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Quellenangaben |
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Klugheit. |
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Es sind zwar die Gelehrten jederzeit
bemühet gewesen, denjenigen
Theil
der
menschlichen
Erkänntniß,
welchen wir die Klugheit zu
nennen pflegen, in sein gehöriges
Licht zu setzen.
Man hat sich so wohl bemühet, denen
Handlungen, welche alle
Menschen
mit einander gemein haben, die gehörigen
Regeln
zu setzen; als man besorget gewesen ist, von
verschiedenen
Umständen, in welche
wir zu geraten pflegen, verschiedene
Arten der Klugheit zu
erklären. |
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Bey diesen Umständen solte man
meynen, daß man es nunmehro würde feste
gesetzt haben, was man durch das
Wort
der Klugheit verstünde; gleichwohl lehret uns die genaue Betrachtung
desselbigen, daß die damit
verknüpften
Begrieffe
annoch schwanckend und
ungewiß seyn, und daß die unbestimmte Weite desselben den
einen dieses den andern etwas anders sich wieder
vorzustellen veranlasset. Dem
Pöbel, welcher nie
gewohnt ist, seine Begrieffe richtig aus einander zu setzen,
sondern die
unvollkommene
Erkänntniß einer
Sach ihren deutlichen Begrieffen
vorzuzühen pflegt, ist zwar der
zweifelhaffte
Gebrauch dieses Wortes nicht so
sehr zu verdencken gewesen: Daß aber die Gelehrten, welche nie Mahls ein Wort,
ohne dabey richtig zu dencken, vorbringen
sollen, der
Armuth unserer
Mutter-Sprache hiebey nicht zu Hülfe kommen, und lieber eine zwiefache
Zusammenfassung unsrer
Gedancken mit einem eintzigen Worte benennen, als nach
dem ihnen in solchen Fällen zustehenden
Rechte einen neuen Ton, wodurch sie die
Unterschiede ihrer Gedancken bezeichnen,
erfinden
wollen; solches
verdienet
vielleicht eine mehrere Ahndung. |
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Man nimmt ein Mahl das
Wort
Klugheit in einem so weitläuftigen
Verstande, daß man alles dasjenige, was zu der Ausführung
unserer besondern
Endzwecke,
welche wir uns vorstellen, in so fern dieselbigen in denen
menschlichen
Kräfften stehen,
damit zu verknüpfen pflegt. Dieser weitläuftige
Begrieff
veranlast diejenigen, welche hiervon handeln wollen, ihren
Vortrag so
einzurichten, daß sie zu der
wahren Beschaffenheit eines klugen
Mannes eine
besondere Fähigkeit des Witzes, um viele
Mittel erfinden zu können, einen wohl
eingerichteten
Willen, die rechten
Endzwecke zu
erwählen, eine
Erkänntniß vieler
Sachen, um eine richtige Beurtheilung anstellen zu können, und einen unermüdeten
Fleiß und Eifer, um in der
würcklichen Anwendung derer Mittel nicht saumselig zu
seyn, zu erfordern pflegen. |
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In unserer Mutter-Sprache finden wir kein
Wort,
mit welchen sonst diese
Gedancken
verbunden werden. Wäre bey den
alten
und
guten
Lateinischen
Schrifft-Stellern das Wort Practicus mehr im Gebrauche gewesen, und käme das
Teutsche Wort Ausüber unseren Ohren nicht also un- |
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{Sp. 982} |
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gewohnt vor; so mögten wir vielleicht so
glücklich seyn, diese weite
Zusammenfassung derer Gedancken mit einem Worte bezeichnen zu können. Die
besondere
Bedeutung der Klugheit begreiffet nicht mehr in sich als die
Beschaffenheit unsers
Verstandes,
nach welchen wir unter verschiedenen Mitteln, die sich uns darstellen, das
Beste, oder dasjenige, welches nach der Beschaffenheit unsrer
Umstände, worinne
wir uns befinden, den vorgesetzten
Endzweck zu befördern fähig ist, zu
beurtheilen
vermögend sind. |
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Man siehet wohl, daß dieser enger
Begrieff
sehr vieles hinweg läst, welches sonst zu der Klugheit gerechnet wird: Wir
verlangen aber dadurch so viel, daß wir unsern klugen
Mann, in wie ferne er klug
ist, von einem
erfahrnen und
gelehrten, ingleichen von einem
gerechten auf das
genaueste zu
unterscheiden
wissen. Wir werden bey unserer Abhandlung unsern
Vortrag so einrichten, daß wir erstlich diejenigen Stücke, welche zu dem
weitläuftigen Begrieffe gehören, betrachten, und hernach Mahls die besondere
Eigenschafft der Klugheit in dem eigentlichen
Verstande
vorstellen werden. |
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Die menschliche
Seele
ist sich nicht eher ihres
Zustandes
immer auf einerley Art und Weise bewust, oder sie wird, wie man sonst zu
reden
pflegt, nicht eher ruhig, als bis sie sich in den Zustande findet, wo sie nichts
als lauter Annehmlichkeit empfindet. Diese
Empfindung ist der Trieb aller ihrer
Handlungen oder aller ihrer
Würckungen, welche aus derselbigen hervorkommen.
Weil aber dieser ihr letzter
Endzweck in einer Empfindung bestehet, und die
Empfindung die Beschaffenheit einer
Sache ist, wornach sie von einem andern
Dinge berühret wird; so setzt dieselbe alle Mahl ein ander Ding zum voraus. Denn
sonst könnte ja diese Berührung nicht bestehen, in dem aus Nichts nichts werden
kan. |
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Wenn wir nun diejenigen
Dinge
betrachten, die uns in eine Annehmlichkeit versetzen, so befinden wir, daß
dieselbige ihrem ersten
Ursprunge nach ihr
Seyn nicht von der
Seel
empfangen, sondern es bestehen dieselbige vor sich, und unser
Geist kan hierbey
nichts thun, als daß er sich dieselben
gegenwärtig mache, und mit ihnen
vereinige. Nun kan zwar die Einrichtung unsers
Gemüthes bey vielen Dingen so
beschaffen seyn, daß wir nicht dürffen auf die Hervorbringung derselben unsre
Kräffte wenden, sondern unsre Seele darff dasselbe, was ihr vorkommt, nur
annehmen, so kann sie, weil das annehmliche mit der
Natur
verknüpft ist, zu
frieden und ruhig werden. |
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Wäre auch unsre
Seele
nicht mit dem
Leibe
vereiniget, und
müsten wir nicht die
Güter
in die Güter des Leibes und der Seelen
eintheilen; so würden wir nie Mahls
nöthig
haben an die Hervorbringung
unterschiedener
Dinge
zu
gedencken, sondern wir würden an und vor sich selbst, wenn wir nur
wollten,
den letzten Endzweck erreichen. Selbst mit denen allerwidrigsten Zufällen unsers
Lebens ist etwas annehmliches verbunden, und da hierdurch unser
Gemüthe seine Sehnsucht stillen kan, wie würde solches nicht
bey denen Dingen geschehen |
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{Sp. 983|S. 507} |
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können, bey welchen sich nicht ein Mahl diese Widrigkeit findet. Allein wir
haben einen Leib, und hiernächst ist unsere Seel noch nicht angewöhnt, unter so
vielen
Eigenschafften,
welche sich bey denen Dingen finden, die besondere Eigenschafft herauszulesen,
und sich
eigen zu machen, wodurch sie auf eine
angenehme Weise könnte berühret
werden. |
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Nächst diesen sind die willkührlichen
Ursachen,
welche gleich Falls
Sachen, die uns belustigen können, herfürbringen sollen, so
sehr von ihrer
Natur abgewichen, daß es nunmehr unsrer
Seelen
unmöglich ist,
alle Mahl die Mittel ihrer Beruhigung gegenwärtig vor sich zu finden. Aus diesen
Gründen bestehet nunmehro die
Nothwendigkeit, daß unsre Seele auf die
Hervorbringung der
Gegenwart derer
Dinge bedacht seyn muß. Doch wollen wir diese
an und vor sich selbst etwas schwerere Lehre durch einige
Exempel zu erläutern
suchen. |
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Es ist zum Exempel in Ansehung unsers
Leibes
nicht
möglich, unsern Hunger zu stillen, wenn wir nicht vor die Herbeyschaffung
und Zubereitung dererjenigen
Mittel, welche wir Speise zu
nennen pflegen,
bedacht seyn. Man mögte vielleicht dencken, es hätte die Eitelkeit in diesem
Stücke einen grossen Einfluß in dergleichen Handlungen: So wollen wir zwar nicht
in Abrede seyn, daß dieselben zu Hervorbringung vieler Stücke, die hierinne noch
nicht sind, veranlast werde. Dennoch aber ist es ein Mahl nicht eine pur lautere
Eitelkeit, wenn wir unsern Leib auf eine weit
geschicktere und
angenehme Art
ernähren, als es von solchen
Menschen
zu geschehen pflegt, welche mehr denen übrigen Thieren als denen Menschen in
ihren Sitten zu folgen gewohnt sind. Der unschädliche Gebrauch dieser Stücke ist
keines Wegs nicht unrecht, ungeachtet wegen der verderbten Neigung der Menschen,
der Mißbrauch dabey sehr nahe ist. Hiernächst so kann zwar vieles aus der
Eitelkeit anfänglich seinen
Ursprung genommen haben, welches aber hernach Mahls
durch das allzu sehr eingerissene Verderben in eine
Nothwendigkeit
ist verwandelt worden. |
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Der erste
Mensch
hat freylich nach der
Ordnung
GOttes gar kein Fleisch, geschweige dann Gesottenes noch
Gebratenes gegessen. |
1. B. Mos. 1, 29. |
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Da aber die
Bosheit derer Menschen
Kinder mit der Sündfluth ist gestrafft
worden, so sind hernach Mahls dem Noah die lebendigen
unvernünfftigen Thiere
nach göttlicher Ordnung zu seiner Speise übergeben worden. |
1. B. Mos. 19, 3. |
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Hierbey haben die
Menschen
vermuthlich gefunden, daß das rohe Fleisch nicht leichte könne verdauet werden,
also haben sie durch die Verminderung der rohen Säffte, welche durch das
Feuer
ausgetrocknet und gesäubert werden, eine
Sache
hervorgebracht, und
gegenwärtig dargestellet, welche vorhin noch nicht gewesen
war. |
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Endlich so sind auch selbst diejenigen
Dinge,
welche ferner keine Vorbereitung brauchen, dennoch nicht dem
Leibe
so gleich gegenwärtig. Denn wenn wir gleich nichts anders als
Wasser träncken, so
wäre es doch uns
unmöglich beständig mit dem Munde bey den Wasser-Bächen zu lie- |
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{Sp. 984} |
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gen, ja wenn auch dieses wäre, so würde doch unsre
Seel
mit dem Munde eine
Bewegung vornehmen
müssen, daß das Wasser in unsern Magen
käme. Die
Nothwendigkeit
des
Leibes erfordert also, daß die Seele in Ansehung
derer Indiuidorum etwas unternehmen muß, wenn sie zu dem Genusse der
Annehmlichkeit, denn unter dieser
verstehen
wir auch die
nothwendigen
Güter,
gelangen will. |
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Unsre
Seele
ist ferner verderbt, und da sie sich ein Mahl aus ihrer
Ordnung
hinausbegeben, so muß sie anietzo durch die lebhaffte und deutliche
Vorstellung
des zuhoffenden
Guten ihre
Kräffte
gleichsam zwingen, damit sie
geschickt werden
möge, das
angenehme, welches in
den
Dingen
liegt, zu
empfinden. Im
Stande
der Unschuld wären unsre
Gedancken
ohne die Vernunfft-Lehre
ordentlich gewesen, ietzo muß erst ein langer und wohl
eingeschärffter
Unterricht vorhergehen, ehe wir die
Wahrheit zu finden
vermögend
sind. |
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Unsre
Seele
muß also auch in Ansehung ihrer Kräffte etwas hervorbringen,
und dasselbe gegenwärtig machen, welches sie noch nicht hat. Und die
Menschen
oder willkührlichen
Ursachen,
welche wir in der
Welt nach der
Vernunfft
erkennen, können gleich Falls durch
ihre
Würckung die Annehmlichkeit unsers
Gemüthes befördern. Wären dieselben in
der ihnen von dem Schöpfer vorgeschriebenen
Ordnung
verblieben, so würden wir
ieder Zeit in dem
Umgange, mit andern eine
wahre
Lust antreffen. Leider! aber
ist diese sehr offte nicht mehr zu finden; und wir sehen uns daher genöthiget;
andere erst durch viele Umwege dahin zu bringen, damit uns die Gegenwürffe, bey
welchen wir eine wahrhaffte Annehmlichkeit finden können gegenwärtig gemacht
werden. |
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Die
Seele
hat also auch hier mit Hervorbringung derer
Dinge,
welche sie nähren
sollen, zu thun. Stellen wir nun über diesen
Theil unsrer
Beschäfftigungen eine Betrachtung an, so finden wir, daß dieselbe auf zweyerley
Art und Weise eingerichtet ist. |
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Kunst |
Erstlich finden wir
gewisse
Regeln,
nach welcher wir unsre
Kräfften bey
Einrichtung und Hervorbringung derer
Dinge
abzumessen pflegen. Eine Lehre, die uns solches
vorträgt, pflegen wir eine
Kunst
zu
nennen. Doch ist hierbey wiederum eine Verwirrung derer
Wörter
zu mercken. Wir nennen nehmlich das eigentlich eine Kunst, wenn wir mit leblosen
oder nothwendig-würckenden Wesen und ihrer Abrichtung zu
thun haben. Wenn wir
aber die Kräffte andrer
Menschen
als
Ursachen
unsrer
Glückseligkeit betrachten, so heist es bald eine Kunst, bald eine
Klugheit, und dahero heissen wir die
glückliche Erhaltung unsrer
Umstände in
Ansehung des
gemeinen Wesens bald die Staats-Kunst bald die Staats-Klugheit.
Hernach aber bemercken wir, wie ein jedweder seine Absichten ins besondere zu
erreichen bemüht
leben soll, und diese
Wissenschafft wird, in so ferne wir
gemeine
Regeln
davon geben, und sie nicht auf ein
eigenes
Object einschräncken,
die Praxis, oder die Klugheit im weitläufftigen
Verstande genennet. |
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Soll uns die Klugheit dazu ver- |
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{Sp. nicht gezählt|S. 508} |
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helffen, daß diejenigen Objecta, welche unsre
Annehmlichkeit
hervorbringen, uns gegenwärtig gemacht werden, so ist wohl zu mercken, daß bey
denen uns hier vorkommenden
Ursachen
sich eine lange Reihe und gleichsam eine Kette derselben befinde. Wir müssen
nothwendig, wenn wir zu dem einen gelangen
wollen, das andere
erwählen, und wer
zu seiner wahren Ruhe kommen will, muß nie Mahls in Ansehung seiner aus denen
Schrancken derer wahren
Pflichten gegen sich selbst ausweichen. Wir müssen wohl
erwägen, ob ein Gut auch in seiner
Daurung
beständig sey, und dahero die Schein-Güter nicht vor die wahren ergreiffen.
Hierbey müssen wir dem höchsten Wesen die gehörige Ehrerbietung und dem
schuldigen
Gehorsam leisten, und mit
andern müssen wir so wohl
gesellig als in einer wahren Freundschafft leben. |
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Dieses zusammen genommen wird die
Gerechtigkeit genennet; und weil wir ohne
dieselbe bey sehr viel von uns hervorgebrachten
Dingen
dennoch nicht unsre Ruhe erreichen werden: So ist es eine gemeine
Regel,
daß ein kluger
Mann zugleich ein gerechter Mann seyn müsse. Man könnte zwar
denselben klug in besonderm
Verstande nennen; denn da dieselbe in der
Wahl der besten
Mittel bestehet, so liesse ein solcher dasjenige aus, wodurch er zu seinen
Endzwecke am besten zu kommen vermag. Weil er aber durch die Erreichung seiner
besondern Absicht nie Mahls zu dem Genuß des letzten Endzwecks kömmt, in dem er
ein falsches Zwischen-Mittel ergrieffen, so wird solches keine Klugheit sondern
eine Arglist genennet; in dem die Klugheit den
würcklichen
Gebrauch nach dieser
Wort-Beschreibung
zum voraus setzt. |
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Sind nun von uns die
Endzwecke richtig erwählet worden, so macht doch unser
blosses Dencken oder die
Vorstellung desselben noch nicht, daß sie uns
gegenwärtig seyn, wir müssen sie dahero hervorzubringen suchen, welches denn
wiederum seinen
Grund
nicht von unsrer
Willkühr, sondern der Beschaffenheit derer Kräffte der Natur
erhält. Mit
Feuer
werden wir nimmermehr unsern Durst löschen können, und von einer
geitzigen
Person
dürffen wir nicht ohne Vorstellung eines wichtigen
Verdienstes einige
Liebes-Dienste
hoffen. |
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Bey dieser Beschaffenheit ist es
nöthig, die
Natur
mit ihren Kräfften
und
Würckungen
erkennen zu lernen. Eine solche
Erkänntniß
geschiehet entweder
unmittelbar durch die
Sinne,
oder wir müssen durch die Würckung unsers
Verstandes
uns von der ersten sinnlichen Erkänntniß entfernen, damit wir die Deutlichkeit
der eigentlichen Beschaffenheit vieler
Dinge erkennen mögen. Das erste wird die
Erfahrung, das andere von einigen in besonderem
Verstande die
Weisheit genennet.
Keines von beyden, da wir überall die Mittel unserer
Glückseligkeit antreffen,
ist aus den Augen zu setzen, und ein kluger
Mann muß daher so wohl ein erfahrner
als ein weiser Mann seyn. Die Erfahrung zeiget uns das
Wesen
derer Dinge in denen
verschiedenen
Arten ihrer
Würcklichkeit, und wir befinden hierbey die
besondere
Umstände, in welcher sie uns die sonst |
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{Sp. 985} |
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abgezogenen Begriffe
vorstellen. Ein jeder Umstand kan die Sache
verändern, und wer dahero in der Erfahrung nicht geübet ist, der läst aus
Unaufmercksamkeit die besondern Umstände hinweg, welche doch bey der Anwendung
einer würcklichen Sache einen so grossen Ausschlag geben kan. Derjenige hingegen
bey welchen durch die Erfahrung die höhere
Wissenschafft lebendig wird,
gewohnt sich zugleich an, nie
Mahls etwas zu unternehmen, wo er nicht alle und jede besondre Umstände, die nur
hierbey vorkommen können, in Betrachtung gezogen hat. Diese Fertigkeit, auf alle
vorkommende Kleinigkeiten seine Aufmercksamkeit zu richten, ist die edle Frucht,
welche einen erfahrnen Mann in seinen Unternehmungen
glücklich zu machen fähig
ist. |
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Es ist aber nicht nur alleine nöthig, daß wir die besondern Umstände eines
jeden
Dinges
bemercken, sondern wir müssen auch wohl
wissen, von welchem Umstande denn
eigentlich diejenige
Würckung
abhänge, welche wir suchen. Deswegen ist es nöthig, nach der
Weisheit die Dinge
nach ihren verschiedenen
Eigenschafften
wohl zu
erkennen, damit wir bey vielfältig vorkommenden Zufällen sehen können,
ob die Neben-Umstände uns an dem Gebrauche einer
Sache
verändern könnten oder nicht; und in wie ferne wir dieselben zu betrachten oder
hinwegzulassen haben. |
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Auf die Gleichheit der ähnlichen Fälle zu warten würde theils
unmöglich
seyn, in dem sich dieselbigen sehr wenig ereignen, und wir uns offt Mahls eine
vollkommene Ähnlichkeit einbilden, wo keine zu finden ist; theils würden wir
auch hiebey immer
ungewiß bleiben, von welcher
Eigenschafft
des
Dinges
denn sonderlich der glückliche Erfolg unsrer Unternehmung abhänge. Wir würden
also zwar sehr vieles wagen, aber nie Mahls ohne
Furcht seyn können, in dem uns
die
Nothwendigkeit
des glücklichen Erfolgs mit der
Sache
immer unbekannt bleibt. |
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Hieraus erhellet
gantz deutlich, daß die
Weisheit mit
der
Erfahrung
müsse verknüpfet werden. Die erstere erlernen wir aus denen
Wissenschafften, welche uns zum voraus
unterrichten, worauf
wir bey würcklich vorkommenden Zufällen unsere Aufmercksamkeit zu richten haben. |
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Bey der
Efahrung
können wir uns der Beyhülffe anderer bedienen: Wir lesen die Geschichte, welche
uns von andern sind aufgezeichnet worden, doch weil diese sich haben betrügen
können, so nehmen wir nicht ihre Erzehlungen alle sogleich an, sondern pflegen
dieselben erstlich nach der
historischen
Wahrscheinlichkeit zu
untersuchen. Wo
wir nur können, suchen wir unsre
eigne Erfahrung zu vermehren, in dem dieselbe
weit gewisser als wie die fremde ist. Dieses ist auch denn der
Endzweck warum
wir unsern Sitz und
Ort
zu
verändern pflegen, um durch die Besuchung fremder
Länder die
Vielfältigkeit derer
Menschen
und ihrer Anstalten
erkennen zu lernen. Die Erfahrung hilfft uns nichts, wenn wir
nicht aufmercksam seyn, und die Vorstellung so vieler
Dinge
ist vergebens, wenn wir nicht einen vollkommenen
Begriff
von denenselben zu erhalten fähig sind: Die
Regeln
der Weisheit werden |
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{Sp. 986|S. 509} |
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auch ohne
Nutzen
dem
Gemüthe eingepräget, wenn wir nicht bey Unternehmung einer
Sache
an dieselben gedencken wollen. Beydes aber geschiehet sehr leichte, wenn wir
unsere
Neigung nicht im Zaum zu halten wissen, und unsre ungebärdigte Hitze
alles ohne vorher reiff angestellte Überlegung ergreifft. |
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Es erfordert also die Klugheit gemäsigte
Begierden
und ein ruhiges
Gemüthe, welches sonst von einigen das Sang froid genennet wird.
Es ist viel Mahls zu späte, alsdenn erst an die Betrachtung derer Mittel, in so
fern sie etwas wircken können, zu gedencken, wenn der Zufall, der uns betrifft,
allbereit gegenwärtig ist. Es müssen dieselben unsern Gemüthe schon vorhero
bekannt seyn, und gleichsam nur die Zeit erwarten, bis wir sie gebrauchen
wollen. Nunmehro ist die Zeit des Gebrauchs vor Hand, es will uns aber nichts
einfallen, und also ist die
Mühe vergebens, welche wir vorhero angewendet haben,
viele
Dinge zu
erkennen. |
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Die Umstände, wodurch wir
glücklich oder
unglücklich werden können,
verändern sich auch so leichte, daß wir nicht erst Zeit haben, die Register
unsrer eingetragenen
Wissenschafften aufzuschlagen, oder mit guter Muse die gute
Stunde zu erwarten, daß uns etwas, das zu der
Sache
gehöret, in das
Gedächtniß kommen möge. Es ist deswegen nöthig, daß ein kluger
Mann einen lebhafften
Kopf besitze, welcher ihm vermittelst der
Einbildungs-Krafft
in gehöriger Geschwindigkeit bey erforderten Umständen
unterschiedene
Gedancken
vorzustellen vermögend ist. Doch da es nicht alleine gnug ist, viele Gedancken
zu haben sondern wir auch die Einfälle dazu gebrauchen, daß wir durch die Mittel
zu unserm
Endzwecke gelangen, und auf diese Weise ein
Zusammenhang der
Gedancken seyn muß; der erste Zusammenhang aber oder die Ähnlichkeit der
Gedancken vermittelst des Witzes gefunden wird: So muß also bey der
Einbildungs-Krafft zugleich ein lebendiger Witz vor Handen seyn, oder, wie es
andere ausdrücken, ein kluger Mann muß ein munteres und fähiges
Ingenium
besietzen. |
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Haben wir solches von der
Natur
erhalten, so sehen wir uns um so viel desto mehr zu der Ausführung vieler
Endzwecke
verbunden; verspüren wir aber hierinne eine Schwäche, so müssen wir
versuchen, ob wir nicht durch eine
fleißige Übung die
Kräffte, welche
gleichsam annoch unausgearbeitet gelegen, in die gehörige Stärcke zu setzen, im
Stande
sind. Die Lesung lustiger und aufgeweckter
Bücher kan uns gleichfalls hierbey
behülfflich seyn. Will aber dieses alles nichts helffen, so ist es besser, sich
von vielen Unternehmungen zurücke zu ziehen und andern die Ausführung grosser
Geschäffte zu überlassen. |
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Haben wir nunmehro vermittelst des Witzes die
Mittel erfunden, so ist es
nicht genug dieselbe so blindlings anzuwenden, sondern wir müssen so wohl nach
der allgemeinen Betrachtung von denen Mitteln und
Endzwecken, als wovon uns die
Klugheit ins besondre
Regeln
geben wird, als auch nach der Beschaffenheit einer jeden
Sache
ins besondre, die wir so wohl aus der
Erfahrung
als
Gelehrsamkeit
bekannt haben, die gehörige |
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{Sp. nicht gezählt} |
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Beurtheilung anstellen; in dem nicht von dem ersten Zusammenhange derer
möglichen Mittel mit dem Endzwecke, sondern von der genauen und wahren
Ubereinstimmung dererselben ein glücklicher Ausgang seinen
Grund
empfängt. |
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So viel hat nun der
Verstand des Menschen dabey zu thun, wenn er in seinen Unternehmen glücklich
seyn will. Doch ist es mit einer solchen Uberlegung alleine noch nicht
ausgemacht, sondern es muß derselben die darnach eingerichtete
That
folgen. Wir müssen bey der
würcklichen Anwendung derer Mittel nicht träger und
saumseliger werden, sondern mit unsern Verstande immer dabey scharffsinnig und
vorsichtig, mit unsern
Willen ruhig und
gedultig, und mit der Anwendung unsrer
andern Kräffte fleißig und beständig seyn. Hat man sich in eine solche
Gemüths-Beschaffenheit bey seinem Unternehmen gesetzt, daß man alle diese
oberzehlte Stücke nach einer langen Übung gantz leichte, und ohne sich lange
dabey aufzuhalten zu beobachten pfleget, so wird solches eine Fertigkeit
genennet, und man hat nunmehro die Klugheit erlanget, welche in der Fertigkeit,
seine besondere
Endzwecke glücklich hinauszuführen, bestehet. |
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Die Klugheit insbesondere, welche uns die besten Mittel zu
erwehlen anweiset, ist eine Fertigkeit des
Verstandes,
welche uns aus vielen Mitteln, die bey unserm
Endzwecke möglich sind, das Beste
zu erwählen, anleitet, Ein
Mittel ist nichts anders als eine
Ursache, deren
Würckung wir uns mit unserm
Gemüthe
vorstellen, und dadurch etwas zu unternehmen
veranlast sind; und eben diese vorgestellte Wirckung wird von uns ein
Endzweck
genennet. |
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Wir stellen uns die
Dinge erstlich eintzeln vor, ohne sie zu
betrachten, wie sie von einer andern
Sache gewürckt werden. Weil aber wir von
unsrer Vorstellung dieselben nicht allein erwerben; so ist es nöthig, diejenigen
Gründe, woraus dergleichen Vorstellung ihre
Würcklichkeit erlanget, im
Betrachtung zu ziehen, und das heissen wir Mittel zu seinem Endzwecke
erfinden. |
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Die
Gedancken
von denen Mitteln müssen sich also nach denen Gedancken richten, und deswegen
wollen wir eine doppelte Betrachtung anstellen, erstlich was wir in Ansehung
derer
Endzwecke zu beobachten haben; zum andern, was bey Betrachtung derer
Mittel vorkommen wird. |
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Bey denen
Endzwecken setzen wir dieses allbereit zum voraus, daß dieselben
so wohl der
Gerechtigkeit als der
Liebe gegen uns selber gemäß sind. Dieses
haben wir auch allbereit oben bey der Klugheit über Haupt
erinnert. Hier kömmt
nur noch dieses vor, daß wir wohl müssen wissen, wie viel uns an einem solchen
Endzwecke gelegen sey, damit wir nicht etwa, wenn die Mittel nicht in unsrer Gewalt
sind, mehr Kräffte
daran wenden als wir hernach Mahls
Vortheil davon haben. Wir müssen deswegen den
Endzweck auf das allergenaueste überlegen, und ehe wir hiervon noch keinen
vollkommenen
Begriff
haben, sind wir nicht vermögend, desselben
Verhältniß mit dem Endzwecke zu
erkennen; im dem diese durch nichts anders als durch den Begriff des letztern
kan feste gestellet werden. Haben wir |
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{Sp. nicht gezählt|S. 510} |
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aber nunmehro davon einen richtigen Begriff, so wird es uns sehr leichte
fallen, diejenigen
Objecta, worinne die
Ursachen
eine solche
Würckung hervorzubringen liegen, zu erfinden. |
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Nur ist zum andern noch dieses bey denen Mitteln zu erwägen daß wir gar wohl
beobachten, in wieferne dieselbe in unsrer
Gewalt
seyn oder nicht, damit wir nicht bey vergeblicher
Hoffnung mehr
verlieren als
gewinnen. Hernach Mahls ist es auch jeder
Zeit besser, mehrere Mittel in
Bereitschafft zu haben, damit man, wenn ja das eine fehl schlagen
sollte, sich
nicht aller Hülffe gäntzlich entblöset siehet, wer so verfähret, der wird alle
Mahl das beste und wichtigste Mittel treffen, und diejenige Fertigkeit besitzen,
welche wir im besondern
Verstande die Klugheit zu nennen pflegen. |
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