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Zedler: Armuth HIS-Data
5028-2-1555-8
Titel: Armuth
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 2 Sp. 1555-1562
Jahr: 1732
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 2 S. 799-803
Vorheriger Artikel: Armusin
Folgender Artikel: Armuth, ist bey denen Römisch-Catholischen
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text  
  Armuth, wird in verschiedenen Verstande genommen.  
  Überhaupt nennet man denjenigen arm, welchem die Kräffte mangeln. Also spricht man von einem krancken Menschen, er sey ein armer Mensch, und ein Sünder heißt ein armer Sünder.  
  Positive kan dasselbige nicht beschrieben werden, sondern wir müssen es negative, oder per privationem ausdrücken. Solches thut auch Seneca Epist. 87. Paupertas [folgen acht Zeilen lateinischer Text].  
  Insbesondere aber wird derjenige arm genennet, welcher kein äusserliches Vermögen hat, es mag nun entweder in Gelde, oder in Sachen, die Geldes werth sind bestehen.  
  In diesem Verstande nun ist die Bedeutung der Armuth wieder zweyerley: Sie ist  
 
  • entweder Comparativa, da einer in Betrachtung seines Standes nicht dasjenige Vermögen besitzet, welches er zu Erhaltung und Bequemlichkeit seiner Umstände vonnöthen hat, welcher doch in Ansehung anderer Personen kan reich genennet werden, also ist ein Fürst, der jährlich nichts mehr als 40000. Thlr. Einkünffte hat, arm, da doch bey dem Besitze dieses Vermögens, eine Privat-Person kan reich genennet werden:
  • Oder sie ist auch Positiva, da wir keine Vergleichung anstellen, sondern nur den Mangel des Vermögens an sich selber betrachten.
 
  Hierbey können uns nun entweder diejenigen Mittel fehlen, welche zu unserer nothwendigen Unterhaltung gehören, oder es mangelt uns nur dasjenige Vermögen, wodurch wir die Bequemlichkeit des Lebens, und die der Natur gemäße Ergötzlichkeiten zu erlangen fähig sind. Walch in Lexico Philos. … will nur das erstere vor eine eigentliche Armuth, in dem andern Falle aber niemand vor arm halten. Er meinet dahero, die Eintheilung der Lateiner in egestatem et paupertatem sey nur von wenigen Nutzen, aber indem er zugleich anführet, daß die armen ersterer Art nach dem natürlichen Rechte, für sich eigentlich keine Rechte in Ansehung ihres Armuths anzuführen hätten, so erhellet hier-  
  {Sp. 1556|S. 800}  
  aus augenscheinlich, daß dieser Unterschied zur Beurtheilung vieler Fälle nothwendig müsse angenommen werden.  
  Daß zugleich die Lateiner diesen Unterschied beobachtet haben, siehet man aus nachfolgenden Stellen. Wenn Seneca Ep. 17. die Paupertatem denen divitiis entgegen setzet, so siehet man wohl, daß er nicht denjenigen Zustand meinet, worinnen der Mensch gar nichts hat, denn er spricht: Multis [folgen neun Zeilen lateinischer Text]. Er beschreibet also das oppositum paupertatis den Reichthum, nicht als ein mittelmäßiges, sondern als ein überflüssiges Vermögen, und sein pauper hat noch so viel, ut possit pascere paucos ventres et desideriis instantibus satisfacere.  
  Noch deutlicher siehet man den Unterschied, wenn es in eben derselben Epistel heisset: Non est, quod paupertas nos a philosophia revocet, ne egestas quidem; und in der Epistola 87. heißt es bey der Beschreibung der Paupertatis, quod sit parvi possessio; nicht aber ein gäntzliches Unvermögen. Ferner in der Epistola 2. non qui parum habet, sed qui plus cupit, pauper est.  
  In welchen letztern Orte, wenn Seneca einen andern Begriff von der Paupertate gehabt hätte, es also lauten müste: non qui nihil habet. Selbst in Deutschen bedienen wir uns eines solchen Unterschiedes, indem wir um einen vollkommenen armen Menschen auszudrücken, uns dieser Worte bedienen: er ist Blutarm, oder er ist in die äusserste Armuth gerathen.  
  Was Walch in dem oben angeführten Orte gedencket, daß diejenigen, welchen das Vermögen zu denen Bequemlichkeiten des Lebens mangelt, kein Recht vor sich hätten, etwas von andern zu fordern, muß also limitiret werden: daß einem solchen etwas zu erweisen, es zwar kein officium necessitatis, wohl aber honestatis sey. Allen und jeden sind wir also nicht darzu verpflichtet, wohl aber denenjenigen, welche mit uns in einer genauen Verbindung stehen. Die Bequemlichkeiten des Lebens gehören auch zu der Glückseligkeit eines Menschen, und ein jeder ist verbunden des andern seine Vollkommenheit zu befördern: Also ist es eine Schuldigkeit, demjenigen, welchen wir vor andern verbunden sind, auch in diesem Falle zu statten zu kommen.  
  Daß es reiche und arme giebet, rühret von dem Eigenthums-Rechte her, weil, wenn dieses nicht wäre, und die Menschen ihre Vollkommenheit behalten hätten, kein Unterschied seyn, sondern ein jeder gnung haben würde. Das Eigenthums-Recht aber entspringet aus denen Gesetzen der Gesellschafft, welcher Satz uns zu nachfolgender Anmerckung Gelegenheit giebet. Wenn der Mensch in solche Umstände geräth, daß dieselben nicht mehr nach den Gesetzen der Gesellschafft können beurtheilet werden, und er sich, wie es sonsten heisset, in statu naturali  
  {Sp. 1557}  
  oder libertatis befindet, so höret auch das Eigenthums-Recht als eine Folge von dem Rechte der Gesellschafft gäntzlich auf, welche Lehre wir unten werden zu gebrauchen wissen.  
  Die Ursachen, wodurch einer in Armuth geräth, sind mancherley, und würcken auch in denen Pflichten gegen die Armen einen mercklichen Unterscheid. Die Menschen sind entweder ohne ihre Schuld arm, oder es ist ihnen dieselbe beyzumessen. Nicht nur diejenige sind an ihren Unglück unschuldig, welche von ihren Eltern kein Vermögen ererbet, durch Krieg, Pestilentz und andere gemeine Plagen um das ihrige gekommen, oder durch unrechtmäßige Rechts-Händel ihre Güter verlohren haben, sondern auch diejenigen, welche durch Kranckheit ausser den Stand gesetzet werden, ihr Brod zu verdienen, durch Mangel des Verstandes zu nützlichen Dingen unfähig sind, oder durch eine üble Auferziehung, untüchtig gemacht worden, durch nützliche Dienste ihren Unterhalt zu finden. Ja sogar auch dieselben, welche so wohl aus wahrhaffter Liebe gegen ihre Freunde, bey solchen Fällen, die sie nicht vermuthen können, oder aus Redlichkeit gegen das gemeine Beste, und nach der Pflicht ihres Amtes, ihr gäntzliches Vermögen zusetzen.  
  Diejenigen hingegen, welche durch ihre eigene Schuld in die Armuth gerathen, verfallen entweder auf eine ordentliche Weise, oder auf eine ausserordentliche Art in ihr Elend. Der ordentliche Weg ist Verschwendung, unachtsamkeit, und Faulheit. Ein jeder Hauffen, er mag so groß seyn wie er will, wird dennoch kleiner und verliehret sich zuletzt gantz und gar, wenn von demselben mehr hinweg genommen, als hinzu gethan wird. Wir Menschen sind von der Natur so beschaffen, daß einer nicht allein vor sich bestehen kan, sondern nothwendig des andern Kräffte mit gebrauchen muß. Wollen wir andrer Kräffte zu unsrer Unterhaltung haben, so müssen wir die unsrigen gleichfalls ihnen mittheilen. Dieses heist arbeiten, und sein Brod verdienen. Schaffet man also mit seinen Händen nichts gutes, so müssen wir zerrißne Kleider tragen, und den Schläffrigen überfällt die Armuth als ein gewapneter Mann.  
  Die Unachtsamkeit ist auch sonderlich als eine Ursache der Armuth zu betrachten. Wir wissen offtermals nicht, wie es zugehet, daß ein Mensch welcher eben nicht die Hände in den Schoß leget, auch nicht ausserordentlich verschwenderisch ist, dennoch zu keinen Vermögen gelangen kan. Die gemeine Entschuldigung solcher Leute ist das Vorgeben, daß sie kein Glücke hätten, wenn wir aber ihre Umstände genauer betrachten, so werden wir finden, daß die Unachtsamkeit auf diejenigen Gelegenheiten, wodurch sie ihr Glücke machen können, und üble Haushaltung, in welchen sie nur auf das Grosse sehen, und sich um die Kleinigkeiten nicht bekümmern, die wahren Ursachen des ihnen so widerspenstigen Glückes sind.  
  Die ausserordentliche Art, wodurch manche verarmen, sind die besondern Straffen GOttes, welches sie sich durch ihre Laster auf den Halß ziehen. Ein unrecht erworbenes Gut gedeihet niemals, und ein durch Wucher erworbenes Vermögen, kömmt selten auf den dritten Erben. Wir wissen aber nicht, ob sol-  
  {Sp. 1558|S. 801}  
  che Straffen eben ausserordentlich können genennet werden, und ob solche nicht viel mehr ordentliche Würckungen der verderbten Ursache sind, welche die weise Vorsicht des allerhöchsten Wesens in der Natur, durch ihren ordentlichen Zusammenhang mit einander verbunden hat.  
  Ob die Armuth ein Ubel oder etwas Gutes sey, und ob man dahero dieselbe fliehen oder suchen müsse, daran sind die Meinungen der Welt-Weisen noch nicht einig. Unterschiedene unter denen alten Welt-Weisen verdammten allen Reichthum, und die Cynische Secte machte sich eine Ehre daraus, wenn sie sich selber in einen solchen Zustand versetzten, in welchen ihnen zwar der höchst-nöthige Unterhalt nicht fehlte, dabey sie aber doch die Bequemlichkeiten des menschlichen Lebens entbehren musten. Antisthenes saget: Ein weiser Mann sey mit sich selber zufrieden, denn er besäße alles, was die andern hätten. Diogenes Laertius VI 11.
  Wenn Diogenes Geld brauchte, so schämte er sich nicht, dasselbige zu betteln, und nennte dieses von seinen Freunden etwas zurückfodern, nicht fodern.
  • Idem VI. 46.
  • Aelianus ...
  Crates entäusserte sich seines Vermögens, er mag nun dasselbe, wie Antisthenes de Successionibus ... unter seine Mitbürger ausgetheilet haben, oder nach Philostrati in Vita Apollonii ... (siehe was Olearius ... hiebey angemercket und Stanleus in Hist. Philos. ...) Meinung, dasselbe in das Meer geworffen, oder wie Plutarchus de vitando aere alieno ... schreibet, sein Vermögen verlassen haben. Wer mehrere Exempel von dergleichen lesen will, der sehe
  • Huetium in Quaest. Alnetanis ...
  • Buddeum in Analect. Hist. Phil. ...
  • Pritium in Dissert. de contemtu divitiarum ...
  Unerachtet, daß die Cynici bey unsern Zeiten darin ebenso wenig Nachfolger finden werden, als Diogenes in seiner Aufführung, wenn ihm einige unter dem Essen, als einem Hunde Knochen zuwarffen, und er hingegen dieselbige auf gut hundisch mit seinem Wasser besudelte: Diogenes Laert. VI. 46.
  so wollen wir dennoch diese Meinung in etwas untersuchen.  
  Wir geben gantz gerne zu, daß der Reichthum ein Zunder zu vielen Wollüsten sey, und die Armuth uns von vielen Lastern befreye, indem wir uns dererjenigen Mittel beraubet sehen, welche wir zur Ausübung jener nöthig haben. Die Römischen Geschicht-Schreiber rechnen gleichfalls das Abnehmen ihres gemeinen Wesens von dem Uberflusse her. Livius in proem. läst sich also vernehmen: Quanto [folgen vier Zeilen lateinischer Text].  
  Sallustius in bell. Cat. 12. beschreibet gantz lebhafft, was der Uberfluß vor Schaden in der Römischen Republick gewürcket habe.  
  Lucanus I, 166. spricht: [folgen zwei Zeilen lateinische Verse]  
  Seneca Epist. 87. [folgen vier Zeilen lateinischer Text] Mehrere Stellen siehe apud Cortium ad Sallust. Cat. ...
  Seneca hält gleichfalls davor, daß der Reich-  
  {Sp. 1559}  
  thum eine Verhinderung an der Welt-Weisheit sey: Multis, spricht er, Epist. 17. [folgen fünf Zeilen lateinischer Text].  
  Eben dergleichen Gedancken heget auch Plutarchus … und Sozomenus Hist. Eccl. … hält die Verachtung des Reichthums vor die gröste Bemühung der alten Philosophen.  
  Allein alle diese Gedancken gehen auf ein unmäßiges Reichthum, nicht aber auf ein nützliches Vermögen. Die Cynici giengen darinne so weit, daß sie die Gemächlichkeiten des Lebens verbannen wolten. Ihr Hochmuth, welcher sie zu etwas ausserordentlichen trieb bewegte sie sogar wieder die Natur zu handeln, welche die Bequemlichkeit des Lebens gebiethet. Dieser war es, und keine Tugend, welcher sie zu so vielen lächerlichen Ausschweiffungen verleitete, welche Sache wir unten unter dem Titel Cynici mit mehrern betrachten wollen.  
  Vielleicht dachten sie auch wie der Fuchs, daß die Birnen sauer wären. Die in der Tugend noch ungegründete Gemüther, können freylich durch die Eitelkeit des Vermögens, von vielen Guten zurück gehalten werden, ein gesetzter Mensch aber weiß seine Reichthümer nach ihren wahren Nutzen anzuwenden. Seneca spricht Epist. 17. gar bedächtig, aut pauper sis oportet, aut pauperi similis. Sind wir tugendhafft, so als hätten wir keines. Wir geniessen desselben Annehmlichkeit ohne daß uns dessen Verlust unglücklich mache.  
  Das ist auch noch lange keine Tugend, wenn uns die Gelegenheit zu sündigen benommen ist. Abgelebte Greisse verlassen nicht die Wollust, sondern sie werden von derselben verlassen, und ein Mensch, der aus Blödigkeit seines Verstandes den Unterschied des männlichen und weiblichen Geschlechts noch nicht erkannt hat, kan niemals wegen seiner Keuschheit gepriesen werden.  
  Es ist wahr, daß ein grosses Vermögen, wie Seneca meinet, viele von der Welt-Weisheit zurücke halte, gleichwohl sind nicht viele alle, und Senecae eigenes Beyspiel erweiset das Gegentheil. Wir wollen also nicht, mit Walch in Lex. Phil. 123. behaupten, daß die Armuth weder etwas Böses, noch etwas Gutes sey, indem doch jeder erkennet, daß es besser sey, sein vollkommenes Auskommen zu haben, als arm zu seyn, und der Mensch nach dem Gesetze der Natur allemahl seine Kräffte zu vermehren verbunden ist.  
  Von dem Mißbrauche des Reichthums dürffen wir nicht reden, indem derselbe allemahl ein Ubel ist, gleichwie der rechte Gebrauch desselben etwas Gutes. Wieweit man aber in dem Reichthum gehen könne, werden wir unter den Titul Reichthum betrachten.  
  Die Armuth ist in der That ein Ubel, und ein jeder Mensch muß sich suchen derselben zu entreissen. Es ist aber nicht das allergröste, und nicht vermögend, uns in das äusserste Unglück zu stürtzen. Wir verstehen nehmlich dieses, wo wir die Gemächlichkeiten des menschlichen Lebens entbehren müssen,  
  {Sp. 1560|S. 802}  
  denn wenn uns alle Hülffs-Mittel entzogen sind, so sind wir freylich höchst elende und die Seele mag noch so tugendhafft seyn, als sie will, so ist ihr doch ein hungriger Magen, und ein unbedeckter Leib unerträglich. Es ist gut, wenn wir in der Welt das besser seyn erlangen können, können wir aber nicht dahin kommen so heist es nach dem Terentio  
  Cupias quodcunque necesse est.  
  Und wir müssen auf das andere Gut, als auf das Seyn, dencken.  
  Die Bequemlichkeiten dieses Lebens, sind aber keinesweges, mit denen ausschweifenden Wollüsten desselben zu verwechseln. Vermögen ist noch kein Uberfluß; jenes ist gut, dieser ist beschwehrlich und gefährlich, wie wir bey dem Reichthum mit mehrern sehen werden. Wir müssen auch niemand keinesweges, wegen seiner Armuth verachten, denn wenn er gleich kein äusserliches Vermögen besitzet, so kann er dennoch innerliche Kräffte haben, wodurch er uns, und dem gemeinen Wesen höchst-nützlich seyn kann, in welchem der Werth derer Menschen eigentlich bestehe.  
  Was Walch l.c. zu dem Beweisse, daß die Armuth weder etwas gutes, noch etwas böses sey, verdienet nachfolgende Anmerckung. Daß in Ansehung GOttes die Armuth weder etwas gutes, noch etwas böses sey, weil erstlich der Reichthum kein unmittelbares Gut wäre, und daß zum andern in dem Stande der Unschuld, weil das Eigenthums-Recht keine statt gefunden hätte, keine Armuth gewesen wäre, kann also betrachtet werden. Ist der Reichthum gleich kein nothwendiges Gut, so ist er dennoch, wenn er seine gehörige Masse behält ein Gut, und die Armuth ein Ubel, ob es gleich nicht das äusserste ist, und wir mögen sie gebrauchen, wie wir wollen, so behält sie dennoch die Eigenschafft eines Ubels, nemlich einer solchen Sache, die der Mensch, wenn er kann, vermeiden muß, obgleich das Gemüthe dabey ruhig bleibet.  
  Was den Stand der Unschuld betrifft, so heist es kürtzlich: Non entis nulla sunt praedicata, welches wir also auslegen, daß ob wir zwar den Stand der Unschuld nicht läugnen, dennoch derselbe, in Ansehung unseres jetzigen Zustandes, ein non ens ist, und wenn wir auch den Stand der Unschuld zum Voraus setzen wollten, so würde nach seiner eignen Meinung die Armuth ein non ens seyn: Wäre es also unnöthig, derselben Eigenschafft zu untersuchen. Seine übrigen Gedancken können leichtlich, durch den Unterschied des höchsten Ubels, und des mittelbaren Ubels mit unserer Meinung vereiniget werden.  
  Wir wollen bey dieser Lehre noch einige Regeln anhengen: Bist du arm, so entreisse dich der Armuth, denn die Natur befielet so wohl den Unterhalt als die Bequemlichkeiten des Lebens zu suchen. Stürtze dich nicht freywillig in Armuth, denn es ist eine grössere Tugend bey guten Vermögen nicht sündigen, als sich ausser den Stand zu setzen, sündigen zu können. Bist du arm, so beruhige dich, denn es ist nicht das gröste Ubel, und laß es dir ein Antrieb seyn, durch deine Tugend der Armuth zu entfliehen. Verachte keinen Armen, denn die äusserlichen Kräffte sind weniger, als die innerlichen, und ein solcher Mensch kan mit seinem Verstande dir und dem gemeinen Wesen mehr nützen, als ein reicher Narr.  
  Wir werden nun-  
  {Sp. 1561}  
  mehro noch folgende Frage zur erörtern haben: Ob ein Armer in dem Nothfalle das Recht habe, einen andern mit Gewalt etwas zu entwenden. Puffendorff handelt hiervon in Jure Naturae et Gentium ... Er giebet zu, daß dasselbige gar wohl angehen könne, denn er saget, daß das Eigenthums-Recht zur Aufhebung der Streitigkeiten, die sonst entstehen würden, in der menschlichen Gesellschafft wäre eingeführet worden, und fähret also fort: [folgen sechs Zeilen lateinischer Text]. Woraus er ferner schlüsset: [folgen fünf Zeilen lateinischer Text], und ob er gleich meinet, daß dieses nur ex imperfecta obligatione herkäme, und es dahero per legem civilem dennoch könne bestättiget werden, so ist doch nur dieses von der bürgerlichen Gesellschafft zu verstehen, nicht aber, wenn wir uns in der natürlichen Freyheit befinden, allwo der andre das eintzige Mittel unserer Erhaltung ist.  
  Er setzet aber bey diesem Satze noch nachfolgende Einschränckung hinzu:  
 
1.) Si quis praeter propriam culpam;
 
 
2.) in extrema inopia rerum ad victum necessariarum, aut quibus corpus contra savitiam frigoris munitur versans.
 
 
3.) Postquam ab aliis locupletibus atque abundantibus, neque precibus, neque pretio, neque oblata sua opera, illas, ut ultro sibi concederent, impetrare poterit.
 
 
4.) Praesertim ubi intentionem habeat earum aestimationem praestandi, quando copiosior fortuna adriserit.
 
  Wobey wird dieses anmercken wollen;  
 
Quoad 1.) So ist dieser Umstand eben nicht nöthig, indem er schon die Straffe seines Verbrechens in der Armuth genungsam leidet.
Siehe Walch in Lex. Phil. ...
 
und des andern Verbrechen, welches ihm selber angehet, macht uns nicht zu einem Richter über dasselbige.
 
 
Quoad 2.) So hat dasselbe seine Richtigkeit, indem die Bequemlichkeiten des Lebens nicht unentbehrlich sind, und der andere dadurch kein Recht empfänget, Gewalt zu gebrauchen, keinesweges aber schlüsset dieses die Officia honestatis aus, nach welchem wir in unsern Gewissen verbunden sind, einigen Leuten auch die Annehmlichkeiten des Lebens zu verschaffen.
 
 
Quoad 3.) So ist es eben, wenn wir uns in der natürlichen Freyheit befinden, nicht nöthig, daß der andere reicher sey, als wie wir, indem wir alsdenn unsre Unterhaltung ohne Unterscheid suchen.
 
 
Quoad 4.) Dieser Umstand kan gar wegbleiben, indem was der andere fordert, ihm mit Recht gehöret.
Siehe Walch l.c.
  Und Puffendorff scheinet selber dieses pro ratione suppletoria gehalten zu haben, indem er es mit dem vorigen per praesertim verknüpfet.  
  Grotius de Jure Belli et Pacis ... ist gleicher Meinung, und seine Grund-Ursache bestehet darinne, daß im Fall der äussersten Noth  
  {Sp. 1562|S. 803}  
  das Eigenthums-Recht aufhöre, und bey solcher natürlichen Freyheit die Gemeinschafft der Güter statt finde. Confer. Ziegler in Observat. ad Grotium, et Kulpis Collegio Grotiano ..
  Ferner behaupten diese Meinung
  • Thomasius Jurisprud. Divin. ...
  • Beyer. in delineat. Jur. Nat. 12.
  • Titius in Observat. ad Puffendorffium ...
  Thomasius erinnert l.c., daß hier etliche diese Sache aus denen Definitionibus des Diebstahls, in welchen sie aber nicht unter einander einig, entscheiden wollten, und daß die Scholastici es zwar vor einen Diebstahl hielten, der aber keine Straffe verdiente, welches aber ein sich wiedersprechender Satz wäre, indem sie ein Laster nennten, das keine Straffe verdiente. Siehe ferner
  • Trever ad Puffendorff ...
  • D. Müller im Rechte der Natur ...
  Daß ein solcher Casus sich zutragen könne, dasselbe behauptet Puffendorff. in J.N. et G. l.c. Trever. l.c. n. 2. berichtet gleichfalls einen Casum, da Gottfried Siliger 1709. zu Stargard 25. Thlr. 13. gl. aus dem GOttes-Kasten genommen, in welchen er ein Schreiben geleget, daß er dasselbige nothwendig zu Bestreitung einiger Process-Unkosten gebrauchet hätte, auch dasselbe nach glücklichen Ausgange seiner Sache zu ersetzen willens wäre. Er setzet aber gantz billig an diesem Falle nachfolgendes aus: Erstlich wäre es nicht die höchste Nothwendigkeit gewesen. Zum andern, so wären wahrscheinlich nicht alle Wege gesuchet worden, Geld zu bekommen. Drittens, welches aber mit obigen einerley ist, so hätte er durch die Arbeit etwas verdienen können, wobey wir aber einwenden wollen, daß wenn es auf die Versäumniß eines Termins angekommen, so hat er nicht Zeit gehabt, sich auf die Arbeit zu legen. Man siehet also hierbey gar wohl, daß man bey denen besondern Zufällen, die dabey sich ereignenden Umstände sehr wohl erwegen müsse, ehe man ein sichres Urtheil fällen könne.  
  Wir wollen den gantzen Satz noch kürtzlich also erweisen. Die Erhaltung unsrer selbst ist das höchste Gesetze der Natur. Das nächste Mittel, dieselbige zu erlangen, ist die Gesellichkeit, und diese ist wiederum der Entzweck aller dererjenigen Schlüsse, die aus derselben folgen, worunter das Eigenthums-Recht gehöret. Wenn ich nun durch die Gesellichkeit mein Leben nicht mehr zu erhalten fähig bin, so höret die Gesellichkeit auf, ein Mittel zu seyn, und dahero fällt auch das Eigenthums-Recht hinweg, und suche ich mir auf alle Art und Weise, wie ich nur kann, zu helffen, und wer mir nichts geben will, den nehm ich es.  
  Wie man ferner denen Armen helffen solle, wem eigentlich Allmosen zu geben wären, und daß die Obrigkeit vor den Unterhalt derer Armen sorgen könne und müsse, ist allbereit unter dem Artickel Allmosen. Tom. I. p. 1271. abgehandelt worden.  
     

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Stand: 28. August 2016 © Hans-Walter Pries