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Zedler: Lust HIS-Data
5028-18-1243-12
Titel: Lust
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 18 Sp. 1243
Jahr: 1738
Originaltext: Digitalisat BSB Bd.18 S. 639
Vorheriger Artikel: Lussy
Folgender Artikel: Lust, siehe Contentement
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden

  Text Quellenangaben
  Lust.  
  Die Lust gehöret unter diejenigen Dinge, die sich wohl deutlich empfinden, aber nicht verständig erklären lassen, eben deswegen, weil sie eine angenehme Empfindung ist. Wir müssen daher bey solchen Umständen bleiben, die sich erklären lassen, darunter das vornehmste ist: woher die Lust entstehe? oder was der Grund sey, warum der Mensch eine angenehme Empfindung oder Lust habe?  
  Alle Lust setzet ein gewisses Gut voraus, welches das Mittel zu dem Endzweck der Begierden  
  {Sp. 1244}  
  in der Seelen ist, daß wenn selbige gestillet werden, so entstehet darauf die Lust, folglich kan man sagen: Die Lust entstehet, wenn die Begierden der Seelen gestillet werden; mithin entspringet die Unlust wenn sie nicht gestillet werden.  
  Wenn wir aber die Sache etwas genauer erwägen wollen, so haben wir auf zwey special Idéen zu sehen; auf die Beruhigung oder Stillung der Begierden, und auf die Begierden selbst. Die Begierden werden auf zweyfache Art gestillet; einmahl, wenn wir den Zweck derselbigen, oder was wir gewolt, würcklich erlangen; oder wenn wir zur Erhaltung desselbigen Hoffnung haben, und daher macht sowohl die Erlangung als die Hoffnung des Zwecks unserer Begierden in der Seelen Lust, und die Begierden müssen vor der Empfindung der Lust hergehen, deren unterschiedene Beschaffenheit eben der Grund, warum bisweilen Lust, zuweilen Unlust entstehet.  
  Denn es ist aus der Erfahrung bekannt, wie bisweilen einerley Sache bey dem einen Lust machet; bey dem andern aber keine, oder wohl Unlust, z.E. wenn in einer Gesellschafft eine Music gemacht wird, so hat der eine seine Lust daran; der andere macht sich nichts daraus, und dem dritten ist es wohl zuwieder. Ja man weiß, daß eine Sache, die einem vorher Lust erwecket, nachgehends entweder als indifferent; oder wohl gar verdrießlich vorkommt, z.E. mancher hat in seiner Jugend zu den Spielen grosse Lust gehabt; kommt er aber zu Jahren, so achtet er es nicht mehr, und ist ihm wohl verdrießlich, wenn er spielen soll.  
  Aus diesem erhellet, daß man den Grund der Lust keineswegen in der Vortrefflichkeit der Sache selbst und deren Erkänntniß zu suchen, indem sonst folgen müste, daß alle, die gleiche Erkänntniß von einer Sache haben, auch gleiche Lust darüber empfinden müsten, welches wieder die Erfahrung, z.E. eine Frau hat ein Vergnügen über ein schön Spinn-Rad, das ich hingegen nicht habe, wenn ich gleich weiß, was zu einem vollkommenen schönen Spinn-Rad gehöret; hingegen werde ich ihr keine Lust beybringen, wenn ich gleich noch so deutlich darthäte, was zu einem vollkommenen Feder-Messer gehöret.  
  Dieses ist wieder die Philosophie des Herrn Wolffens zu mercken, der in den Gedancken von GOtt, der Welt und der Seele des Menschen … eine gantz besondere Vorstellung von der Lust gemacht. Denn wenn er erklären will, was Lust sey, so sagt er: Indem wir die Vollkommenheit anschauen, entstehet bey uns die Lust, daß demnach die Lust nichts anders ist, als ein Anschauen der Vollkommenheit. Er will dieses mit verschiedenen Exempeln erläutern, z.E. wenn ich ein Gemählde sehe, das der Sache, die es vorstellen soll, ähnlich sey, und betrachte seine Ähnlichkeit, so hätte ich Lust daran. Gleicher Gestalt wenn ein Baumeister ein Gebäude betrachtet, das nach den Regeln der Bau-Kunst aufgeführet sey, so erkenne er daraus seine Vollkommenheit; da er nun alsdenn Lust daran habe, so erhelle abermahls, daß die Lust im Anschauen der Vollkommenheit bestehe.  
  In diesem Vortrag finden wir einen zweyfachen Fehler. Der eine ist, daß er die Sache selbst mit dem Grund derselben vermischet, indem er erklären will, was die Lust  
  {Sp. 1245|S. 640}  
  sey, und doch nur saget, daß sie ein Anschauen der Vollkommenheit wäre. Denn wenn auch dieses richtig sey, so kan man doch weiter nicht sagen, als daß die Lust aus dem Anschauen der Vollkommenheit entstehe; das Anschauen aber an sich mache noch keine Lust aus, wie denn auch daraus folgen müste, daß die Lust nicht zum Willen, sondern zum Verstand gehöre.  
  Jedoch wenn man auch das Anschauen der Vollkommenheit nur als einen Grund der Vollkommenheit betrachten wolte, so könnte solches doch nicht den wahren und eigentlichen Grund abgeben, indem wir schon oben aus der Erfahrung das Gegentheil angemercket und gewiesen, daß die blosse Erkänntniß, oder das Anschauen einer Vollkommenheit an sich noch keine Lust machet, weil man vielmahls eine Sache nach ihrer Vollkommenheit anschauet, ohne darüber eine Lust zu empfinden, welches eben daher kommt, daß eine solche vollkommene Sache keine Connexion mit unsern Begierden hat.  
  Es ist wahr, daß ein Baumeister ein Vergnügen an dem Gebäude hat, wenn solches nach den Regeln der Bau-Kunst aufgeführet ist, welches aber nicht daher kommt, daß er die Vollkommenheit des Gebäudes erkennet, welches auch andere thun können, ohne ein Vergnügen darüber zu haben; sondern weil der Zweck der Begierden, daß nemlich das Gebäude wohl gerathen möge, erreichet ist.  
  Es kan die Erkänntniß der Sache bey einer Lust nicht ausgeschlossen werden, weil die Begierden, welche von den Gedancken dependiren, durch selbige müssen erreget werden; sie wird aber dadurch nicht der nächste Grund der Lust, und denn werden manche Begierden, wenns natürliche und habituelle Neigungen sind, gestillet, daß daraus eine Lust entstehet, ohne daß man sich vorher die Sachen als vollkommen fürgestellet, und auch wenn eine Vorstellung geschiehet, so wird selbige vielmahls nach der Beschaffenheit der herrschenden Neigungen eingerichtet, welches alles so viel erweiset, daß das Haupt-Werck bey der Lust auf die Begierden ankommet.  
  Alle Lust, die sich die Menschen machen, ist entweder eine Leibes- oder Seelen-Lust. Jene ist, welche über den Zweck der Begierden, so zur Versorgung des Leibes gehören, entstehet, als aus Essen, Trincken, Schlaffen, frischer und warmer Lufft, Spatzieren-Fahren, angenehmen Geruch, u.d.g. indem dieses alles Dinge sind, die nach Beschaffenheit der Umstände zur Versorgung des Leibes gehören; Die Seelen-Lust hingegen ist, welche über den Zweck der Begierden, so zu ihrer Versorgung abzielen, entspringet, und auf den Verstand so wohl als Willen gehet. Auf Seiten des Verstandes empfindet man die Seelen-Lust aus dem Begriff und Erfindung der Wahrheit; auf Seiten des Willens aber aus der Hoffnung der Glückseligkeit, man suche sie nun wo und worinnen man wolle.  
  Diese letztere kan eine wahre und falsche Seelen-Lust seyn. Denn die Menschen halten vielmahls etwas vor gut, und meynen dadurch ihren Zweck der Glückseligkeit zu erlangen, den sie doch nicht erhalten können, und sich dadurch vielmehr unglücklich machen. Vergnügt man sich nun über solche Sachen, so ist das eine falsche Seelen-Lust, als wenn einer seine Glückseligkeit in der Kützelung seiner äusserlichen Sinnen; der an-  
  {Sp. 1246}  
  dere in dem Reichthum, und der dritte in dem Vorzug vor andere suchet. Werden die Begierden, die zu solchen Zweck zielen, gestillet, und man hat darüber eine Lust, in Hoffnung nunmehro glückselig zu seyn, so ist es eine falsche Seelen-Lust. Denn solche Sachen können einen Menschen in der That nicht glückselig mache.  
  Man hat daher eine dreyfache falsche Seelen-Lust, des Ehrgeitzes, Geldgeitzes und der Wollust, deren Eigenschafft ist der Mangel der Ruhe, oder die unendliche Sehnsucht, und die beständige Veränderung, so wohl in der Qualität, als Quantität. Die Veränderung der Qualität, oder der Art nach, äussert sich in der Wollust, daß man sich bald auf diese, bald auf jene Art ein Vergnügen machen will; die Veränderung der Quantität, oder der Grösse nach, zeiget sich in dem Ehrgeitz, und Geldgeitz, indem man hier bey einerley Objecto verbleibet, man will aber mehr haben, als man bisher erlanget.  
  Aus diesem ist leicht zu ersehen, daß die wahre Seelen-Lust sey, welche die Ruhe des Gemüths bey sich hat und beständig ist, mithin muß sie über solche Sachen entstehen, die an sich wahrhafftig die Glückseligkeit der Menschen befördern.  
  Es hat diese Materie Rüdiger in der Anweisung zu der Zufriedenheit der menschlichen Seele … weitläufftig und gründlich ausgeführet. Walchs philosophisches Lexicon.  
     

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Stand: 7. April 2013 © Hans-Walter Pries