HIS-Data
Home | Suche
Zedler: Beruff HIS-Data
5028-3-1449-8
Titel: Beruff
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 3 Sp. 1449
Jahr: 1733
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 3 S. 740
Vorheriger Artikel: Berührungs-Winckel
Folgender Artikel: Beruffen, oder Beschreyen der Kinder
Siehe auch:
Hinweise:

  Text   Quellenangaben
  Beruff, einen zu etwas beruffen, heist nichts anders, als einen zu etwas bestimmen, oder ihn zu etwas besondern verpflichten.  
  Der Beruff ist also eine Pflicht, nach der wir etwas besonders in der Menschlichen Gesellschafft zu verrichten schuldig sind. Alle Pflichten sind von GOtt, wenn sie rechtmäßig sind, und was nicht rechtmäßig, ist keine Pflicht, weil wir auf keinerley Weise können verbunden werden, dasselbe zu beobachten. GOtt aber verfähret auf zweyerley Art, entweder mittelbahr oder unmittelbahr. Mittelbahr geschiehet dahero ein Beruff, wenn derselbe von demjenigen geschiehet, welcher in dem gemeinen Wesen als eine Obrigkeit die Stelle GOttes vertritt. Der unmittelbahre Beruff hingegen ist entweder äusserlich oder innerlich.  
  Die Beyspiele des äusserlichen unmittelbaren Beruffs finden wir in der H. Schrifft  
 
  • an Matthäo
Matth. 9.9.
 
  • an Petro und Andrea
Matth. 4. 8.
 
  • an Matthia
Actor. 26.
 
  • an Paulo
Actor. 9.
  Heutiges Tages aber möchte sich bey dem Beruffe die unmittelbahre Hand GOttes so deutlich nicht mehr äussern.  
  Der innerliche Beruf ist nichts anders, als diejenige Fähigkeit, welche von der Natur in uns ist geleget worden. Daß dieser von GOtt sey, daran können wir keinesweges zweiffeln, in dem alle bey uns befindliche gute Kräffte ihren Ursprung aus GOtt haben. Zu welchem Endzwecke aber GOtt die Mittel in uns leget, denselben will er auch, indem die Mittel allemahl vor die Ursachen des Endzweckes zu halten sind. Bey dem mittelbahren Beruffe sind wir von dieser Eigenschafft nicht allemahl gewiß überzeuget. Die Menschen, welche das ihrige zu demselben beytragen, können sehr offt von der wahren Absicht des Höchsten abweichen.  
  Der innerliche Beruff gehet aber nicht nur auf gewisse Ämter, sondern überhaupt auf die Lebens-Art: da kan einer durch seinen Ehestand viele gutes stifften: Da hingegen ein anderer mit der Gabe der Keuschheit der Welt zum Beyspiele dienen soll. Wir werden hiervon unter dem Titel Lebens-Art handeln, wo wir auch die Klugheit, welche wir bey Erwehlung derselben anwenden, ausführlich beschreiben werden.  
  Ausser dem Bewegungs Grunde, welchen wir oben angeführet haben, daß dieser Beruf der göttliche Wille sey, sind auch nachfolgende Gründe vorhanden, welche uns nöthigen demselben zu folgen.  
  Der erste ist die Selbst-Liebe. Ein jeder will sein Glücke machen, nemlich er erwehlet sich solche Endzwecke, durch deren Erlangung er seine Zufriedenheit zu beför-  
  {Sp. 1450}  
  dern gedencket. Nun kan man zu keinem Endzwecke kommen, worzu die Mittel nicht in unsern Händen stehen. die Mittel sind unsere Kräffte: diese sind ihrem Ursprunge nach nicht in unserer Willkühr, sondern es ist nur deren Anwendung unserm freyen Willen überlassen. Denn wir sind nicht von uns selber.  
  Man muß also die Endzwecke nach den Mitteln, welche wir haben, einrichten: wollen wir anders uns in unserer Hoffnung nicht betrügen. Es ist kein eintziger ohne Kräfften, und daher ist der eintzige Grund aller Ungeschicklichkeit die Abweichung von unseren Beruff. Wenn wir nur alle Umstände genau überlegen wollen, so wird es sich wohl ausweisen, warum einer in seinem Stande glücklich sey oder nicht Müllers Anmerck. über Gracians Oracul  
  Der andre Grund ist der Nutzen der Gesellschafft. Ein jeder ist verpflichtet, etwas, es sey auch, was es wolle, zu demselben beyzutragen. Da kan nun dasselbe nicht besser vollbracht werden, als wenn wir dieses ergreiffen, worzu wir die besten Geschicklichkeiten in uns finden. Dieses würde der Vollkommenheit einer glückseligen Gesellschafft den Ursprung geben, welches aber mehr zu wünschen, als zu hoffen.  
  Wer seinen Beruff erkennen will, muß sich auf das allergenaueste untersuchen, und alles mit einem reiffen und nicht übereilten Urtheile überlegen. Der hierbey begangene Fehler ist allzuwichtig und erstrecket sich auf unsere gantze Lebens-Zeit: dahero man Ursache genung hat, sich hierbey behutsam aufzuführen. Eltern müssen bey ihren Kindern in diesem Fall besorgt seyn, daß sie die wahren Fähigkeiten derselben entweder selbst oder mit Beyhülffe anderer verständiger Männer wohl untersuchen. Dem Kinde, wie es denn leider allzu gebräuchlich ist, alleine die Erwehlung seines Standes zu überlassen, und bloß auf dessen Neigung hierbey Achtung zu geben, ist auf keine Weise zu billigen. Zwingen muß man zwar niemand, dasjenige zu ergreiffen, wovor, weil uns dessen Vollbringung allzuschwehr fällt, sich gleichsam ein natürlicher Eckel eusert; das Urtheil derer Kinder aber vor gegründet halten, ist wider die Vernunfft.  
  Manche muntere Köpffe, welche dem harten Joch eines Schul-Pharaonis unterworffen sind, bezeugen bloß deswegen Lust zur Kauffmannschafft, damit sie dem Stecken ihres Treibers entgehen mögen, und, wie sie sich einbilden, in mehrerer Freyheit leben könten. Stille Gemüther, welche man zur Handlung anführen will, sehnen sich hingegen nach denen Büchern, weil sie daselbst eine von allem Rennen und Lauffen entfernte Ruhe anzutreffen meinen. Man bemercke nur die Umstände bey denen Kindern, so wird man finden, was sie vor schlechte Bewegungs-Gründe bey sich empfinden. Der von der Thorheit derer Eltern ihnen angehängte Degen macht sie zum Soldaten; das Stecken-Pferd zum Bereuter: die Freyheit, aus vollem Halse schreyen zu können, zum Cantor und so ferner.  
  So närrisch aber dieses ist, wenn man Kindern hierinnen nachgiebt, so ist es doch noch unsinniger, ein Kind in Mutterleibe einem gewissen Stande zu widmen. Ein heiliger Eifer muß gemeiniglich dieser Thorheit Deckel seyn. Das Kind, von welchem man noch nicht weiß, ob es geschickt seyn werde, die Gänse zu hüten, macht die närrische Einbildung einer aberglaubigen Mutter schon zum voraus zu einem geistlichen Hirten. Man erwartet nicht mehr den Befehl eines Engels, sondern ein jeder vermeynet wie Zacharias einen Johannem zeugen zu können. Geschiehet es manchmahl, daß dergleichen Vorherbestimmungen glücklich ausschlagen, so ist doch dieses vielmehr andern Ursachen, als einem solchen blinden Schlusse zuzuschreiben,  
  {Sp. 1451|S. 741}  
  Schmids Disp. de Theologis in utero Deo consecratis.  
  Man muß also in solchen Fällen der gesunden Vernunft folgen, und nicht Dinge, welche aus denen verderbten Neigungen entstehen, vor die Kennzeichen eines innerlichen Beruffes halten: in welchem Stücke es Greimius in Tractatu de sorte eruditorum inter se invicem conspicua zu versehen scheinet. Er redet von unterschiedlichen Fürnehmen, welche ihren Ursprung von der göttlichen Vorsehung haben, und also den innerlichen Beruff anzeigen sollen, wovon aber viele in der Untersuchung nicht Stich halten.  
  Finden wir, daß wir uns in unserer ersten Wahl betrogen haben, so ist es besser, wir kehren um, als daß wir länger in Irrthum verharren, und unsern wahrhafften Beruff bey Seite setzen. Der Spruch Luc. 9, 62. daß derjenige nicht geschickt sey zum Reiche GOttes, welcher die Hand vom Pfluge lege und zurück sehe, ist überhaupt von dem Christenthum, nicht aber von einem Amte insonderheit zu verstehen. Widersprechen sich also die Vernunfft und die Offenbahrung hierinnen einander gar nicht. D. Müller in Anm. über Gracians Oracul
  Wir suchen gemeiniglich unsere Fehler zu bemänteln, und dieses geschiehet auch bey der Versäumung unsers Beruffs. Sind wir mittelmäßig und streben nach hohen und unsere Kräffte weit übersteigenden Dingen, so soll eine edle Großmuth hiervon die Ursache seyn, welche doch mit dem rechten Namen ein thörichter Ehrgeitz kan genennet werden. Sind wir hingegen zu grossen Dingen geschickt, lassen uns aber an sehr geringen Dingen begnügen, so soll die Demuth unsere Faulheit und Trägheit entschuldigen. Müller über Gracians Oracul … und überhaupt in dem Rechte der Natur …
     

HIS-Data 5028-3-1449-8: Zedler: Beruff HIS-Data Home
Stand: 11. Oktober 2022 © Hans-Walter Pries