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Zedler: Sprache (Lateinische) HIS-Data
5028-39-429-1
Titel: Sprache (Lateinische)
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 39 Sp. 429
Jahr: 1744
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 39 S. 228
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  Text Quellenangaben
  Sprache (Lateinische) Lingua Latina, ist eine von den berühmtesten Sprachen, so jemahls in der Welt gewesen sind, die aber heut zu Tage unter die todten Sprachen gezählet wird, weil kein Volck mehr vorhanden ist, daß sich derselben als einer Landes-Sprache bedienet.  
  Von ihrem Ursprunge haben viele Gelehrten nicht ohne grosse Wahrscheinlichkeit behauptet, daß, gleich wie die uralte Deutsche oder Celtisch-Scythische Sprache eine fruchtbare Zeugenmutter vieler, ja aller Europäischen Sprachen sey, also auch die Lateinische ihr ihren Ursprung zu dancken habe. Dieses hat sonderlich der berühmte Helmstädtische Polyhistor, Herrmann Conring, erweißlich zu machen gesucht. Im Gegentheile aber haben andere Gelehrte dieser Meynung andere Gründe entgegen gesetzet, und ihr einen anderen Ursprung beygeleget.  
  Sie wurde ehedem in die Sprache der Lateiner und der Römer eingetheilet. Der Grund von dieser Eintheilung aber beruhet darauf, daß die Lateiner eher gewesen, als die Römer, welche ebenfalls in dem Lande der Lateiner wohneten, und mit ihnen so lange Krieg führten, bis sie waren gedemüthiget und endlich zu Bundesgenossen aufgenommen worden. Allen Vermuthen nach ist die Sprache der Römer von der Sprache der Lateiner wenig unterschieden gewesen. Und diese letztere ist den Römern nach der Zeit so eigenthümlich geworden, daß die Sprache darinnen sie vormahls geredet, zwar auch zuweilen die Römische, jedoch mehr und öffters Latina lingua heisset.  
  Heut zu Tage heißt Latinitas insgemein so viel, als die rechte reine Sprache der Lateiner, welche von dem, was man Latinum nennet, gewöhnlicher massen in so fern unterschieden ist, daß es in diesem nicht so genau genommen wird, wenn gleich ein Barbarisches Wort zuweilen mit unterläufft; dahingegen bey jener alles tauglich, ächt und rein seyn muß.  
  Gleichwie nun das vormahlige Land der Lateiner von den Römern unter ihre neuaufgerichtete Herrschafft gebracht und mit demselben auch ihre Sprache angenommen wurde; so hat auch diese mit der Herrschafft der Römer fast einerley Schicksal gehabt. Ehe die Römer auf den höchsten Gipffel der Macht und Hoheit stiegen, waren sie mehr auf die Befestigung und Ausbreitung ihrer Macht, als auf die Verbesserung und Zierlichkeit ihrer Sprache bedacht; und diese kriegerische Nation bekümmerte sich nicht nur wenig um die Gelehrsamkeit, sondern sie hegten vielmehr die gröste Feindschafft gegen dieselbe; so, daß sie alle Grammaticos, Rhetoricos und Weltweisen aus Rom und gantz Italien verbannten.  
  Die Lateinische Sprache befand sich also zu dieser Zeit in einem solchen Zustand, daß sie von einigen, so uns die Lateinische Sprache nach ihrem Ursprunge, Wachsthum, Flor und Abnahme beschrieben, der unbehülflichen Kindheit des Menschen verglichen wird. Die Veranlassung hierzu mag  
  {Sp. 430}  
  der wegen seiner netten Kürtze beliebte L. An. Florus gegeben haben, als welcher der Römer Herrschafft mit dem vielfachen Alter des Menschen verglichen.  
  Und daher haben die Gelehrten vermuthlich Gelegenheit genommen, die Römische oder Lateinische Sprache in eben so vielerley Alter abzutheilen, und nach diesem Unterschiede von der Beschaffenheit derselben ihr critisches Urtheil zufällen. Nehmlich der Mensch steigt von seiner schwachen Kindheit an nach und nach durch die frischen Jugend Jahre bis in das muntere und männliche Alter hinauf; da er denn entweder eine kurtze Zeit in fast gleichen Kräfften verbleibet, oder gar bald in dem unvermögenden Alter dieselben wieder verlieret, und endlich in seine vormahlige Kindheit verfällt. In fast gleicher Bewandnis treffen wir auch die Lateinische Sprache an, welche mit dem abwechselnden Alter der Römischen Republick bey nahe auch einerley Zufälle und Schicksale gehabt.  
  Es ist aber auch noch eine andere Eintheilung des Schicksals der Lateinischen Sprache übrig, welche sich auf die poetischen Alter der Welt gründet. Sie wird nehmlich in das güldene, silberne, küpfferne und eiserne Alter eingetheilet.  
  Das güldene Alter (aetas aurea) macht denjenigen Zeitbegriff aus, da die Lateinische Sprache, nach dem Urtheile derer, welche man vor die besten Kenner in derselben gehalten, in der größten Reinigkeit, Nettigkeit und Zierlichkeit in und ausserhalb Rom geredet und geschrieben worden: Der Anfang desselben wird von denen meisten Criticverständigen in die Zeit des zweiten Punischen Krieges gesetzet; als man von Erbauung der Stadt Rom bereits 536 Jahr und bis zur Geburt Christi 217 Jahr gezählet hatte.  
  In solchem Flore hat sie nebst der Römischen Republick bis an das Jahr der Stadt Rom 767, nach Christi Geburt 14 und also ohngefehr 232 Jahr gestanden. Hierauf hat sie mit dem Absterben des Kaysers Augustus so wohl als die Römische Herrschafft selbst in ihrem Flore eine gar merckliche Veränderung und Verschlimmerung gelitten.  
  Die Jahrhunderte so vor und von der Erbauung der Stadt Rom an bis gegen dieses güldene Alter verstrichen, machen bey einigen aetatem semibarbaram, oder Mediam inter barbaram atque auream, ja wohl gar barabaram incultam aus. Bey denen aber, welche das menschliche Alter zum Grunde ihrer Sprach-Eintheilung legen, die Kindheit oder auch bey einigen die Jugend der Lateinischen Sprache aus; welche denn auch dieselben gewöhnlichen Eigenschafften, nehmlich grosse Unvollkommenheit, schlechte Kunst und noch viel Fehler an sich gehabt.  
  Die Schrifftsteller, von welchen die Lateinische Sprache gleichsam nur stammeln, nachhero aber solches unförmliches Stammeln ablegen, und nach und nach verständlich und annehmlicher reden gelernet, heissen bey dem Scioppius Veteres. Herher gehören unter andern:  
 
  • Evander,
  • die Salii,
  • Pontifices maximi,
  • Auctores legum XII Tabularum,
  • die Columna Rostrata,
  • Tabula L. Scipioni filio Barbari posita,
  • Livius Andronicus,
  • M. Cornel. Cethegus,
  • Qu. Fab. Pictor,
  • Cn. Naevius,
  • C. Lic. Imbrex,
  • M. Attius,
  • Statius Caecilius,
  • Qu. Ennius,
  • M. Pacuvius,
  • P. Terentius Afer,
  • C. Luci-
 
  {Sp. 431|S. 229}  
 
  lius,
  • M. Portius Cato Uticensis,
  • Lucius Afranius
  • und noch sehr viele andere mehr.
 
  Aus diesen angeführten Schrifftstellern des kindischen Alters der Lateinischen Sprache erhellet, daß solche meistentheils Comödien oder Tragödien-Schreiber und Poeten gewesen sind, welche sehr viel zur Verbesserung der Sprache nach und nach beygetragen haben, bis sie nach dem Zeugnisse des Cicero vierhundert Jahr nach Erbauung der Stadt Rom durch den Virgilius und Horatius auf den höchsten Gipfel ihrer Vollkommenheit gebracht worden ist.  
  In dessen aber da sich die angeführten Schrifftsteller mit allem Fleisse auf die Poesie legten, und ihre Gedancken und Einfälle auf eine angenehme, lebhafte, den Römern beliebte, und das Gemüthe der Leser und Zuhörer rührende Art auszudrücken und vorzutragen suchten; so hatten sie allerdings nöthig zur Beobachtung ihres Sylbenmaasses die Lateinische Sprache darinnen sie schrieben, je mehr und mehr zu verbessern, viel überflüßiges weg zulassen, dass unförmliche zu ändern, die hart und rauhe klingenden Wörter in gelindere zu verwandeln, neue zu erfinden, die Zusammenfügung der Wörter geschickter und regelmäßiger zu machen, allerhand viel bürgerliche Redensarten auszudencken, und mithin dem Ausdrucke ihrer Gedancken und Einfällen eine angenehme und weder den Zungen noch Ohren ihrer Leser und Zuhörer einigen Anstoß und Unannehmlichkeit erweckenden Zusammenhang und Klang zu geben.  
  Dieses ihre Bemühen brachte der Lateinischen Sprache eine gantz andere Beschaffenheit und Verfassung zu wege. Sie wurde je länger je mehr netter, zierlicher und reicher an Wörtern und Redensarten. Die gantz uralten Wörter und Mundarten, welche die Ohren beleidigten, wurden abgeschaffet, und dargegen gelindere und zur Natur der Sachen geschicktere ausgefunden und eingeführet. Und je näher sie demjenigen Zeit-Begriffe kam, da die Römische Herrschafft unter dem Kayser Augustus den höchsten Gipfel ihrer Macht und Herrlichkeit erreichet, je näher kam sie auch der Reinigkeit und Zierlichkeit, darinnen sie nachmahls, ob gleich nicht gar zu lange, geblühet hat.  
  Sie wurde alsdenn von denen darauf folgenden grossen Meistern der Römischen Wohlredenheit zu derjenigen Vollkommenheit gebracht, die wir in denen von ihnen verfertigten Schrifften antreffen und bewundern müssen. Die von dem Plautus und Terentius verfertigten Comödien wurden schon wegen ihrer Reinigkeit und Zierlichkeit fast durchgehends mit grossen Beyfall und Genehmhaltung aufgenommen und gespielet.  
  Unter denen, welche in den güldenen Alter der Lateinischen Sprache sich berühmt gemacht haben, sind folgende die bekanntesten:  
 
  • M. Terentius Varro,
  • M.T. Cicero,
  • S. Aur. Propertius,
  • C. Sallustius Crispus,
  • C. Lic. Mäcenas,
  • A. Albius Tibullus,
  • P. Virgilius Maro,
  • Q. Horatius Flaccus,
  • Dionysius Halicarnassensis,
  • Tit. Livius.
 
  Das meiste zu diesem Flore der Lateinischen Sprache trugen die guten Anstalten der Römer bey, welchen sich nunmehro die Gelehrsamkeit und guten Künste beliebt gemacht hatten. Sie satzten der Jugend frühzeitig Lehrer; es muste alles in Lateinischer  
  {Sp. 432}  
  Sprache gelehret und geschrieben werden, statt eines fremden Wortes muste eine Sache eher mit etlichen Lateinischen umschrieben werden, das Griechische Reden wurde verbothen und abgeschafft, man stellte gelehrte Unterredungen an, man übersetzte fleißig aus dem Griechischen in das Lateinische, es wurde öfters um eines eintzigen Wortes willen eine gantze gelehrte Unterredung angestellet, man hielte Sprachverständige und gelehrte Bedienten, die Wissenschafften, Sprachen und die Wohlredenheit wurden einer ausserordentlichen grossen Hochachtung würdig geschätzet, Mäcenas beförderte durch seinen dem Augustus mitgetheilten Rath die Gelehrsamkeit und Sprach-Verbesserung, Cäsar und Augustus bezeigten sich überaus gnädig gegen die Gelehrten, es wurden eine grosse Menge Schulen zu Rom aufgerichtet, Augustus ließ sich die von den Gelehrten, Rednern und Poeten verfertigten Schrifften vorlesen, welche er geschicklich zu beurtheilen wußte, ja er laß so gar seine eigene Schrifften andern Gelehrten vor; dieses Vorlesen munterte die Römer ungemein zur Verbesserung der Sprache auf; es wurden so wohl öffentliche als privat Hör-Säle angeleget, und die Römer wurden schrifftlich und mündlich zu den Vorlesungen eingeladen; die Regenten selbst beobachteten in ihren öffentlichen Reden die Regeln der Sprache, man belohnte den darauf gewendeten Fleiß mit Ehren-Säulen, und die geschicktesten Redner und Poeten wurden mit Cronen und Cräntzen beehret; auch so gar der Krieg konnte sie von ihrem Fleisse nicht abhalten; sie reiseten in fremde Länder, und zu Rom legte man die vortrefflichsten Bibliothecken an; sie schrieben den bezwungenen Völckern die Regiments-Form und Gesetze in Lateinischer Sprache vor, und beförderten keinen zu einem ansehnlichen Ehren-Amte, der der Lateinischen Sprache nicht kundig war; und endlich legten sie auch so gar in den eroberten Provintzen Lateinische Schulen an.  
  Allein mit dem Tode des Kaysers Augustus verlohr so wohl der Römer Herrschafft als Sprache einen guten Theil ihres bisherigen Glantzes. Hierauf folgte in dieser Sprache eine solche Veränderung, daß man die folgenden Schrifftsteller unter das silberne Alter (aetas argentea) rechnet. Dieses Sprachalter nahm mit dem Tode des Kaysers Augustus, oder mit dem Jahr Christi 14 seinen Anfang, und mit des Nero, oder wie andere wollen mit des Kaysers Trajanus Absterben, oder mit dem Jahr Christi 117 abermahl wieder sein Ende. Binnen dieser Zeit sind noch gar viel nöthige, schöne, zierliche und der Sachen Eigenschafften wohl ausdruckende Wörter erfunden, und mit allgemeinen Beyfall des Römischen Volckes eingeführet worden.  
  Die bekanntesten Schrifftsteller dieses silbernen Alters sind:  
 
  • P. Ovidius Naso,
  • M. Manilius,
  • Aur. Corn. Celsus,
  • P. Vellejus Paterculus,
  • Valerius Maximus,
  • T. Phädrus,
  • Q. Curtius Rufus,
  • A. Persius Flaccus,
  • M. Annäus Seneca,
  • L. Annäus Seneca,
  • M. Annäus Lucanus,
  • Seneca Tragicus,
  • T. Petronius Arbiter,
  • Quintilianus
  • u.a.m.
 
  Hierauf verfiel die Lateinische Sprache noch weiter, wozu die Veränderung der Sitten nicht wenig beytrug. Männer,  
  {Sp. 433|S. 230}  
  welche von den tugendhafftesten und tapffersten Familien abstammeten, ergaben sich dem Müßiggange, der Wollust und anderen Lastern. Hierbey fielen sie in Armuth, daß sie die nöthigen Kosten auf die Wissenschafften nicht wenden konnten. Die vielen und vielerley sich in Rom aufhaltenden Fremdlinge verursachten eine Sprachvermischung, und man nahm von denselben viele neue, ungewöhnliche und barbarische Wörter und Redens-Arten an.  
  Hieraus entstund das küpfferne Alter (aetas aenea) der Lateinischen Sprache, in welchem folgende Scribenten die vornehmsten sind:  
 
  • M. Fab. Quintilianus,
  • C. Plinius Secundus,
  • C. Silius Italicus,
  • C. Val. Flaccus,
  • D. Jun. Juvenalis,
  • P. Papin. Statius,
  • M. Val. Martialis,
  • Polycarpus Ignatius,
  • C. Corn. Tacitus,
  • C. Plinius Cäcilius Secundus,
  • L. Anniäus Florus,
  • C. Suetonius Tranquillus,
  • Dio Chrysostomus,
  • u.a.m.
 
  Hierauf folgte das eiserne Alter (aetas ferrea) welches mit Kayser Adrianus Absterben seinen Anfang, und mit der Regierung des Theodosius des Jüngern sein Ende nimmt, und die mehresten Kirchen-Väter unter sich begreiffet. In diesem Alter der Lateinischen Sprache sind unter einer sehr grossen Menge folgende bekannt:  
 
  • Aulus Gellius,
  • Justinus Martyr,
  • M. Junian, Justinus,
  • Athenäus,
  • L. Apulejus,
  • Irenäus,
  • Diogenes Laertius,
  • Tertullianus,
  • Minucius Felix,
  • Domitius Ulpianus,
  • Origenes,
  • Censorinus,
  • Coprianus,
  • Lactantius,
  • Eusebius,
  • Eustathius,
  • Cyrillus Hieros.
  • Flavius Eutropius,
  • Ambrosius u.a.m.
 
  Unterdessen hat man dieses von diesen Schrifftstellern zu mercken, daß sich in ihren Schrifften öffters mehr Reinigkeit und Zierlichkeit der Lateinischen Sprache blicken lässet, als man sich von ihnen nach der damahligen Zeit und Verfassung des Römischen gemeinen Wesens vermuthen und versprechen kan.  
  Endlich gerieth die Lateinische Sprache im 4 und 5 Jahrhunderte gäntzlich in Verfall, da Italien so öffters von fremden und barbarischen Völckern überschwemmet wurde. Hierauf entstand in Franckreich die Lingua Romana Rustica, welche zwar den Nahmen aber nicht die Eigenschafften der Lateinischen Sprache hatte. Ja an deren statt führten die Francken in das von Ihnen bezwungenen Franckreich ihre Teutonische Sprache ein, wodurch die Lateinische Sprache vollends gleichsam erstarb, und in den nachfolgenden Jahrhunderten aus ihrer Asche die heutige Frantzösische Sprache hervor brachte; wie denn die aus den damals ungelehrten Mönchen am Hof und in der Regierung gebrauchten Secretarien nicht wenig zur Verderbung der Sprache beygetragen worden ist.  
  In den Italiänischen Provintzen verursachten die Longobarden und andere Völcker fast den gäntzlichen Untergang der Lateinischen Sprache; und die Schrifftsteller in dem 7 Jahrhunderte sind mehr der Geschichte als der Sprache wegen lesenswürdig.  
  Um diese Zeit bediente sich der Römische Pabst Vitallianus der List, und befahl in der gantzen Römischen Kirche bey dem öffentlichen Gottesdienste und allen geistlichen Verrichtungen die Lateinische Sprache zu gebrauchen. Hierbey wurde dann die Trefflichkeit und Würdigkeit derselben über alle andere Sprachen erhoben,  
  {Sp. 434}  
  und ohne Scheu fürgegeben, es stäcke was recht Göttliches und Majestätisches in derselben. In eben dieser Sprache hätte auch ehemahls Christus selbst auf Erden nebst seinen Jüngern geredet, und in eben derselben habe es GOtt gefallen, uns seinen heiligen Willen in der Heil. Schrifft zu offenbaren; ja eben in derselben würden auch dermahleinst die Auserwehlten im Himmel mit einander reden.  
  Allein ob gleich hierdurch so viel ausgerichtet wurde, daß man sich der Lateinischen Sprache überall in Kirchen- und Gerichts-Sachen bedienen mußte; so wurde doch dadurch die Lateinische Sprache nicht wieder in ihrem ersten Glantze hergestellet, sondern von den unwissenden Mönchen noch mehr verderbet, bis endlich zum Anfange des neunten Jahrhunderts die guten Künste durch Carolum den Großen in den Abendländern einiger massen wieder hergestellet worden, wodurch denn auch die Lateinische Sprache von neuen wiederum einiges Licht und ziemliche Verbesserung bekam.  
  Dieser wegen seiner herrlichen Eigenschafften und Thaten grosse Käyser richtete zu dem Ende verschiedene hohe und andere Schulen, als zu Fulda, Oßnabrück, Halberstadt, Bremen, Paris, Münster u.a.m. auf. Und gleich wie er selbst die Lateinische und Griechische Sprache sehr wohl verstunde; so musten auch dieselben auf den angelegten Schulen und in den Klöstern gelehret werden. Hierbey aber hat man zu beobachten, daß die Schreib-Art zu den damahligen Zeiten vornehmlich zweyerley gewesen sey; Einmahl wie sie vor Gerichte in Rechtshändeln, in Contracten, in Testamenten, in Briefen, in Handel und Wandel geredet und geschrieben worden; hernach deren sich die Redner und Geschichtschreiber in Verfertigung eines historischen Werckes oder einer besondern Rede, oder einer denckwürdigen Überschrift oder einer Zuschrifft von ernstlichen und auserlesenen Innhalt bedienet.  
  Im erstern Fall ist in diesem Jahrhunderten freylich mehrentheils Romana rustica geredet und geschrieben worden. In dem andern Falle aber wurden nicht nur die grammaticalischen Regeln, sondern auch die Reinigkeit und Zierlichkeit der Sprache, so wie sie in den besten Lateinischen Schrifft-Stellern der güldnen Zeit befindlich ist, von einigen Schrifft-Verfassern, theils mit gröster, theils mit ziemlicher Sorgfalt noch beybehalten und in Acht genommen.  
  In so grosses Licht aber die gelehrten Sprachen unter Kayser Carls Regierung hin und wieder gesetzt wurden, von so kurtzer Dauer ist dasselbe gewesen; indem alles unter seinem Sohne in die vorige Dunckelheit verfiel, daß auch so gar wenig Bischöffe kaum Lateinisch lesen und schreiben konnten. Und in den vier folgenden Jahrhunderten schien es, als ob diese Sprache gäntzlich untergehen würde. Und ob sie gleich unter den beyden Kaysern Otto den I und II. ihr Haupt wieder empor zu heben anfieng; so verfiel sie doch nach ihren Absterben wieder in ihre Nacht zurück, in welcher sie hernachmahls von den Scholastickern erhalten, und noch mehr verdunckelt wurde.  
  Wer sich einen Begriff von der damahligen Lateinischen Schreib-Art machen will, der darff nur die bekannten Epistolas obscurorum virorum nachlesen, so wird er seine Neubegierde  
  {Sp. 435|S. 231}  
  vollkommen befriedigen.  
  Kaum daß man in diesen finstern Zeiten noch einige wenige finden konnte, welche sich der Reinigkeit und Zierlichkeit dieser Sprache befleißigten, bis endlich im 14 Jahrhunderte vornehmlich die Gelehrten in Italien sich grosse Mühe gaben, die Lateinische Sprache in ihren alten Glantz zu setzen. Worauf sich nach und nach auch in den übrigen Europäischen Ländern Männer gefunden, welche ebenfalls diese Bemühung über sich genommen haben.  
  Die Zeit nach dieser angefangenen Sprach-Verbesserung wird von dem Alstedius in drey Alter abgetheilet; worvon das erste Alter diejenigen Schrifftsteller unter sich begreiffet, welche durch ihre gelehrten Bemühungen und Schrifften der Lateinischen Sprache mitten unter der Scholastischen Barbarey wieder aufgeholffen haben. Und gleich wie die Buchdrucker-Kunst der gantzen Gelehrsamkeit wohl zustatten gekommen ist, so hat ihre Erfindung auch einen besondern Einfluß in die Verbesserung der Lateinischen Sprache gehabt.  
  Doch gegen die Mitte des 15 Jahrhunderts, nachdem die Lateinische Sprache einige Zeit her nur noch einer Morgen-Röthe oder Demmerung, welche noch mit vieler Dunckelheit und Nacht untermengt zu seyn pfleget, ähnlich gewesen, brach dieselbe nunmehro ie länger ie heller und lichter hervor. Und die Gelehrten haben das mittlere Alter der verbesserten Lateinischen Sprache in das Ende des 15 Jahrhunderts, welches Alter sich bis auf das 17 Jahrhundert erstrecket, gesetzt.  
  Allein in eben diesem Zeitbegriffe geriethen einige Gelehrten selbst, welche doch die Verbesserung der Lateinischen Sprache zu befördern suchten, nach und nach auf gantz unterschiedene Meynungen, daß sie der Lateinischen Sprache durch ihre Bemühungen bald mehr geschadet als genutzet hätten; wiewohl sie bey dieser Gelegenheit desto eigentlicher untersuchet, und am Ende dennoch um desto sorgfältiger getrieben wurde.  
  Unter denenjenigen, welche der Verbesserung der Lateinischen Sprache bald einen neuen Anstoß in den Weg geleget hätten, waren zuförderst die Apulejaner, welche sich dadurch scharffsinnig und bewundernswürdig zu erweisen vermeynten, wenn sie sich einer solchen Schreib-Art befliessen, welche gründlich zu verstehn und einzusehn, ihre Leser und Zuhörer einen Ausleger zur Hand nehmen, und sich darüber erstlich informiren lassen musten. In solcher Absicht bedienten sie sich der urältesten Wörter und Redens-Arten, die sie nur aufschreiben konnten; was vorlängst als dunckel und ungeschickt war verworffen worden, das suchten sie mit Fleiß wieder hervor, und gaben ihm gantz neue und weit hergesuchte Bedeutungen.  
  Diese falsche Einbildung von der Schönheit einer solchen alten, dunckeln und Rätzel-mäßigen Schreib-Art hatte sehr viele, welche sich der gesunden Vernunfft in Beurtheilung der Sachen nicht bedienen konnten, eingenommen; und sie fand nicht nur in diesen, sondern auch in den folgenden Jahrhunderten sehr viele Liebhaber, die sich mit ihrer Schreib-Art einen besondern Vorzug zu erwerben suchten.  
  Dargegen eiferte schon Erasmus zu seiner Zeit, und die Gelehrten in Italien setzten sich den Cicero zu dem eintzigen und beständigen Muster ihrer Schreib-Art vor, welchen  
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  sie in der Deutlichkeit zu erreichen trachteten. Daher wurden sie die Ciceronianer genennet. Sie verwurffen alles, was nicht mit den Worten und Ausdrucke des Cicero geschrieben wurde als barbarisch, unerachtet sie nach des Erasmus Urtheil nichts weniger als den Cicero erreichten. Hierwider setzte sich sonderlich Scaliger, Doletus und der annoch junge Erasmus, welche diesen Ciceronianern ihre Fehler zeigten, und bewiesen, daß sie sehr schlechte Nachahmer des Cicero wären.  
  Inzwischen wurde bey solcher Gelegenheit von beyden Seiten verschiedenes zur Verbesserung der Lateinischen Sprache geschrieben und heraus gegeben.  
  Unterdessen rückte das Reformations-Werck heran, welches so wohl der gantzen Gelehrsamkeit als auch der Lateinischen Sprache in ihrem Wachsthume grossen Vorschub that. Besonders trug Melanchthon nebst andern ausländischen Gelehrten so viel zur Verbesserung der Lateinischen Sprache bey, daß es schien, als ob sie wieder in ihr güldenes Alter versetzt wäre.  
  Welches Licht aber in den 16 Jahrhunderte bey nahe wieder wäre verdunckelt worden. Es kamen gantze Schaaren von unzeitigen Wortrichtern, welche sich über die Auctores Classicos hermachten, und durch ihre närrischen Auslegungen und eingebildete Rechtschreibung an ihnen zu Rittern werden wolten. Des Cicero Schreib-Art wolte abermahls diesen neuen Kunstrichtern, den Ramisten, nicht anstehen, er war ihnen nicht subtil und hoch genung. Deswegen fieng man an aus der nächst verwiesenen Barbarey allerhand vermeyntlich scharffsinnige Wörter und Redens-Arten wieder einzuführen, und damit die Schreib-Art von neuen zu verschlimmern. Und diese Barbarey würde noch weiter eingerissen seyn, wenn sich nicht besonders Johann Sturm und Joh. Caselius nachdrücklich darwieder gesetzet hätten.  
  Darauf kamen die Adagiasten, welche ihre Schrifften und große Reden mit lauter Sprüchwörtern, Sententzen, und Adagiis auszierten, daß sie gantz unverständlich wurden. Schrieben sie einen Brief von 20 Zeilen, so waren gewiß eben so viel und noch mehr Sprüchwörter u.d.g. darinnen. Und die Gelehrten hatten sehr viele Mühe, dieser eingerissenen Gewohnheit gäntzlich abzuhelffen.  
  Zum Ende des 16 Jahrhunderts entstunden die Philippisten, welche sich die Schrifften des Philippus Melanchthon zum Muster vorsetzten, und die rechten Quellen verliessen. Allein auch diesen erreichten sie nicht einmahl; denn sie suchten nach des Caselius Urtheil nicht so wohl diesen allgemeinen Lehrer von gantz Deutschland in seiner Gelehrsamkeit und Lateinischen Schreib-Art nachzufolgen und auszudrücken, als vielmehr eines und das andere aus seinen Schrifften zu erschnappen, und die ihrigen, wie die Aesopische Krähe mit andrer Vögeln Federn, damit auszuzieren. Hierwider hat sonderlich Taubmann sehr geeifert, und dergleichen Leuten ihre Thorheit gezeiget.  
  Fast zu gleicher Zeit entstunden die Lipsianer, welche sich den Lipsius zum Originale und Urbilde machten. Gegen welche sich der berühmte Scaliger eifrig setzte, und die studierende Jugend von der so begierig ergriffenen verderbten Schreib-Art durch gründliche und vernünfftige Vorstellungen des daraus zu besorgenden Scha-  
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  dens und durch anderweitigen nützlichen Unterricht mit aller Macht abzuziehen suchte.  
  Gegen das Ende dieses Jahrhunderts, in welchem die Lateinische Sprache zuförderst durch rühmliches Bemühen der Italiäner wieder empor und in ihren vorigen Stand ziemlich war gebracht worden, da hätte dieselbe eben in Italien bey nahe wieder einen ziemlichen Stoß bekommen. Es fanden sich nämlich einige Gelehrten, welche zu erweisen bemühet waren, daß man gegenwärtig recht Lateinisch weder könne noch solle; und daß man daher die Toscanische oder Italiänische Sprache mit Recht der Lateinischen fürzuziehen habe.  
  Diesen aber setzten sich einige andere geschickte Männer mit grossem Eifer entgegen, und sie liessen es sich angelegen seyn, in verschiedenen herausgegebenen Schrifften das Gegentheil und den Vorzug der Lateinischen Sprache darzuthun. Allein, dem ungeachtet gerieth diese Sprache bey diesen Streitigkeiten dennoch sonderlich in Italien in grossen Verfall und in Deutschland sahe es nicht viel besser aus, worüber sich Taubmann sehr beschwerte.  
  Mittler Zeit, da die Lateinische Sprache von den meisten unachtsam und nachläßig getrieben, und ihr theils aus Irrthum theils aus Vorurtheilen allerhand Hindernisse im Weg geleget wurden: So haben sich nichts destoweniger in Italien, Engelland, Franckreich, Niederlanden, Deutschland, Dännemarck, Schweden und andern Ländern mehr hin und wieder noch einige Gelehrte gefunden, welche dieselbe mit den grösten Fleisse getrieben, und deren Reinigkeit und Zierlichkeit sorgfältigst biß auf unsere Zeiten beyzubehalten sich angelegen seyn lassen. Und diese Schrifftsteller machen das neue Alter der Lateinischen Sprache aus. Die Anzahl dieser Schrifftsteller des 17 Jahrhunderts ist sehr ansehnlich; und die Jesuiten trugen auch das ihrige zur Herstellung der alten Pracht dieser Sprache bey.  
  Wenn man einige kleine Streitigkeiten ausnimmt, so ist weiter keine Hauptveränderung mit dieser Sprache vorgegangen; und das gegenwärtige und vergangene Jahrhundert hat die vortrefflichsten Männer in derselben gesehen. Webers Einleit. in die Hist. der Lateinischen Sprachen, Chemnitz 1736. in 8.
     

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Stand: 7. April 2013 © Hans-Walter Pries