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Zedler: Bewegung, (sinnliche oder thierische) HIS-Data
5028-3-1606-1
Titel: Bewegung, (sinnliche oder thierische)
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 3 Sp. 1606-1613
Jahr: 1733
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 3 S. 818-822
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Folgender Artikel: Bewegung, (thierische)
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text  
  Bewegung, (sinnliche oder thierische) lateinisch Motus animalis, ist eine besondere Art der Bewegung, nach welcher ein lebendiger, begliederter Cörper, nicht nur seine Theile und Glieder bewegen, sondern auch von einem Ort zum andern rücken kan.  
  Sie wird unterschieden in die willkührliche (motum voluntarium) und unwillkührliche (motum involuntarium.)  
  Die willkührliche Bewegung, so auch sonst Motus Spontaneus heisset, ist der Regierung der Seele unterworffen, und geschiehet eines Theils mit Vorwissen und Mitwürckung derselben, wie fast an allen Gliedern, so mit Musculn versehen sind, zu bemercken ist, als welche nach dem Willen der Seele auf unterschiedene Art beweget werden, und also eben eine also genannte willkührliche Bewegung vorstellen, als welche nothwendig von einem freywilligen agirenden Principio herkommen muß: andern Theils geschiehet solche ohne Vorwissen, ja offtermahls wider den Willen der Seele, ist aber dennoch einer willkührlichen Bewegung fast gleich, wie man wiederum fast an allen Musculn bemercken kan.  
  Denn wie offt beweget man nicht die Füsse oder Arme, ohne daß die Seele etwas davon weiß? Ja wie offte bewegen sich nicht die Augen oder Augen-Lieder ohne derselben Vorwissen, so gar, vielmahls, wider derselben Willen? anderer dergleichen Bewegungen zu geschweigen, welche doch, wiewohl nicht eigentlich, willkührliche genennet werden, massen sie nicht von einem freywillig agirenden, sondern vielmehr von einem mechanischen Principio, oder Ursprunge herkommen.  
  Die unwillkührliche Bewegung aber, (Motus involuntarius) so auch natürliche, (naturalis) mechanische, (mechanicus) und nöthige oder gezwungene (Coactus) kan genennet werden, entstehet von einer wechselsweisen Gemeinschafft, Vereinigung und Würckung, so die festen Theile mit denen flüssenden, und diese wieder mit jenen, in- und untereinander haben, d.i. von der mechanischen Disposition des Cörpers, dahero die Seele dergleichen Bewegungen weder befördern, noch verhindern und anhalten kan.  
  Diese wird wieder eingetheilet in eine empfindliche (sensibilem) und unempfindliche (insensibilem.) Jene bemercket man an dem Hertzen, denen Pulß-Adern, der Kehle, dem Magen, denen Gedärmen, der Gebär-Mutter, Harn-Blase etc. und wird also auch, nach denen unterschiedenen Theilen, so sie regieret, mit unterschiedenen Nahmen benennet; also heisset die Be-  
  {Sp. 1607|S. 819}  
  wegung des Hertzens und der Pulß-Adern, Systole und Diastole, der Kehle, des Magens, derer Gedärme und der Harn-Blase, Motus peristalticus, Wurmartige Bewegung.  
  Die unempfindliche Bewegung, so sonst auch Systalticus motus heisset, findet sich in denen Blut-Adern, Wasser-Gefässen, Membranen etc. Denn gleichwie diese Theile aus ausdehnenden und sich ausbreitenden Röhrgen bestehen, und mit Lebens-Geistern versehen sind, so kan man ihnen auch dergleichen zusammendruckende Bewegung nicht absprechen, besonders da selbige, wenn sie starck ist, gar augenscheinlich in die Sinne fället; Überdieses auch alle weiche Fibern, so sich durch den gantzen Cörper ausbreiten, gewissermassen ausgespannet sind, welche Spannung sonst auch Tonus partium naturalis heisset, und zu aller Bewegung, und zu jeder Absonderung derer Säffte und Feuchtigkeiten höchst-nöthig ist.  
  Die nächste oder physicalische Ursache jeder thierischen Bewegung sind die Lebens-Geister, als von welchen die Bewegung aller festen Theile unmittelbar herrühret, wie solches aus folgenden erhellet: denn wenn das Gehirne sehr verletzet, zusammengedruckt und verwundet, oder wohl gäntzlich verderbet worden; so wird nicht nur die Absonderung der Lebens-Geister verunruhiget, sondern die Röhrgen des Gehirnes werden auch zusammen gedrehet, oder zerreissen wohl gar, wodurch hernach der natürliche, gewöhnliche Einfluß der Lebens-Geister nothwendig gehemmet und verhindert wird, daß selbige nicht zu denenjenigen Theilen, die sie bewegen sollen, flüssen können, und dahero die Bewegung dieser Theile wegfallen muß. Wenn ferner die Nerven verstopfft, zusammengedruckt oder schlaff worden, so leidet die Bewegung entweder nur zum Theil Schaden, oder höret wohl gantz und gar auf, wie man beym Schlage, Lähmung, Verrenckung und andern dergleichen Kranckheiten bemercken kan.  
  Weiter, wenn man die Nerven an einem lebendigen Thiere bindet oder von einander schneidet, so werden kurtz darauf diejenigen Glieder, zu welchen diese Nerven gehen, ihre Bewegung verlieren, wie solches überdieses gantz deutlich aus folgenden Experimente erhellet: Denn so man den Nervum phrenicum bey einem lebendigen Thiere mit denen Fingern der einen Hand ergreiffet und starck zusammen drücket, mit denen Fingern der andern Hand aber dessen untersten Theil nach dem Zwergfell zu streichet und gleichsam melcket, so wird sich das Zwergfell bey jeder Zusammenziehung des Nerven bewegen, und zwar so lange, biß die Lebens-Geister, so im untersten Theile des Nerven gewesen, ausgepresset worden. Denn ob man schon alsdenn fortfahren und den Nerven weiter melcken wolte, so würde sich doch das Zwergfell nicht mehr bewegen: Es sey denn daß man mit den obersten Fingern den Nerven nicht mehr zusammendruckte, und hernach das Experiment von neuen anstellte, so wird sich das Zwergfell wieder von neuen, bey jeder Zusammenziehung des Nerven, bewegen, und nicht undeutlich zu erkennen geben, daß die Bewegung des Zwergfelles nicht von der blossen Vereinigung des Nervi phrenici mit dem Zwergfelle, sondern von denen Lebens-Geistern herkomme.  
  Endlich leidet auch die Bewegung grossen Schaden, wenn die Lebens-Geister fehlen, dahero diejenigen, so von grossen gefährlichen Kranckheiten abgemattet sind, sich schwerlich oder fast gar nicht bewegen können.  
  Ob  
  {Sp. 1608}  
  nun also schon die Lebens-Geister die näheste und physicalische Ursache aller thierischen Bewegung sind, so kan man ihnen doch nicht eine innerliche Krafft, sich selbst zu bewegen, zuschreiben, massen sie materiell sind; sondern sie werden so wohl, als jeder anderer Cörper, von einer andern Ursache getrieben, die Bewegung in denen Theilen des Leibes zu vollziehen. Diese Ursachen nun sind  
 
1) die mitwürckende Seele;
 
 
2) der beständige Zufluß und Antrieb des Blutes in denen Pulß-Adern:
 
 
3) die besondere Bewegung des Gehirnes, und
 
 
4) aller übrigen Theile und Glieder des Leibes.
 
  Was nun erstlich die Seele betrifft, so ist diese zwar die würckende Ursache vieler Bewegungen, allein nicht physice, sondern nun moraliter. Denn als ein immaterielles Wesen kan sie sich nicht selbst wesentlich in die Organa begeben und dieselben bewegen. So geschehen auch ferner die willkührlichen Bewegungen, so sonst von ihr geordnet werden, offtermahls ohne ihre Vorwissen, ja vielmahls ohne und wider ihren Willen. Dahero kan sie um destoweniger als einem Ursache aller Bewegungen angesehen werden, sintemahl die unwillkührlichen Bewegungen fast gantz und gar nicht von ihr herkommen, als welche sie weder zu befördern noch zu hemmen vermögend ist. Sondern sie ist, und zwar nur moraliter, die einige würckende Ursache derer eigentlich so genannten willkührlichen Bewegungen, massen auf ihren Winck und nach ihren Willen eine eingeschränckte Bewegung derer Lebens-Geister erfolget, wovon hernach die Bewegung derer Organorum unmittelbar herrühret.  
  Indessen kan man ohnmöglich erklähren, wie die Seele als ein immaterielles Wesen die Lebens- Geister, als ein materielles Wesen, antreibet, sondern man muß eintzig und allein hier bey dem Willen des Schöpffers beruhen, als welchen es also gefallen hat, daß die Seele nach ihren Winck und Willen die Bewegung der Lebens-Geister anstellen, erregen und anordnen soll.  
  Die andere antreibende Ursache ist der beständige Antrieb des Blutes in denen Pulß- Adern. Denn, indem das Blut beständig zum Gehirne flüsset, und allezeit daselbst die geistigen Theilgen absondert, so muß nothwendig, wenn diese Absonderung gehörigermassen und ordentlich vor sich gehet, auch eine gleiche und ordentliche Vertheilung derer Lebens Geister geschehen: denn gleichwie ein Tropffen den andern treibet, also treibet auch ein Spiritus den andern, welchem Satze nicht wenig dererjenigen ihre Meynung zu statten kommt, welche behaupten, daß die Nerven unmittelbar von denen zarten Enden derer Pulß-Adern abstammen, und sich hernach in den Leib und desselben Theile ausbreiten und vertheilen. Ist aber das Blut sehr dicke und von flüchtigen und geistigen Theilgen entblösset, so ist auch der Einfluß derer Lebens- Geister sehr schwach und die Glieder matt. Und so bald man eine Pulß-Ader, so zum Gehirne gehet, bindet, sobald wird der Einfluß derer Lebens-Geister in Unordnung gebracht oder gantz und gar gehemmet werden, und die Bewegung und Sinnlichkeit aufhören. Von diesem Einfluß derer Lebens-Geister nun, der von einem beständigen Antriebe des Blutes herrühret, lässet sich die Spannung der festen Theile oder der Tonus partium solidarum, gar füglich herleiten.  
  Nicht unbillig wird zu denen antreibenden Ursache derer Lebens-Geister drittens gerechnet die Bewegung des Gehirns, wie solches aus folgenden Be-  
  {Sp. 1609|S. 820}  
  weißthümern klärlich erhellet.  
 
1) Weil das Gehirne zum Antriebe der Lebens-Geister gar sehr geschickt ist, sintemahl dieselben darinne nicht nur abgesondert und ausgearbeitet werden, sondern auch in demselben alle Nerven entspringen, als durch deren Vermittlung selbiges mit allen andern festen Theilen des Leibes genaue Gemeinschafft hat.
 
 
2) Weil es eine zwiefache Bewegung hat, deren die eine von dem zuflüssenden Blute derer Pulß-Adern, die andere aber von denen Ursachen, so dasselbige antreiben, und in demselben eine gehörige Bewegung anordnen, herrühret.
 
  Die erste Bewegung des Gehirns, so Diastole und Systole genennet wird, und keines Beweises benöthiget ist, sondern in die Sinne fället, befördert gar sehr den ordentlichen Einfluß derer Lebens-Geister. Die andere Bewegung des Gehirns, so von denenjenigen Ursachen, welche in demselben eine gehörige Bewegung anordnen, herkommt, ist etwas dunckeler, dahero man, um sie recht zu verstehen, die antreibenden Ursachen etwas genauer erwegen muß: Diese aber sind wiederum zweyerley, einige bringen die unwillkührlichen, andere aber die improprie sogenannten willkührlichen Bewegungen hervor.  
  Bey denenjenigen antreibenden Ursachen, so die unwillkührlichen Bewegungen verursachen, hat man theils auf die Ursachen selbst zu sehen, was vor welche es sind? theils auf die Art und Weise, wie sie dergleichen unwillkührliche Bewegungen erregen? Was die Ursachen selbst anlanget, so findet man in denenjenigen Theilen des Leibes, so sich unwillkührlich bewegen, unterschiedene. Denn in dem Hertze und denen Blut-Gefässen, ist das Blut, in der Kehle, dem Magen und denen Gedärmen, Speise und Tranck, der Nahrungs-Safft und der Unrath, in der Harn- Blase der Urin, in der Gebär-Mutter, bey einer schwangeren Frau, die Frucht, in denen Lungen, die Lufft, in andern Theilen andere dergleichen Reitzungen, welche alle vermögend sind, die Theile und ihr thätiges Principium anzutreiben.  
  Wie aber jetzt angeführte Ursachen, die besondere Bewegung des Gehirnes, und den daher entstehenden ordentlichen Einfluß derer Lebens-Geister hervorbringen können, lässet sich nicht so leichtlich erklären: Da man aber wahrnimmt, daß die Lebens-Geister nicht vermögend sind, durch eine innerliche Krafft sich zu bewegen, und niemals freywillig, sondern jederzeit gezwungen und angetrieben in dergleichen Theile flüssen; sintemahl es in ihrer Macht nicht stehet, ob sie einflüssen wollen, sondern sie viel mehr zu denen Theilen begeben müssen; So ist nicht unbillig zu schlüssen, daß dieser Einfluß kein anderes als ein mechanisches Principium erkennet, welches gantz füglich von dem Gehirne und denen Nerven hergeleitet werden kan.  
  Oben ist allbereits erinnert worden, daß das Gehirne vermittelst deren Nerven mit jedem Theile des Leibes gar sehr genau vereiniget ist, wenn nun dergleichen antreibende Ursachen sich in einem Theile des Leibes aufhalten, und die Nerven in Bewegung setzen und anreitzen, so wird solche Bewegung durch die zurückkehrende Bewegung derer Lebens-Geister dem Gehirne mitgetheilet, welches hernachmals, wegen seiner unaussprechlichen und wundersamen Structur und Beschaffenheit dergestalt adficiret und angetrieben wird, daß es in die Lebens-Geister und dererselben Lauff wie-  
  {Sp. 1610}  
  der agiret und sie so anordnet, daß sie weit häuffiger, bald in diesem, bald in jenen Theil flüssen, und selbigen nach dem Unterscheid der antreibenden Ursache unterschieden bewegen müssen, dahero je stärcker der Trieb und die Anreitzung in einem Theile ist, desto häuffiger flüssen die Lebens Geister zu, wie zu sehen bey dem Magen, wenn man ein Vometiv zu sich genommen, bey denen Gedärmen, wenn man eine Purgantz bey sich hat, bey dem Hertzen, so ein Wurm darinne ist, oder andern dergleichen fremden Sachen, so einen heftig angreiffen und beschwehren.  
  Was nun aber diejenigen antreibenden Ursachen anlanget, welche improprie sogenannte willkührliche Bewegungen erregen, so sind selbige entweder in dem Gehirn, oder in denen übrigen Theilen des Leibes, oder in denenjenigen Sachen, die ausserhalb dem Cörper sind, zu suchen.  
  In dem Gehirne selbst finden sich zuweilen diese Ursachen, so dergleichen Bewegungen vorbringen, als welches durch die Länge der Zeit und die beständige Übung endlich eine solche Fertigkeit erlanget, daß, da einmal die Lebens-Geister in eine bestimmte, ordentliche Bewegung gesetzet, und selbige angefangen worden, solche hernachmahls ohne Vorwissen und wider den Willen der Seele vor sich gehet, wie man den gar offtermals wahrnimmt, daß Leute ohne Vorbewust etwas reden, oder harte Worte rausstossen, welche sie nicht bedacht haben, sondern wider ihren Willen vorbringen. Denn obschon die Seele ordentlicher Weise diese Bewegungen regieret und beherrschet, so geschiehet es doch, daß, wenn sie selbigen so gar sehr nachgiebet, sie nach und nach die Herrschafft, solche zu mäßigen und zu verhindern, verliehret, daher es kein Wunder, wenn durch dergleichen angewöhnte Fertigkeit des Gehirnes und der Lebens-Geister zuweilen solche Bewegungen wider den Willen der Seele hervorkommen.  
  Zu anderer Zeit sind die Ursachen dieser Bewegungen in denen Organis des Cörpers befindlich. Denn obschon die Musculn der Regierung der Seele unterworffen sind, so ist doch bekannt, daß dieselben offtermals ohne Vorbewust und wider den Willen der Seele beweget werden; denn so geschiehet es ja vielmals, daß man isset und trincket, die Speisen kauet und hinunterschluckt, ohne daß man daran gedencket und die Seele etwas davon weiß; so gehet auch der Athem, durch den beständigen Antrieb der Lufft, ohne Vorbewust der Seele, eben so gut aus und ein, als wenn es mit ihrem Willen und Vorsatz geschiehet; und wer wolte sagen, daß der Krampff oder andere zuckende Bewegungen derer Musculn, mit Vorbewust und Willen der Seele hervorgebracht würden.  
  Also müssen nothwendig andere Ursachen in denen Organis stecken, so dieselben antreiben, und ihnen eine solche bestimmte, ordentliche Bewegung beybringen, welche hernachmals vermittelst derer Lebens-Geister dem Gehirne mitgetheilet wird, und selbiges antreibet, daß es wiederum in die Lebens-Geister zurück agiren, und ihre Bewegung entweder ohne Vorbewust, oder wider den Willen der Seele, dergestalt anordnen muß, daß selbige in die Musculn flüssen, und solche Bewegungen hervorbringen müssen, die denen willkührlichen fast gleich kommen, ob sie schon viel eher Unwillkührliche könten genennet werden.  
  Endlich sind auch einige Ursachen dieser Bewegungen ausserhalb unsern Cörper, nemlich alle und jede Sachen, so denen äusserlichen Sinnen vorkommen, als welche alle we-  
  {Sp. 1611|S. 821}  
  sentlich in die äusserlichen Organa würcken, selbigen eine bestimmte Bewegung eindrucken, welche vermittelst derer Lebens-Geister zu dem Gehirne gebracht wird, und dasselbe dergestalt adficiren kan, daß es wieder in die Lebens-Geister zurücke würcket, und derselben besondern Einfluß, ohne Vorbewust und wider den Willen der Seele dergestalt anordnet, daß daraus viele Bewegungen, so denen willkührlichen fast gleich kommen, entstehen.  
  Ob es nun schon etwas wunderlich herauskommt, die willkührlichen Bewegungen von einem mechanischen Principio herzuleiten, so lässet sich doch solches gantz wohl beweisen; Denn gleichwie in dem Cörper sehr viele Bewegungen vorkommen, so unwillkührliche genennet werden, in der That aber sehr wundernswürdig sind, und dennoch von keinem andern, als einem mechanischen Principio, das ist, von der wechselsweisen Würckung, und Vereinigung, so die vesten Theile mit denen flüssenden in- und untereinander haben, hergeleitet werden können; Also kan man auch von diesen gar leichtlich auf die improprie sogenannten willkührlichen Bewegungen schlüssen, zumal da man viele Machinen hat, welche so künstlich zugerichtet sind, daß sie gewisse Bewegungen hervorbringen, welche in der That denen willkührlichen sehr gleich kommen. Wie viele dergleichen Machinen Wagenseilius in Epistola de Infunibuli sui ..., wie auch Georg. Segerus in Oratione de Curiositate physica zusammen gesammlet und beschrieben haben.  
  Endlich und zum vierten ist die besondere Bewegung eines jeden Theils oder Gliedes zu betrachten, als welche weder von der mitwürckenden Seele, noch auch von dem Gehirne, sondern einig und allein von dem Organo hergeleitet werden kan, wie aus folgendem erhellet: Denn es ist bekannt, daß, wenn man einem lebendigen Menschen oder Viehe das Hertze aus dem Leibe reisset, solches zu unterschiedenen malen schläget: Woraus zu schlüssen, daß nicht allemal und nothwendig der Einfluß derer Lebens-Geister aus dem Gehirne zu jeder Bewegung erfordert werde; sondern daß auch diejenigen Lebens-Geister, so würcklich schon im Organo zugegen sind, solche hervorbringen können. Denn weil jedwedes Organon, ja jedes Fieber mit lebendigen Geistern versehen ist, so ist es gar wahrscheinlich, daß die antreibenden Ursachen, so sich in denen Theilen des Leibes aufhalten, und oben allbereits angeführet worden, die Lebens-Geister antreiben, dieselbigen in stärckere Bewegung bringen, daß sie hernach denen Organis eine solche Bewegung beybringen müssen, die ihrer Structur gemäß ist. Weil aber die Lebens-Geister, so in denen Organis sind, gar balde abgemattet werden, so müssen sie nothwendig, soll anders die Bewegung lange anhalten, durch die besondere Bewegung des Gehirns, mit neuen zuflüssenden Lebens-Geistern versehen werden.  
  Noch ist diejenige Bewegung, wodurch ein jeder Theil, so mit bewegenden Fibern versehen ist, beweget wird, mit folgenden zu erklären. Jedweder Muscul, wenn er in seiner Bewegung ist, schwillet er auf, und wird straff: Und die Experimenta physica lehren, daß wenn man eine Blase oder lederne Spritze aufbläset, solche in der Mitten, wo sie hohl sind, höher werden und auflauffen, in der Länge aber kürtzer werden, und solchergestalt diejenigen schweren Sachen, so man nach ihrer Proportion daran bindet, von der Stelle  
  {Sp. 1612}  
  zu rucken und zu bewegen vermögend sind. Also ist es gar wahrscheinlich, daß, indem der Muscul aufschwillet, er kürtzer wird, indem er aber kürtzer wird, er nothwendig denjenigen Theil, woran er hänget, bewegen muß. Da aber die Musculn aus bewegenden Fibern, so in gleicher Weite von einander stehen, ingleichen aus membranoesen, so in die Qver lauffen und die erstern mit einander vereinigen, wie auch aus spannäderigten, somit denen fleischichten vereiniget sind, oder aus denen fleischichten kommen, bestehen, ferner von aussen mit einer zarten Haut umgeben, mit Nerven, Pulß- und Blut- Adern, wie auch Wasser-Gefässen versehen sind, und daß die bewegenden Fibern aus lauter kleinen Bläsgen gleichsam zusammen gewebet sind, und also der gantze Muscul mit flüssenden Theilgen, so sich auszubreiten und auszudehnen vermögend sind, belebet wird, ist eine bekannte und ausgemachte Sache.  
  Aus diesem allen nun lässet sich diese Bewegung gar leichtlich erklären. Denn gesetzt also, daß jedwedes Bläschen derer bewegenden Fibern, mit einem Theilgen, eines sich ausbreitenden und ausdehnenden Safftes versehen ist, und daß ferner die Fibern, so in die Qvere gehen, mit obbesagten Bläsgen sehr genau vereiniget, und gröstentheils, wie einige Anatomici angemercket haben, nichts anders als Fortsetzungen deren Nerven sind: So folget daraus, daß, wenn nur ein klein wenig Nerven- Safft, entweder auf Anordnung der Seele oder einer andern antreibenden Ursache, durch vorerwehnte Fibern in die Bläsgen flüsset, die elastische Krafft derjenigen Bullulae, so in jedem Bläsgen befindlich ist, vermehret wird: Ist nun diese vermehret, so breiten sich auch die Bläsgen aus und werden grösser, bleiben auch so lange in diesem Stande, so lange die Anordnung der Seele oder einer andern Ursache anhält: So bald aber diese nachlässet, so fallen die ausgedehnten Bläsgen wieder zusammen, drucken einen Theil des flüssenden Safftes heraus, daß der Muscul ebenfalls welck werden und zusammenfallen muß.  
  Daß aber die Musculn nicht allzu sehr auflauffen, dennoch aber solche grosse Kräffte haben, ist denen sehr kleinen und vielen Bläsgen der bewegenden Fibern zuzuschreiben, wie solches Keilius Tentam. Physic. ... beweiset; Ob nun zwar derer meisten Musculn ihr Anfang und Ende aus spannäderigen Fibern bestehet, diese aber bey der Bewegung niemahls aufschwellen, sondern, wie es denn auch gar wahrscheinlich ist, sich nur passive verhalten: denn weil die spannädrigten Fibern mit denen bewegenden vereiniget sind, und jene diesen, wenn solche kürtzer werden und aufschwellen, folgen, so pfleget es zu geschehen, daß der bewegende Theil gegen den unbeweglichen beweget wird. So darff man dennoch nicht meynen, als wenn die spannädrigten Fibern nothwendig zu der Bewegung erfordert würden, denn gleichwie unterschiedenen Musculn und andere Theile, so ein musculöses Wesen haben, keine spannädrigten Fibern besitzen; also folget daraus, daß die bewegenden Fibern zuweilen allein die Bewegung vollstrecken können.  
  Schlüßlich den Nutzen der thierischen Bewegung anlangend, so ist selbige sehr groß, daß es allzu weitläufftig fallen würde, solchen ausführlich zu beschreiben; Dahero nur von dem Motu locali des gantzen Cörpers zu erinnern, daß solcher sehr viel zu Erhaltung der Gesundheit beyträget. Denn weil  
  {Sp. 1613|S. 822}  
  aus vorhergehenden erhellet, daß dieser in denen Musculn keine geringe Würckung zwischen denen Lebens-Geistern und Blute erreget; so ist gewiß, daß das Blut dadurch nicht nur mehr und mehr verdünnet und in stärckere Bewegung gebracht, sondern auch dadurch weit flüchtiger gemacht, und folglich die Absonderung und Ausführung derer unreinen Theilgen, zum Nutzen des gantzen Cörpers nach Wunsch befördert wird. Dahero diejenigen Leute, so sich wenig oder gar nicht bewegen, nach und nach viele Unreinigkeiten in dem Cörper sammlen und sich vielen Kranckheiten unterwürffig machen. Bes. mit mehrern Borelli Tractat. de Motu Animalium.
     

HIS-Data 5028-3-1606-1: Zedler: Bewegung, (sinnliche oder thierische) HIS-Data Home
Stand: 15. Februar 2013 © Hans-Walter Pries