Titel: |
Gerechtigkeit |
Quelle: |
Zedler Universal-Lexicon |
Band: |
10 Sp. 1080 |
Jahr: |
1735 |
Originaltext: |
Digitalisat BSB
Bd. 10 S. 557 |
Vorheriger Artikel: |
Gerechtfertiget im Geist |
Folgender Artikel: |
Gerechtigkeit, ist in Heil. Schrifft |
Siehe auch: |
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Hinweise: |
- Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe
Hauptartikel
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Text |
Quellenangaben |
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Gerechtigkeit, ist in Ansehung des
Subjects
zweyerley, in dem sie entweder GOtt, oder dem
Menschen zugeschrieben wird. |
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Jene bestehet in einer gütigen Belohnung des
Guten und in einer zwar langmüthigen, aber
endlich äußerst strengen Bestraffung des
Bösen,
siehe
GOtt. |
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Die Gerechtigkeit der
Menschen wird
wiederum in 2erley
Verstande, nemlich entweder
in weitern oder engern, genommen. |
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In weitläufftigem Verstande, ist sie eine
Ubereinstimmung unserer
Thaten mit denen
Gesetzen, wie man etwa dasjenige, was mit
denen Gesetzen übereinkömmt, recht, und das,
was denen Gesetzen zu wider ist,
unrecht
heisset. |
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Nimmt man aber das
Wort in engern
Verstande, so bedeutet
es eine angewöhnte
Neigung des Gemüths einem jeden sein
Recht,
das er Vermöge der Geselligkeit zu fordern hat,
wiederfahren zu lassen, damit der
göttlichen
natürlichen
Ordnung ein Genuge geschehen
möge. Diese göttliche natürliche Ordnung will, daß
die
Glückseeligkeit aller Menschen durch
allerseitige Hülffe und Beytrag aller Menschen soll
befördert werden, siehe
Geselligkeit. |
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Ist also die Gerechtigkeit ein Innbegriff aller
geselligen
Tugenden, deren
Grund auf der
Geselligkeit und einer
vernünfftigen Menschen-Liebe beruhet: so kan ein
Misanthrope niemahls
ein wahrhafftig Gerechter seyn, indem er die
Pflichten einer
wahren Geselligkeit aus den Augen
setzet, und nur sich selbst das seinige, nicht aber
andern das ihrige giebt. In solchem Verstande
also, da die Gerechtigkeit eine Beobachtung derer
Pflichten gegen den Nächsten ist, ist dieselbe der
Frömmigkeit entgegen gesetzet, als welche eine
Beobachtung der Pflichten gegen GOtt ist, da man
hingegen der Beobachtung derer Pflichten gegen
uns selbst nur den allgemeinen
Namen einer
Tugend zu geben pflegt. |
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In diesen engern Verstande hat auch
Aristoteles Ethic. ad Nicomach. … die
Gerechtigkeit genommen, wenn er
geschrieben:
Unter allen Tugenden scheine die |
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{Sp. 1081|S. 558} |
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Gerechtigkeit allein ein fremdes
Gut zu seyn,
weil sie sich nur auf andere beziehe, und nur
dasjenige thue, was andern, entweder dem
Fürsten, oder dem
gemeinen Wesen
nützlich
sey. |
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Dieses letztere scheinet uns nicht hinlänglich
gnug zu seyn, die Gerechtigkeit zu beschreiben,
indem sie nach unserm
Begriff, nicht allein die
Pflichten gegen die
Republique, in welcher wir
leben, und gegen den uns vorgesetzten Fürsten,
von uns fordert, sondern auch die Pflichten, die
wir einem jeden Neben-Menschen, Vermöge der
Geselligkeit zu erweisen
schuldig sind. |
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Aus diesem Grunde können wir auch nicht
billigen, daß er die Gerechtigkeit in distributiuam
und commutatiuam
eintheilet, und jene gleichfalls
nur auf diejenigen extendiret, die in einer
Stadt
sind, in dem er
meynet, sie gehe mit
Vertheilungen um, da man entweder
Ehre oder
Vermögen unter diejenigen vertheile, die aus einer
Republic sind. |
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Es beruhet aber Aristotelis
gantzer
Vortrag
von der Gerechtigkeit darauf, daß er weisen
will,
es sey das
Wesen derselben in der Mittel-Strasse
zu suchen, und
theilet er dieselbe in Vniuersalem
und Particularem ein, welches eben das ist, was
wir von dem engern und weitern Verstande dieses
Worts
gesaget haben. |
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Die particulaire Gerechtigkeit theilet er
wieder, wie schon erwehnet, in distributiuam und
commutatiuam. Jene
soll entweder
Ehre oder
Güter zum
Object haben, diese aber
Commutationes, die entweder uoluntariae oder
inuoluntariae sind. In der Justitia distributiua soll
man, nach seiner
Meynung, auf die Gleichheit
derer Personen, in der
commutatiua aber auf die
Gleichheit der
Sachen, oder eine
Arithmetische
Gleichheit sehen. Allein es haben schon andere
angemercket, daß er hier voraus sehe, was er erst
erweisen will, nemlich, daß
Recht und
Unrecht
eine Sache sey, deren Wesen in der Quantitaet
bestehe, und die also nur eigentlich darauf
ankomme, ob man die Mittelmase halte oder
überschreite. |
Müller
Ethic. … |
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