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Quellenangaben |
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Begierde, Begierden,
Leidenschaften
des
Gemüthes,
Bewegungen des Gemüthes, und dessen
Neigungen sind in aller Munde.
So öffters aber als man sich dieser
Wörter bedienet, so sehr ist zu bedauren,
daß dieselbe noch nicht eigentlich durch den
Gebrauch bestimmet worden. |
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Viele bedienen sich derselben ohne
Unterscheid, daher denn in
Zusammenhaltung derer
moralischen
Schriften
sowohl alter als neuer Zeiten eine ziemliche Verwirrung entstehet. Wir haben bey
dieser Anmerckung
Ridigern in der Zufriedenheit c. 8. §. 6. zum Vorgänger, indem
er seine
Gedancken von denen
Wörtern
Adfect und Begierde
saget, und sich hierbey
über den mangelhaften Ausdruck der
Teutschen Sprache in
Dingen, welche das
Gemüth
angehen, beklaget. Stehet es denen Gelehrten
frey, um die Deutlichkeit in denen
Wörtern zu erlangen, von dem Gebrauche abzuweichen, |
Müller in der Vernunft-Lehre 9. §. 19. 20.
21. |
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so wird man nicht
nöthig haben, unsern Versuch ohne eine
genaue
Untersuchung sogleich zu verwerffen: zudem, da wir uns, im Falle wir
eines bessern überwiesen würden, gantz gerne
unterrichten lassen. |
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Die Kräfte
unserer
Seelen
werden gemeiniglich in den
Verstand
und
Willen
eingetheilet. Den Willen pflegen wir auch durch das
Gemüth auszudrücken. Es wäre zu wünschen, daß der langwierige Gebrauch nicht
allbereit diese
Wörter gleichgültig gemacht hätte, indem wir alsdenn nicht
nöthig haben würden, dem Willen einen doppelten
Verstand zu geben, und ihn
einmal vor die gantze Kraft unserer Seelen überhaupt, und das andere mal vor die
besondere
Würckung derselben bey einer einzelnen
That anzunehmen. Alles nun, was
in denm Gemüthe vorgehet, oder eine
Handlung desselben ist, könten wir
überhaupt die Gemüths-Bewegungen
nennen. Wir
wissen
gantz wohl, daß der Gebrauch
uns hierinnen zuwider, nachfolgende
Ursachen aber möchten vielleicht zeigen, daß
diese
Veränderung nicht ohne
Grund sey: |
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1) |
So
mangelt uns ein solches allgemeines Wort,
welches hier zu eigentlich bestimmet wäre. |
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2) |
So kan dasselbe an andern
Orten,
wo wir uns dessen bedienen, entbehret werden, weil, wie wir unten sehen
werden, gleichgültige vorhanden sind. |
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3) |
So trifft die Etymologie mit dieser
Bedeutung gar wohl ein. |
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4) |
So wird man finden, daß dieses
Wort
auch von denenjenigen, welche es sonst besonders in andern
Verstand annehmen, dennoch in Beschreibung allgemeiner
Beschaffenheiten des
Gemüthes gebrauchet werde. Wie solches aus
Ridigers
Zufriedenheit 8. in der Zusammenhaltung mit dem l.c. §. 6. erhellet. |
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5) |
So bemercket man, daß andern selbst das Wort
Gemüths-Bewegung zu ihrem Ausdrucke zu wenig scheinet, weswegen sie
gemeiniglich von heftigen Gemüths-Bewegungen
reden.
Ehe aber noch das
Gemüth in
Bewegung, so gehet etwas zuvor, woraus die
Gemüths-Bewegung entstehet. Es ist solches die erste
Empfindung
der
Seelen,
daß ihr etwas mangele, und dieses wollen wir die Triebe nennen. |
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Die Gemüths-Bewegungen in dem
Verstande, wie wir sie annehmen, äussern sich auf zweyerley
Art, |
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{Sp. 919|S. 475} |
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entweder wir
begehren etwas, oder verabscheuen etwas. Das erstere heist
insonderheit die Begierde. Der Gebrauch schweiffet hierbey auf zwey Seiten aus.
Einmal begreifft er unter denen Begierden, sowol den
Willen als den
Unwillen vor eine
Sache, so daß die Begierde
und Gemüths-Bewegung gleichgültige
Wörter sind. Aus derer ihren
Begriffen,
welche das
Böse nur bloß in die Abwesenheit des
guten setzen,
möchte dieses
können erkläret werden, indem das
Gemüthe also immer etwas haben
will, oder
begehret: doch wollen wir diesen
Satz unter dem
Titel
Böse untersuchen. |
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Da wir auch das
Wort
Begehren in unserer Sprache finden, so möchte man den
Gebrauch in diesem Falle
noch Statt geben. Nur dieses eintzige stehet uns im Wege, denselben zu billigen,
weil alsdenn die Begierde nicht mit ihrer Etymologie von Begehren
überein kömmt. Gleichwol träget es zu der Deutlichkeit derer Wörter sehr viel
bey, wenn man dieselben nach ihrer Abstammung
verstehen kan. Zum andern so
verknüpffet der Gebrauch den
Begriff der Heftigkeit mit demselben, daß also
Neid, Zorn,
Furcht, Frölichkeit darunter
verstanden werden, und die Teutsche
Begierde mit dem
Lateinischen Adfectu einerley ist. Es ist aber dieses sowol wider
die Abstammung des Wortes Begierde, als auch
unnöthig, indem das Wort der
Leidenschaft
solches weit besser ausdrücket. |
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Unsere Gemüths-Bewegungen sind gelinde oder heftig, oder auch ruhig oder
unruhig. Die erstern behalten den gemeinen
Namen,
die letztern können
Leidenschaften,
Griechisch,
pathai,
Lateinisch,
adfectus,
genennet werden. Leiden heist überhaupt
empfinden. Man verknüpft aber auch
ferner den
Begriff des Schmertzens mit diesem Worte, daß also leiden soviel als
etwas schmertzlich
empfinden
bedeutet. Die Leidenschaften sind heftige
Gemüths-Bewegungen. Es ist
wahr, die heftige Bewegungen haben, in soweit sie
heftig werden, den
Grund in unserer
Seele. Nachdem dieselbe vermeinet ihre
Glückseeligkeit entweder
gewiß, oder
vollkommen in einer
Sache anzutreffen,
nachdem bestrebet sie sich, dasselbe zu erhalten. |
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Doch sind die meisten
Mittel unserer, wo nicht wahren, doch vermeinten
Glückseligkeit ausser uns. Mit diesen ist unsere
Seele
nicht
unmittelbar verbunden, sondern der
Leib
ist das
Band der äusserlichen
Dinge
mit der Seelen. In diesen
würcket nun dieselbe, und die
Bewegung geschiehet in
denen Lebens-Geistern. Diese
Bewegung derer Lebens-Geister, welche die erstlich
von der Seelen empfangene Bewegung fortsetzen, ist dasjenige, worinnen sich
eigentlich die Heftigkeit äussert, wie ein jeder, der auf sich selber Achtung
giebt,
empfinden wird, und wir gleichfalls an andern die heftigen Regungen von
aussen wahrnehmen. Die Seele
empfindet also, oder leidet die Bewegungen derer
Lebens-Geister. Hierbey empfindet sie zugleich eine
Unlust, oder einen Schmertz.
Eine jede Begierde ist schon an und vor sich selber mit einer Unlust verknüpfft.
Denn erstlich so bestehet die
Lust der Seelen nicht in der Begierde, sondern in
derselben
Zwecke, oder ihrer Stillung. |
Ridiger in der Zufriedenheit c.l. §.
5. |
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Hernach kan auch dieses also erwiesen werden. Die
Seele
belustiget sich in dem Genusse eines
gegenwärtigen
Guten, es mag nun dasselbe
wahrhaftig gegenwärtig seyn, oder die Seele ihr solches in der
Hoffnung
vorstellen. Wo also kein Gut ist, da ist keine Lust der Seelen. Wo keine Lust
ist, da ist Schmertz. In der Begierde ist das Gut nicht gegenwärtig, denn sonst
würden wir nicht
wollen. Also ist bey der Begierde Unlust. Da nun
Leidenschaften |
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{Sp. 920} |
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Begierden sind, wie wir unter dem
Titel
Leidenschaften
auf das allergenaueste zeigen werden, so sind sie mit dem Schmertz verbunden. |
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Aus welchen allem deutlich genug erhellet, daß kein besserer Ausdruck, als
die Leidenschaft könne gefunden werden. |
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Letztlich so werden manche Begierden in Fertigkeiten verwandelt, also, daß
die
Seele
in Ergreiffung desjenigen
Mittels, nach welchen zu verlangen sie
gewohnt ist,
weit eher u. geschwinder ihre Begierde bestimmt, als in andern. Diese
Fertigkeiten nennen wir
Gemüths-Neigungen. Neigen heist, wenn eine
Sache
sich nicht gegen alle
Dinge
gleich verhält, sondern einem etwas näher ist, als dem andern, woraus man
siehet, daß dieser Ausdruck sehr
geschickt ist. |
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Wir haben nunmehro einem jeden
Worte
seinen
Verstand bestimmet: von der
Sache
selber, als von denen
Trieben, Gemüths-Bewegungen,
Leidenschaften
und Gemüths-Neigungen werden wir an ihren gehörigen Örtern handeln: hier soll unsere Betrachtung auf die Begierden
gehen. |
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Die Begierde ist eine
Bewegung des
Gemüthes nach einer
Sache, welche die
Seele
vor ein Mittel
ihrer
Glückseligkeit hält. Epicurus
theilet die Begierden also ein. Sie
sind entweder natürlich und
nothwendig, oder natürlich und nicht nothwendig,
oder keines von beyden. |
Diogenes Laertius X. 149. |
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Cicero de Fin. II. 9. tadelt diese
Eintheilung, indem er davor hält, daß dieses nicht eintheilen, sondern
zerbrechen sey. Er setzet sie deswegen in diese
Ordnung: die Begierden sind
entweder natürlich oder eitel: die natürlichen wiederum entweder nothwendig oder
nicht. |
Menagius ad Diog. Laert. l.c.
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Cicero verfähret nach der Vernunfft-Lehre gantz richtig, wir
begnügen uns, daß wir solches angezeiget haben, indem der aus der
Erklärung
dieses
Satzes entstehende
Nutzen
der Weitläuftigkeit der Ausführung nicht beykommen möchte. |
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In Ansehung derer Triebe, auf welche sich die Begierden
gründen, können wir
sie in thierische und
menschliche eintheilen. Die erstern gehen auf die
Erhaltung unseres
Leibes,
und die Fortpflantzung unseres
Geschlechts, welche wir mit denen Thieren gemein
haben. Die letzteren hingegen gründen sich auf die Ruhe unsers
Gemüthes und die
Gesellschafft, welche dem
Menschen
allein zukommen. |
Ridigers Zufriedenheit, c, 8, §. 10. |
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Nehmen wir einen andern Eintheilungs-Grund,
und betrachten sie, wie sie entweder aus der unmittelbaren
Empfindung
des
Cörpers,
oder aus der Reflexion der
Seelen entstehen, so können wir sie in
physische und
moralische eintheilen. |
Walch im Lexico philos. p. 188. |
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Es kömmt aber dieses mit dem obigen überein. |
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Nachdem die Begierden auf ein
wahres, oder Schein-Gut gerichtet sind, so
sind sie entweder
vernünftig
oder unvernünftig. Die
Vernunft gründet sich auf die
Natur,
und dahero können obige mit bessern
Rechte
entweder natürliche oder unnatürliche genennet werden, als wie man gemeiniglich
nur die physischen natürliche zu
nennen pfleget. Denn die
moralischen sind uns
eben sowol von der
Natur eingepräget, als die andern. |
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Ohne Begierden können wir
unmöglich in diesem
Leben seyn. So lange die
Seele
nicht in einen solchen
Zustand
versetzet wird, wo sie lauter
Annehmlichkeit ohne Verdrüßlichkeit
empfindet, so
lange höret sie nicht auf, immer danach zu trachten. Diesen können wir in diesem
Leben nicht finden, deswegen ist unser
Gemüth in einer immerwährenden Beschäftigung. Die Begierden
können also unmöglich ausgerottet werden, die
Leidenschaften
aber können gedämpffet werden. Wie wir solches an seinem Orte zeigen werden. |
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Ingleichen wie |
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{Sp. 921|S. 476} |
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die guten Begierden in Fertigkeiten müssen verwandelt werden, werden wir
unter denen
Titeln
Tugend und
Gemüths-Neigungen abhandeln. |
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