Titel: |
Ansehen |
Quelle: |
Zedler Universal-Lexicon |
Band: |
2 Sp. 448 |
Jahr: |
1732 |
Originaltext: |
Digitalisat BSB
Bd. 2 S. 241 |
Vorheriger Artikel: |
Ansegisus |
Folgender Artikel: |
Ansehen, heisset in Heil. Schrifft |
Siehe auch: |
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Hinweise: |
- Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe
Hauptartikel
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Text |
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Ansehen, heist überhaupt nach seinem
Ursprung eigentlich
dasjenige, worauf man vor andern seine Augen richtet, dasselbe in Betrachtung
ziehet, und es nach einem besondern
Vorzug
ansiehet. |
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Insbesondere aber hat es eine zweyfache
Bedeutung. Einmahl gehet es auf die
äusserliche
Gestalt eines
Menschen; das andre mahl auf die sittlichen
Umstände
desselben. Also
spricht man von einem
Manne, der eine lange, wohlgesetzte Statur
hat: er habe ein gutes Ansehen, in dem cörperl.
Verstande: Hingegen kan einer,
den die
Natur die Gaben des
Leibes versagt hat, der sich aber gleichwohl durch
seinen
Verstand und
Klugheit vor |
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{Sp. 449|S. 242} |
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andern hervor
gethan, ein grosses Ansehen, und zwar im sittlichen Verstand,
haben. In dem Substantivo macht unsre
Sprache keinen
Unterscheid, denn
beydes heist ein Ansehen; Das Adiectivum aber wird nicht auf einerley
Art und Weise ausgedrücket; indem der erste ein ansehnlicher; der letztre aber
ein angesehener
Mann
genennet wird. |
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Das Ansehen ist also eine Gabe der gütigen
Natur, aus welcher andre aus der
Grösse und gesetzten Beschaffenheit des
Leibes auf die innerliche Grösse des
Geistes zu schliessen pflegen. Ohnerachtet dasselbe vor ein Stücke einer
vollkommenen Schönheit eines
Menschen nach dem Haupt-Begriffe der Schönheit zu
halten: so setzet man dennoch dem Begriffe der Schönheit engere
Gräntzen,
und wenn man an einen Menschen die wohl
übereinstimmende
Ordnung der Glieder in
ihrer
Vollkommenheit bemercket, ihn aber die Grösse und Länge dabey gebricht, so
nennt man ihn zwar wohl schön und niedlich, bedauret aber dabey, daß er so
unansehnlich sey. Die
Schlüsse, die man von dem
Cörper auf die
Seele zu machen
pfleget, gehören nicht vor die Gelehrten, sondern vor den Pöbel, dieser kan das
innere
Wesen der
Dinge nicht
erkennen, er folgt dahero denen
Sinnen, und
schliesset bloß nach dem äusserlichen. |
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Dieses ist wohl zu bemercken, indem es als ein Lehr-Satz in der
Klugheit von
dem äusserlichen Ansehen zu betrachten, wie es sich denn in der folgenden
weitern Ausführung von der Anwendung eines solchen Ansehens, zeigen wird. Da
dasselbe nun eine Gabe der
Natur, so muß sich |
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1) |
niemand etwas besonders darauf einbilden; wozu
wir nichts beygetragen haben, davon kan uns nichts zugerechnet werden.
Wo keine Zurechnung statt findet, kan auch niemand ihm einiges
Lob oder
Schande zuschreiben, als welches nur einer freywillig
würckenden Ursache
zukömmt. Dahero darf niemand
meynen, er
verdiene ein besonder, weil er
einen ansehnlichen
Cörper habe, indem er nicht das Geringste dazu
beygetragen, und einem jeden so gut als ihm dieses Glücke hätte
widerfahren können. Gleichwol muß er dasselbe |
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2) |
nicht
gantz und gar verwerffen, sondern es als
eine natürliche Krafft zu seinem
Nutzen anzuwenden
wissen. Er
muß dahero
sein gutes Ansehen nicht durch
üble Stellungen und Tragung des
Leibes
selbst verderben. Ein mit dem Ober-Theil des Leibes vorgestreckter
Kopff, aufwärts gezogene Schuldern, nachläßig dahin hängende
Arme,
krumme Knie, und ein einwärts vorhergestreckter Fuß, machen aus einem
sonst ansehnlichen
Manne einen plumpen Karren-Schieber. Übel angemessene
und unbedachtsam angezogene Kleider
verändern sonst auch gar sehr eine
ansehnliche
Gestalt. |
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Dieses muß nun ein wohlgesitteter
Mensch zu
vermeyden suchen, und man kan gar wohl auch ohne Eitelkeit der
Bildung
seines
Cörper
zu statten kommen, weil wir aber schon oben bemercket, daß der Pöbel
sonderlich dieses in Betrachtung ziehe, so muß ein ansehnlicher
Mensch |
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3) |
seine
Gedancken auf selben richten. Ein Redner
nebst andern, die wegen der
Praxi mit vielen gemeinen Leuten zu
thun haben, müssen dieses sonderlich erwegen, und wer bey andern Gaben
des
Gemüthes diese Gabe von der
Natur empfangen hat, dem muß es zu einem
besondern Antriebe
dienen, die
practische
Lebens-Art einer
theoretischen
vorzuziehen, denn sonst kann er das ihm
verliehene Pfund eben so gut
hiedurch, als in denen
Kräfften des Gemüthes mit der grösten
Sünde
vergraben.
Kluge und
gelehrte Leute betrachten vielmehr die innerliche
Beschaffenheit eines
Menschen, |
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{Sp. 450} |
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4) |
ein ansehnlicher Mensch auch zugleich auf das
innerliche dencken. Er muß nicht alleine groß zu seyn scheinen, sondern
es auch in der
That seyn. Trifft also die innerliche Beschaffenheit mit
der äusserlichen überein, so fällt es ihm leichter, sich gefällig zu
machen, als einem andern, der die
Meynung, welche man von jenem schon
zum Voraus heget, durch viele Proben seiner
Geschicklichkeit erstlich
erwecken muß. Findet man sich aber bey einem solchen
Menschen betrogen,
so wird der Haß gegen ihn um so viel desto grösser, weil man seinen
Irrthum dabey verspüret, und ein Verständiger kennet doch einen Esel an
seiner Stimme, wenn er gleich eine Löwen-Haut um sich hat. |
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In sittlichen
Verstande ist das Ansehen die
Meynung, welche andere von
unserer
Vollkommenheit in Ansehung einer
gewissen Ausführung hegen. Wir setzen
mit grossen Bedacht den
Begriff in Ansehung einer gewissen Ausführung, indem
hierdurch der
Unterscheid von der
Ehre bemercket wird. Die Ehre ist auch eine
Hochachtung unsrer Vollkommenheiten. Sie bemercket aber nicht den
Umstand, daß
wir denjenigen
Mann, welchen wir verehren, zugleich zu Ausführung unserer
Absichten, insonderheit in Betrachtung ziehen. |
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Ein Rechts-Gelehrter kan also bey allen
Arten der Gelehrten große
Ehre
haben, das Ansehen aber wird ihm nur von denenjenigen zugeschrieben, welche
gleichfalls Rechts-Gelehrte sind, und also den Vorschlag eines solchen
Mannes in
der Ausführung ihrer
Sachen
gebrauchen
können. Wer ein Ansehen zu erlangen suchet, muß etwas ausführen, es sey nun
dasselbe entweder in
theoretischen
Wissenschafften, oder in
practischen Unternehmungen. Die
Tugenden sowohl des
Verstandes als des
Willens sind dahero der
Grund eines wahrhafften Ansehens. |
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Die äusserlichen Kennzeichen der
Ehre
machen noch keinen ansehnlich, wenn
dieselben nicht durch die innerlichen Vollkommenheiten erlanget worden. Ein
hoher
Titel, ja ein
Ehren-Amt, können so gut durchs
Glück und
Geld erlanget
werden, als durch die
wahren
Verdienste. Hingegen kan einer, der im
Privat-Stande ohne die geringsten Ehren-Zeichen
lebet, dennoch durch seine
Vortrefflichkeiten das gröste Ansehen erlangen. Es ist gut, uns dasselbe zu
erwerben, indem wir dadurch anderer Leute ihre
Kräffte auf unsern
Vortheil
lencken, und ein jedweder demjenigen gerne
dienet, von dem er sich hinwiederum
etwas grosses verspricht; da aber die Tugend eben sowohl den Neid zur
Begleiterin, als den Ruhm zur Nachfolgerin hat, und also eine gute
That
offtermahls unterdrücket wird, und verborgen bleibet, hingegen ein glücklicher
Ausgang ein nach unserm Beytrage sehr geringes Unternehmen vergrössern kan, so
erfordert es die
Klugheit, sich des Glückes zu nutze zu machen, und nicht durch
eignen
Wiederspruch unsere
Thaten zu verringern. |
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Wir müssen hiernächst insonderheit unser Bemühen auf solche Ausrichtungen
richten, welche einen Einfluß in den
allgemeinen Nutzen haben, und uns dahero
ihrer viele vor den Urheber ihrer
Glückseeligkeit halten. Wie schwer es aber
ist, ein solches Ansehen zu erlangen, ebenso schwer ist es, dasjenige zu
erhalten. Weil aber diese Betrachtung zugleich auch auf die Ehre überhaupt
gehet, so werden wir hier von unter dem Titul
Ehre ein mehrers
erwehnen. |
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