Titel: |
Vaterland |
Quelle: |
Zedler Universal-Lexicon |
Band: |
46 Sp. 737 |
Jahr: |
1745 |
Originaltext: |
Digitalisat BSB
Bd.
46 S. 382 |
Vorheriger Artikel: |
Vater Jesu Christi |
Folgender Artikel: |
Vater des Landes |
Siehe auch: |
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Hinweise: |
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Text |
Quellenangaben |
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Vaterland,
Lat. Patria,
Frantz. Patrie, heißt in
eigentlichem und genauerm
Verstande derjenige
Ort, woselbst jemand
gebohren worden und das
Licht der
Welt erblicket hat. |
- l. tutelas. 7.
ff. de capit. dimin
- Laurentius Sylvanus de Feud. recogn.
…
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Sonst aber und ausserdem wird dieses
Wort
auch gar öffters demjenigen Orte beygeleget, allwo jemand seine
wesentliche Wohnung und das
Bürger-Recht erlanget hat. |
- l. Provincialis …
- Sylvanus c.l. …
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Man hälts insgemein dafür, daß dem
Menschen
von
Natur eine
Liebe
gegen sein Vaterland eingepflantzet sey, und daß in
Krafft solcher Liebe er seinem Vaterlande, da ihm zumahl die erste
Lufft,
Nahrung und
Erziehung gegeben, mit gar besondern
Pflichten
verbunden sey. |
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Die Griechen und Römer hielten sehr viel auf das Vaterland. Die
alten Rhetores wusten die
Exempel derer, so vor das Vaterland
gestorben, treflich heraus zu streichen, und von der Liebe gegen
dasselbige findet man bey dem Plutarchus, Cicero, Valerius
Maximus und andern viele Zeugnisse, |
wovon Cellarius in
programmate
… zu lesen. |
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Die Liebe gegen das Vaterland kan keinesweges gäntzlich
geleugnet werden. Denn
anfangs
ist es an dem, daß die
Art der Lufft, der Speisen, Geträncke, und aller
Bequemlichkeit des
Lebens in allen
Ländern
von
unterschiedener
Beschaffenheit ist, da denn also ein Mensch, der nun einmahl an die
Beschaffenheit aller dieser Stücke in seinem Vaterlande von Jugend auf
dermassen
gewohnet ist, und die Gewohnheit die andere Natur bey ihm |
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{Sp. 738} |
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worden ist, dieselben sodann in andern Landen, in welchen sie weit
anders beschaffen, schwerlicher gewohnen kan. Dahero leicht zu
begreiffen, wie es komme, daß offt ein Mensch auch vor sein dürres,
unbequemes und raues Vaterland so grosse
Neigung
hege, daß er es wohl ehe einem fremden weit reichern und bequemern Lande
vorziehet, indem es gar natürlich ist, daß ein jeder an einem Orte, der
seiner
Leibes- und
Gemüths- Constitution in allen obbemeldten Stücken am
gemässesten ist, am liebsten sich aufhalte. Hiezu kommt noch das
angenehme Angedencken, der in unserer Jugend lustigen vorgenommenen
Sachen, womit wir die unschuldige
Jahre
in dem Vaterlande hingebracht. |
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Allein nun folget die
Frage:
Ob diese entweder natürliche; oder vielmehr durch die Gewohnheit erregte
Neigung gegen sein Vaterland den Menschen zu so gar sonderbaren
Pflichten
verbinden könne? Hiebey ist in Betrachtung zu ziehen, daß
gegen den Ort selbst, darin wir gebohren, oder erzogen sind, als gegen
eine leblose Sache keine
Verbindlichkeit seyn könne. Er ist nicht fähig, uns zu
seinen Schuldnern zu haben, und kan die Liebe gegen das Vaterland, als
eine blosse Neigung keine
Schuldigkeit gegen den Ort zu verursachen, fähig geachtet werden. |
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Die Pflichten, die wir unserm Vaterlande
schuldig sind,
müssen also solche seyn, die wir nicht dem Orte; sondern den
Menschen, die solchen Ort bewohnen, oder mit einem Worte, unsern
Landsleuten schuldig sind. Diesen, so ferne sie als eine
gantze
Gesellschafft betrachtet werden, sind wir besonders
verpflichtet. |
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Denn wenn wir jetzt in einem Lande gebohren und erzogen werden,
werden wir
Bürger oder Glieder dieser ihrer Gesellschafft. Gleichwie wir nun
hierdurch aller Befugnisse und Rechts-Wohlthaten solcher Gesellschafft
würcklich
theilhafftig werden, und zwar in einem ziemlich hohen Grade, in
Betrachtung der unterschiedenen besondern
Vorzüge, die unerzogenen Kindern zukommen: Also ist kein
Zweiffel, daß auf Seiten dieser, wenn sie nun erwachsen, aus diesen
Betrachtungen eine Verbindlichkeit zu besondern Gegen-Pflichten
entstehen müsse, die die gemeinen Pflichten, so wir einer jeden eintzeln
Person
schuldig sind, weit überwiegen. |
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Wenn demnach ferner gefraget wird: Ob ein
Unterthan seines Vaterlandes, seines
eigenen
Nutzens wegen mit guten
Gewissen sich aus selbigen hinweg begeben, und seine
Dienste
einer andern
Republick widmen könne? So ist vermöge dessen, was
gesaget worden, zum
Grunde zu setzen, daß unsere Pflichten gegen unser Vaterland von
demjenigen
Rechte
abhangen, das unserm Vaterlande zustehet, sich unserer Personen und
Güter zu seinem
algemeinen Besten zu bedienen. |
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Wie nun nach der bekannten
Regel ein jeder sich seines Rechts freywillig begeben kan, und
dieses solchen falls allerdings aufhöret; also ist kein Zweiffel, daß
auch unser Vaterland sich seines Rechtes gegen uns, als seine
eingesessene begeben könne, und daß vermöge solcher Verzicht die
Pflichten, damit wir demselben besonders verbunden waren,
nothwendig aufhören müssen. |
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Ziehen wir aus unserm Vaterlande entweder aus unserm
eigenen Triebe; oder daß wir an einen andern Ort beruffen wer- |
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{Sp. 739|S. 383} |
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den, und die Republick billiget den Abzug entweder ausdrücklich, wenn wir
z.E. die an
einigen Orten gebräuchliche Abzugs-Gelder bezahlen müssen, oder doch
stillschweigend, wenn man uns
öffentlich
mit Wissen und
Willen
ohne
Widerspruch
davon abziehen läst, so begiebt sich unstreitig unser Vaterland damit seines
Rechtes, daß ihm über uns zustund. |
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Solcher gestalt, wenn auch gleich die Dienste, die wir nun vermöge unserer
Pflicht unserm gleichsam neuen Vaterlande zu leisten genöthiget sind, mittelbar;
oder
unmittelbar
dem Interesse unsers ehemahligen Vaterlandes entgegen seyn
solten;
so dürffen wir uns doch darüber keinen Scrupel machen, indem die vormahlige
besondere Verbindlichkeit gegen diese letztere aufhöret. Denn was die
Gesetze
der Danckbarkeit betrifft, damit wir etwa unserm vorigen Vaterlande auch
verbunden sind, so müssen selbige, als die schwächern nothwendig den Gesetzen
der Pflicht und Treue, die wir unserm jetzigen Vaterlande schuldig sind,
weichen. |
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Aus eben diesem Grunde folget auch, daß unser ehemahliges Vaterland im
angeführten Falle nicht einmahl befugt sey, uns bey entstehendem
Kriege
nach seinem Gutbefinden zurück zu fordern, vielweniger uns als Meineydige, oder
Verräther zu
bestraffen,
wenn wir unserer jetzigen Republick die schuldigen Dienste auch wider das
Interesse unsers ehemaligen Vaterlandes
thun, |
wie dieses alles
Müller
in den Anmerckungen über Gracians Orac. Max. …
vorgestellet
hat. Man lese dabey
- Pufendorf
in dissert. acad. select. …
- Huber de jure civitatis …
- nebst einigen
Disputat.
als
- Jenichens de fundam. officior. erga patriam
- Bohns de cessation. offic. erga patriam,
die beyde zu
Leipzig
1743 heraus kommen, und
- Nagels de pietat. erga patriam atque patron.
Wittenberg 1702
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