|
Text |
Quellenangaben |
|
Nahrung, wird auf zweyerley Art
genommen. |
|
|
Einmal ists so viel, als der Unterhalt, und
begreifft alles, was zur täglichen
Nothdurfft und
Wartung des
Leibes erfordert wird als Essen,
Trincken, Wohnung, Bette u.s.w. Wie nun ein
jeglicher Mensch
verbunden ist, vor seine eigene
Nahrung zu sorgen; also hat auch eine
Verbindlichkeit statt, vor andere deswegen Sorge
zu tragen. Nach dem natürlichen Recht ist diese
Pflicht gegen andere entweder eine gemeine,
wenn wir
Armen und Nothleidenden deßfalls
beystehen, und ihnen diese Pflicht der Gefälligkeit
zu erweisen, verbunden sind; oder eine
besondere, die in einer besondern
Gesellschafft
muß beobachtet werden, als in dem
Eltern-Stand
müssen Eltern den
Kindern ihre Nahrung geben;
in dem
Herren-Stand wird das
Gesinde von seiner
Herrschafft
ernehret, welches aus dem zwischen
ihnen aufgerichtetem Vergleich fliesset, und in der
bürgerlichen Gesellschafft kommt einem
Fürsten
wenigstens so viel zu, daß er nicht nur
veranstaltet, daß ein jeder alles dasjenige, was er
zu seiner Nahrung brauchet, um einen billigen
Preiß haben kan; sondern auch darauf acht giebt,
daß sich hierinnen niemand über seinen Stand
erhebe, |
siehe Wolff in den
Gedancken von dem gesellschafftlichen Leben
der Menschen … |
|
Vors andere ist die Nahrung, Ernährung, das Gedeyen
Nutritio,
frantzösisch,
Nutrition, ist die
Verkehrung oder Annehmung der Speise und des
Tranckes in das
Wesen eines
lebenden
Cörpers:
Oder die Vereinbarung desjenigen Saftes, welcher
aus der Speise und dem Geträncke ausgezogen
und gehörig bereitet worden, mit den Theilen des
Cörpers, die dessen bedürfen. Denn weil durch
das stetige Umlaufen des Blutes, derselben
Flüßigkeit in ihrem Maas entstellet, gebrochen,
allgemach gleichsam gereimet, und zur fernerer
Bewegung ungeschickter wird, auch viel davon
verduftet; so ist nöthig, daß solcher Abgang, durch
einen neuen Zugang ohne Unterlaß ersetzet
werde. Und hierinne ist die Nahrung von dem
Wachsthume unterschieden, weil dieses sein Ziel
hat, da es stehen bleibet, jene aber, so lange der
Cörper lebet, und sothanen Abgang
empfindet,
unterhalten werden muß. |
|
|
Was zu solcher Nahrung am meisten
beyträget, ist das Flüßwasser, welches in und mit
dem Blute in alle Theile des Cörpers umgeführet,
die ledigen Räumlein, so von der vergangenen
Zerstreuung verblieben, gemächlich wieder
erfüllet. Wo keine Nahrung ist, da erfolget die
Magerheit, welche gewöhnlich auf Kranckheiten
folget. |
|
|
In der alten Physiologie hat man den Cörpern
eine gewisse Nahrungskraft, Facultatem
nutritivam zugeeignet, weil man die Weise, wie es
mit solcher Nahrung zugehe, anders nicht zu
erklären gewust. Die neuern Physiologisten
theilen die Nahrung ab, in eine wahre und eine
falsche: Die wahre Nahrung, Nutritio
vera, ist diejenige, welche
auch sonst das Wachsthum, Accretio, heisset, und
vermöge welcher die festen |
|
|
{Sp. 536} |
|
|
Theile des Cörpers zunehmen, wachsen und
die gehörige Grösse erlangen, auch eine Zeitlang
in demselbigen
Zustande erhalten werden, biß mit
herannahendem
Alter, selbige allmählich und
natürlicher Weise mager werden und
abnehmen. |
|
|
Die falsche Nahrung, Nutritio spuria,
hingegen ersetzet nur entweder vollkömmlich oder
doch zum Theil die verlohrnen Säfte und
Kräffte.
Diese wird bereits deutlich genug aus demjenigen
zu
verstehen seyn, was wir oben
gesaget haben;
bey jener aber wollen wir noch |
|
|
1) |
die nährende
Materie; |
2) |
die ernährenden
Theile; |
3) |
die Art und Weise, wie die
Nahrung geschiehet; |
4) |
die dazu treibenden
Ursachen und |
5) |
den dahero entstehenden
Nutzen bemercken. |
|
|
|
Die nährende oder Nahrungs-Materie ist das
gereinigte Flüßwasser des Geblütes, als welches
zu allen und jeden festen Theilen des gantzen
Leibes kommt, und so wohl weiche als harte
Theilgen in sich fasset, die jedes Theil des
Cörpers zu nähren
geschickt sind; auch über das,
vornemlich in Ansehung seiner gallrichten
Theilgen, ungemein leichte verdicket werden und
zusammen wachsen kan. Denn es ist bekannt,
daß das Flüßwasser des Blutes bey gelindem
Feuer sich in ein fasichtes Wesen verwandele, ja
allmählich knorplicht und endlich gar beinicht oder
knochicht werde. |
|
|
Indessen muß dieser Saft ungemein dünne
und in sehr viel kleine Theilgen
zertheilet seyn,
damit er durch die fast unmercklichen und sehr
zarten Löchergen der Theile des Cörpers
durchdringen möge, ehe er in dererselben
Natur
und
Wesen verwandelt wird. Einige geben vor,
daß vielmehr das Blut, als ein mit verschiedenen
Theilgen angefüllter Safft, die festen Theile zu
nähren diene. Allein da nicht alle festen Theile
roth gefärbtes Blut in sich enthalten, die doch
ebenfalls ernähret werden, und über das alle
diese Theile weiß aussehen: Massen die rothe
und andere Farben, die man an einigen Theilen
wahrnimmt, nur von den zuflüssenden
Feuchtigkeiten herkommen, wie man solches
deutlich siehet, wenn man selbige abwäschet,
darnach sich alle Farbe
verlieret; Zudem auch die
Frucht im Mutterleibe ernähret wird, ehe noch die
geringste Spur vom rothen Geblüte zu bemercken.
Als ist es billig zu schlüssen, daß das gereinigte
Blutwasser einig und allein die Nahrungsmaterie
abgebe. |
|
|
Andere meynen, daß der Nervensaft zur
Nahrung der festen Theile bestimmet sey: Ob nun
wohl nicht zu läugnen, daß dieser, als das edleste
und auserlesenste Theil des Flüßwassers, die
Nervenfasern ernähre; dennoch wird niemand, der
des Flüßwassers
Geschicklichkeit und des
Nervensaftes Wenigkeit genau einsiehet, leichtlich
sagen, daß dieser gantz alleine den gantzen
Cörper ernähre, und daß das Blutwasser nichts
dazu beytrage. |
|
|
Die Theile, so da sollen ernähret werden, sind
die festen Theile des Leibes, dahero zur
Vollzühung der Nahrung unumgänglich nöthig ist,
daß selbige ihre natürliche Stärcke und Krafft
haben: denn daferne selbige daran schadhaft oder
gar verderbt sind; so fallen die Löchergen
zusammen, nehmen den Nahrungssaft schwerlich
an und verhindern solchergestalt die Nahrung,
welches nicht geschiehet, wenn die nähernde
Materie in die geöffneten Löchergen eintreten
kan. |
|
|
Die Art und Weise der Nahrung be- |
|
|
{Sp. 537|S. 286} |
|
|
stehet theils in einer
Durchseigung des
nährenden Saftes, theils in desselben genauer
Vereinigung mit dem ernährenden Theile. Denn er
sickert entweder aus den Seitenlöchergen der
äussersten Schlagädergen, ehe sich selbige in die
Blutadern begeben, oder tritt aus den äussersten
Spitzen der Schlagädergen, oder fällt, wenn er
sich in den Nerven und andern dergleichen
Theilen, die kein Blut führen, befindet, gleich
einem Thau auf die Fasern und dererselben
Löchergen. |
|
|
Wenn nun den in den Löchergen angelangten
nährenden Theilgen, andere, die vornemlich von
der
Bewegung des Hertzens angetrieben worden,
folgen und jene fortstossen; so hängen sie sich
endlich vermöge der Ruhe und ihres Berührens,
an die Fasern an, ernähren selbige und breiten
und dehnen sie so wohl in die Länge als in die
Breite aus. |
|
|
Es sind zwar einige Physiologisten, welche
nicht zugeben wollen, daß der nährende Saft nach
der obbeschriebenen Art vom Blute abgesondert
werde, sondern vielmehr glauben, daß an den
äussersten Endgen der Schlagädergen Drüsen
liegen, welche diesen Saft von dem Blute
absonderten, wie solches Haver in seiner Osteologie …
und ferner lehret; Allein da benannter
Schrifftsteller selbst die angeführten Drüsen
niemahls gesehen, sondern sich selbige nur
eingebildet und gemuthmasset hat; auch über das
zur Absonderung nicht allezeit, wie er vergeblich
meynet, Drüsen nöthig sind; als kan man seiner
Meynung keinesweges Beyfall geben. |
|
|
Die
Ursachen, so
die Nahrung befördern, sind
verschiedene: angesehen hierher gehören: |
|
|
1) |
Das Drucken der Säfte,
welches von der Bewegung des Hertzens und der
Schlagadern kommt. |
2) |
Die beständige Nachfolge
der Theilgen, die sich unter einander
fortstossen. |
3) |
Die Lebensgeister, als
eine höchst bewegliche und subtile
Materie, die
den gantzen
Cörper hin und wieder
durchwandert. |
|
|
|
Denn solchergestalt tritt nicht nur der
nährende Saft in die Löchergen der Theile ein und
vereiniget sich auf das genaueste mit einander;
sondern er trocknet auch nach dem die feuchten
Theilgen, die sich nicht verdicken lassen,
entweder verrauchet oder zurücke geflossen, aus,
und verwandelt sich endlich in einen festen
Theil. |
|
|
Der
Nutzen der Nahrung ist, jedem festen
Theile des Leibes seine gehörige Stärcke,
Krafft
und Grösse zu geben: Denn der Cörper wird so
lange ernähret, biß die Fasern so weit
ausgedehnet, daß sie von dem nährenden Safte
nicht mehr ausgebreitet werden können, welches
bey den Menschen gemeiniglich im zwanzigsten
und vier und zwanzigsten
Jahre zu geschehen
pfleget. |
|
|
Einige läugnen, daß die sattsam
ausgedehnten beinernen Fasern dem Cörper in
seinem Wachsthume die Grentzen setzen, weil,
nach Havers Meynung, diese
Würckung vielmehr
dem Beinhäutlein zu zuschreiben wäre: Wie aber
dergleichen zarte Haut dem starcken Knochen,
wenn er einen grössern
Raum verlanget,
widerstehen könne, ist nicht leichtlich einzusehen,
zumahl da das Gegentheil an den widernatürlicher
Weise ausgetretenen Knochen vielmahls zu
bemercken. |
- Joh. Böhn. Circul. anatomic. physiologic. Progymnas. VII, p. 113. u. f.
- Michael Ettmüller in
Fundament. Medicin. ver. …
- Philipp Verheyen in
Supplement. Anatomic.
|
|
{Sp. 538} |
|
|
|
|
|
|
- Michael Alberti Introduct. in Universam Medicin.
…
|
|
Von der Nahrung überhaupt haben
geschrieben |
- Cornel. Progymnasm. de nutritione.
- Deusing Exercitation. de nutrimenti in corpore
elaboratione,
- und viele andere.
|
|
|
|