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Text |
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Armuth, wird in verschiedenen
Verstande genommen. |
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Überhaupt
nennet man denjenigen arm, welchem die
Kräffte
mangeln. Also
spricht man
von einem krancken
Menschen, er sey ein armer Mensch, und ein Sünder heißt ein armer
Sünder. |
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Positive kan dasselbige nicht beschrieben werden, sondern wir müssen es
negative,
oder per privationem ausdrücken. Solches
thut auch
Seneca Epist. 87. Paupertas [folgen acht
Zeilen lateinischer Text]. |
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Insbesondere aber wird derjenige arm genennet, welcher kein äusserliches
Vermögen
hat, es mag nun entweder in
Gelde, oder in
Sachen, die Geldes werth sind bestehen. |
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In diesem
Verstande nun ist die
Bedeutung der Armuth wieder zweyerley:
Sie ist |
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- entweder Comparativa, da einer in Betrachtung seines
Standes nicht dasjenige
Vermögen
besitzet, welches er zu Erhaltung und
Bequemlichkeit seiner
Umstände vonnöthen hat,
welcher doch in Ansehung anderer
Personen kan
reich genennet werden, also ist ein
Fürst,
der
jährlich nichts mehr als 40000. Thlr. Einkünffte hat, arm, da doch bey dem Besitze dieses
Vermögens, eine Privat-Person kan reich genennet werden:
- Oder sie ist auch Positiva, da
wir keine Vergleichung anstellen, sondern nur den Mangel des Vermögens an sich selber
betrachten.
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Hierbey können uns nun entweder diejenigen
Mittel fehlen, welche zu unserer
nothwendigen Unterhaltung gehören, oder es mangelt uns nur dasjenige
Vermögen,
wodurch wir die
Bequemlichkeit des Lebens,
und die der
Natur gemäße Ergötzlichkeiten zu
erlangen fähig sind.
Walch
in Lexico Philos. … will nur das erstere vor eine eigentliche
Armuth, in dem andern Falle aber niemand vor arm halten. Er
meinet dahero, die
Eintheilung
der
Lateiner in egestatem et paupertatem sey nur von wenigen
Nutzen, aber indem er
zugleich anführet, daß die armen ersterer
Art nach dem
natürlichen Rechte, für sich
eigentlich keine
Rechte in Ansehung ihres Armuths anzuführen hätten, so erhellet hier- |
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{Sp. 1556|S. 800} |
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aus augenscheinlich, daß dieser
Unterschied zur Beurtheilung vieler Fälle nothwendig
müsse angenommen werden. |
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Daß zugleich die
Lateiner diesen Unterschied beobachtet haben, siehet man aus
nachfolgenden Stellen. Wenn Seneca Ep. 17. die
Paupertatem denen divitiis entgegen
setzet, so siehet man wohl, daß er nicht denjenigen
Zustand meinet, worinnen der
Mensch
gar nichts hat, denn er spricht: Multis [folgen neun Zeilen lateinischer Text]. Er beschreibet
also das oppositum paupertatis den
Reichthum, nicht als ein mittelmäßiges, sondern als ein
überflüssiges
Vermögen, und sein pauper hat noch so viel, ut possit pascere paucos ventres
et desideriis instantibus satisfacere. |
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Noch deutlicher siehet man den Unterschied, wenn es in eben derselben Epistel heisset:
Non est, quod paupertas nos a philosophia revocet, ne egestas quidem; und in der
Epistola
87. heißt es bey der Beschreibung der Paupertatis, quod sit parvi possessio; nicht aber ein
gäntzliches
Unvermögen. Ferner in der Epistola 2.
non qui parum habet, sed qui plus cupit,
pauper est. |
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In welchen letztern
Orte, wenn Seneca einen andern
Begriff von der
Paupertate gehabt
hätte, es also lauten müste: non qui nihil habet. Selbst in
Deutschen bedienen wir uns eines
solchen Unterschiedes, indem wir um einen
vollkommenen armen
Menschen auszudrücken,
uns dieser
Worte
bedienen: er ist Blutarm, oder er ist in die äusserste Armuth gerathen. |
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Was Walch in dem oben angeführten Orte
gedencket, daß diejenigen, welchen das
Vermögen zu
denen
Bequemlichkeiten des Lebens mangelt, kein
Recht vor sich hätten, etwas von andern
zu fordern, muß also limitiret werden: daß einem solchen etwas zu erweisen, es zwar kein
officium necessitatis, wohl aber honestatis sey. Allen und jeden sind wir also nicht darzu
verpflichtet, wohl aber denenjenigen, welche mit uns in einer genauen
Verbindung stehen.
Die Bequemlichkeiten des Lebens gehören auch zu der
Glückseligkeit eines Menschen, und
ein jeder ist
verbunden des andern seine
Vollkommenheit zu befördern: Also ist es eine
Schuldigkeit, demjenigen, welchen wir vor andern verbunden sind, auch in diesem Falle zu
statten zu kommen. |
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Daß es
reiche und arme giebet, rühret von dem
Eigenthums-Rechte her, weil, wenn
dieses nicht wäre, und die
Menschen ihre Vollkommenheit behalten hätten, kein
Unterschied
seyn, sondern ein jeder gnung haben würde. Das Eigenthums-Recht aber entspringet aus
denen
Gesetzen der
Gesellschafft, welcher
Satz uns zu nachfolgender Anmerckung
Gelegenheit giebet. Wenn der Mensch in solche
Umstände geräth, daß dieselben nicht mehr
nach den Gesetzen der Gesellschafft können
beurtheilet werden, und er sich, wie es sonsten
heisset, in statu naturali |
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{Sp. 1557} |
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oder libertatis befindet, so höret auch das Eigenthums-Recht als eine Folge von dem
Rechte der Gesellschafft gäntzlich auf, welche Lehre wir unten werden zu
gebrauchen
wissen. |
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Die
Ursachen, wodurch einer in Armuth geräth, sind mancherley, und
würcken auch in
denen
Pflichten gegen die
Armen einen mercklichen
Unterscheid. Die
Menschen sind
entweder ohne ihre
Schuld arm, oder es ist ihnen dieselbe beyzumessen. Nicht nur diejenige
sind an ihren
Unglück unschuldig, welche von ihren
Eltern kein
Vermögen ererbet, durch
Krieg, Pestilentz und andere gemeine Plagen um das ihrige gekommen, oder durch
unrechtmäßige Rechts-Händel ihre
Güter verlohren haben, sondern auch diejenigen, welche
durch Kranckheit ausser den
Stand gesetzet werden, ihr Brod zu
verdienen, durch
Mangel
des
Verstandes
zu
nützlichen
Dingen
unfähig sind, oder durch eine
üble
Auferziehung,
untüchtig gemacht worden, durch nützliche
Dienste ihren Unterhalt zu finden. Ja sogar auch
dieselben, welche so wohl aus wahrhaffter
Liebe gegen ihre Freunde, bey solchen Fällen,
die sie nicht vermuthen können, oder aus Redlichkeit gegen das
gemeine Beste, und nach
der Pflicht ihres Amtes, ihr gäntzliches Vermögen zusetzen. |
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Diejenigen hingegen, welche durch ihre eigene Schuld in die Armuth gerathen, verfallen
entweder auf eine ordentliche Weise, oder auf eine ausserordentliche Art in ihr Elend. Der
ordentliche Weg ist Verschwendung, unachtsamkeit, und Faulheit. Ein jeder Hauffen, er mag
so groß seyn wie er
will, wird dennoch kleiner und
verliehret sich zuletzt
gantz und gar, wenn
von demselben mehr hinweg genommen, als hinzu
gethan wird. Wir
Menschen sind von der
Natur so beschaffen, daß einer nicht allein vor sich bestehen kan, sondern
nothwendig des
andern Kräffte mit
gebrauchen
muß. Wollen wir andrer Kräffte zu unsrer Unterhaltung haben,
so müssen wir die unsrigen gleichfalls ihnen
mittheilen. Dieses heist arbeiten, und sein Brod
verdienen. Schaffet man also mit seinen Händen nichts
gutes, so müssen wir zerrißne
Kleider tragen, und den Schläffrigen überfällt die Armuth als ein gewapneter
Mann. |
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Die Unachtsamkeit ist auch sonderlich als eine
Ursache der Armuth zu betrachten. Wir
wissen offtermals nicht, wie es zugehet, daß ein
Mensch welcher eben nicht die Hände in
den Schoß leget, auch nicht ausserordentlich verschwenderisch ist, dennoch zu keinen
Vermögen gelangen kan. Die gemeine Entschuldigung solcher Leute ist das Vorgeben, daß
sie kein
Glücke hätten, wenn wir aber ihre Umstände genauer betrachten, so werden wir
finden, daß die Unachtsamkeit auf diejenigen
Gelegenheiten, wodurch sie ihr Glücke
machen können, und üble
Haushaltung, in welchen sie nur auf das Grosse sehen, und sich
um die Kleinigkeiten nicht bekümmern, die
wahren Ursachen des ihnen so widerspenstigen
Glückes sind. |
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Die ausserordentliche Art, wodurch manche verarmen, sind die besondern Straffen
GOttes, welches sie sich durch ihre
Laster auf den Halß ziehen. Ein
unrecht erworbenes
Gut
gedeihet niemals, und ein durch Wucher erworbenes
Vermögen, kömmt selten auf den
dritten Erben. Wir
wissen aber nicht, ob sol- |
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{Sp. 1558|S. 801} |
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che
Straffen eben ausserordentlich können
genennet werden, und ob solche nicht viel
mehr ordentliche
Würckungen der verderbten
Ursache sind, welche die weise Vorsicht des
allerhöchsten Wesens in der
Natur, durch ihren ordentlichen Zusammenhang mit einander
verbunden hat. |
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Ob die Armuth ein Ubel oder etwas
Gutes sey, und ob man dahero dieselbe fliehen oder
suchen
müsse, daran sind die
Meinungen der
Welt-Weisen noch nicht einig.
Unterschiedene
unter denen alten Welt-Weisen verdammten allen
Reichthum, und die Cynische Secte
machte sich eine Ehre daraus, wenn sie sich selber in einen solchen
Zustand versetzten, in
welchen ihnen zwar der höchst-nöthige Unterhalt nicht fehlte, dabey sie aber doch die
Bequemlichkeiten des menschlichen Lebens
entbehren musten.
Antisthenes
saget: Ein
weiser Mann sey mit sich selber zufrieden, denn er besäße alles, was die andern hätten.
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Diogenes Laertius VI 11. |
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Wenn Diogenes
Geld brauchte, so
schämte er sich nicht, dasselbige zu betteln, und
nennte dieses von seinen Freunden etwas zurückfodern, nicht fodern. |
- Idem VI. 46.
- Aelianus ...
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Crates entäusserte sich seines
Vermögens, er mag nun dasselbe, wie Antisthenes de
Successionibus ... unter seine Mitbürger ausgetheilet haben, oder nach
Philostrati in Vita
Apollonii ... (siehe was Olearius ... hiebey angemercket und
Stanleus in Hist. Philos. ...)
Meinung, dasselbe in das Meer geworffen, oder wie
Plutarchus de vitando aere alieno ...
schreibet, sein Vermögen verlassen haben. |
Wer mehrere
Exempel von dergleichen lesen will, der sehe
- Huetium in Quaest. Alnetanis ...
-
Buddeum in Analect. Hist. Phil. ...
- Pritium in Dissert. de contemtu
divitiarum ...
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Unerachtet, daß die Cynici bey unsern Zeiten darin ebenso wenig Nachfolger finden
werden, als Diogenes in seiner Aufführung, wenn ihm einige unter dem Essen, als einem
Hunde Knochen zuwarffen, und er hingegen dieselbige auf gut hundisch mit seinem Wasser
besudelte: |
Diogenes Laert. VI. 46. |
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so wollen wir dennoch diese
Meinung in etwas
untersuchen. |
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Wir geben
gantz gerne zu, daß der
Reichthum ein Zunder zu vielen
Wollüsten sey, und
die Armuth uns von vielen
Lastern befreye, indem wir uns dererjenigen
Mittel beraubet
sehen, welche wir zur Ausübung jener
nöthig haben. Die Römischen Geschicht-Schreiber
rechnen gleichfalls das Abnehmen ihres
gemeinen Wesens von dem Uberflusse her.
Livius
in proem. läst sich also vernehmen: Quanto [folgen vier Zeilen lateinischer Text]. |
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Sallustius in bell. Cat. 12. beschreibet gantz lebhafft, was der Uberfluß vor
Schaden in
der Römischen Republick
gewürcket habe. |
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Lucanus I, 166.
spricht: [folgen zwei Zeilen lateinische Verse] |
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Seneca Epist. 87. [folgen vier Zeilen lateinischer Text] |
Mehrere Stellen siehe apud Cortium ad Sallust. Cat.
... |
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Seneca hält gleichfalls davor, daß der
Reich- |
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{Sp. 1559} |
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thum eine Verhinderung an der
Welt-Weisheit sey:
Multis, spricht er, Epist. 17. [folgen
fünf Zeilen lateinischer Text]. |
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Eben dergleichen
Gedancken heget auch
Plutarchus … und Sozomenus Hist. Eccl. …
hält die Verachtung des Reichthums vor die gröste Bemühung der alten
Philosophen. |
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Allein alle diese Gedancken gehen auf ein unmäßiges Reichthum, nicht aber auf ein
nützliches
Vermögen. Die Cynici giengen darinne so weit, daß sie die Gemächlichkeiten des
Lebens verbannen wolten. Ihr Hochmuth, welcher sie zu etwas ausserordentlichen trieb
bewegte sie sogar wieder die
Natur zu handeln, welche die
Bequemlichkeit des Lebens
gebiethet. Dieser war es, und keine
Tugend, welcher sie zu so vielen lächerlichen
Ausschweiffungen verleitete, welche
Sache wir unten unter dem
Titel
Cynici mit mehrern
betrachten
wollen. |
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Vielleicht dachten sie auch wie der Fuchs, daß die Birnen sauer wären. Die in der
Tugend noch ungegründete
Gemüther, können freylich durch die Eitelkeit des
Vermögens,
von vielen Guten zurück gehalten werden, ein gesetzter
Mensch aber weiß seine
Reichthümer nach ihren wahren
Nutzen anzuwenden.
Seneca
spricht Epist. 17. gar
bedächtig, aut pauper sis oportet, aut pauperi similis.
Sind wir tugendhafft, so als hätten wir keines. Wir geniessen desselben
Annehmlichkeit ohne daß uns dessen
Verlust
unglücklich mache. |
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Das ist auch noch lange keine
Tugend, wenn uns die
Gelegenheit zu sündigen
benommen ist. Abgelebte Greisse verlassen nicht die
Wollust, sondern sie werden
von derselben verlassen, und ein
Mensch,
der aus Blödigkeit seines
Verstandes
den
Unterschied des
männlichen
und
weiblichen
Geschlechts
noch nicht
erkannt hat, kan niemals wegen seiner
Keuschheit gepriesen werden. |
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Es ist
wahr, daß ein grosses
Vermögen, wie Seneca
meinet, viele von der
Welt-Weisheit
zurücke halte, gleichwohl sind nicht viele alle, und Senecae
eigenes Beyspiel erweiset das
Gegentheil. Wir wollen also nicht, mit
Walch in Lex. Phil. 123. behaupten, daß die Armuth
weder etwas
Böses, noch etwas
Gutes sey, indem doch jeder
erkennet, daß es besser sey,
sein
vollkommenes Auskommen zu haben, als arm zu seyn, und der
Mensch nach dem
Gesetze der Natur allemahl seine
Kräffte zu vermehren
verbunden ist. |
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Von dem Mißbrauche des
Reichthums dürffen wir nicht
reden, indem derselbe allemahl
ein Ubel ist, gleichwie der rechte
Gebrauch desselben etwas Gutes. Wieweit man aber in
dem Reichthum gehen könne, werden wir unter den
Titul
Reichthum betrachten. |
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Die Armuth ist in der That ein Ubel, und ein jeder
Mensch muß sich suchen derselben
zu entreissen. Es ist aber nicht das allergröste, und nicht
vermögend, uns in das äusserste
Unglück zu stürtzen. Wir
verstehen nehmlich dieses, wo wir die Gemächlichkeiten des
menschlichen
Lebens entbehren müssen, |
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{Sp. 1560|S. 802} |
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denn wenn uns alle Hülffs-Mittel entzogen sind, so sind wir freylich höchst elende und
die
Seele mag noch so tugendhafft seyn, als sie will, so ist ihr doch ein hungriger Magen,
und ein unbedeckter
Leib unerträglich. Es ist gut, wenn wir in der
Welt das besser seyn
erlangen können, können wir aber nicht dahin kommen so heist es nach dem Terentio |
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Cupias quodcunque necesse est. |
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Und wir müssen auf das andere Gut, als auf das
Seyn, dencken. |
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Die
Bequemlichkeiten dieses Lebens, sind aber keinesweges, mit denen
ausschweifenden
Wollüsten desselben zu verwechseln.
Vermögen ist noch kein Uberfluß;
jenes ist gut, dieser ist beschwehrlich und gefährlich, wie wir bey dem
Reichthum mit
mehrern sehen werden. Wir müssen auch niemand keinesweges, wegen seiner Armuth
verachten, denn wenn er gleich kein äusserliches Vermögen besitzet, so kann er dennoch
innerliche Kräffte haben, wodurch er uns, und dem
gemeinen Wesen höchst-nützlich seyn
kann, in welchem der Werth derer
Menschen eigentlich bestehe. |
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Was Walch l.c. zu dem
Beweisse, daß die Armuth weder etwas
gutes, noch etwas
böses sey,
verdienet nachfolgende Anmerckung. Daß in Ansehung
GOttes die Armuth weder
etwas gutes, noch etwas böses sey, weil erstlich der
Reichthum kein
unmittelbares
Gut
wäre, und daß zum andern in dem Stande der Unschuld, weil das
Eigenthums-Recht keine
statt gefunden hätte, keine Armuth gewesen wäre, kann also betrachtet werden. Ist der
Reichthum gleich kein
nothwendiges Gut, so ist er dennoch, wenn er seine gehörige Masse
behält ein Gut, und die Armuth ein Ubel, ob es gleich nicht das äusserste ist, und wir mögen
sie gebrauchen, wie wir
wollen, so behält sie dennoch die
Eigenschafft eines Ubels, nemlich
einer solchen
Sache, die der
Mensch, wenn er kann, vermeiden muß, obgleich das
Gemüthe
dabey ruhig bleibet. |
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Was den
Stand der Unschuld betrifft, so heist es kürtzlich:
Non entis nulla sunt
praedicata, welches wir also auslegen, daß ob wir zwar den Stand der Unschuld nicht
läugnen, dennoch derselbe, in Ansehung unseres jetzigen
Zustandes, ein
non ens ist, und
wenn wir auch den Stand der Unschuld zum Voraus setzen wollten, so würde nach seiner
eignen
Meinung die Armuth ein non ens seyn: Wäre es also unnöthig, derselben
Eigenschafft zu untersuchen. Seine übrigen
Gedancken können leichtlich, durch den
Unterschied des höchsten Ubels, und des mittelbaren Ubels mit unserer Meinung vereiniget
werden. |
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Wir wollen bey dieser Lehre noch einige
Regeln anhengen: Bist du arm, so entreisse
dich der Armuth, denn die
Natur befielet so wohl den Unterhalt als die
Bequemlichkeiten des Lebens
zu suchen. Stürtze dich nicht freywillig in Armuth, denn es ist eine grössere
Tugend
bey guten
Vermögen nicht sündigen, als sich ausser den
Stand
zu setzen, sündigen zu können. Bist du arm, so beruhige dich, denn es ist nicht
das gröste Ubel, und laß es dir ein
Antrieb seyn, durch deine Tugend der Armuth zu entfliehen. Verachte keinen
Armen, denn
die äusserlichen
Kräffte sind weniger, als die innerlichen, und ein solcher
Mensch kan mit
seinem
Verstande dir und dem
gemeinen Wesen mehr nützen, als ein
reicher Narr. |
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Wir werden nun- |
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{Sp. 1561} |
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mehro noch folgende
Frage zur erörtern haben: Ob ein
Armer in dem Nothfalle das
Recht habe, einen andern mit
Gewalt etwas zu entwenden.
Puffendorff handelt hiervon
in Jure
Naturae et Gentium ... Er giebet zu, daß dasselbige gar wohl angehen könne, denn er
saget,
daß das Eigenthums-Recht zur Aufhebung der Streitigkeiten, die sonst entstehen würden, in
der
menschlichen
Gesellschafft wäre eingeführet worden, und fähret also fort: [folgen sechs
Zeilen lateinischer Text]. Woraus er ferner
schlüsset: [folgen fünf Zeilen lateinischer Text],
und ob er gleich meinet, daß dieses nur ex imperfecta obligatione herkäme, und es dahero
per legem civilem dennoch könne bestättiget werden, so ist doch nur dieses von der
bürgerlichen Gesellschafft zu
verstehen, nicht aber, wenn wir uns in der natürlichen Freyheit
befinden, allwo der andre das eintzige
Mittel unserer Erhaltung ist. |
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Er setzet aber bey diesem Satze noch nachfolgende Einschränckung hinzu: |
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1.) |
Si quis praeter propriam culpam; |
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2.) |
in extrema inopia rerum ad victum necessariarum, aut quibus corpus
contra savitiam frigoris munitur versans. |
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3.) |
Postquam ab aliis locupletibus atque abundantibus, neque precibus,
neque pretio, neque oblata sua opera, illas, ut ultro sibi concederent, impetrare poterit. |
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4.) |
Praesertim ubi intentionem habeat earum aestimationem praestandi,
quando copiosior fortuna adriserit. |
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Wobey wird dieses anmercken wollen; |
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Quoad 1.) |
So ist dieser
Umstand eben nicht
nöthig, indem er schon die
Straffe
seines Verbrechens in der Armuth genungsam leidet. |
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Siehe
Walch in Lex. Phil. ... |
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und des andern Verbrechen, welches ihm selber angehet, macht
uns nicht zu einem
Richter über dasselbige. |
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Quoad 2.) |
So hat dasselbe seine Richtigkeit, indem die
Bequemlichkeiten des Lebens
nicht unentbehrlich sind, und der andere dadurch kein
Recht empfänget,
Gewalt zu
gebrauchen, keinesweges aber schlüsset dieses die Officia honestatis
aus, nach welchem wir in unsern
Gewissen
verbunden sind, einigen Leuten auch die
Annehmlichkeiten des
Lebens zu verschaffen. |
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Quoad 3.) |
So ist es eben, wenn wir uns in der natürlichen Freyheit befinden,
nicht nöthig, daß der andere
reicher sey, als wie wir, indem wir alsdenn unsre Unterhaltung
ohne
Unterscheid suchen. |
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Quoad 4.) |
Dieser Umstand kan gar wegbleiben, indem was der andere fordert,
ihm mit
Recht gehöret. |
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Siehe Walch l.c. |
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Und Puffendorff scheinet selber dieses
pro ratione suppletoria gehalten zu haben, indem
er es mit dem vorigen per praesertim
verknüpfet. |
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Grotius de Jure Belli et Pacis ... ist gleicher
Meinung, und seine
Grund-Ursache bestehet darinne, daß im Fall der äussersten Noth |
|
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{Sp. 1562|S. 803} |
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das Eigenthums-Recht aufhöre, und bey
solcher natürlichen Freyheit die Gemeinschafft der
Güter statt finde. |
Confer.
Ziegler in Observat.
ad Grotium, et
Kulpis Collegio Grotiano
.. |
|
Ferner behaupten diese Meinung |
- Thomasius Jurisprud.
Divin. ...
- Beyer. in delineat. Jur. Nat. 12.
-
Titius
in
Observat. ad Puffendorffium ...
|
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Thomasius erinnert l.c., daß hier etliche
diese
Sache aus denen
Definitionibus des
Diebstahls, in welchen sie aber nicht unter
einander einig, entscheiden wollten, und daß die
Scholastici es zwar vor einen Diebstahl hielten,
der aber keine
Straffe
verdiente, welches aber ein
sich wiedersprechender Satz wäre, indem sie ein
Laster nennten, das keine Straffe verdiente. |
Siehe ferner
- Trever ad Puffendorff ...
-
D.
Müller im Rechte
der Natur ...
|
|
Daß ein solcher Casus sich zutragen könne,
dasselbe behauptet
Puffendorff.
in J.N. et G. l.c.
Trever. l.c. n. 2. berichtet gleichfalls einen
Casum,
da Gottfried Siliger 1709. zu Stargard 25. Thlr. 13.
gl. aus dem GOttes-Kasten genommen, in
welchen er ein
Schreiben geleget, daß er
dasselbige
nothwendig zu Bestreitung einiger
Process-Unkosten
gebrauchet hätte, auch
dasselbe nach glücklichen Ausgange seiner
Sache zu ersetzen
willens
wäre. Er setzet aber
gantz
billig an diesem Falle nachfolgendes aus:
Erstlich wäre es nicht die höchste
Nothwendigkeit
gewesen. Zum andern, so wären
wahrscheinlich
nicht alle Wege gesuchet worden,
Geld zu
bekommen. Drittens, welches aber mit obigen
einerley ist, so hätte er durch die
Arbeit etwas
verdienen können, wobey wir aber einwenden
wollen, daß wenn es auf die Versäumniß eines
Termins angekommen, so hat er nicht
Zeit gehabt,
sich auf die Arbeit zu legen. Man siehet also
hierbey gar wohl, daß man bey denen besondern
Zufällen, die dabey sich ereignenden
Umstände
sehr wohl
erwegen
müsse, ehe man ein sichres
Urtheil fällen könne. |
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Wir wollen den gantzen
Satz noch kürtzlich
also erweisen. Die Erhaltung unsrer selbst ist das
höchste Gesetze der Natur. Das nächste
Mittel,
dieselbige zu erlangen, ist die
Gesellichkeit, und
diese ist wiederum der
Entzweck aller
dererjenigen
Schlüsse, die aus derselben folgen,
worunter das Eigenthums-Recht gehöret. Wenn
ich nun durch die Gesellichkeit mein
Leben nicht
mehr zu erhalten fähig bin, so höret die
Gesellichkeit auf, ein Mittel zu seyn, und dahero
fällt auch das Eigenthums-Recht hinweg, und
suche ich mir auf alle Art und Weise, wie ich nur
kann, zu helffen, und wer mir nichts geben
will,
den nehm ich es. |
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Wie man ferner denen
Armen helffen
solle,
wem eigentlich Allmosen zu geben wären, und
daß die Obrigkeit vor den Unterhalt derer Armen
sorgen könne und müsse, ist allbereit unter dem
Artickel
Allmosen.
Tom. I. p. 1271. abgehandelt
worden. |
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