Titel: |
Herrschafft, in dem allerweitesten Verstande |
Quelle: |
Zedler Universal-Lexicon |
Band: |
12 Sp. 1798 |
Jahr: |
1735 |
Originaltext: |
Digitalisat BSB
Bd. 12 S. 928 |
Vorheriger Artikel: |
Herrn-Zimmern |
Folgender Artikel: |
Herrschaft,
ist ein Recht |
Siehe auch: |
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Hinweise: |
- Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe
Hauptartikel
- Für die Auflösung der Quellenangaben siehe:
Personen
- Transkribierter griechischer Text der Vorlage
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Text |
Quellenangaben |
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Herrschafft, in dem allerweitesten
Verstande ist diejenige
Verhältniß derer
Dinge gegen einander, da die Abrichtung derer
Kräffte des einen
von dem
Willen des andern abhanget. |
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So wohl die Abrichtung derer Kräffte als der Wille geben zu
ver- |
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{Sp. 1799|S. 929} |
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stehen, daß eines von diesen beyden Dingen ein mit
Vernunfft und Willen
begabtes
Wesen seyn
muß; und von diesem solche
Eigenschafft besietzenden Wesen
wird
gesagt, daß es ein
Herr sey, oder daß es die Herrschafft habe. |
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Nun kann dergleichen Wesen kein anders als
GOTT und
Menschen seyn. GOTT ist
also ein HERR, und die Menschen sind
Herren. Wenn wir aber GOtt auf diese Weise
die Herrschafft beylegen, so ist wohl zu mercken, daß solches nur
andrōpopatus
geschehen könne. Indem wir GOtt, auf diese Weise, um der Schwachheit
unsers
Verstandes in etwas aufzuhelffen einen
Verstand und
Willen zuschreiben. Denn die
eintzige deutliche
idee, welche wir von GOtt haben, ist diese, daß er die
erste, selbstständige
Ursache der
Welt sey. Nun schreibt man zwar wohl leblosen
Dingen auch eine Herrschafft zu; als da
spricht man: das
Wasser wird Herr über
das
Feuer, dieses aber ist nicht ein eigentlicher sondern ein metaphorischer
Verstand, und also hieher nicht zu
zehlen. |
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Wenn wir aber die
Dinge
erwegen, welche der Direction
des andern unterworffen sind, so sind solches entweder leblose
Dinge oder es
sind Menschen und Thiere. Da aber der Mensch an die
Ordnung der Natur gebunden ist, und
demselben nichts
soll zugeschrieben werden, als was von dieser Ordnung
herstammet; und eine solche
Übereinstimmung mit dieser Ordnung ein
Recht
genennet wird: So pflegt man den
Begriff eines Rechtes mit denen obigen
Begriffen von der Herrschafft zu verbinden. |
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Weil man aber nicht beobachtet, daß dieser
Begriff von dem
Rechte dann und
wann mit diesem
Worte verbunden seyn kann, manch Mahl aber von demselben
abgesondert ist, so entstehet daher in dem scharffsinnigen Nachdencken offter
Mahls eine Verwirrung. Ein solches zeiget sich insonderheit bey der Herrschafft
GOttes. Man ist nicht
bemüht gewesen, die Begriffe hiebey aus einander zu
setzen, und daher ist es gekommen, daß man bey der Herrschafft GOttes jederzeit
auch zugleich ein Recht gedacht hat. |
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Hobbesius de ciue cap. 15. hat GOtt ein
Recht zu herrschen
beygeleget, weil man seiner
Macht nicht wiederstehen könnte. Ein gleiches hat er
in den Leuithan. c. 12.
gethan. Nun wiederleget man ihn durch eine
Instanz, daß man einem Strassen-Räuber auch nicht wiederstehen könnte, und
dieser hätte gleichwohl keine Herrschafft. Hätte Hobbesius nicht deutlich
de Jure regnandi
geredet, so hätte er nach denen weitläufftigen
Begriffen, die wir gegeben,
gantz leichtlich können vertheidiget werden.
GOtt hat kein
Gesetz; und ohne Gesetz ist kein
Recht: Also ist der
Begriff des
Rechts von GOtt gar nicht zu
sagen. Und die eingewendete Instanz ist eine
metabasis eis allo genos
indem die Begriffe, die wir von dem
Menschen abziehen, GOtt nicht können begeleget
werden. |
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Moses Amyraldus de Jure Dei in creaturas setzet das Recht GOttes
in die Vortrefflichkeit seines
Wesens, dieses ist aber noch kein
Grund, warum
einer über den andern herrschen sollte. |
Pufend. de iure Nat. … |
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Andere erfordern zwey Stücke zu der Herrschafft: ein Mahl die
Macht, zum
andern die Wohlthaten; welche der
Grund seyn sollen, warum einer etwas von dem
andern fodern könne. Sie führen also die Herrschafft GOttes aus unserer
Dependenz und der Erhaltung her. |
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Wir wieder- |
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{Sp. 1800} |
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hohlen aber erstlich unsere
Gedancken, daß bey dem
Wesen
GOttes der
Begrieff
des
Rechts nicht zu finden. Und zum andern, so setzet die Wiedererstattung derer
Wohlthaten einen
Mangel bey demjenigen zum voraus, dem sie wieder erstattet
werden sollen. In GOtt aber ist kein Mangel; es lassen sich also diese Begriffe
wiederum nicht mit dem Wesen GOttes verbinden. GOtt ist also ein HErr nach den
weitläufftigem
Verstande, nicht aber nach dem engern Begrieff. |
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Ferner wird die Herrschafft im weitläufftigen Verstande genommen, wenn wir
von der Herrschafft über uns selbst
reden. Mit diesem könnte zwar der
Begriff
des
Rechts verbunden werden. Man pfleget aber hierauf seine
Gedancken nicht zu
richten, u. es ist dasselbe auch nicht
nöthig. Die Herrschafft aber über sich
selbst ist derjenige
Zustand des
Menschen, da er seine
Begierden
der Ordnung der Natur gemäß der
Vernunfft unterwirfft. Gracian in seinen Oracel Cent.
1. max. 8.
redet also hievon: Es ist keine höhere Herrschafft als die
Herrschafft über sich selbst und über seine
Affecten. Durch selbige
triumphiret ein
freyer Wille, der
Gestalt, daß wenn auch eine passion in
Ansehung derer
Personen in uns entstehen sollte, sie dennoch an unser
Amt und
Pflicht sich nicht wagen darff, und solches um desto weniger, ie wichtiger die
Sache ist. Es ist dieses ein bewährtes
Mittel manches
Verdrusses dieses
Lebens
überhoben zu seyn und den kürtzesten Weg zu hoher Reputation zu finden. |
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Was die Herrschafft derer
Menschen anlanget, so wird dieselbe so wohl
rechtmäßig als
unrechtmäßig genennet. Wenn man aber von der Herrschafft
überhaupt
redet,
so
verstehet man hierunter die rechtmäßige Herrschafft. |
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Bleibt uns also hier noch übrig von der Herrschafft eines
Haus-Vaters über
sein
Gesinde, zu handeln. Von
Natur sind wir alle einander gleich: Also hat
einer kein
Recht über den andern. |
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Aristoteles Polit. l. 2. hat zwar die
barbarischen
Völcker
Knechte von Natur genennet, allein ob sie gleich sehr
niederträchtig sind, so haben sie doch
Kräffte und sind
Menschen, Und der
Vorzug
derer Kräffte kann keinem ein
Recht über den andern geben.
Hornius de ciuit. l. 3. hat zwar vermeynet, der
Stand derer Knechte käme
unmittelbar von
GOTT her: Alleine man hat nicht nöthig
auf GOtt zurücke zu gehen, wenn man noch eine
Ursache in der
Vernunfft findet. |
Pufend. ius Nat. … |
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Den
Historischen
Ursprung kan man wegen des Mangels der Nachricht nicht
ausmachen. Die
bewegende Ursache aber diesen
Stand einzugehen ist die Bedürffniß
gewesen, welche aus dem
Rechte des
Eigenthums entstanden ist. Die Leute
wollten
nach dem eingeführten Eigenthum entweder aus
Ehrgeitz oder
Geitz
ein mehrers besietzen als sie selber erwerben kunten. Oder sie wollten aus
Faulheit ihre
eignen
Güter nicht
verwalten, Sie |
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{Sp. 1801|S. 930} |
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hatten also andere Leute von
Nöthen. Hingegen fanden sich Leute, welche sich
selber zu unterhalten nicht
vermögend waren. Sie wiedmeten dahero andern ihre
Kräffte, um von ihnen unterhalten zu werden. |
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Es ist also diese
Gesellschafft derer
Menschen aus einem stillschweigenden
Vergleiche entstanden. Die Absicht derer
Herren geht dahin, daß sie ihre
Beqvemlichkeit und ihre
Güter durch die
Kräffte derer
Dienstbothen vermehren
mögen. Die Absicht des Gesindes aber ist diese, daß sie ihren Unterhalt bey
ihren Herrn finden mögen. Die natürliche Gleichheit wird hierdurch nicht
aufgehoben, sondern nur eingeschräncket. Zu dem geschicht es nur aus einer
freyen Einwilligung. Es sind also dergleichen
Vorträge dem
Rechte der Natur
nicht zu wieder. |
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Was aber von denen Knechten in besondern
Verstande zu
sagen
ist, das gehöret unter den
Titel
Knechte. |
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Nachdem wir dieses vorausgesetzt haben, so folget, daß der den Knecht zu
seinen Absichten
gebrauchen könne, um ihm also
frey zu
befehlen habe. Wie weit
sich aber dieser
Gehorsam erstrecke, das
muß aus denen
Endzwecken der
Gesellschafft
beurtheilet werden. |
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Ein
Herr hat gleichfalls das
Recht, seinen wiederspänstigen Diener zu
züchtigen; keines Weges aber das Recht ihm an seinem
Leibe und Gesundheit
Schaden zu
thun, indem die Gleichheit derer
Menschen keines Weges durch diesen
Stand aufgehoben, sondern eingeschräncket wird. Der Herr muß also jeder Zeit
betrachten daß seine Knechte Menschen sind. |
Thomasius Jurisp. diu. … |
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Was von der Klugheit
in diesem Stücke zu mercken ist, hiervon siehe den
Titel
Diener.
Tom. VIII. p. 827. |
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