gehorchen. Bist du also zum gehorchen
gemachet, wird dir es leichte |
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{Sp. 1275|S. 649} |
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ankommen, es zu thun; und erhebet dich dein
Geist über andere, wirst du auch die Regirungs-Last mit leichter Mühe ertragen, und beydes wird
gut von Statten gehen; kehre es aber um, und
setze erstern dem Fürsten an die Seite, und
letztern unter die geringsten im
Lande, da wirst du
sehen, wie jener einen Staats-Fehler über den
andern begehen, dieser aber, der gleichsam zum
herrschen geboren, eine Unruhe nach der andern
erregen wird. |
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Es zeiget also von einer grossen Einsicht
derer Fürsten, die in ihren Ländern die weise
Anstallt machen, daß untüchtige von
Wissenschafften ab- und tüchtige auch wohl aus
einer zerfallenem Bauer-Hütte hervor- und durch
Hülffs-Mittel aufgezogen werden. Wäre dirs in der
Ausübung so möglich, als löblich die Absicht, wie
schön würde ein solches Land blühen. An Statt
daß ein grosser Theil der
Einwohner thut, wozu er
nicht beruffen, und unterläst, was er thun sollte; so
würde man einen jeden in seinem rechten Beruffe
finden, und mit welcher Munterkeit würde das
Werck nicht von Statten gehen. |
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Man sehe doch nur solche Leute an, die
wieder ihren natürlichen Trieb und
Geschicklichkeit eine Lebens-Art ergreiffen, wie
sauer wird es ihnen nicht. Zwey Schüler sietzen
nebeneinander. Der eine hat Geschicke und Lust
dazu, und der bringet es mit halber
Arbeit weiter
als sein Nachfolger, der unermüdet in seinem
Wercke, aber alles mit Wiederwillen thut, und
keinen Anstand dazu hat. Und was ist endlich der
Vortheil bey solchem letztern? Wenns am besten,
ist es eine schon späte Reue. Der Glaube kommt
ihm in die Hand, und da siehet er, daß er unrecht
gethan; die
Zeit, die so kurtz, was zu lernen, ist
dahin. Nun ändert er seinen Vorsatz. Da wird er,
da er lange Zeit auch
Schulen und Vniuersitäten
zugebracht, endlich z.E. im 30. Jahr gewahr, daß
es da nicht fort will, begiebt sich zum Leisten, und
wird Junge bey einem Schuster in einem solchen
Alter, da ein anderer von diesen
Handwercke als
Meister in der besten Kundschafft stehet. |
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Ein anderer hat wieder sein Geschicke und
Trieb vielleicht aus eitlen, wo nicht thörichten und
sündlichen Absichten derer seinigen, Theologiam
etliche Jahre
studiret. Nun stirbt der Urheber
dieses Wercks, und da fällt die
Verbindlichkeit
weg, und die Änderung ist nicht so geschwinde
beschlossen, als angetreten. So löblich nun dies
ist, wo es aus vernünfftigen
Bewegungs-Gründen
geschiehet, so übel redet gemeiniglich der meiste
Hauffe davon. Selbst der Ausspruch des
allerwahrhafftesten JEsu: wer seine Hand an den
Pflug leget, und siehet zurück, der ist nicht
geschickt zum Reiche GOttes, muß eine
gewaltsame Deutung leiden, die nicht am rechten
Orte angebracht ist. Gleich als wenn man sagen
wolte, der, so hinter dem Pfluge hergehet, müsse
denselben in seiner Unrichtigkeit fortschleppen
lassen, und thue unrecht, wenn er ihn wieder zu
rechte hebe und bringe. |
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Hast du keine
Kräffte und Fähigkeiten zu der
unternommenen
Sache, so hast du einen sicheren
Grund zu schlüssen, daß
GOtt dieselbe nicht
wolle. Folge also in Erwählung deiner Lebens-Art
dem durch deine Kräffte und Trieb offenbarten
göttlichen Willen, so kannst du eines göttlichen
Beruffs versichert seyn, ausser welchem alles
vergeblich. Ja, wirst du sagen, wie, wenn
einen |
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{Sp. 1276} |
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sein Geschicke zu einer Kunst oder
Wissenschafft treibet, die Brod-loß ist? Darauf
dienet zur Nachricht, daß es schlimm genung, daß
gemeiniglich in Erwählung einer Lebens-Art eine
Hoffnung reichen Gewinsts zur Grund-Regel
genommen wird. Daher kommet das Übel, daß
sich alles auf Dinge, die als
Geld einbringend
schon im Ruffe sind, leget, dadurch denn, in dem
alles auf einen
Zweck gleich als auf einem Wege
forteilet, einer den andern hindert, daß man sich in
denen schon renommirten Facultäten, Künsten
und Handwercken über die Menge beschweret,
wodurch der Stümper gemeiniglich so gut, als der
sein Werck recht gelernet, fortkommet. Diese
einander hindernde Menge würde sich bald
verringern, und ein jeder dadurch glücklicher
werden, so bald gedachtes Vorurtheil aus denen
Gemüthern derer
Menschen vertilget würde, und
man nicht noch dazu selbst die verspottete, die
sich auf eine so genannte Brod-lose Kunst
legen. |
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Und das ist gantz falsch, daß eine gute Kunst
und Wissenschafft in der Welt ohne Nutzen sey,
und den, der sie erlernet, Hülffloß lasse. Wage es
immer darauf. Merckest du, daß du zu einer gantz
ausserordentlichen Sache Fähigkeit, Kräffte und
Lust hast, erlerne selbige, sie wird dich, wo deine
eigene Aufführung nicht etwa zur Hinderniß
gereichet, gewiß nicht Hungers sterben lassen.
Wirst du dabey nicht zum
reichen
Manne, so
wisse, daß das nicht nöthig, und hast du
nothdürfftigen Unterhalt, so laß dir gnügen. Gehet
es mit der ergrieffenen Lebens-Art in deinem
Vaterlande nicht fort, versuche es anderwärts. Die
Erde ist überall des HErrn, und der Prophet gilt
gemeiniglich im Vaterlande am wenigsten.
Erkennet man in diesem Lande deine
Verdienste
nicht, bist du doch nicht an dasselbige gebunden.
Versuche es anderwärts. Unterdrucket man dich
an diesem
Orte, wird man dich an jenem vielleicht
erheben. |
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Sollten auch vielleicht gegenwärtige Zeiten
deiner Wissenschafft noch nicht fähig seyn,
arbeite aufs künfftige. Denn auch dazu hast du
den Beruff, wenn du Kräffte und Trieb dazu bey dir
merckest. Befleißige dich übrigens eine Lebens-Art, so deinen Tagen und Orte des Aufenthalts, so
viel Gerechtigkeit, Ehrbarkeit und
Klugheit
erlauben, gemäß ist, es wird dir GOtt durch
Menschen so viel zuwerffen, als dir nöthig, und
mehr kannst du mit keinem Grunde des
Rechtens
fordern. |
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