Titel: |
Streitigkeit |
Quelle: |
Zedler Universal-Lexicon |
Band: |
40 Sp. 917 |
Jahr: |
1744 |
Originaltext: |
Digitalisat BSB
Bd. 40 S. 472 |
Vorheriger Artikel: |
Streitige Wechsel-Sachen |
Folgender Artikel: |
Streitigkeit, oder Streit-Sache |
Siehe auch: |
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Hinweise: |
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Text |
Quellenangaben |
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Streitigkeit, Lat. Controversia, ist derjenige
Zustand zweyer Personen, da eine wieder die
andere sich in gewissen Sachen zu beschützen
suchet. Sie betreffen entweder gewisse Rechte und
Forderungen, wovon der Artickel Streit, handelt;
oder Meynungen, wenn Gelehrte unter sich
Streitigkeiten haben. |
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Wir haben schon oben in dem Artickel von der
Disputir-Kunst im VII Bande, p. 1058. u.f. vieles
erinnert, so hieher gehöret; ietzo aber wollen wir
aus der Politic, oder auch aus der natürlichen
Rechts-Gelehrsamkeit dem Punct von dem Rechte
eines Fürsten in Theologischen Streitigkeiten
ausführen. |
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Wie einem Fürsten wegen der
Landesherrlichen Hoheit die höchste Gewalt im
Kirchen zukommt; also hat er auch ein besonderes
Recht in Theologischen Streitigkeiten. Damit man
aber erkenne, wie weit sich solches Recht
erstrecke, so ist zu wissen: |
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1) Daß man Lehrern und Predigern nicht
schlechterdigs untersagen kan, sich in
Theologische Controversien, Theologische
Streit-Fragen, Theologische Streitigkeiten,
Controversias Theologias, einzulassen, in Predigten
und Schrifften die wahre Lehre zu vertheidigen, die
gemachten Einwürffe zu heben, und die Irrthümer
zu wiederlegen. Denn hätten sie diese Macht nicht,
so würden sie ihren Zweck nicht erreichen, noch
ihre Gemeine gründlich unterrichten können, wie
ihnen denn das Wiederlegungs-Amt |
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{Sp. 918} |
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von Christo und den Aposteln ernstlich
anbefohlen worden, |
- Joh. X, 12. 13.
- Apostel-
Gesch. XX, 28. 29.
- 2 Tim. II, 25.
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Solche Gewalt der Lehrer und Prediger gehet
nicht nur auf die Streitigkeiten mit fremden
Religions-Verwandten; sondern auch auf die
Irthümer derer, welche sich zu einerley Religion
bekennen Denn es geschicht, daß unter den
Gliedern einer Gemeine wenigstens in Neben-
Sachen Irrungen entstehen, welche bey Zeiten
müssen untersuchet, und die Irrenden wieder auf
den rechten Weg gebracht werden: |
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2) Kan der Fürst bey solchen Streitigkeiten
keinen solchen Ausspruch thun, daß man sich völlig
darauf zu verlassen, und weiter nicht nöthig habe,
die Sache zu untersuchen. Denn wie dieses wieder
die Natur der Wahrheit, daß sie ihren Grund in der
Auctorität eines Menschen haben solte, also ist
auch kein Grund vorhanden, daß man sich darauf
verlassen könnte, indem alle Menschen betrüglich,
und sich niemand von Irthümern frey sprechen
kan: |
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3) Kan der Fürst sich keinen Gewissens-Zwang
anmassen, als wolte er iemanden zwingen, einer
Parthey beyzufallen. Denn er hat nur die Herrschafft
über äusserliche Handlungen; nicht aber über den
Verstand seiner Unterthanen, und deswegen muß
man einem ieden die Freyheit lassen, selbst zu
prüfen, wer von den streitigen Partheyen dem Werte
GOttes und der gesunden Vernunfft am
gemässesten lehre. |
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Das Recht eines Fürsten in Theologischen
Streitigkeiten und die Maaße desselbigen muß aus
dem Endzwecke beurtheilet werden. Es zielet
solches dahin, daß die Religion keinen Schaden
leide, und also die Ruhe so wohl in der Kirche, als in
dem Staate erhalten werde. Nach dieser Absicht
äussert sich dieses Recht in dreyen Umständen,
und zwar in Ansehung der streitenden Personen;
der streitigen Sache, und der Art und Weise,
Widerstreit geführet wird. |
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Denn was erstlich die streitenden Personen
betrifft, so kan ein Fürst zwar Lehrern und Predigern
das Wiederlegungs-Amt nicht untersagen; denen
Privat-Personen, die sich aber nicht ex professo auf
die Theologie geleget, noch einen Beruff dazu
haben, kan er verbieten, sich in Theologische
Streitigkeiten einzulassen. Erfordert es die Noth,
daß Irthümer müssen wiederleget werden, so sind
Lehrer und Prediger da; Wolte man aber einem
ieden erlauben, sich in solche Dinge zu mengen; so
würden daraus grosse Verbitterungen entstehen.
Wenn iemand vor sich einen Gewissens-Scrupel
hat, so kan er solchen von geschickten Personen
privatim heben lassen. Doch sagen wir nicht, daß
ein Fürst Privat-Personen solche Streitigkeiten
verbieten müsse; sondern sagen nur, daß er dieses
verbieten könne. Denn es ereignen sich bisweilen
Umstände, da eine Streitigkeit glücklicher von
einem Politico, als von einem Theologo kan
ausgeführet werden. |
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Vors andere, bey der streitigen Sache kan ein
Fürst solche Streitigkeiten nicht verbieten, welche
Glaubens-Artickel betreffen, weil sonst die Religion
selbst Schaden leiden würde; sind es aber Neben-
Dinge, so kan er sein Recht brauchen, und
dergleichen Controversien untersagen, z.E. wenn
es Fragen sind, die nur menschliche Gebräuche;
oder historische Puncte, oder philosophische Dinge
be- |
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{Sp. 919|S. 473} |
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treffen, sie müsten denn eine genaue
Verwandtschafft mit der Religion haben. |
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Drittens kan er in der Art und Weise eine
Maaße vorschreiben, wie die Controversien zu
führen, ob solche bloß in Schrifften, oder auch auf
der Cantzel, oder mündlich sollen getrieben werden.
Es geschiehet auch, daß die, so in Theologische
Streitigkeiten verfallen, aus übermäßiger Hitze über
die Schnure hauen; unnöthige Zänckereyen
anblasen, mit Schimpff-Worten um sich werffen, auf
ein Wort-Gezänck gerathen. Hierdurch wird nicht
nur die Wahrheit zum Gelächter gemacht; sondern
man verursachet auch grosse Verbitterung und
giebt zu allerhand Verwirrung Anlaß. In Ansehung
dessen hat der Landes-Herr die Macht, solchen
Streitigkeiten Maaß und Ziel vorzuschreiben, und
die, so ihre Schuldigkeit hintansetzen, mit gehöriger
Straffe anzusehen. |
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Solches ist schon vor alten Zeiten von den
Kaysern geschehen, wie man in dem codice
Theodosiano einen gantzen Tittel findet; de his, qui
super religione contendunt, welches auch der Heil
Schrifft ausdrücklich gemäß ist. Denn wie sie das
Wiederlegungs-Amt gegen die Wiedersprecher
einschärffet; also verwirfft sie alles unnütze
Gezäncke an den Bischöffen und Kirchen-
Lehrern, |
- 1 Tim. VI, 3. 4. 5.
- 2
Tim. II, 2. 3.
- Tit. III, 9.
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Diese Materie hat insonderheit ausgeführet
Thomasius in der Schrifft: Das Recht
Evangelischer Fürsten in Theologischen
Streitigkeiten und die Meynung des Johann
Benedict Carpzovs in der 1695 herausgegebenen
Dissertation de jure decidendi controversias
theologicas wiederleget. Denn er hat behaupten
wollen, daß das Recht, Theologische Streitigkeiten
zu entscheiden, ursprünglich bey der gantzen
Kirche sey; nach der Ausübung aber bey der
Obrigkeit und Ministerio: in dem iene die Decision
äusserlich befördere; diese aber die wesentliche
Decision mache, worinnen denn das gemeine Volck
einstimmen, und dasselbige billigen müsse. |
Man lese auch Francisci Buddei
Untersuchung des wahren Grundes, aus welchen
die höchste Gewalt eines Fürsten über die Kirche
herzuleiten ist, Cap. 4. §. 14. |
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Siehe hierbey die Artickel: |
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