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Zedler: Wollust HIS-Data
5028-58-1422-1
Titel: Wollust
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 58 Sp. 1422-1438
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 58 S. 728-736
Vorheriger Artikel: Wollüstig lebende Wittwe
Folgender Artikel: Wollust, (Geistliche)
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Römisches Recht
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden

  Text Quellenangaben und Anmerkungen
  Wollust, Lat. Voluptas, hat nicht jedesmahl einerley Bedeutung. Es kan nemlich dieses Wort in weiterm und engerm, oder eigentlichem Verstande genommen werden.  
  (I) In dem weitläufftigen Sinne.  
  In dem weitläufftigen Sinn, in welchem sonderlich das Lateinische Wort VOLUPTAS pflegt gebraucht zu werden, begreift die Wollust verschiedenes, daß sie entweder das Vergnügen und die angenehme Empfindung über den Genuß eines gewissen Guts; oder auch die Begierde zu demselbigen bedeutet, welche letztere auch von einigen im Lateinischen CUPIDITAS VOLUPTATIS genennet wird, das erste aber nennet man im Deutschen besser die Lust oder die Belustigung.  
  So ist bekannt, wie Epicurus die höchste Glückseligkeit eines Menschen in einer Voluptate gesetzet. Seneca hat de vita beata … davon eine merckwürdige Stelle. Denn nachdem er zuvor vieles wider die Epicurische Wollust disputiret, ist er endlich in diese Worte heraus gebrochen:  
  [13 Zeilen lateinischer Text]  
  Die Wollust, so ferne sie als eine Begierde betrachtet wird, kan nach der Physick und Moral untersuchet werden. Die Physicalische Wollust bestehet blos in einer Animalischen Empfindlichkeit ohne Absicht auf die Moral; die Moralische aber hat der Mensch in so ferne in seiner Gewalt, als sie von seinen Gedancken, oder Urtheilen und Meynungen, die er von dem Guten und Bösen heget, dependiret.  
  In Ansehung dessen ist sie entweder eine vernünftige oder unvernünftige, nachdem die Gemüths-Vorstellungen, in Ansehung deren man sich eine Sache als etwas gutes gefallen lässet, vernünftig, oder unvernünftig sind. Diejenige Gemüths-Vorstellung ist hierinnen vernünftig, welche dem Gemüthe ein wahres und reelles Gut vorstellet, daß solches in eine Begierde nach denselbigen gesetzet wird, welches denn hernach eine vernünftige Wollust kan genennet werden. Woferne aber die Gemüths-Vorstellungen nur mit Schein-Gütern beschäftiget sind, so wird die Wollust unvernünftig.  
  Diese ist entweder eine allgemeine, welche überhaupt auf die Schein-Güter, als auf die Ehre, Geld und auf die sinnliche Ergötzlichkeit gehet; oder eine besondere, so auf eine besondere Art von  
  {Sp. 1423|S. 729}  
  solchen Gütern und zwar auf die Kützelung der Sinnen gerichtet, welches nun die  
  (II) in dem eigentlichen und genauern Verstande  
  genommene Wollust ist. Von dieser wollen wir jetzo umständlicher handeln, und eine Theoretische und Practische Betrachtung davon anstellen.  
  (1) Theoretische Abhandlung.  
  Bey der Theoretischen haben wir drey Stücke in Erwegung zu ziehen, als die Beschaffenheit: Die unterschiedene Arten und die Eigenschafften der Wollust und derer, die ihr Gemüth derselbigen ergeben.  
  a) Beschaffenheit der Wollust.  
  Was überhaupt die Beschaffenheit dieser Wollust betrifft, so kan man sie eine unordentliche, unersättliche und habituelle Begierde, die Sinnen zu belustigen, nennen. In dieser Erklärung wird so wohl ihr gemeines, als ihr besonderes Wesen angezeiget.  
  Jenes, ihr gemeines Wesen, hat sie mit den beyden andern verderbten Neigungen des menschlichen Gemüths, als mit dem Ehrgeitz und Geldgeitz gemein. Denn nachdem das Gemüth des Menschen durch die Eigenliebe verderbet worden, so entspringen daraus drey böse Neigungen, als der Ehrgeitz, der Geldgeitz und die Wollust, welche alle dieses unter sich gemein haben, daß sie unordentliche, unersättliche und habituelle Begierden sind; in dem Objecte aber, worauf sie gerichtet, sind sie von einander unterschieden.  
  Bey solchen gemeinen Wesen der Wollust legen wir ihr drey Eigenschafften bey. Denn wir nennen sie eine  
  1) unordentliche Begierde, so ferne sie nicht nach den Regeln der gesunden Vernunfft eingerichtet, mithin der Wille bey solcher Bewegung aus der Ordnung, welche die wahre Beschaffenheit der Güter verlangt und zur wahren Glückseligkeit des Menschen abzielet, gesetzet ist. Ein Wollüstiger liebt das geringere Gut mehr, als das grössere, indem er sich selbst Gott und seine Seele dem Leibe vorziehet: er strebt nach Schein-Gütern, welche zwar eine sinnliche angenehme Empfindung erwecken, in der That, aber ihn nicht glücklich machen, und läst darüber die wahren Güter fahren, welches alles eine Unordnung in dem menschlichen Willen anzeiget.  
  Es ist die Wollust auch eine  
  2) unersättliche Begierde, indem Wollüstige mit demjenigen, was sie gegenwärtig haben und geniessen, nicht zu frieden sind; sondern immer etwas anders erlangen, worinnen sich zwischen ihr und dem Ehrgeitze, auch Geldgeitze einiger Unterscheid zeiget. Denn obwohl Ehrgeitzige und Geldgeitzige auch unersättlich sind, so bleiben sie doch bey einerley Objecte und wollen nur mehr, als sie gegenwärtig besitzen, haben, daß also ihr Bemühen nur auf die Quantität gerichtet; hingegen ein Wollüstiger ist in so weit unersättlich, daß er immer etwas anders haben will.  
  Denn hat er z.E. eine Zeitlang von einer gewissen Art Speise gegessen, so wird er deren überdrüßig und verlangt etwas anders; oder wenn er sich heute diese Lust ge-  
  {Sp. 1424}  
  machet, so fällt die Begierde morgen auf eine andere. Solche Unersättlichkeit kommt eigentlich daher, daß dem Gemüthe eine Begierde zur höchsten Glückseligkeit eingepflantzet; wenn nun dessen Begierden durch dasjenige, was man gegenwärtig hat, nicht kan gestillet werden, so sucht es etwas höhers, oder etwas anders, in Hofnung, es werde nunmehro zu den Puncte der Zufriedenheit gelangen.  
  Endlich heist die Wollust auch eine  
  3) habituelle Begierde, so fern solche beständig in den menschlichen Gemüthe sich befindet, allezeit auf ein gewisses Object gerichtet ist, und so bald nur eine blosse Vorstellung desselbigen geschehen, sogleich, ohne vorhergegangene Determination des Verstandes eine würckliche Bewegung erfolget. Durch diese Eigenschafft unterscheiden sich die Würckungen, oder die würckliche Begierden von der Wollust als seiner Neigung.  
  Das eigentliche Wesen der Wollust, so ihr allein zukommt, und dadurch sie sich von dem Ehrgeitze und dem Geldgeitze unterscheidet, setzen wir darinnen, daß sie eine Begierde sey, die Sinnen zu kützeln und zu belustigen; oder eine sinnliche angenehme Empfindung zu haben, daher man hier nicht wie bey dem Ehr- und Geldgeitze ein gewisses Object bestimmen kan; sondern Wollüstige verlangen alles, was eine angenehme Empfindung erweckt, und hassen wiederum alles, was den Sinnen unangenehm vorkommt.  
  Es hat die Wollust gewisser massen in der Natur ihren Grund, welches sie abermahls als was besonders vor den Ehr- und Geldgeitz hat. Doch damit man dieses recht verstehe und nicht in unrichtigen Sinn annehmen möge, so ist zu wissen, daß wie[1] GOtt den Menschen zur Glückseligkeit erschaffen; also hat er auch gewisse Güter ausersehen, durch deren Genuß er dieser Glückseligkeit theilhafftig werden möge.
[1] HIS-Data: korrigiert aus: wir
  So viel Fähigkeiten der Mensch hat, so viel Arten entstehen von dieser Glückseligkeit, daß er auf Seiten des Leibes gesund; in Ansehung des Verstandes erkenne, was wahr und falsch, und was den Willen betrifft, der Tugend ergeben ist. Damit der Mensch zur Erlangung dieser Glückseligkeit nun desto eher angetrieben werde, legte GOtt in dessen Natur gewisse natürliche Begierden, welche auf etwas angenehmes abzielen solten, dergleichen sind  
   
  Solchem Triebe sind zwar die Menschen gefolget, aber auf eine unvernünfftige Art, indem sie die göttliche Absicht aus den Augen gesetzet, daß sie dadurch sich zur Beförderung der wahren Glückseligkeit hätten antreiben lassen, sondern haben dabey nur eine sinnliche angenehme Empfindung gesucht. Wie nun dieses nach und nach habituell worden, so ist endlich daraus die Wollust entstanden, da man geneigt ist, seine Sinnen immer zu belustigen.  
  Dieser Concept, den wir hier angeführet, und darinnen das eigentliche Wesen der Wollust gesetzt, ist auch dem Gebrauche dieses Worts gantz gemäß. Denn wenn wir sehen, daß ein Mensch  
  {Sp. 1425|S. 730}  
  gerne was gutes isst[1], und trinckt, und also eine angenehme Empfindung des Geschmacks haben will; er hört gerne eine schöne Music, und will dadurch seine Ohren kützeln: er sieht nach veränderlichen und schönen Sachen; kan nicht wohl grosse Kälte oder Hitze leiden u.s.w. so nennet man ihn einen wollüstigen Menschen.
[1] HIS-Data: korrigiert aus: ist
  b) Unterschiedene Arten der Wollust.  
  Es sind die Wollüstigen nicht alle von einerley Art. Denn man weiß unter andern aus der Erfahrung, daß manche ihr Vergnügen in fressen und sauffen, in dem Umgange mit Weibs-Personen suchen; andere hingegen machen sich daraus nichts, und ergötzen sich vielmehr an einer stillen und ehrbaren Gesellschafft; oder bleiben auch zu Hause, und vertreiben ihre Zeit mit lustigen und angenehmen Büchern.  
  Um deswegen muß man gewisse Arten der Wollust setzen, und sie ordentlich von einander scheiden. Rüdiger in institud. erud. … theilt sie in sechs Arten, als in die bacchische, venerische, delicate, curieuse, pharisäische und in die Freundschaffts-Wollust. Den Grund dieser Eintheilung nimmt er her von den unterschiedenen Arten des Angenehmen, so GOtt mit den natürlichen Begierden verknüpffet; und weil die Wollust die Sinnen zu kützeln suchet; die Sinnen aber entweder äusserliche, oder innerliche sind, so gehören zu jenen die delicate, die bacchische und venerische; zu diesen aber die curieuse, pharisäische und Freundschaffts-Wollust. Es ist auch unter ihnen noch dieser Unterscheid, daß man einige Arten, als die delicate, curiöse und pharisäische nicht vor unanständig hält, noch selbige vor den Leuten verstellet; etliche aber, ingleichen wenn man durch die Freundschaffts- Wollust immer in Compagnien lieget, hält man vor unanständig.  
  Wir wollen jede Art insbesondere durchgehen. Erstlich ist  
  1) Die delicate Wollust, welches diejenige Art ist, da man geneigt ist alles, was einem nach der sinnlichen Imagination den äusserlichen Sinnen beschwerlich und unangenehm scheinet, zu meiden und wegzuschaffen. In der Natur hat sie diesen Grund: GOtt hat den Menschen einen natürlichen Eckel vor allen denjenigen, was seiner Gesundheit und Leben schadet, eingepflantzet, welchem Eckel solche Wollüstige zwar folgen, aber nicht in der Absicht, wie es GOtt haben will. Denn hier hat man vor manches einen Abscheu, z.E. etwas Hitze oder Kälte, einige geringe Schmertzen des Leibes ausstehen, nicht deswegen, weil man befürchtet, es möchte der Gesundheit nachtheilig seyn, die gleichwohl dadurch keinen Schaden leidet; sondern weil man eine unangenehme Empfindung davon hat.  
  Sie hat bey allen äusserlichen Sinnen statt. Denn bald hat man eine delicate Nase, u. kan nicht den geringsten übeln Geruch vertragen; bald ein delicates Ohr, wenn es, immer still um einen seyn soll; bald delicate Augen, wenn man nur dasjenige ansehen will, was schön und lieblich; bald eine delicate Zunge und ein delicates Gefühl, daß man die Hände in kein kaltes Wasser tauchen, an das Gesicht nicht die geringste Lufft  
  {Sp. 1426}  
  gehen lassen will. Viele halten ihre delicate Wollust vor was löbliches, und pflegen sie eine Zärtlichkeit zu nennen; die aber mehr vor einen Fehler, als vor eine Geschicklichkeit anzusehen, welches man daher erkennen kan, daß solche Leute ihre Gesundheit mehr schwächen, als erhalten.  
  Vors andere ist  
  2) die bacchische Wollust, bey welcher man eine solche Begierde nach Essen und Trincken hat, daß man eine angenehme Empfindung des Geschmacks haben möge. Der Appetit an sich selbst ist eine natürliche Begierde, welcher man nach der göttlichen Absicht zu dem Ende folgen muß, daß man seine Gesundheit und sein Leben erhalte, wodurch die Begierde, wenn man sie also einrichtet, vernünfftig wird. Wollüstige setzen solche Absicht aus den Augen, sehen nicht auf ihre Gesundheit; sondern nur auf die angenehme Empfindung des Geschmacks, es mag dieses der Gesundheit zuträglich seyn, oder nicht, daher sie pflegen zu sagen: ich esse was mir schmeckt und leide was ich kan.  
  Nehmen wir hier diese Benennung der bacchischen Wollust in weitläufftigen Verstande, so sind die Wollüstigen aus dieser Classe wieder dreyerley. Einige sehen bey dem Essen und Trincken  
  (a) auf die Quantität, welche ihren Magen offtmahls so überladen, daß sie sich dabey nicht menschlich: sondern viehisch, ja bisweilen noch schlimmer, aufführen. Denn das unvernünfftige Vieh frißt und säufft nicht mehr, als es vertragen kan; viele aber, die Menschen heissen wollen, wenn sie gleich von der Natur selbst erinnert werden, es sey gnung, wollen sie gleichwohl bezwingen.  
  Andere haben nicht so wohl an der Menge, als vielmehr  
  (b) an der Delicatesse der Speisen und des Geträncks, wie sie es nennen, ihr Vergnügen, welche süß, sauer, anziehendes, was neues seyn, u. dabey in ihren mannigfaltigen Veränderungen vorhanden seyn müssen.  
  Noch andere sehen  
  (c) auf beydes, die Quantität und Delikatesse, das ist sie essen und trincken gerne was gutes, es soll aber auch viel seyn.  
  Drittens folgt  
  3) Die venerische Wollust, welche auf die geile Vermischung der Leiber beyderley Geschlechts, oder auf den geilen Beyschlaf zielet, um die fleischliche Lust zu stillen, und eine angenehme Empfindung zu haben. Unter die natürlichen Begierden gehört auch die Lust des Beyschlafs, welche GOtt in das menschliche Gemüthe deswegen geleget, damit die Menschen desto ehe ihr Geschlecht fortzupflantzen angetrieben würden. Solche Absicht haben Wollüstige nicht; sondern suchen nur ihre geile Lust zu stillen, und ihr Fleisch zu kützeln, welches so wohl in, als ausser der Ehe geschehen kan. Denn wenn Eheleute bey ihrer fleischlichen Vermischung die Dämpffung der geilen Lust zum Haupt-Ziel setzen, so kommt dieses eben aus der venerischen Wollust her.  
  Viertens ist  
  4) die curiöse Wollust, welche darinnen bestehet, daß man nach solchen Dingen eine Begierde hat, welche in Ansehung des Verstandes das Gemüth belustigen, aber zur Untersuchung der Wahrheit nichts beytragen. Ein solcher Wollüstiger hat z.E. sein eintziges Ver-  
  {Sp. 1427|S. 731}  
  gnügen an Romanen, Comödien, Opern und andern ingenieusen Schrifften, und ist ihm sehr verdrüßlich, wenn er was ernsthafftes und tiefsinniges lesen, oder über eine Sache meditiren soll. Da sagt man: es ist ein sehr curieuser Mann, er lieset alle Zeitungen, bekümmert sich um die Neuigkeiten, und wenn denn was von curieusen Sachen gedruckt wird, darinnen sonderlich eine angenehme lustige Schreibart ist, das muß er haben.  
  Man bleibt nicht allein bey den Schrifften; sondern fällt auch auf andere curiöse Sachen mit seiner Wollust, als auf Naturalien-Cammern, Müntz-Cabineten, Schildereyen, Bibliothequen, daß wenn solche Wollüstige sich Bücher anschaffen, so thun sie dieses nicht zu dem Ende, daß sie daraus gelehrt und weise werden, und GOtt und dem Nächsten dienen wollen; sondern sie haben nur daran ihre Lust, wenn sie die Bücher äusserlich in schöner Ordnung ansehen können. Diese Art der Wollust hat in der Natur des Menschen den Grund, daß uns GOtt einen Trieb der Wahrheit eingepflantzet, welchem Triebe etwas zu erkennen, diese Wollüstige zwar nachgehen, aber nicht zu dem Ende, daß sie durch die Erkenntniß der Wahrheit andern dienen mögen, sondern sie suchen nur ihre eigene sinnliche Vergnügung.  
  Fünfftens hat man  
  5) die pharisäische Wollust, wenn man an den äusserlichen Stücken des Gottesdienstes, die mit einer angenehmen Empfindung der Sinnen verknüpffet, ein Vergnügen hat, weswegen solche Leute gerne in die Kirche gehen, damit sie eine schöne Music hören: lieber solche Lieder, deren Melodey lustig klingt, als diejenigen, bey denen weder die Poesie künstlich, noch die Melodey angenehm, singen, und von den Predigern urtheilen sie nach dem äusserlichen, daß wenn einer eine derbe Stimme hat, kurtz prediget, allerhand weltliche Historien mit einmischet, sinnreiche Vorstellungen machet, so hält man ihn vor einen sehr geschickten Mann.  
  Sechstens ist noch  
  6) die Freundschafts-Wollust, da man sein Vergnügen an guten Freunden und an dem Umgange mit ihnen suchet, welche ihren Grund auch in der Natur hat, da GOtt allen Menschen einen Trieb zur Gesellschafft eingepflantzet, damit der Nutzen der Menschen desto mehr befördert werde. Solchem Triebe folgen zwar die Wollüstige, und sind beständig in Gesellschafft; aber nicht zu dem Ende, wie es GOTT haben will, indem sie nur einen Zeitvertreib, und bloß ihr eigenes Vergnügen suchen. Diesen Leuten kommt es fast unleidlich vor, wenn sie allein bleiben sollen, und wo sie sich an eine gewisse Stunde zu conversiren gewöhnet, so wird ihnen Zeit und Weile lang, bis sie können ausgehen, oder jemand zu ihnen kömmt.  
  c) Eigenschafften der Wollust.  
  Die Eigenschafften der Wollüstigen können so wohl an sich selbst als auch in Ansehung der Pflichten und der Stände, darinnen sie sich befinden, betrachtet werden.  
  {Sp. 1428}  
  An sich selbst haben sie so wohl schädliche als nützliche Eigenschafften an sich. Zu den  
  (A) schädlichen gehöret ihre  
 
1) Veränderlichkeit, daß sie bald auf das, bald auf jenes fallen, und wenn sie auch was gutes anfangen, so lassen sie von ihrem Fleisse bald ab, und führen nichts rechts hinaus; die
 
 
2) Leichtgläubigkeit, daß sie alles, was ihnen andere vorsagen, offt ohne Grund vor wahr annehmen, ihnen allzu sehr trauen, wodurch sie den Schaden haben, daß sie vielmahls hinter das Licht geführet und betrogen werden; die
 
 
3) allzugrosse wollüstige Liebe, daß wenn sie einen guten Freund haben, so wissen sie in den Gefällichkeiten und Gutthaten keine Maasse zu halten, und handeln dabey offt so wohl wider die Regeln der Billigkeit, wenn sie sich anderer würdigen Personen nicht annehmen, als auch wider die Regeln der Klugheit, indem sie sich damit selber schaden; die
 
 
4) Schwatzhafftigkeit, da sie nicht nur in Gesellschafften allzu viel reden; sondern auch so unbedachtsam dabey sind, daß sie offt Dinge vorbringen, die ihnen Verdruß erwecken, und weil sie gleich wohl immer was reden wollen, so kan es nicht anders seyn, als daß allerhand Lügen mit unterlaufen müssen; die
 
 
5) Leichtsinnigkeit, wenn sie dasjenige, so ihnen als was widriges aufstösset, oder aufstossen dörffte, so bald aus dem Sinne schlagen, und nicht darauf bedacht sind, wie sie solchen widrigen Zufällen begegnen können; die
 
 
6) allzu grosse Erniedrigung, daß man sich gegen jederman ohne Unterscheid in Worten und Wercken allzu sehr demüthiget, eine sclavische Aufführung annimmt, woraus nach und nach eine Verachtung entstehet; die
 
 
7) Furchtsamkeit, so wohl in ihren Unternehmungen, daß sie sich alle Dinge so schwer vorstellen, und sich dadurch von manchen guten abhalten lassen, als auch bey einem bevorstehenden Unglück, da sie gleich den Muth sincken lassen, durch die allzugrosse Zaghafftigkeit sich ausser den Stand setzen, auf Mittel zu dencken, wie einem Unglück abzuhelffen sey; der
 
 
8) Müßiggang, wodurch sie nicht nur manche Gelegenheit verabsäumen, ihr Glück zu befördern; sondern auch ihr Thun nicht abwarten, und also nichts rechts vor sich bringen; die
 
 
9) Offenhertzigkeit, daß sie alle geheime Sachen, so wohl ihre eigene, als was andere ihnen anvertrauet, unbedachtsam entdecken, welcher Fehler sonderlich daher kommt, daß sie gegen jedermann ihre Aufrichtigkeit bezeigen wollen; die
 
 
10) Verschwendung, wenn sie das Geld ohne Noth ausgeben, und sich darüber vor der Zeit in Armuth stürtzen; das
 
 
11) Zaudern, daß sie alles von einem Tage zum andern verschieben, und durch solchen Aufschub machen, daß manche Sache gar liegen bleibet.
 
  Doch haben Wollüstige in Philosophischen und bürgerlichen Verstande auch  
  (B) gute Eigenschafften.  
  Denn sie sind 1) höflig, 2) dienstfertig, wenn es nur dabey keine grosse Mühe braucht, 3) versöhnlich, daß wenn man gleich mit ihnen zerfallen, so lassen sie sich bald wieder besänfftigen, weswegen man solche Leute auch in Gesellschafften noch am liebsten leidet, wenn sie nur an sich halten können, daß Ihre Wollust in keine äusserliche grobe Fehler ausbricht.  
  {Sp. 1429|S. 732}  
  Betrachten wir sie nach den unterschiedenen Pflichten, so bezeugen sie sich  
  (a) gegen GOtt also: In Religions Sachen sind sie sorglos, und bey Untersuchung der Wahrheit unachtsam, daher sie aus Faulheit lieber die alten eingewurtzelten Irrthümer behalten, als die Mühe über sich nehmen, die Wahrheit richtig zu erforschen. In dem Dienste GOttes selbst sind sie schläfrig, träge, unbeständig. Sie nehmen das Wort GOttes gar bald und mit Freuden an, solcher Saamen aber wurtzelt selten, sondern der Böse raubt es gemeiniglich bald wieder von ihnen, so sich nur ein geringer Sturm von Verfolgung oder Trübsal erreget. Sonderlich vergessen wollüstige Leute bey guten Tagen GOttes gar leichtlich, und werden sehr in ihrem Glücke und Lüsten verblendet. Sie warten wohl den äusserlichen Gottesdienst ab, wenn er ihnen zur Belustigung dienet, und solches mit ihrer Commodität geschehen kan.  
  In den Pflichten (b) gegen sich selbst, ist ihr eintziges Dichten und Trachten dahin gerichtet, wie sie ihre innerliche und äusserliche Sinnen belustigen, und ihr Leben in lauter Lust und Vergnügen zubringen mögen. Es ist ihnen nicht möglich, viele Arbeiten über sich zu nehmen; sie sehen nicht sonderlich auf die Wohlanständigkeit, halten ihre Sachen unordentlich, wissen nicht zu spahren, und indem sie allzuviel Sorge vor den Leib tragen, so vergessen sie der Seelen darüber, und ziehen sich allerley Kranckheiten, Schimpf, Armuth und andere Beschwerlichkeiten auf den Hals.  
  In Ansehung der Pflichten (c) gegen andere, sind sie zwar zur Barmhertzigkeit und Dienstfertigkeit geneigt, beleidigen auch nicht leichte jemand mit Vorsatz, weil sie nicht gerne etwas begehen wollen, was ihnen Ungelegenheit verursachen könnte; doch wenn es ihre Absichten erfordern, andern Leuten zu schaden so machen sie sich auch kein Gewissen darüber, wes wegen sie die Gerechtigkeit gar leichte aus den Augen setzen, die gegebene Treue brechen, den Verträgen zu wider leben, mit ihren Lügen und Waschhafftigkeiten grosse Verwirrungen und Verdrießlichkeiten anrichten.  
  Aus diesem ist leicht zu urtheilen, wie es mit Wollüstigen aussiehet, wenn sie in einem gewissen Stande leben.  
  Sind 1) Regenten wollüstig, so sieht man an ihren Höfen nichts, als Lustbarkeiten, Aufzüge, Opern, Comödien, Jagden. wenn man aber zu den Unterthanen kommt, so hört man vieles Seuffzen, Klagen und Winseln. Der Regierung nehmen sie sich selbst nicht viel an, und sind denen Zeigern auf der Uhr gleich, daß wie man sie stellt, so gehen sie. Sie wünschen nur immer Friede in ihrem Lande, und fürchten sich sehr vor den Krieg.  
  In dem 2) Lehrstande pflegen wollüstige Prediger curiöse und galante Predigten zu thun, allen Leuten nach dem Maule zu reden, sich der Welt gleich zu stellen, und solche Dinge vorzunehmen, die bey ihrem Amte nicht bestehen können, da sie Vorbilde der Heerde seyn sollen.  
  Wollüstige 3) Eheleute vertragen sich wohl mit einander, leben in Frieden beysammen, es kommt aber dieses nicht aus reinen Quelle der Tugend, sondern aus dem unreinen Brunnen der Geilheit. Wenn der eine Ehegatte stirbt, so will sich das hinterlassene Theil durchaus nicht trösten lassen; wenn  
  {Sp. 1430}  
  aber wenige Zeit vorbey, so denckt man schon auf die andere Ehe.  
  Wollüstige 4) Eltern taugen in der Kinderzucht nicht viel. Denn sie verzärteln die Kindern sehr, und thun zuweilen fast alles, was sie ihnen an den Augen absehen können. Sie machen dadurch ihre Leiber nicht nur schwächlich und kräncklich; sondern verderben auch ihr Gemüth. Denn weil die Kinder diese grosse Liebe gar leichtlich mercken, so pflegen sie dieselbe zu allerhand Bosheiten zu mißbrauchen, und leben hierbey der gewissen Zuversicht, wenn die Eltern schon solten böse werden, so würden sie auch doch bald wieder gut. Walchs Philosophisches Lexicon.  
  Ob man nun wohl aus den Eigenschafften der Wollust einen Wollüstigen gar bald erkennen kan, so wollen wir dennoch auch vorstehenden noch die  
  d) Kennzeichen der Wollust  
  hinzusetzen. Man kan die Wollust gantz eigentlich daran erkennen, wenn, indem man auf die Art zu Leben eines Menschen genau Achtung giebet, man befindet, daß alles, oder, (wenn die Wollust durch einen andern Haupt-Affect nur ein wenig gemäßiget ist) das meiste, was er beginnet, auf eine oder etliche Arten der Lust, die man an den natürlichen Mitteln empfindet, als auf die letzte Haupt-Absicht gerichtet sey; und daß solcher Absicht alle übrigen, so wohl gute als andere eitele Absichten, entweder zu Mitteln dienen, oder weichen müssen; Welches man aus der eigentlichen Beschaffenheit und dem Zusammenhange der sämmtlichen Thaten eines Menschen, und ihrer Umstände gar leicht urtheilen kan.  
  Man wird daher 1) befinden, daß ein Wollüstiger im Gebrauch derjenigen natürlichen Mittel, die ihre eigene Annehmlichkeit haben, und auf welche seine Art der Wollust vor allen andern fällt, überaus unmäßig sey, und immerwährende grobe Excesse mache: Dieweil er sie nicht als Mittel um ihres Zweckes willen, sondern als Zwecke brauchet. Die Betrachtung aber des Zweckes, zu welchem sie nach der Göttlichen Ordnung als Mittel dienen solten, der eintzige Grund aller in ihrem Gebrauche zu haltenden vernünfftigen Masse ist;  
  2) In der Freude, deren Gegenstand seine eitele Lust ist, ist ein Wollüstiger, in Ermangelung der besagten Betrachtung die sie mäßigen solte, unmäßig und ausgelassen, und lässet sie in vieles Jubiliren, Lustigkeiten, Freuden-Feste, Tantzen und Springen, ausbrechen;  
  3) Er ist dahero von Natur zur Verschwendung geneigt, und führet die schlechteste Wirthschafft von der Welt. Er machet Schulden, und ist seinen Freunden und Bekannten mit stetem Borgen beschwerlich, und gleichwohl der schlechteste Bezahler.  
  4) Aus der Übermasse erfolget natürlicher Weise der Eckel, und dahero die Unbeständigkeit, und Liebe der Veränderung in seinen Lüsten.  
  5) Weil aber nicht alle Mittel menschlicher Zwecke eine ihnen eigene Annehmlichkeit haben, oder doch nicht diejenige, auf welcher eine jede Art der Wollust ihre Absicht richtet; ja vielmehr zum öfftern um eines Zweckes willen man sich eine ziemliche Unannehmlichkeit oder Beschwerlichkeit in den Mitteln gefallen lassen muß: so wird ein Wollüstiger in Ansehung derjenigen Mittel menschlicher Zwecke, die keine, oder doch nicht die von ihm vor andern ge-  
  {Sp. 1431|S. 733}  
  liebte Annehmlichkeit in sich haben, sehr nachläßig seyn; ja diejenigen Mittel, die vollends gar beschwerlich sind, insonderheit aber die Arbeit, als das allergemeinste Mittel fast aller menschlichen Zwecke, die von einiger Wichtigkeit sind, wird er als das höchste Übel fliehen. Er ist also ein abgesagter Feind aller Beschwerlichkeit, und ein ungemeiner Liebhaber seiner Bequemlichkeit, folglich von Natur faul, und dem Müßiggange ergeben.  
  Soll er ja eine Unbequemlichkeit sich gefallen lassen, so muß sie nicht gar groß und langwierig, und um einer gar sonderbaren unmittelbar zu erwartenden, oder nicht allzuweit hinausgesetzten Lust Willen seyn. Dieses Kennzeichen unterscheidet die Wollüstigen am allerdeutlichsten von den Ehrgeitzigen und Geldgeitzigen, als die hingegen der Arbeit destomehr ergeben sind, und um ihrer Zwecke willen, so weit hinaus sie auch in ihren weit aussehenden Unternehmungen gesetzt seyn mögen, sich alle Beschwerlichkeiten und Strapatzen mit unglaublicher Standhafftigkeit unterwerffen.  
  6) Hieraus folget, daß in Ansehung des Zukünfftigen es dem Wollüstigen von Natur zuwider sey, seine Vorsicht und Absichten, über dasjenige, was sofort unmittelbar bevorstehet, weit hinaus zu richten; dieweil der mühsame Zusammenhang der Anstalten, die ein weit bevorstehendes Zukünfftiges erfordert, ihm viel zu beschwerlich ist. Er ist dahero ohne Sorgen.  
  7) Es folget ferner, daß in Ansehung des unmittelbar, (oder doch bald, so weit nemlich seine kleine Vorsicht reichet,) bevorstehenden Zukünfftigen, er ungemein furchtsam, in Widerwärtigkeiten, da nemlich etwas, das seiner Wollust sehr zuwider, zu besorgen ist, ohne Ursache verzagt, und äusserst unschlüßig, oder wenn er sich zu etwas entschliesset, darinnen höchst unbeständig sey; dieweil die Mittel, einer Gefahr entgegen zu gehen und zu begegnen, oder die Standhafftigkeit sie auszuhalten, nicht ohne grosse Beschwehrlichkeit seyn können. Er ist dahero von Natur mehr geneigt, einem Übel zu entfliehen, als ihm zu begegnen und abzuhelffen; mehr nur obenhin vor den unangenehmen Würckungen desselben sich eine Zeitlang Frist zu verschaffen, als es bey Zeiten, ehe es allzusehr einreisset, aus dem Grunde zu heben.  
  8) Insonderheit vor dem Todte, wenn jetzt einige Gefahr desselben vorhanden ist, erzittert er, und hat nüchtern nie viel Courage.  
  9) Ausserdem, und wenn er nichts, daß seiner Wollust nachtheilig, unmittelbar zu besorgen hat, ist er, (vermöge des 4 und 5 Kennzeichens) zu allen Übereilungen geneigt.  
  10) Leichtsinnig, ein wichtiges Gut wegen einer gar geringen Beschwerlichkeit der Mittel vor nichts zu achten,  
  11) ungedultig, in einem Vornehmen, das nicht alsofort ohne grosse Mühe von statten gehen will, viele Standhafftigkeit blicken zu lassen; immassen er offt zwar viel mit grossem Feuer anfänget; aber bald eines nach dem andern wieder liegen lässet, und wenig oder nichts ausführet; auch die nöthigsten Geschäffte von einem Tage zum andern, bis auf die letzte Stunde, verschiebet.  
  12) In seiner Kleidung, und in seinem Hauß-Wesen, ist weder Reinlichkeit noch Ordnung; nicht daß ihm die Sauerey und Unord-  
  {Sp. 1432}  
  nung an sich selbst angenehm wäre; sondern wegen der zwar kleinen, doch steten Bemühung, die zur Reinlichkeit und guten Ordnung erfordert wird. Dahero ob er zwar zuweilen, und gleichsam ruckweise, gar schön geputzt aufziehet; so währet es doch insgemein nicht gar lange.  
  13) In Ansehung seiner natürlichen Neigung zum Müßiggange ist nicht leicht jemand, dem den gantzen Tag über zu Hausse die Zeit so lang währen solte, als einem Wollüstigen. Dahero ist eine seiner wichtigsten Haupt-Sorgen, wie er doch so viele Tage über, als man in einer jeden Woche zehlet, die Zeit vertreiben wolle. In Ermangelung des Zeitvertreibs, ist er voll Unmuths, ungedultig, siehet bald zum Fenster hinaus, bald wieder herein, siehet alle Augenblicke nach der Uhr, rüttelt an der Sand-Uhr, u.s.w.  
  14) Daher entspringet die Neigung zu stetiger müßiger Gesellschafft, zu spielen, in den Wirthshäusern zu sitzen, eine Hofstadt von Schmarozern, lustigen Brüdern, Possenreissern, um sich zu haben, oder dergleichen selbst abzugeben, allerhand Arten der Schauspiele zu besuchen, Lust-Reisen zu thun, seinen Bekannten täglich über dem Halse zu liegen, und ihnen die Zeit zu verderben.  
  15) Nicht weniger entspringet daher der Abscheu vor allen nicht so gar müßigen Gesellschafften, dererjenigen nemlich, in denen etwa durch ernsthaffte Unterredungen von nützlichen Dingen die Zeit zugebracht wird; insonderheit vor der Gesellschafft alter Leute oder vornehmer Personen, da man sich klug und wohlanständig aufführen solle.  
  16) In jener ersten Art der Gesellschafften ist der Wollüstige frey und munter, sehr gesprächig, ja waschhafftig,ohne alle Verstellung; Daher er in solchen Gesellschafften gar bald mit jederman, auch dem gar niedrigen Völkgen, sich sehr gemein zu machen pfleget. In der andern Art der Gesellschafften aber, da dergleichen nicht wohl angehet, ist er Leutscheu, blöde, mit vieler Bauerverschämheit, und suchet, so viel möglich, aus solchen Gesellschafften bald hinweg, und zu seines gleichen zu kommen.  
  Diese Sitten der Wollüstigen nehmen grossentheils, nach dem Unterschiede der Art der Wollust, welcher ein Mensch ergeben ist, unterschiedene Gestalten an. Die Excesse der Freßigen, Versoffenen, Geilen, Zärtlichen, curiösen oder gelehrten, guthertzigen, geistlichen Wollust, zeigen sich in gantz unterschiedenen Dingen, wie aus der Natur einer jeden dieser Arten leicht zu urtheilen.  
  Die Fliehung des Beschwerlichen ist ebenfalls nach den unterschiedenen Arten der Wollust gar sehr unterschieden. Der gelehrten Wollust ist z.E. eine Arbeit nicht beschwerlich, die hingegen der leiblichen Wollust höchst zuwider ist. Die gelehrte Wollust ist unverdrossen in dem, was ihre Curiosität vergnüget; desto fauler und verdrossener hingegen in der Amts- und Beruffs-Arbeit, wenn diese nicht zugleich der eigenen Curiosität des Menschen gemäß ist. Auf wie vielerley gantz unterschiedene Dinge fällt nicht die Verschwendung so unterschiedener Arten wollüstiger Menschen? indem vor das, worinnen der eine wohl sin gantzes Vermögen verschwendet, der andere nicht gerne einen Groschen ausgiebt.  
  {Sp. 1433|S. 734}  
  Die freßige und versoffene Wollust insonderheit brauchet keine Kennzeichen, daran man sie erkennen könne: dieweil sie sich in ihren unmittelbahr in die Sinne fallenden Wirckungen nicht bergen kan; und dahero auch gemeine Leute, die von der Erkenntniß der Gemüther nichts verstehen, wollüstige Leute dieser Art bald aus der Erfahrung kennen lernen.  
  Eben dieses ist auch von der zärtlichen Wollust zu sagen. Einem Zärtlinge ist eine jede, auch geringe Leibes-Beschwerlichkeit, die durch den Sinn des Gefühles zu erdulten ist, eine Centner-Last. Wenn er nicht weich genung sitzen oder liegen, eine harte Speise geniessen, einen kalten oder schahlen Trunck thun, eine auch nicht gar mühsame Verrichtung selber, und nicht durch Bediente, verrichten, ein wenig Kälte, Wärme, Wind, Nebel, Regen, übele Wege erdulten, einen nicht gar weiten Weg zu Fusse gehen, oder in einem nicht sehr bequemen Wagen fahren soll, ist er voll Unmuths, vermeynet kranck zu seyn, klaget und winselt, lässet sich sorgfältig warten, und schicket nach einem klugen Artzte, der ihm nehmlich nicht etwa seine Noth noch mit garstig schmeckenden oder übelriechenden Artzneyen vermehren, sondern etwas wohlschmeckendes reichen möge.  
  In der geilen oder verliebten Wollust zeigen sich die oben angeführten gewöhnlichen Sitten der Wollüstigen folgendergestalt: Wer dieser Wohllust ergeben ist, der wird unfehlbar  
  1) alle göttliche und menschliche Ordnungen, die die Zeugung betreffen, gäntzlich hindansetzen; Dieweil er in der Lust der Buhlen-Liebe seinen höchsten Hauptzweck suchet, welche Lust durch besagte Ordnungen auf eine seiner Eitelkeit höchstbeschwerliche Art eingeschräncket wird.  
  2) Damit die daher entstehenden schändlichen Unordnungen die Ehre, seiner Meynung nach, nicht verletzen mögen, so wird er, wenn seine Wollust noch durch einigen Ehrgeitz gemäßiget ist, unter dem Deckmantel der Galanterie zum wenigsten den äusserlichen Wohlstand dabey zu beobachten trachten, die groben Excesse aber im verborgenen treiben; da hingegen, wo nebst der Tugend alle auch nur eitele Neigung zur Ehre verlohren ist, weder Schaam noch Scheu seyn wird.  
  3) An der blossen Stillung der natürlichen Begierde wird er nicht genung haben, sondern diese, wenn sie auch durch die stetswährende Excesse entkräfftet ist, auf allerhand Arten aufzureitzen suchen.  
  4) Zu dem Ende suchet er auf das an angelegentlichste die Bekanntschafft und den Umgang mit Personen ungleiches Geschlechts, hält auch und wendet viel auf Leute, die ihm zu diesem Zwecke behülflich seyn können:  
  5) Er ist ein sorgfältiger Erforscher und Kenner der Schönheiten;  
  6) strebet nach heimlichen Zusammenkünften, und ist sogleich fertig zu unzeitigen Liebes-Verständnissen, darinnen er jedoch an seinen Absichten weder vernünftig, noch ehrlich, sondern unbeständig, selten gar verschwiegen, ja vielmehr offt ein unverschämter Lügner ist, und sich eines mehrerern rühmet, als er genossen.  
  7) Er hat seine Lust an groben, oder doch subtilen Zoten, ingleichen  
  8) an reitzenden Gemählden;  
  9) In der Kleidung hat er vor allen andern Wollüstigen dieses besonders, daß er sich weibisch putzet,  
  {Sp. 1434}  
  und vor dem Spiegel alle Kleinigkeiten mit grosser Sorgfalt überleget.  
  10) Sodann ist er ein Pflastertreter,  
  11) zum Tantze ausserordentlich geneigt,  
  12) ist ein besonderer Liebhaber der Romanen, verliebter Arien, und dergleichen Music, u.s.w.  
  Die curiöse oder gelehrte Wollust hat keine besondere Kennzeichen von nöthen, weil sie niemand zu verstellen begehret, wohl aber jedermann, der ihr ergeben ist, sie vor eine weise und löbliche Begierde nützlicher Erkenntniß gehalten haben, und gerühmet wissen will. Ein eintziges Kennzeichen demnach ist nöthig, sie nur von dieser letztern zu unterscheiden. Solches ist, aus dem Grunde des Wesens der Wollust überhaupt, dieses, daß da nach der Ordnung GOttes alle Erkenntniß nur zu einem Mittel des wahren menschlichen Nutzens dienen soll, ein Mensch, der nur durch wollüstige Curiosität zu Dingen, die die menschliche Erkenntniß betreffen, z.E. zum Lesen vieler Bücher, zu fleißigen Studiren, zum Reisen, und allerhand Merckwürdigkeiten mit anzusehen, geneigt ist, den würcklichen Nutzen seiner selbst, und anderer Menschen, auf den eine jede Wissenschafft abzielet, aus den Augen setzet, oder denselben nur neben bey gar kaltsinnig in Betrachtung ziehet, seiner Haupt-Absicht aber in der Lust der Erkenntniß selbst, und in der angenehmen Veränderung, derer zu erkennenden Dinge suchet: Welcher Unterschied sich aus den Umständen leicht ergiebet, da der Wollüstige in den Wissenschafften das angenehme dem nützlicherm vorziehet, und lieber zu Hause allein in allerhand ihm gefallenen Büchern, und eigenem Nachdencken, oder in Gesellschafft mit seines gleichen, der Lust seiner Curiosität nachhänget, als seinen täglichen Beruffs-Wercken, die ihm sehr gewöhnlich, und seine Curiosität nicht mehr so sonderlich vergnügen, folglich diese letztern mit grosser Nachläßigkeit, und obenhin, damit er fein bald davon kommen möge tractiret.  
  Die guthertzige Wollust endlich suchet ihr höchstes Gut in der natürlichen Annehmlichkeit der Liebe, und also ohne alle Absicht auf den von GOtt geordneten Zweck dieser letztern, nehmlich auf die gesellige Beförderung der wahren Glückseligkeit seiner selbst und des Geliebten: Wodurch denn eine wollüstige Menschen-Liebe von der vernünftigen oder tugendhafften leicht zu unterscheiden ist. Ein solcher Wollüstiger demnach ist  
  1) von Natur zu gar besonderer, aber unächter Dienstfertigkeit geneiget. Seine eintzige Absicht dabey, mit Hindansetzung aller andern vernünfftigen Betrachtungen, ist, nur den Geliebten vergnügt zu wissen, um an dessen Vergnügen, und an seiner dadurch, daß man etwas darzu beygetragen, gereitzten Gegen-Liebe sich zu ergötzen. Er dienet ihm also, nicht allein mit seinem eigenen Schaden, sondern auch mit dem Schaden des Geliebten selbst, wenn nehmlich das Verlangen des letztern auch aller Tugend und Klugheit, und also seinem wahren Besten zuwider wäre; Denn dieses ist die eigentliche Art wollüstiger Dienstfertigkeit.  
  2) Aus eben diesem Grunde lässet er sich leicht alles, was er hat, abschwatzen; oder ist doch nicht fähig, beweglichen Vorstellungen und Zuredungen, wenn  
  {Sp. 1435|S. 735}  
  sie sonderlich durch geliebte Personen an ihn gebracht werden, lange zu widerstehen. Er stürtzet sich also offt selber in Noth und Mangel, (wenn zumahl die Noth und der Mangel nicht sofort unmittelbahr bevorstehet,) nur damit er andern dienen, und sie vergnügt wissen möge. Ja auch ungebeten giebt er, meist durch unnöthiges Freyhalten, das Seinige andern zu verschlucken, die seine guthertzige Gemüthszärtlichkeit zu reitzen, und vor sich schmarozerisch zu intereßiren wissen.  
  3) Diese Gemüths-Art ist also eigentlich diejenige, der es sogar sauer ankommt, jemanden etwas abzuschlagen.  
  4) Die guthertzige Wollust ist ferner sehr weichmüthig und mitleidig in anderer Leute Unglück, und hingegen frölich, wenn es guten Freunden und Bekannten wohlgehet: Gleichwie auch ein Mensch von dieser Gemüths-Art, wenn es ihm selbst übel ergehet, in dem Mitleiden anderer, welches er durch wehmütiges Klagen zu erwecken suchet, eine grosse Erleichterung findet; hingegen in glücklichen Zufällen, seiner Freude nicht nur durch Kundthuung derselben, sondern auch durch würckliches Wohlthun, gerne auch andere theilhafftig machet, und ihr hierdurch, seiner Gemüths-Art gemäß, allererst das rechte Leben giebt. Ja auch in den gemeinsten Belustigungen, z.E. des Essens und Trinckens, schmecket ihm kein Bissen ohne andere; und seine Mitleidigkeit erstrecket sich in gleichem Grade sogar auch auf das Vieh.  
  5) Hieraus ist leicht zu schliessen, daß er von der Natur offenhertzig, folglich gegen andere waschhafftig und von schlechter Verschwiegenheit, und in Ansehung dessen, was sie hingegen ihm erzehlen oder vertrauen, leichtgläubig sey.  
  6) Zu vertraulicher Freundschafft ist er sehr leicht, und ohne gegebene grosse Proben, von jedermann zu bringen, ob er gleich zu Unterhaltung derselben, eben weil er sie so leicht mit jedermann eingehet, gantz untüchtig ist. Wird sie einmahl gebrochen, so suchet er sie angelegentlich wieder zu erlangen, und kan weder selbst lange Zorn halten, noch den Unwillen anderer wider sich lange leiden. Müllers Philosophie II Theil, …
  (2) Practische Betrachtung.  
  Die practische Betrachtung dieser Lehre von der Wollust fasset zwey Stücke in sich, und zeigt so wohl, wie sich Wolllüstige gegen sich selbst aufzuführen; als auch, wie sich andere gegen selbige zu verhalten haben.  
  (a) Wie sich Wollüstige gegen sich selbst aufzuführen haben?  
  In Ansehung ihrer selbst haben sie gewisse Regeln des Gesetzes und der Klugheit zu beobachten.  
  Denn, wie sie (a) nach dem Gesetze überhaupt verbunden sind, alles zu thun, wodurch ihre Vollkommenheit und Glückseligkeit kan befördert werden, und hingegen alles zu unterlassen, was derselbigen zuwider; solche Vollkommenheit aber sowohl die Seele, als den Leib betrifft, also ist auch ihre Schuldigkeit, die Verbesserung des Willens zu besorgen. Durch die Wollust ist der menschliche Wille gleichsam kranck, und befindet sich in dem Stande der Unvollkommenheit. Nun stehet in  
  {Sp. 1436}  
  eines natürlichen Menschen vermögen nicht, die Kranckheiten selbst aus dem menschlichen Gemüthe wegzuschaffen, wozu eine höhere und übernatürliche Krafft erfordert, und das Werck allein durch die Bekehrung vermittelst der göttlichen Gnade bewerckstelliget wird; gleichwohl aber hat er soviel Gewalt, daß er die Neigungen und Affecten, folglich auch die Wollust dergestalt im Zaum halten kan, daß sie äusserlich in grobe Fehler nicht ausbricht.  
  Zu solcher Verbesserung können verschiedene Mittel gebrauchet werden. Das vornehmste ist die lebendige Erkenntniß derjenigen Beschwerlichkeiten, welche die Wollust, wenn man selbiger den Zügel lässet, nach sich ziehet. Denn daraus entstehen allerley Kranckheiten; Kranckheiten aber machen Schmertzen, und da ein Wollüstiger zur Verschwendung geneigt, so geräth er dadurch in Dürftigkeit und Armuth, welche einen ausser den Stand aller Lust setzet.  
  Damit solche Erkenntniß oder Vorstellung desto kräfftiger und lebendiger werde, so hat man dabey sonderlich zu erwegen, wie alle diese Übel so beschaffen, daß sie der Wollust schnurstracks entgegen stehen, und daher wäre es eine Narrheit, daß, indem man der Wollust übermäßig nachhängen, und sich dadurch eine sinnliche Lust machen wolte, man sich in der That mehr Unlust als Lust errege. Bliebe man in der gehörigen Maasse, daß dabey weder die Gesundheit des Leibes, noch das Vermögen Schaden litte, so genösse man nicht nur eben solcher Lust; sondern man könnte sie auch noch länger haben, ja je sparsamer man eine Lust hätte, je angenehmer und empfindlicher wäre selbige. Die Exempel stärcken die sinnliche Imagination, und können daher bisweilen in dem menschlichen Gemüthe mehr als die Theoretischen Regeln ausrichten, weswegen hier nicht undienlich, wenn man zugleich die Exempel solcher Personen anführet, die sich durch die Übermaasse in der Wollust höchst unglücklich gemacht haben.  
  Damit dergleichen Erkenntniß oder Vorstellung desto eher ihre Würckung thun möge, so hat man auch alle Gelegenheit, wodurch die Wollust dürffte gereitzet werden, zu meiden.  
  Ferner hat ein Wollüstiger (b) nach der Klugheit fleißig zu beurtheilen, wo ihm seine Wollust in der Welt nützlich oder schädlich seyn dörfte, indem wir oben gewiesen, daß Wollüstige sowohl nützliche als schädliche Eigenschafften an sich haben. Im ersten Falle muß er die Wollust reitzen, im andern aber zurücke halten. Er muß sich demnach hüten,  
 
  • daß er in dem Maasse der Liebe gegen andere nicht ausschweiffe, mit seinem eigenen Schaden nicht gutthätig, dienstfertig, allzuvertraulich und barmhertzig sey:
  • daß er nicht alles gleich glaube, was ihm andere Leute vorsagen, wenn auch gleich die Erzehlung etwas in sich hält, das seinem Affecte zu schmeicheln scheinet:
  • daß er nicht gegen jedermann offenhertzig sey, und dencke, als wäre die Offenhertzigkeit an sich selbst eine Tugend, die doch bisweilen eben so unvernünftig, als vernünftig seyn kan:
  • daß er seine eigene Fehler nicht entdecke, noch die Possen, die er in der
 
  {Sp. 1437|S. 736}  
  Jugend vorgenommen, in Gesellschafft anderer erzehlen:  
 
  • daß er lerne sich zu gewissen Zeiten zu stellen und zu verstellen:
  • daß er nicht allen, die etwas von ihm verlangen, zu helffen sich anheischig mache, sondern die Geschicklichkeit, etwas mit Manier abzuschlagen, annehme:
  • daß er bey widrigen Zufällen die Traurigkeit mäßige, sich nicht allzusehr an sein Vaterland binde, das allzu furchtsame Wesen ablege, sich nicht so viel in Neben-Dingen mit Hindansetzung der Haupt-Sache einlasse, und dasjenige, was er auszurichten, nicht von einer Zeit zur andern aufschiebe.
 
  (b) Wie sich andere gegen Wollüstige zu verhalten haben?  
  Wenn andere mit Wollüstigen umgehen wollen, haben sie auch sich nach den Regeln der Klugheit zu richten. Die Klugheit zu conversiren kommt überhaupt darauf an, daß wir mit andern Leuten so umzugehen wissen, daß sie uns nicht schaden, sondern vielmehr helffen; mithin da ein Wollüstiger sowohl nützliche, als schädliche Eigenschafften an sich hat, so muß man bey dem Umgang mit denselbigen alles so einrichten, daß man von ihm keinen Schaden zu erwarten hat.  
  Aus diesem fliessen besondere Maximen, deren wir nur einige einführen wollen:  
  Als erstlich (1) traue man dem Versprechen eines Wollüstigen nicht, weil er leicht etwas verspricht, aber schwerlich zu halten pfleget.  
  Vors andere (2) leihe man ihm nicht leicht etwas, weil man mehrentheils dabey zu kurtz kommt. Denn leiht man ihm solche Dinge, die sich nicht brauchen lassen, ohne sie zu verbrauchen, z.E. Geld, Korn, Bier, so bekommt man solche entweder gar nicht wieder, oder doch nicht zu der Zeit, die sie auch wohl mit vielen Fluchen und Schwören bestimmt haben. Leihet man ihm solche Sachen, die sich brauchen lassen, ohne sie zu verbrauchen, z.E. ein Buch, ein Kleid, so bekommt man sie ebenfalls zu rechter Zeit nicht wieder, oder doch nicht in solchem Stande, als man sie hingegeben.  
  Drittens (3) vertraue man einem Wollüstigen keine Geheimnisse, oder lasse ihn nicht hinter dergleichen Dinge kommen, weil er sie unter die Leute bringt. Denn Wollüstige haben nicht nur viele gute Freunde, sondern sind auch von der Art, daß sie immer etwas reden und was neues erzehlen wollen, daher muß alles herfür, was auch in dem innersten Grunde des Hertzens gelegen.  
  Viertens (4) rede man bey Wollüstigen von andern Leuten nicht übel, wenn auch solche Urtheile ihren richtigen Grund haben. Denn sie pflegen gerne Klätschereyen zu machen, die einem allerhand Verdruß zuziehen können.  
  Fünfftens (5) gehe man mit den Wollüstigen nicht allzuviel um, wenn man Lust hat, fleißig zu seyn und das seinige abzuwarten, indem sie einem gar viel Zeit verderben können.  
  Wir fügen hier noch bey:  
  (c) Wie man die Wohlgewogenheit und Freundschafft wollüstiger Leute, so einem nützlich seyn können, erlange?  
  Will man die Wohlgewogenheit und Freundschafft wollüstiger Leute erlangen, die einem in der  
  {Sp. 1438}  
  That manche Gefälligkeit erweisen können, so muß man weder was reden, noch vornehmen, so ihrer Neigung zuwider, so viel als man in gutem Gewissen thun kan. In denen Discoursen, die man mit ihnen führet, muß man nichts unangenehmes oder verdrießliches vorbringen, sondern allerhand Historien, Neuigkeiten, und wenn man sonst was neues gehöret oder gelesen hat, erzehlen. Man  
 
  • schreibe an sie keine lange Brieffe:
  • mache nicht viel Complimente:
  • trage ihnen nichts verdrießliches und beschwerliches auf:
  • stöhre sie nicht in der Lust, und wenn man was bey ihnen zu suchen hat, so nehme man die rechte Zeit in Acht, wenn sie sich etwa in einer angenehmen Gesellschafft befinden, und aufgeräumt sind.
 
  Doch weil Wollüstige nicht alle von einerley Art sind, so hat man sich auch nach eines jeden Gemüths-Beschaffenheit hierinnen zu richten.  
  Schrifften:  
  Von dieser bisher gehabten Materie kan man lesen  
 
  • Thomasii Ausübung der Sittenlehre,…
  • Buddeum in element. philos. pract.
  • Rüdigern in institut. erudit.
  • Triern in den Fragen von den menschlichen Neigungen, …
  • Herr von Rohr von der Erkenntniß der menschlichen Gemüther, …
  • Müller in seiner Philosophie im II Theile, ...
  • Wolffen von den Menschen Thun und Lassen, ...
  • Hilligens Anatomie der Seelen, ...
 
  nebst andern Moralischen Büchern.  
  Die alten Philosophen haben so viel Sprüche, ja gantze Stellen und Reden wider die Wollust hinterlassen, daß man leicht ein gantzes Buch damit anfüllen könnte. Eine grosse Menge davon hat Huetius in quaestionibus Alnetannis, … zusammen gelesen. Man sahe insgemein die Wollust vor schlimmer, als die andern bösen Neigungen, ja vor die Quelle aller Laster an, wie dieses unter andern Archytas, gebürtig von Tarent, und ein Lehrer des Plato, behauptet, dessen kurtze Rede von der Wollust uns Cicero in seinem Buche de senectute … erhalten, worinnen er unter andern sagt:  
  Nullam capitaliorem pestem quam corporis voluptatem hominibus a natura datam; ingleichen: Nullum denique scelus: nullum malum facinus esse, ad quod suscipiendum non libido voluptatis impelleret.  
  Vor andern ist merckwürdig, was Epictetus in seinem enchirid. … und Simplicius in dem Commentario über diese Stelle, ingleichen M. Aurelius Antoninus de seipso ad seipsum … von der Wollust gesaget haben. Walchs Philosophisches Lexicon.
  Aus denen Rechten ist hierbey nur mit wenigem anzumercken, daß an denen Fest- und Feyertagen alle Wollust unterlassen und eingestellet werden solle, l. fin. pr. C. de Fer.
     

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Stand: 19. September 2013 © Hans-Walter Pries