|
Text |
Quellenangaben und Anmerkungen |
|
Wollust,
Lat.
Voluptas, hat nicht jedesmahl
einerley
Bedeutung. Es kan nemlich dieses
Wort
in weiterm und engerm, oder eigentlichem
Verstande genommen werden.¶ |
|
|
(I) In dem weitläufftigen Sinne.¶ |
|
|
In dem weitläufftigen Sinn, in welchem
sonderlich das Lateinische Wort VOLUPTAS
pflegt gebraucht zu werden, begreift die Wollust
verschiedenes, daß sie entweder das Vergnügen
und die angenehme
Empfindung über den Genuß
eines gewissen Guts; oder auch die
Begierde zu
demselbigen bedeutet, welche letztere auch von
einigen im Lateinischen CUPIDITAS
VOLUPTATIS genennet wird, das erste aber
nennet man im Deutschen besser die
Lust oder
die Belustigung. |
|
|
So ist bekannt, wie Epicurus die höchste
Glückseligkeit eines
Menschen in einer
Voluptate
gesetzet. Seneca hat de vita beata … davon eine
merckwürdige Stelle. Denn nachdem er zuvor
vieles wider die Epicurische Wollust
disputiret, ist
er endlich in diese Worte heraus gebrochen: |
|
|
[13 Zeilen lateinischer Text]¶ |
|
|
Die Wollust, so ferne sie als eine
Begierde
betrachtet wird, kan nach der Physick und
Moral
untersuchet werden. Die Physicalische Wollust bestehet blos in einer Animalischen
Empfindlichkeit ohne Absicht auf die Moral; die
Moralische aber hat der Mensch in so ferne in
seiner
Gewalt, als sie von seinen
Gedancken,
oder
Urtheilen und
Meynungen, die er von dem
Guten und
Bösen heget,
dependiret. |
|
|
In Ansehung dessen ist sie entweder eine
vernünftige oder unvernünftige, nachdem die
Gemüths-Vorstellungen, in Ansehung deren man
sich eine
Sache als etwas gutes gefallen lässet,
vernünftig, oder unvernünftig sind. Diejenige
Gemüths-Vorstellung ist hierinnen vernünftig,
welche dem
Gemüthe ein wahres und reelles Gut
vorstellet, daß solches in eine Begierde nach
denselbigen gesetzet wird, welches denn hernach
eine vernünftige Wollust kan genennet werden.
Woferne aber die Gemüths-Vorstellungen nur mit
Schein-Gütern beschäftiget sind, so wird die
Wollust unvernünftig. |
|
|
Diese ist entweder eine allgemeine, welche
überhaupt auf die Schein-Güter, als auf die
Ehre,
Geld und auf die sinnliche Ergötzlichkeit gehet;
oder eine besondere, so auf eine besondere Art
von |
|
|
{Sp. 1423|S. 729} |
|
|
solchen
Gütern und zwar auf die Kützelung
der Sinnen gerichtet, welches nun die¶ |
|
|
(II) in dem eigentlichen und genauern
Verstande¶ |
|
|
genommene Wollust ist. Von dieser wollen wir
jetzo umständlicher handeln, und eine
Theoretische und Practische Betrachtung davon
anstellen.¶ |
|
|
(1) Theoretische Abhandlung.¶ |
|
|
Bey der Theoretischen haben wir drey Stücke
in Erwegung zu ziehen, als die Beschaffenheit:
Die unterschiedene
Arten und die
Eigenschafften
der Wollust und derer, die ihr
Gemüth derselbigen
ergeben.¶ |
|
|
a) Beschaffenheit der Wollust.¶ |
|
|
Was überhaupt die Beschaffenheit dieser
Wollust betrifft, so kan man sie eine
unordentliche,
unersättliche und habituelle
Begierde, die
Sinnen
zu belustigen, nennen. In dieser Erklärung wird so
wohl ihr gemeines, als ihr besonderes
Wesen
angezeiget.¶ |
|
|
Jenes, ihr gemeines Wesen, hat sie mit den
beyden andern verderbten Neigungen des
menschlichen Gemüths, als mit dem
Ehrgeitz und
Geldgeitz gemein. Denn nachdem das Gemüth
des Menschen durch die
Eigenliebe verderbet
worden, so entspringen daraus drey böse
Neigungen, als der Ehrgeitz, der Geldgeitz und die
Wollust, welche alle dieses unter sich gemein
haben, daß sie unordentliche, unersättliche und
habituelle Begierden sind; in dem Objecte aber,
worauf sie gerichtet, sind sie von einander
unterschieden. |
|
|
Bey solchen gemeinen Wesen der Wollust
legen wir ihr drey Eigenschafften bey. Denn wir
nennen sie eine |
|
|
1) unordentliche Begierde, so ferne sie nicht
nach den
Regeln der gesunden
Vernunfft
eingerichtet, mithin der
Wille bey solcher
Bewegung aus der
Ordnung, welche die wahre
Beschaffenheit der Güter verlangt und zur wahren
Glückseligkeit des Menschen abzielet, gesetzet
ist. Ein
Wollüstiger
liebt das geringere Gut mehr,
als das grössere, indem er sich selbst
Gott und
seine
Seele dem
Leibe vorziehet: er strebt nach
Schein-Gütern, welche zwar eine sinnliche
angenehme
Empfindung erwecken, in der
That,
aber ihn nicht glücklich machen, und läst darüber
die wahren Güter fahren, welches alles eine
Unordnung in dem
menschlichen Willen
anzeiget. |
|
|
Es ist die Wollust auch eine |
|
|
2) unersättliche Begierde, indem Wollüstige
mit demjenigen, was sie gegenwärtig haben und
geniessen, nicht zu frieden sind; sondern immer
etwas anders erlangen, worinnen sich zwischen
ihr und dem Ehrgeitze, auch
Geldgeitze einiger
Unterscheid zeiget. Denn obwohl Ehrgeitzige und
Geldgeitzige auch unersättlich sind, so bleiben sie
doch bey einerley Objecte und wollen nur mehr,
als sie gegenwärtig besitzen, haben, daß also ihr
Bemühen nur auf die Quantität gerichtet; hingegen
ein
Wollüstiger ist in so weit unersättlich, daß er
immer etwas anders haben will. |
|
|
Denn hat er z.E. eine Zeitlang von einer
gewissen Art Speise gegessen, so wird er deren
überdrüßig und verlangt etwas anders; oder wenn
er sich heute diese Lust ge- |
|
|
{Sp. 1424} |
|
|
machet, so fällt die Begierde morgen auf eine
andere. Solche Unersättlichkeit kommt eigentlich
daher, daß dem Gemüthe eine Begierde zur
höchsten Glückseligkeit eingepflantzet; wenn nun
dessen Begierden durch dasjenige, was man
gegenwärtig hat, nicht kan gestillet werden, so
sucht es etwas höhers, oder etwas anders, in
Hofnung, es werde nunmehro zu den Puncte der
Zufriedenheit gelangen. |
|
|
Endlich heist die Wollust auch eine |
|
|
3) habituelle Begierde, so fern solche
beständig in den menschlichen Gemüthe sich
befindet, allezeit auf ein gewisses Object gerichtet
ist, und so bald nur eine blosse Vorstellung
desselbigen geschehen, sogleich, ohne
vorhergegangene Determination des
Verstandes
eine würckliche Bewegung erfolget. Durch diese
Eigenschafft unterscheiden sich die
Würckungen,
oder die würckliche Begierden von der Wollust als
seiner Neigung.¶ |
|
|
Das eigentliche Wesen der Wollust, so ihr
allein zukommt, und dadurch sie sich von dem
Ehrgeitze und dem
Geldgeitze unterscheidet,
setzen wir darinnen, daß sie eine
Begierde sey,
die
Sinnen zu kützeln und zu belustigen; oder eine
sinnliche angenehme
Empfindung zu haben,
daher man hier nicht wie bey dem Ehr- und
Geldgeitze ein gewisses Object bestimmen kan;
sondern Wollüstige verlangen alles, was eine
angenehme Empfindung erweckt, und hassen
wiederum alles, was den Sinnen unangenehm
vorkommt. |
|
|
Es hat die Wollust gewisser massen in der
Natur ihren
Grund,
welches sie abermahls als was besonders vor den Ehr- und Geldgeitz hat. Doch
damit man dieses recht verstehe und nicht in unrichtigen Sinn annehmen möge, so
ist zu wissen, daß wie[1] GOtt den Menschen zur
Glückseligkeit erschaffen; also hat er auch
gewisse Güter ausersehen, durch deren Genuß er
dieser Glückseligkeit theilhafftig werden
möge. |
[1] |
HIS-Data: korrigiert aus: wir |
|
|
So viel Fähigkeiten der Mensch hat, so viel
Arten entstehen von dieser Glückseligkeit, daß er
auf Seiten des
Leibes gesund; in Ansehung des
Verstandes
erkenne, was wahr und falsch, und
was den
Willen betrifft, der Tugend ergeben ist. Damit der Mensch
zur Erlangung dieser Glückseligkeit nun desto eher angetrieben werde, legte GOtt
in dessen Natur gewisse natürliche Begierden, welche auf etwas angenehmes
abzielen solten, dergleichen sind |
|
|
|
|
|
Solchem Triebe sind zwar die Menschen gefolget, aber auf eine unvernünfftige
Art, indem sie die göttliche Absicht aus den Augen gesetzet, daß sie dadurch
sich zur Beförderung der wahren Glückseligkeit hätten antreiben lassen, sondern
haben dabey nur eine sinnliche
angenehme Empfindung gesucht. Wie nun dieses nach
und nach habituell worden, so ist endlich daraus die Wollust entstanden, da man
geneigt ist, seine Sinnen immer zu belustigen.¶ |
|
|
Dieser Concept, den wir hier angeführet, und
darinnen das eigentliche Wesen der Wollust
gesetzt, ist auch dem Gebrauche dieses
Worts
gantz gemäß. Denn wenn wir sehen, daß ein
Mensch |
|
|
{Sp. 1425|S. 730} |
|
|
gerne was gutes isst[1], und trinckt, und also
eine angenehme Empfindung des Geschmacks
haben will; er hört gerne eine schöne Music, und
will dadurch seine Ohren kützeln: er sieht nach
veränderlichen und schönen Sachen; kan nicht
wohl grosse Kälte oder Hitze leiden u.s.w. so
nennet man ihn einen wollüstigen Menschen.¶ |
[1] |
HIS-Data: korrigiert aus: ist |
|
|
b) Unterschiedene Arten der Wollust.¶ |
|
|
Es sind die Wollüstigen nicht alle von einerley
Art. Denn man weiß unter andern aus der
Erfahrung,
daß manche ihr Vergnügen in fressen und sauffen, in dem
Umgange mit
Weibs-Personen suchen; andere hingegen machen sich
daraus nichts, und ergötzen sich vielmehr an einer
stillen und ehrbaren
Gesellschafft; oder bleiben
auch zu Hause, und vertreiben ihre
Zeit mit
lustigen und angenehmen
Büchern. |
|
|
Um deswegen muß man gewisse Arten der
Wollust setzen, und sie ordentlich von einander
scheiden. Rüdiger in institud. erud. … theilt sie in
sechs Arten, als in die bacchische, venerische,
delicate, curieuse, pharisäische und in die
Freundschaffts-Wollust. Den Grund dieser
Eintheilung nimmt er her von den unterschiedenen
Arten des Angenehmen, so
GOtt mit den
natürlichen Begierden
verknüpffet; und weil die
Wollust die
Sinnen zu kützeln suchet; die Sinnen
aber entweder äusserliche, oder innerliche sind,
so gehören zu jenen die delicate, die bacchische
und venerische; zu diesen aber die curieuse,
pharisäische und Freundschaffts-Wollust. Es ist
auch unter ihnen noch dieser Unterscheid, daß
man einige Arten, als die delicate, curiöse und
pharisäische nicht vor unanständig hält, noch
selbige vor den Leuten verstellet; etliche aber,
ingleichen wenn man durch die Freundschaffts-
Wollust immer in Compagnien lieget, hält man vor
unanständig. |
|
|
Wir wollen jede Art insbesondere
durchgehen. Erstlich ist¶ |
|
|
1) Die delicate Wollust, welches diejenige Art
ist, da man geneigt ist alles, was einem nach der
sinnlichen Imagination den äusserlichen Sinnen
beschwerlich und unangenehm scheinet, zu
meiden und wegzuschaffen. In der
Natur hat sie
diesen
Grund: GOtt hat den
Menschen einen
natürlichen Eckel vor allen denjenigen, was seiner
Gesundheit und
Leben schadet, eingepflantzet,
welchem Eckel solche Wollüstige zwar folgen,
aber nicht in der Absicht, wie es GOtt haben will.
Denn hier hat man vor manches einen Abscheu,
z.E. etwas Hitze oder Kälte, einige geringe
Schmertzen des
Leibes ausstehen, nicht
deswegen, weil man befürchtet, es möchte der
Gesundheit nachtheilig seyn, die gleichwohl
dadurch keinen
Schaden leidet; sondern weil man
eine unangenehme
Empfindung davon hat. |
|
|
Sie hat bey allen äusserlichen Sinnen statt.
Denn bald hat man eine delicate Nase, u. kan
nicht den geringsten übeln Geruch vertragen; bald
ein delicates Ohr, wenn es, immer still um einen
seyn soll; bald delicate Augen, wenn man nur
dasjenige ansehen will, was schön und lieblich;
bald eine delicate Zunge und ein delicates Gefühl,
daß man die Hände in kein kaltes Wasser
tauchen, an das Gesicht nicht die geringste
Lufft |
|
|
{Sp. 1426} |
|
|
gehen lassen will. Viele halten ihre delicate
Wollust vor was löbliches, und pflegen sie eine
Zärtlichkeit zu nennen; die aber mehr vor einen
Fehler, als vor eine
Geschicklichkeit anzusehen,
welches man daher erkennen kan, daß solche
Leute ihre Gesundheit mehr schwächen, als
erhalten. |
|
|
Vors andere ist¶ |
|
|
2) die bacchische Wollust, bey welcher man
eine solche
Begierde nach Essen und Trincken
hat, daß man eine angenehme
Empfindung des
Geschmacks haben möge. Der Appetit an sich
selbst ist eine natürliche Begierde, welcher man
nach der göttlichen Absicht zu dem Ende folgen
muß, daß man seine Gesundheit und sein
Leben
erhalte, wodurch die Begierde, wenn man sie also
einrichtet,
vernünfftig wird. Wollüstige setzen
solche Absicht aus den Augen, sehen nicht auf
ihre Gesundheit; sondern nur auf die angenehme
Empfindung des Geschmacks, es mag dieses der
Gesundheit zuträglich seyn, oder nicht, daher sie
pflegen zu sagen: ich esse was mir schmeckt und
leide was ich kan. |
|
|
Nehmen wir hier diese Benennung der
bacchischen Wollust in weitläufftigen
Verstande,
so sind die Wollüstigen aus dieser Classe wieder
dreyerley. Einige sehen bey dem Essen und
Trincken |
|
|
(a) auf die Quantität, welche ihren Magen
offtmahls so überladen, daß sie sich dabey nicht
menschlich: sondern viehisch, ja bisweilen noch
schlimmer, aufführen. Denn das unvernünfftige
Vieh frißt und säufft nicht mehr, als es vertragen
kan; viele aber, die Menschen heissen wollen,
wenn sie gleich von der Natur selbst erinnert
werden, es sey gnung, wollen sie gleichwohl
bezwingen. |
|
|
Andere haben nicht so wohl an der Menge,
als vielmehr |
|
|
(b) an der Delicatesse der Speisen und des
Geträncks, wie sie es nennen, ihr Vergnügen,
welche süß, sauer, anziehendes, was neues seyn,
u. dabey in ihren mannigfaltigen
Veränderungen
vorhanden seyn müssen. |
|
|
Noch andere sehen |
|
|
(c) auf beydes, die Quantität und Delikatesse,
das ist sie essen und trincken gerne was gutes, es
soll aber auch viel seyn. |
|
|
Drittens folgt¶ |
|
|
3) Die venerische Wollust, welche auf die
geile Vermischung der
Leiber beyderley
Geschlechts, oder auf den geilen
Beyschlaf zielet,
um die fleischliche Lust zu stillen, und eine
angenehme
Empfindung zu haben. Unter die
natürlichen
Begierden gehört auch die Lust des
Beyschlafs, welche
GOtt in das
menschliche
Gemüthe deswegen geleget, damit die Menschen
desto ehe ihr
Geschlecht fortzupflantzen
angetrieben würden. Solche Absicht haben
Wollüstige nicht; sondern suchen nur ihre geile
Lust zu stillen, und ihr Fleisch zu kützeln, welches
so wohl in, als ausser der
Ehe geschehen kan.
Denn wenn
Eheleute bey ihrer fleischlichen
Vermischung die Dämpffung der geilen Lust zum
Haupt-Ziel setzen, so kommt dieses eben aus der
venerischen Wollust her. |
|
|
Viertens ist¶ |
|
|
4) die curiöse Wollust, welche darinnen
bestehet, daß man nach solchen
Dingen eine
Begierde hat, welche in Ansehung des
Verstandes
das
Gemüth belustigen, aber zur Untersuchung
der
Wahrheit nichts beytragen. Ein solcher
Wollüstiger hat z.E. sein eintziges Ver- |
|
|
{Sp. 1427|S. 731} |
|
|
gnügen an Romanen, Comödien, Opern und
andern ingenieusen
Schrifften, und ist ihm sehr
verdrüßlich, wenn er was ernsthafftes und
tiefsinniges lesen, oder über eine
Sache meditiren
soll. Da sagt man: es ist ein sehr curieuser Mann,
er lieset alle Zeitungen, bekümmert sich um die
Neuigkeiten, und wenn denn was von curieusen
Sachen gedruckt wird, darinnen sonderlich eine
angenehme lustige Schreibart ist, das muß er
haben. |
|
|
Man bleibt nicht allein bey den Schrifften;
sondern fällt auch auf andere curiöse Sachen mit
seiner Wollust, als auf Naturalien-Cammern,
Müntz-Cabineten, Schildereyen,
Bibliothequen,
daß wenn solche Wollüstige sich
Bücher
anschaffen, so thun sie dieses nicht zu dem Ende,
daß sie daraus
gelehrt und weise werden, und
GOtt und dem Nächsten dienen wollen; sondern
sie haben nur daran ihre Lust, wenn sie die
Bücher äusserlich in schöner
Ordnung ansehen
können. Diese Art der Wollust hat in der Natur des
Menschen den Grund, daß uns GOtt einen Trieb
der Wahrheit eingepflantzet, welchem Triebe
etwas zu erkennen, diese Wollüstige zwar
nachgehen, aber nicht zu dem Ende, daß sie
durch die
Erkenntniß der Wahrheit andern dienen
mögen, sondern sie suchen nur ihre eigene
sinnliche Vergnügung. |
|
|
Fünfftens hat man¶ |
|
|
5) die pharisäische Wollust, wenn man an
den äusserlichen Stücken des Gottesdienstes, die
mit einer angenehmen Empfindung der Sinnen
verknüpffet, ein Vergnügen hat, weswegen solche
Leute gerne in die Kirche gehen, damit sie eine
schöne Music hören: lieber solche Lieder, deren
Melodey lustig klingt, als diejenigen, bey denen
weder die Poesie künstlich, noch die Melodey
angenehm, singen, und von den Predigern
urtheilen sie nach dem äusserlichen, daß wenn
einer eine derbe Stimme hat, kurtz prediget,
allerhand weltliche Historien mit einmischet,
sinnreiche Vorstellungen machet, so hält man ihn
vor einen sehr
geschickten
Mann. |
|
|
Sechstens ist noch¶ |
|
|
6) die Freundschafts-Wollust, da man sein
Vergnügen an guten Freunden und an dem
Umgange mit ihnen suchet, welche ihren Grund
auch in der Natur hat, da GOtt allen Menschen
einen Trieb zur
Gesellschafft eingepflantzet, damit
der
Nutzen der Menschen desto mehr befördert
werde. Solchem Triebe folgen zwar die
Wollüstige, und sind beständig in Gesellschafft;
aber nicht zu dem Ende, wie es GOTT haben will,
indem sie nur einen Zeitvertreib, und bloß ihr
eigenes Vergnügen suchen. Diesen Leuten
kommt es fast unleidlich vor, wenn sie allein
bleiben sollen, und wo sie sich an eine gewisse
Stunde zu conversiren gewöhnet, so wird ihnen
Zeit und Weile lang, bis sie können ausgehen,
oder jemand zu ihnen kömmt.¶ |
|
|
c) Eigenschafften der Wollust.¶ |
|
|
Die
Eigenschafften der Wollüstigen können
so wohl an sich selbst als auch in Ansehung der
Pflichten und der
Stände, darinnen sie sich
befinden, betrachtet werden. |
|
|
{Sp. 1428} |
|
|
An sich selbst haben sie so wohl
schädliche
als nützliche Eigenschafften an sich. Zu den |
|
|
(A) schädlichen gehöret ihre |
|
|
1) |
Veränderlichkeit, daß sie
bald auf das, bald auf jenes fallen, und wenn sie
auch was gutes anfangen, so lassen sie von ihrem
Fleisse bald ab, und führen nichts rechts hinaus;
die |
|
|
|
2) |
Leichtgläubigkeit, daß sie
alles, was ihnen andere vorsagen, offt ohne Grund
vor wahr annehmen, ihnen allzu sehr trauen,
wodurch sie den
Schaden haben, daß sie
vielmahls hinter das Licht geführet und betrogen
werden; die |
|
|
|
3) |
allzugrosse wollüstige
Liebe, daß wenn sie einen guten Freund haben,
so wissen sie in den Gefällichkeiten und Gutthaten
keine Maasse zu halten, und handeln dabey offt
so wohl wider die
Regeln der
Billigkeit, wenn sie
sich anderer würdigen
Personen nicht annehmen,
als auch wider die Regeln der
Klugheit, indem sie
sich damit selber schaden; die |
|
|
|
4) |
Schwatzhafftigkeit, da sie
nicht nur in Gesellschafften allzu viel
reden;
sondern auch so unbedachtsam dabey sind, daß
sie offt Dinge vorbringen, die ihnen
Verdruß
erwecken, und weil sie gleich wohl immer was
reden wollen, so kan es nicht anders seyn, als
daß allerhand Lügen mit unterlaufen müssen;
die |
|
|
|
5) |
Leichtsinnigkeit, wenn sie
dasjenige, so ihnen als was widriges aufstösset,
oder aufstossen dörffte, so bald aus dem Sinne
schlagen, und nicht darauf bedacht sind, wie sie
solchen widrigen Zufällen begegnen können;
die |
|
|
|
6) |
allzu grosse Erniedrigung,
daß man sich gegen jederman ohne Unterscheid
in
Worten und
Wercken allzu sehr demüthiget,
eine sclavische Aufführung annimmt, woraus nach
und nach eine Verachtung entstehet; die |
|
|
|
7) |
Furchtsamkeit, so wohl in
ihren Unternehmungen, daß sie sich alle Dinge so
schwer vorstellen, und sich dadurch von manchen
guten abhalten lassen, als auch bey einem
bevorstehenden Unglück, da sie gleich den Muth
sincken lassen, durch die allzugrosse
Zaghafftigkeit sich ausser den
Stand setzen, auf
Mittel zu dencken, wie einem Unglück abzuhelffen
sey; der |
|
|
|
8) |
Müßiggang, wodurch sie
nicht nur manche Gelegenheit verabsäumen, ihr
Glück zu befördern; sondern auch ihr
Thun nicht
abwarten, und also nichts rechts vor sich bringen;
die |
|
|
|
9) |
Offenhertzigkeit, daß sie
alle geheime Sachen, so wohl ihre eigene, als was
andere ihnen anvertrauet, unbedachtsam
entdecken, welcher Fehler sonderlich daher
kommt, daß sie gegen jedermann ihre
Aufrichtigkeit bezeigen wollen; die |
|
|
|
10) |
Verschwendung, wenn sie
das
Geld ohne Noth ausgeben, und sich darüber
vor der
Zeit in
Armuth stürtzen; das |
|
|
|
11) |
Zaudern, daß sie alles
von einem
Tage zum andern verschieben, und
durch solchen Aufschub machen, daß manche
Sache gar liegen bleibet. |
|
|
|
Doch haben Wollüstige in
Philosophischen
und bürgerlichen
Verstande auch |
|
|
(B) gute Eigenschafften. |
|
|
Denn sie sind 1) höflig, 2) dienstfertig, wenn
es nur dabey keine grosse Mühe braucht, 3)
versöhnlich, daß wenn man gleich mit ihnen
zerfallen, so lassen sie sich bald wieder
besänfftigen, weswegen man solche Leute auch in
Gesellschafften noch am liebsten leidet, wenn sie
nur an sich halten können, daß Ihre Wollust in
keine äusserliche grobe Fehler ausbricht. |
|
|
{Sp. 1429|S. 732} |
|
|
Betrachten wir sie nach den unterschiedenen
Pflichten,
so bezeugen sie sich |
|
|
(a) gegen
GOtt also: In Religions Sachen sind
sie sorglos, und bey Untersuchung der
Wahrheit
unachtsam, daher sie aus Faulheit lieber die alten
eingewurtzelten Irrthümer behalten, als die Mühe
über sich nehmen, die Wahrheit richtig zu
erforschen. In dem Dienste GOttes selbst sind sie
schläfrig, träge, unbeständig. Sie nehmen das
Wort GOttes gar bald und mit
Freuden an, solcher
Saamen aber wurtzelt selten, sondern der
Böse
raubt es gemeiniglich bald wieder von ihnen, so
sich nur ein geringer Sturm von Verfolgung oder
Trübsal erreget. Sonderlich vergessen wollüstige
Leute bey guten Tagen GOttes gar leichtlich, und
werden sehr in ihrem Glücke und
Lüsten
verblendet. Sie warten wohl den äusserlichen
Gottesdienst ab, wenn er ihnen zur Belustigung
dienet, und solches mit ihrer Commodität
geschehen kan. |
|
|
In den Pflichten (b) gegen sich selbst, ist ihr
eintziges Dichten und Trachten dahin gerichtet,
wie sie ihre innerliche und äusserliche
Sinnen
belustigen, und ihr
Leben in lauter Lust und
Vergnügen zubringen mögen. Es ist ihnen nicht
möglich, viele
Arbeiten über sich zu nehmen; sie
sehen nicht sonderlich auf die Wohlanständigkeit,
halten ihre
Sachen
unordentlich, wissen nicht zu
spahren, und indem sie allzuviel Sorge vor den
Leib tragen, so vergessen sie der
Seelen darüber,
und ziehen sich allerley Kranckheiten, Schimpf,
Armuth und andere Beschwerlichkeiten auf den
Hals. |
|
|
In Ansehung der Pflichten (c) gegen andere,
sind sie zwar zur Barmhertzigkeit und
Dienstfertigkeit geneigt,
beleidigen auch nicht
leichte jemand mit Vorsatz, weil sie nicht gerne
etwas begehen wollen, was ihnen Ungelegenheit
verursachen könnte; doch wenn es ihre
Absichten erfordern, andern Leuten zu schaden
so machen sie sich auch kein Gewissen darüber,
wes wegen sie die Gerechtigkeit gar leichte aus
den Augen setzen, die gegebene Treue brechen,
den Verträgen zu wider leben, mit ihren Lügen
und Waschhafftigkeiten grosse Verwirrungen und
Verdrießlichkeiten anrichten.¶ |
|
|
Aus diesem ist leicht zu urtheilen, wie es mit
Wollüstigen aussiehet, wenn sie in einem
gewissen
Stande leben. |
|
|
Sind 1)
Regenten wollüstig, so sieht man an
ihren Höfen nichts, als Lustbarkeiten, Aufzüge,
Opern, Comödien, Jagden. wenn man aber zu
den
Unterthanen kommt, so hört man vieles
Seuffzen, Klagen und Winseln. Der
Regierung
nehmen sie sich selbst nicht viel an, und sind
denen Zeigern auf der Uhr gleich, daß wie man
sie stellt, so gehen sie. Sie wünschen nur immer
Friede in ihrem
Lande, und
fürchten sich sehr vor
den
Krieg. |
|
|
In dem 2) Lehrstande pflegen wollüstige
Prediger curiöse und galante Predigten zu thun,
allen Leuten nach dem Maule zu reden, sich der
Welt gleich zu stellen, und solche
Dinge
vorzunehmen, die bey ihrem
Amte nicht bestehen
können, da sie Vorbilde der Heerde seyn
sollen. |
|
|
Wollüstige 3)
Eheleute vertragen sich wohl
mit einander, leben in Frieden beysammen, es
kommt aber dieses nicht aus reinen Quelle der
Tugend, sondern aus dem unreinen Brunnen der
Geilheit. Wenn der eine Ehegatte stirbt, so will
sich das hinterlassene Theil durchaus nicht
trösten lassen; wenn |
|
|
{Sp. 1430} |
|
|
aber wenige
Zeit vorbey, so denckt man
schon auf die andere
Ehe. |
|
|
Wollüstige 4)
Eltern taugen in der Kinderzucht
nicht viel. Denn sie verzärteln die
Kindern sehr, und
thun zuweilen fast alles, was sie ihnen an den
Augen absehen können. Sie machen dadurch ihre
Leiber nicht nur schwächlich und kräncklich;
sondern verderben auch ihr
Gemüth. Denn weil
die Kinder diese grosse
Liebe gar leichtlich
mercken, so pflegen sie dieselbe zu allerhand
Bosheiten zu mißbrauchen, und leben hierbey der
gewissen Zuversicht, wenn die Eltern schon solten
böse werden, so würden sie auch doch bald
wieder gut. |
Walchs Philosophisches
Lexicon.¶ |
|
|
Ob man nun wohl aus den
Eigenschafften der
Wollust einen Wollüstigen gar bald
erkennen kan,
so wollen wir dennoch auch vorstehenden noch
die |
|
|
d) Kennzeichen der Wollust |
|
|
hinzusetzen. Man kan die Wollust gantz
eigentlich daran erkennen, wenn, indem man auf
die Art zu Leben eines
Menschen genau Achtung
giebet, man befindet, daß alles, oder, (wenn die
Wollust durch einen andern Haupt-Affect nur ein
wenig gemäßiget ist) das meiste, was er beginnet,
auf eine oder etliche
Arten der Lust, die man an
den natürlichen Mitteln empfindet, als auf die
letzte Haupt-Absicht gerichtet sey; und daß
solcher Absicht alle übrigen, so wohl gute als
andere eitele Absichten, entweder zu Mitteln
dienen, oder weichen müssen; Welches man aus
der eigentlichen Beschaffenheit und dem
Zusammenhange der sämmtlichen
Thaten eines
Menschen, und ihrer Umstände gar leicht urtheilen
kan. |
|
|
Man wird daher 1) befinden, daß ein
Wollüstiger im Gebrauch derjenigen natürlichen
Mittel, die ihre eigene
Annehmlichkeit haben, und
auf welche seine Art der Wollust vor allen andern
fällt, überaus unmäßig sey, und immerwährende
grobe Excesse mache: Dieweil er sie nicht als
Mittel um ihres
Zweckes willen, sondern als
Zwecke brauchet. Die Betrachtung aber des
Zweckes, zu welchem sie nach der Göttlichen
Ordnung als Mittel dienen solten, der eintzige
Grund aller in ihrem Gebrauche zu haltenden
vernünfftigen Masse ist; |
|
|
2) In der
Freude, deren Gegenstand seine
eitele
Lust ist, ist ein Wollüstiger, in Ermangelung
der besagten Betrachtung die sie mäßigen solte,
unmäßig und ausgelassen, und lässet sie in vieles
Jubiliren, Lustigkeiten, Freuden-Feste, Tantzen
und Springen, ausbrechen; |
|
|
3) Er ist dahero von
Natur zur
Verschwendung geneigt, und führet die
schlechteste
Wirthschafft von der Welt. Er machet
Schulden, und ist seinen Freunden und
Bekannten mit stetem Borgen beschwerlich, und
gleichwohl der schlechteste Bezahler. |
|
|
4) Aus der Übermasse erfolget natürlicher
Weise der Eckel, und dahero die Unbeständigkeit,
und Liebe der
Veränderung in seinen Lüsten. |
|
|
5) Weil aber nicht alle Mittel menschlicher Zwecke eine ihnen eigene
Annehmlichkeit haben, oder doch nicht diejenige, auf welcher eine jede Art der
Wollust ihre Absicht richtet; ja vielmehr
zum öfftern um eines Zweckes willen man sich
eine ziemliche Unannehmlichkeit oder
Beschwerlichkeit in den Mitteln gefallen lassen
muß: so wird ein
Wollüstiger in Ansehung
derjenigen Mittel menschlicher Zwecke, die keine,
oder doch nicht die von ihm vor andern ge- |
|
|
{Sp. 1431|S. 733} |
|
|
liebte Annehmlichkeit in sich haben, sehr
nachläßig seyn; ja diejenigen Mittel, die vollends
gar beschwerlich sind, insonderheit aber die
Arbeit, als das allergemeinste Mittel fast aller
menschlichen Zwecke, die von einiger Wichtigkeit
sind, wird er als das höchste Übel fliehen. Er ist
also ein abgesagter Feind aller Beschwerlichkeit,
und ein ungemeiner Liebhaber seiner
Bequemlichkeit, folglich von Natur faul, und dem
Müßiggange ergeben. |
|
|
Soll er ja eine Unbequemlichkeit sich gefallen lassen, so muß sie nicht gar
groß und langwierig, und um einer gar sonderbaren unmittelbar zu erwartenden,
oder nicht allzuweit hinausgesetzten
Lust
Willen seyn. Dieses Kennzeichen
unterscheidet die Wollüstigen am allerdeutlichsten
von den Ehrgeitzigen und
Geldgeitzigen, als die
hingegen der
Arbeit destomehr ergeben sind, und
um ihrer Zwecke willen, so weit hinaus sie auch in
ihren weit aussehenden Unternehmungen gesetzt
seyn mögen, sich alle Beschwerlichkeiten und
Strapatzen mit unglaublicher Standhafftigkeit
unterwerffen. |
|
|
6) Hieraus folget, daß in Ansehung des
Zukünfftigen es dem Wollüstigen von
Natur
zuwider sey, seine Vorsicht und Absichten, über
dasjenige, was sofort unmittelbar bevorstehet,
weit hinaus zu richten; dieweil der mühsame
Zusammenhang der Anstalten, die ein weit
bevorstehendes Zukünfftiges erfordert, ihm viel zu
beschwerlich ist. Er ist dahero ohne Sorgen. |
|
|
7) Es folget ferner, daß in Ansehung des
unmittelbar, (oder doch bald, so weit nemlich
seine kleine Vorsicht reichet,) bevorstehenden
Zukünfftigen, er ungemein furchtsam, in
Widerwärtigkeiten, da nemlich etwas, das seiner
Wollust sehr zuwider, zu besorgen ist, ohne
Ursache verzagt, und äusserst unschlüßig, oder
wenn er sich zu etwas entschliesset, darinnen
höchst unbeständig sey; dieweil die Mittel, einer
Gefahr entgegen zu gehen und zu begegnen,
oder die Standhafftigkeit sie auszuhalten, nicht
ohne grosse Beschwehrlichkeit seyn können. Er
ist dahero von Natur mehr geneigt, einem Übel zu
entfliehen, als ihm zu begegnen und abzuhelffen;
mehr nur obenhin vor den unangenehmen
Würckungen desselben sich eine Zeitlang Frist zu
verschaffen, als es bey
Zeiten, ehe es allzusehr
einreisset, aus dem Grunde zu heben. |
|
|
8) Insonderheit vor dem
Todte, wenn jetzt
einige Gefahr desselben vorhanden ist, erzittert
er, und hat nüchtern nie viel Courage. |
|
|
9) Ausserdem, und wenn er nichts, daß
seiner Wollust nachtheilig, unmittelbar zu
besorgen hat, ist er, (vermöge des 4 und 5
Kennzeichens) zu allen Übereilungen
geneigt. |
|
|
10) Leichtsinnig, ein wichtiges Gut wegen
einer gar geringen Beschwerlichkeit der Mittel vor
nichts zu achten, |
|
|
11) ungedultig, in einem Vornehmen, das
nicht alsofort ohne grosse Mühe von statten
gehen will, viele Standhafftigkeit blicken zu lassen;
immassen er offt zwar viel mit grossem Feuer
anfänget; aber bald eines nach dem andern
wieder liegen lässet, und wenig oder nichts
ausführet; auch die nöthigsten Geschäffte von
einem
Tage zum andern, bis auf die letzte
Stunde,
verschiebet. |
|
|
12) In seiner Kleidung, und in seinem Hauß-Wesen, ist weder Reinlichkeit noch
Ordnung; nicht
daß ihm die Sauerey und Unord- |
|
|
{Sp. 1432} |
|
|
nung an sich selbst angenehm wäre; sondern
wegen der zwar kleinen, doch steten Bemühung,
die zur Reinlichkeit und guten Ordnung erfordert
wird. Dahero ob er zwar zuweilen, und gleichsam
ruckweise, gar schön geputzt aufziehet; so währet
es doch insgemein nicht gar lange. |
|
|
13) In Ansehung seiner natürlichen Neigung
zum Müßiggange ist nicht leicht jemand, dem den
gantzen Tag über zu
Hausse die
Zeit so lang
währen solte, als einem Wollüstigen. Dahero ist
eine seiner wichtigsten Haupt-Sorgen, wie er doch
so viele Tage über, als man in einer jeden Woche
zehlet, die Zeit vertreiben wolle. In Ermangelung
des Zeitvertreibs, ist er voll Unmuths, ungedultig,
siehet bald zum Fenster hinaus, bald wieder
herein, siehet alle Augenblicke nach der Uhr,
rüttelt an der Sand-Uhr, u.s.w. |
|
|
14) Daher entspringet die Neigung zu stetiger
müßiger
Gesellschafft, zu spielen, in den
Wirthshäusern zu sitzen, eine Hofstadt von
Schmarozern, lustigen Brüdern, Possenreissern,
um sich zu haben, oder dergleichen selbst
abzugeben, allerhand
Arten der Schauspiele zu
besuchen,
Lust-Reisen zu thun, seinen Bekannten
täglich über dem Halse zu liegen, und ihnen die
Zeit zu verderben. |
|
|
15) Nicht weniger entspringet daher der
Abscheu vor allen nicht so gar müßigen
Gesellschafften, dererjenigen nemlich, in denen
etwa durch ernsthaffte Unterredungen von
nützlichen Dingen die Zeit zugebracht wird;
insonderheit vor der Gesellschafft alter Leute oder
vornehmer Personen, da man sich klug und
wohlanständig aufführen solle. |
|
|
16) In jener ersten Art der Gesellschafften ist
der Wollüstige frey und munter, sehr gesprächig,
ja waschhafftig,ohne alle Verstellung; Daher er in
solchen Gesellschafften gar bald mit jederman,
auch dem gar niedrigen Völkgen, sich sehr
gemein zu machen pfleget. In der andern Art der
Gesellschafften aber, da dergleichen nicht wohl
angehet, ist er Leutscheu, blöde, mit vieler
Bauerverschämheit, und suchet, so viel möglich,
aus solchen Gesellschafften bald hinweg, und zu
seines gleichen zu kommen. |
|
|
Diese Sitten der Wollüstigen nehmen
grossentheils, nach dem Unterschiede der Art der
Wollust, welcher ein
Mensch ergeben ist,
unterschiedene
Gestalten an. Die Excesse der
Freßigen, Versoffenen,
Geilen, Zärtlichen,
curiösen oder gelehrten, guthertzigen, geistlichen
Wollust, zeigen sich in gantz unterschiedenen
Dingen, wie aus der Natur einer jeden dieser
Arten leicht zu urtheilen. |
|
|
Die Fliehung des Beschwerlichen ist ebenfalls
nach den unterschiedenen Arten der Wollust gar
sehr unterschieden. Der gelehrten Wollust ist z.E.
eine
Arbeit nicht beschwerlich, die hingegen der
leiblichen Wollust höchst zuwider ist. Die gelehrte
Wollust ist unverdrossen in dem, was ihre
Curiosität vergnüget; desto fauler und
verdrossener hingegen in der
Amts- und
Beruffs-Arbeit, wenn diese nicht zugleich der eigenen
Curiosität des Menschen gemäß ist. Auf wie
vielerley gantz unterschiedene Dinge fällt nicht die
Verschwendung so unterschiedener Arten
wollüstiger Menschen? indem vor das, worinnen
der eine wohl sin gantzes
Vermögen
verschwendet, der andere nicht gerne einen
Groschen ausgiebt. |
|
|
{Sp. 1433|S. 734} |
|
|
Die freßige und versoffene Wollust
insonderheit brauchet keine Kennzeichen, daran
man sie erkennen könne: dieweil sie sich in ihren
unmittelbahr in die
Sinne fallenden
Wirckungen
nicht bergen kan; und dahero auch gemeine
Leute, die von der
Erkenntniß der
Gemüther
nichts verstehen, wollüstige Leute dieser Art bald
aus der
Erfahrung kennen lernen. |
|
|
Eben dieses ist auch von der zärtlichen
Wollust zu sagen. Einem Zärtlinge ist eine
jede, auch geringe Leibes-Beschwerlichkeit, die
durch den Sinn des Gefühles zu erdulten ist, eine
Centner-Last. Wenn er nicht weich genung sitzen
oder liegen, eine harte Speise geniessen, einen
kalten oder schahlen Trunck thun, eine auch nicht
gar mühsame Verrichtung selber, und nicht durch
Bediente, verrichten, ein wenig Kälte, Wärme,
Wind, Nebel, Regen, übele Wege erdulten, einen
nicht gar weiten Weg zu Fusse gehen, oder in
einem nicht sehr bequemen Wagen fahren soll, ist
er voll Unmuths, vermeynet kranck zu seyn, klaget
und winselt, lässet sich sorgfältig warten, und
schicket nach einem klugen
Artzte, der ihm
nehmlich nicht etwa seine Noth noch mit garstig
schmeckenden oder übelriechenden Artzneyen
vermehren, sondern etwas wohlschmeckendes
reichen möge. |
|
|
In der geilen oder
verliebten Wollust zeigen
sich die oben angeführten gewöhnlichen
Sitten
der Wollüstigen folgendergestalt: Wer dieser
Wohllust ergeben ist, der wird unfehlbar |
|
|
1) alle göttliche und
menschliche
Ordnungen,
die die Zeugung betreffen, gäntzlich hindansetzen;
Dieweil er in der
Lust der Buhlen-Liebe seinen
höchsten Hauptzweck suchet, welche Lust durch
besagte Ordnungen auf eine seiner Eitelkeit
höchstbeschwerliche Art eingeschräncket
wird. |
|
|
2) Damit die daher entstehenden
schändlichen Unordnungen die
Ehre, seiner
Meynung nach, nicht verletzen mögen, so wird er,
wenn seine Wollust noch durch einigen
Ehrgeitz
gemäßiget ist, unter dem Deckmantel der
Galanterie zum wenigsten den äusserlichen
Wohlstand dabey zu beobachten trachten, die
groben Excesse aber im verborgenen treiben; da
hingegen, wo nebst der Tugend alle auch nur
eitele Neigung zur Ehre verlohren ist, weder
Schaam noch Scheu seyn wird. |
|
|
3) An der blossen Stillung der natürlichen
Begierde wird er nicht genung haben, sondern
diese, wenn sie auch durch die stetswährende
Excesse entkräfftet ist, auf allerhand Arten
aufzureitzen suchen. |
|
|
4) Zu dem Ende suchet er auf das an
angelegentlichste die Bekanntschafft und den
Umgang mit Personen ungleiches
Geschlechts,
hält auch und wendet viel auf Leute, die ihm zu
diesem Zwecke behülflich seyn können: |
|
|
5) Er ist ein sorgfältiger
Erforscher und
Kenner der Schönheiten; |
|
|
6) strebet nach heimlichen
Zusammenkünften, und ist sogleich fertig zu
unzeitigen Liebes-Verständnissen, darinnen er
jedoch an seinen Absichten weder
vernünftig,
noch ehrlich, sondern unbeständig, selten gar
verschwiegen, ja vielmehr offt ein
unverschämter
Lügner ist, und sich eines mehrerern rühmet, als
er genossen. |
|
|
7) Er hat seine Lust an groben, oder doch
subtilen Zoten, ingleichen |
|
|
8) an reitzenden Gemählden; |
|
|
9) In der Kleidung hat er vor allen andern
Wollüstigen dieses besonders, daß er sich
weibisch putzet, |
|
|
{Sp. 1434} |
|
|
und vor dem Spiegel alle Kleinigkeiten mit
grosser Sorgfalt überleget. |
|
|
10) Sodann ist er ein Pflastertreter, |
|
|
11) zum Tantze ausserordentlich
geneigt, |
|
|
12) ist ein besonderer Liebhaber der
Romanen, verliebter Arien, und dergleichen
Music, u.s.w.¶ |
|
|
Die curiöse oder gelehrte Wollust hat keine
besondere Kennzeichen von nöthen, weil sie
niemand zu verstellen begehret, wohl aber
jedermann, der ihr ergeben ist, sie vor eine weise
und löbliche
Begierde nützlicher
Erkenntniß
gehalten haben, und gerühmet wissen will. Ein
eintziges Kennzeichen demnach ist nöthig, sie nur
von dieser letztern zu unterscheiden. Solches ist,
aus dem
Grunde des
Wesens der Wollust
überhaupt, dieses, daß da nach der Ordnung
GOttes alle Erkenntniß nur zu einem Mittel des
wahren menschlichen
Nutzens dienen soll, ein
Mensch, der nur durch wollüstige Curiosität zu
Dingen, die die menschliche Erkenntniß betreffen,
z.E. zum Lesen vieler
Bücher, zu fleißigen
Studiren, zum
Reisen, und allerhand
Merckwürdigkeiten mit anzusehen, geneigt ist,
den würcklichen Nutzen seiner selbst, und
anderer Menschen, auf den eine jede
Wissenschafft abzielet, aus den Augen setzet,
oder denselben nur neben bey gar kaltsinnig in
Betrachtung ziehet, seiner Haupt-Absicht aber in
der Lust der Erkenntniß selbst, und in der
angenehmen
Veränderung, derer zu erkennenden
Dinge suchet: Welcher Unterschied sich aus den
Umständen leicht ergiebet, da der Wollüstige in
den
Wissenschafften das angenehme dem
nützlicherm vorziehet, und lieber zu Hause allein
in allerhand ihm gefallenen Büchern, und eigenem
Nachdencken, oder in
Gesellschafft mit seines
gleichen, der Lust seiner Curiosität nachhänget,
als seinen täglichen
Beruffs-Wercken, die ihm
sehr gewöhnlich, und seine Curiosität nicht mehr
so sonderlich vergnügen, folglich diese letztern mit
grosser Nachläßigkeit, und obenhin, damit er fein
bald davon kommen möge tractiret.¶ |
|
|
Die guthertzige Wollust endlich suchet ihr
höchstes Gut in der natürlichen Annehmlichkeit
der Liebe, und also ohne alle Absicht auf den von
GOtt geordneten
Zweck dieser letztern, nehmlich
auf die gesellige Beförderung der wahren
Glückseligkeit seiner selbst und des Geliebten:
Wodurch denn eine wollüstige Menschen-Liebe
von der vernünftigen oder tugendhafften leicht zu
unterscheiden ist. Ein solcher
Wollüstiger
demnach ist |
|
|
1) von Natur zu gar besonderer, aber
unächter Dienstfertigkeit geneiget. Seine eintzige
Absicht dabey, mit Hindansetzung aller andern
vernünfftigen Betrachtungen, ist, nur den
Geliebten vergnügt zu wissen, um an dessen
Vergnügen, und an seiner dadurch, daß man
etwas darzu beygetragen, gereitzten Gegen-Liebe
sich zu ergötzen. Er dienet ihm also, nicht allein
mit seinem eigenen
Schaden, sondern auch mit
dem Schaden des Geliebten selbst, wenn
nehmlich das Verlangen des letztern auch aller
Tugend und
Klugheit, und also seinem wahren
Besten zuwider wäre; Denn dieses ist die
eigentliche Art wollüstiger Dienstfertigkeit. |
|
|
2) Aus eben diesem Grunde lässet er sich
leicht alles, was er hat, abschwatzen; oder ist
doch nicht fähig, beweglichen Vorstellungen und
Zuredungen, wenn |
|
|
{Sp. 1435|S. 735} |
|
|
sie sonderlich durch geliebte Personen an ihn
gebracht werden, lange zu widerstehen. Er
stürtzet sich also offt selber in Noth und Mangel,
(wenn zumahl die Noth und der Mangel nicht
sofort unmittelbahr bevorstehet,) nur damit er
andern dienen, und sie vergnügt wissen möge. Ja
auch ungebeten giebt er, meist durch unnöthiges
Freyhalten, das Seinige andern zu verschlucken,
die seine guthertzige Gemüthszärtlichkeit zu
reitzen, und vor sich schmarozerisch zu
intereßiren wissen. |
|
|
3) Diese Gemüths-Art ist also eigentlich
diejenige, der es sogar sauer ankommt, jemanden
etwas abzuschlagen. |
|
|
4) Die guthertzige Wollust ist ferner sehr
weichmüthig und mitleidig in anderer Leute
Unglück, und hingegen frölich, wenn es guten
Freunden und Bekannten wohlgehet: Gleichwie
auch ein Mensch von dieser Gemüths-Art, wenn
es ihm selbst übel ergehet, in dem Mitleiden
anderer, welches er durch wehmütiges Klagen zu
erwecken suchet, eine grosse Erleichterung findet;
hingegen in glücklichen Zufällen, seiner
Freude
nicht nur durch Kundthuung derselben, sondern
auch durch würckliches Wohlthun, gerne auch
andere theilhafftig machet, und ihr hierdurch,
seiner Gemüths-Art gemäß, allererst das rechte
Leben giebt. Ja auch in den gemeinsten
Belustigungen, z.E. des Essens und Trinckens,
schmecket ihm kein Bissen ohne andere; und
seine Mitleidigkeit erstrecket sich in gleichem
Grade sogar auch auf das Vieh. |
|
|
5) Hieraus ist leicht zu schliessen, daß er von
der Natur offenhertzig, folglich gegen andere waschhafftig und von schlechter
Verschwiegenheit, und in Ansehung dessen, was
sie hingegen ihm erzehlen oder vertrauen,
leichtgläubig sey. |
|
|
6) Zu vertraulicher Freundschafft ist er sehr
leicht, und ohne gegebene grosse Proben, von
jedermann zu bringen, ob er gleich zu
Unterhaltung derselben, eben weil er sie so leicht
mit jedermann eingehet, gantz untüchtig ist. Wird
sie einmahl gebrochen, so suchet er sie
angelegentlich wieder zu erlangen, und kan weder
selbst lange Zorn halten, noch den Unwillen
anderer wider sich lange leiden. |
Müllers Philosophie II Theil,
…¶ |
|
(2) Practische Betrachtung.¶ |
|
|
Die practische Betrachtung dieser Lehre von
der Wollust fasset zwey Stücke in sich, und zeigt
so wohl, wie sich Wolllüstige gegen sich selbst
aufzuführen; als auch, wie sich andere gegen
selbige zu verhalten haben.¶ |
|
|
(a) Wie sich
Wollüstige gegen sich selbst
aufzuführen haben?¶ |
|
|
In Ansehung ihrer selbst haben sie gewisse
Regeln des
Gesetzes und der
Klugheit zu
beobachten.¶ |
|
|
Denn, wie sie (a) nach dem Gesetze
überhaupt
verbunden sind, alles zu thun, wodurch
ihre Vollkommenheit und Glückseligkeit kan
befördert werden, und hingegen alles zu
unterlassen, was derselbigen zuwider; solche
Vollkommenheit aber sowohl die
Seele, als den
Leib betrifft, also ist auch ihre Schuldigkeit, die
Verbesserung des
Willens zu besorgen. Durch die
Wollust ist der menschliche Wille gleichsam
kranck, und befindet sich in dem
Stande der
Unvollkommenheit. Nun stehet in |
|
|
{Sp. 1436} |
|
|
eines natürlichen Menschen vermögen nicht,
die Kranckheiten selbst aus dem menschlichen
Gemüthe wegzuschaffen, wozu eine höhere und
übernatürliche
Krafft erfordert, und das
Werck
allein durch die Bekehrung vermittelst der
göttlichen Gnade bewerckstelliget wird; gleichwohl
aber hat er soviel
Gewalt, daß er die
Neigungen
und
Affecten, folglich auch die Wollust dergestalt
im Zaum halten kan, daß sie äusserlich in grobe
Fehler nicht ausbricht. |
|
|
Zu solcher Verbesserung können
verschiedene Mittel gebrauchet werden. Das
vornehmste ist die lebendige
Erkenntniß
derjenigen Beschwerlichkeiten, welche die
Wollust, wenn man selbiger den Zügel lässet,
nach sich ziehet. Denn daraus entstehen allerley
Kranckheiten; Kranckheiten aber machen
Schmertzen, und da ein
Wollüstiger zur
Verschwendung geneigt, so geräth er dadurch in
Dürftigkeit und
Armuth, welche einen ausser den
Stand aller
Lust setzet. |
|
|
Damit solche Erkenntniß oder Vorstellung
desto kräfftiger und lebendiger werde, so hat man
dabey sonderlich zu erwegen, wie alle diese Übel
so beschaffen, daß sie der Wollust schnurstracks
entgegen stehen, und daher wäre es eine
Narrheit, daß, indem man der Wollust übermäßig
nachhängen, und sich dadurch eine sinnliche Lust
machen wolte, man sich in der
That mehr Unlust
als Lust errege. Bliebe man in der gehörigen
Maasse, daß dabey weder die Gesundheit des
Leibes, noch das
Vermögen
Schaden litte, so
genösse man nicht nur eben solcher Lust;
sondern man könnte sie auch noch länger haben,
ja je sparsamer man eine Lust hätte, je
angenehmer und empfindlicher wäre selbige. Die
Exempel stärcken die sinnliche
Imagination, und
können daher bisweilen in dem menschlichen
Gemüthe mehr als die Theoretischen Regeln
ausrichten, weswegen hier nicht undienlich, wenn
man zugleich die Exempel solcher
Personen
anführet, die sich durch die Übermaasse in der
Wollust höchst unglücklich gemacht haben. |
|
|
Damit dergleichen Erkenntniß oder
Vorstellung desto eher ihre
Würckung thun möge,
so hat man auch alle Gelegenheit, wodurch die
Wollust dürffte gereitzet werden, zu meiden.¶ |
|
|
Ferner hat ein Wollüstiger (b) nach der
Klugheit fleißig zu beurtheilen, wo ihm seine
Wollust in der
Welt nützlich oder
schädlich seyn
dörfte, indem wir oben gewiesen, daß Wollüstige
sowohl nützliche als schädliche
Eigenschafften an
sich haben. Im ersten Falle muß er die Wollust
reitzen, im andern aber zurücke halten. Er muß
sich demnach hüten, |
|
|
- daß er in dem Maasse der Liebe gegen
andere nicht ausschweiffe, mit seinem eigenen
Schaden nicht gutthätig, dienstfertig,
allzuvertraulich und barmhertzig sey:
- daß er nicht
alles gleich glaube, was ihm andere Leute
vorsagen, wenn auch gleich die Erzehlung etwas
in sich hält, das seinem
Affecte zu schmeicheln
scheinet:
- daß er nicht gegen jedermann
offenhertzig sey, und dencke, als wäre die
Offenhertzigkeit an sich selbst eine Tugend, die
doch bisweilen eben so unvernünftig, als
vernünftig seyn kan:
- daß er seine eigene Fehler
nicht entdecke, noch die Possen, die er in
der
|
|
|
{Sp. 1437|S. 736} |
|
|
Jugend vorgenommen, in
Gesellschafft
anderer erzehlen: |
|
|
- daß er lerne sich zu
gewissen Zeiten zu
stellen und zu verstellen:
- daß er nicht allen, die
etwas von ihm verlangen, zu helffen sich
anheischig mache, sondern die
Geschicklichkeit,
etwas mit Manier abzuschlagen, annehme:
- daß er
bey widrigen Zufällen die Traurigkeit mäßige, sich
nicht allzusehr an sein
Vaterland binde, das allzu
furchtsame Wesen ablege, sich nicht so viel in
Neben-Dingen mit Hindansetzung der Haupt-Sache einlasse, und dasjenige, was er
auszurichten, nicht von einer
Zeit zur andern
aufschiebe.¶
|
|
|
(b) Wie sich andere gegen Wollüstige zu
verhalten haben?¶ |
|
|
Wenn andere mit Wollüstigen
umgehen
wollen, haben sie auch sich nach den
Regeln der
Klugheit zu richten. Die Klugheit zu conversiren
kommt überhaupt darauf an, daß wir mit andern
Leuten so umzugehen wissen, daß sie uns nicht
schaden, sondern vielmehr helffen; mithin da ein
Wollüstiger sowohl nützliche, als
schädliche
Eigenschafften an sich hat, so muß man bey dem
Umgang mit denselbigen alles so einrichten, daß
man von ihm keinen
Schaden zu erwarten
hat. |
|
|
Aus diesem fliessen besondere Maximen,
deren wir nur einige einführen wollen: |
|
|
Als erstlich (1) traue man dem Versprechen
eines Wollüstigen nicht, weil er leicht etwas
verspricht, aber schwerlich zu halten pfleget. |
|
|
Vors andere (2) leihe man ihm nicht leicht
etwas, weil man mehrentheils dabey zu kurtz
kommt. Denn leiht man ihm solche
Dinge, die sich
nicht brauchen lassen, ohne sie zu verbrauchen,
z.E.
Geld, Korn, Bier, so bekommt man solche
entweder gar nicht wieder, oder doch nicht zu der
Zeit, die sie auch wohl mit vielen Fluchen und
Schwören bestimmt haben. Leihet man ihm solche
Sachen, die sich brauchen lassen, ohne sie zu
verbrauchen, z.E. ein
Buch, ein Kleid, so bekommt
man sie ebenfalls zu rechter Zeit nicht wieder,
oder doch nicht in solchem
Stande, als man sie
hingegeben. |
|
|
Drittens (3) vertraue man einem Wollüstigen
keine Geheimnisse, oder lasse ihn nicht hinter
dergleichen Dinge kommen, weil er sie unter die
Leute bringt. Denn Wollüstige haben nicht nur
viele gute Freunde, sondern sind auch von der
Art, daß sie immer etwas
reden und was neues
erzehlen wollen, daher muß alles herfür, was auch
in dem innersten
Grunde des Hertzens
gelegen. |
|
|
Viertens (4) rede man bey Wollüstigen von
andern Leuten nicht übel, wenn auch solche
Urtheile ihren richtigen Grund haben. Denn sie
pflegen gerne Klätschereyen zu machen, die
einem allerhand Verdruß zuziehen können. |
|
|
Fünfftens (5) gehe man mit den Wollüstigen
nicht allzuviel um, wenn man
Lust hat, fleißig zu
seyn und das seinige abzuwarten, indem sie
einem gar viel Zeit verderben können. |
|
|
Wir fügen hier noch bey:¶ |
|
|
(c) Wie man die Wohlgewogenheit und
Freundschafft wollüstiger Leute, so einem nützlich
seyn können, erlange?¶ |
|
|
Will man die Wohlgewogenheit und
Freundschafft wollüstiger Leute erlangen, die
einem in der |
|
|
{Sp. 1438} |
|
|
That manche Gefälligkeit erweisen können,
so muß man weder was reden, noch vornehmen,
so ihrer Neigung zuwider, so viel als man in gutem
Gewissen thun kan. In denen Discoursen, die man
mit ihnen führet, muß man nichts unangenehmes
oder verdrießliches vorbringen, sondern allerhand
Historien, Neuigkeiten, und wenn man sonst was
neues gehöret oder gelesen hat, erzehlen. Man
|
|
|
- schreibe an sie keine lange Brieffe:
- mache
nicht viel Complimente:
- trage ihnen nichts
verdrießliches und beschwerliches auf:
- stöhre sie
nicht in der Lust, und wenn man was bey ihnen zu
suchen hat, so nehme man die rechte Zeit in Acht,
wenn sie sich etwa in einer angenehmen
Gesellschafft befinden, und aufgeräumt sind.
|
|
|
Doch weil Wollüstige nicht alle von einerley
Art sind, so hat man sich auch nach eines jeden
Gemüths-Beschaffenheit hierinnen zu
richten.¶ |
|
|
Schrifften:¶ |
|
|
Von dieser bisher gehabten Materie kan man
lesen |
|
|
- Thomasii Ausübung der Sittenlehre,…
- Buddeum in element. philos. pract. …
- Rüdigern in
institut. erudit. …
- Triern in den Fragen von den
menschlichen Neigungen, …
- Herr von Rohr von
der Erkenntniß der menschlichen Gemüther, …
- Müller in seiner Philosophie im II Theile, ...
- Wolffen von den Menschen Thun und Lassen, ...
- Hilligens Anatomie der Seelen, ...
|
|
|
nebst andern Moralischen
Büchern. |
|
|
Die alten
Philosophen haben so viel Sprüche,
ja gantze Stellen und
Reden wider die Wollust
hinterlassen, daß man leicht ein gantzes Buch
damit anfüllen könnte. Eine grosse Menge davon
hat Huetius in quaestionibus Alnetannis, …
zusammen gelesen. Man sahe insgemein die
Wollust vor schlimmer, als die andern bösen
Neigungen, ja vor die Quelle aller Laster an, wie
dieses unter andern Archytas, gebürtig von
Tarent, und ein Lehrer des Plato, behauptet,
dessen kurtze Rede von der Wollust uns Cicero in
seinem Buche de senectute … erhalten, worinnen
er unter andern sagt: |
|
|
Nullam capitaliorem pestem quam corporis
voluptatem hominibus a natura datam; ingleichen:
Nullum denique scelus: nullum malum facinus
esse, ad quod suscipiendum non libido voluptatis
impelleret. |
|
|
Vor andern ist merckwürdig, was Epictetus in
seinem enchirid. … und Simplicius in dem
Commentario über diese Stelle, ingleichen M.
Aurelius Antoninus de seipso ad seipsum … von
der Wollust
gesaget haben. |
Walchs Philosophisches
Lexicon.¶ |
|
Aus denen
Rechten ist hierbey nur mit
wenigem anzumercken, daß an denen Fest- und
Feyertagen alle Wollust unterlassen und
eingestellet werden solle, |
l. fin. pr.
C.
de Fer. |
|
|
|