HIS-Data
Home | Suche
Zedler: Nahrung HIS-Data
5028-23-535-3
Titel: Nahrung
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 23 Sp. 535
Jahr: 1740
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 23 S. 285
Vorheriger Artikel: Nahro
Folgender Artikel: Nahrung, siehe auch Alimentum
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text Quellenangaben
  Nahrung, wird auf zweyerley Art genommen.  
  Einmal ists so viel, als der Unterhalt, und begreifft alles, was zur täglichen Nothdurfft und Wartung des Leibes erfordert wird als Essen, Trincken, Wohnung, Bette u.s.w. Wie nun ein jeglicher Mensch verbunden ist, vor seine eigene Nahrung zu sorgen; also hat auch eine Verbindlichkeit statt, vor andere deswegen Sorge zu tragen. Nach dem natürlichen Recht ist diese Pflicht gegen andere entweder eine gemeine, wenn wir Armen und Nothleidenden deßfalls beystehen, und ihnen diese Pflicht der Gefälligkeit zu erweisen, verbunden sind; oder eine besondere, die in einer besondern Gesellschafft muß beobachtet werden, als in dem Eltern-Stand müssen Eltern den Kindern ihre Nahrung geben; in dem Herren-Stand wird das Gesinde von seiner Herrschafft ernehret, welches aus dem zwischen ihnen aufgerichtetem Vergleich fliesset, und in der bürgerlichen Gesellschafft kommt einem Fürsten wenigstens so viel zu, daß er nicht nur veranstaltet, daß ein jeder alles dasjenige, was er zu seiner Nahrung brauchet, um einen billigen Preiß haben kan; sondern auch darauf acht giebt, daß sich hierinnen niemand über seinen Stand erhebe, siehe Wolff in den Gedancken von dem gesellschafftlichen Leben der Menschen …
  Vors andere ist die Nahrung, Ernährung, das Gedeyen Nutritio, frantzösisch, Nutrition, ist die Verkehrung oder Annehmung der Speise und des Tranckes in das Wesen eines lebenden Cörpers: Oder die Vereinbarung desjenigen Saftes, welcher aus der Speise und dem Geträncke ausgezogen und gehörig bereitet worden, mit den Theilen des Cörpers, die dessen bedürfen. Denn weil durch das stetige Umlaufen des Blutes, derselben Flüßigkeit in ihrem Maas entstellet, gebrochen, allgemach gleichsam gereimet, und zur fernerer Bewegung ungeschickter wird, auch viel davon verduftet; so ist nöthig, daß solcher Abgang, durch einen neuen Zugang ohne Unterlaß ersetzet werde. Und hierinne ist die Nahrung von dem Wachsthume unterschieden, weil dieses sein Ziel hat, da es stehen bleibet, jene aber, so lange der Cörper lebet, und sothanen Abgang empfindet, unterhalten werden muß.  
  Was zu solcher Nahrung am meisten beyträget, ist das Flüßwasser, welches in und mit dem Blute in alle Theile des Cörpers umgeführet, die ledigen Räumlein, so von der vergangenen Zerstreuung verblieben, gemächlich wieder erfüllet. Wo keine Nahrung ist, da erfolget die Magerheit, welche gewöhnlich auf Kranckheiten folget.  
  In der alten Physiologie hat man den Cörpern eine gewisse Nahrungskraft, Facultatem nutritivam zugeeignet, weil man die Weise, wie es mit solcher Nahrung zugehe, anders nicht zu erklären gewust. Die neuern Physiologisten theilen die Nahrung ab, in eine wahre und eine falsche: Die wahre Nahrung, Nutritio vera, ist diejenige, welche auch sonst das Wachsthum, Accretio, heisset, und vermöge welcher die festen  
  {Sp. 536}  
  Theile des Cörpers zunehmen, wachsen und die gehörige Grösse erlangen, auch eine Zeitlang in demselbigen Zustande erhalten werden, biß mit herannahendem Alter, selbige allmählich und natürlicher Weise mager werden und abnehmen.  
  Die falsche Nahrung, Nutritio spuria, hingegen ersetzet nur entweder vollkömmlich oder doch zum Theil die verlohrnen Säfte und Kräffte. Diese wird bereits deutlich genug aus demjenigen zu verstehen seyn, was wir oben gesaget haben; bey jener aber wollen wir noch  
 
1) die nährende Materie;
2) die ernährenden Theile;
3) die Art und Weise, wie die Nahrung geschiehet;
4) die dazu treibenden Ursachen und
5) den dahero entstehenden Nutzen bemercken.
 
  Die nährende oder Nahrungs-Materie ist das gereinigte Flüßwasser des Geblütes, als welches zu allen und jeden festen Theilen des gantzen Leibes kommt, und so wohl weiche als harte Theilgen in sich fasset, die jedes Theil des Cörpers zu nähren geschickt sind; auch über das, vornemlich in Ansehung seiner gallrichten Theilgen, ungemein leichte verdicket werden und zusammen wachsen kan. Denn es ist bekannt, daß das Flüßwasser des Blutes bey gelindem Feuer sich in ein fasichtes Wesen verwandele, ja allmählich knorplicht und endlich gar beinicht oder knochicht werde.  
  Indessen muß dieser Saft ungemein dünne und in sehr viel kleine Theilgen zertheilet seyn, damit er durch die fast unmercklichen und sehr zarten Löchergen der Theile des Cörpers durchdringen möge, ehe er in dererselben Natur und Wesen verwandelt wird. Einige geben vor, daß vielmehr das Blut, als ein mit verschiedenen Theilgen angefüllter Safft, die festen Theile zu nähren diene. Allein da nicht alle festen Theile roth gefärbtes Blut in sich enthalten, die doch ebenfalls ernähret werden, und über das alle diese Theile weiß aussehen: Massen die rothe und andere Farben, die man an einigen Theilen wahrnimmt, nur von den zuflüssenden Feuchtigkeiten herkommen, wie man solches deutlich siehet, wenn man selbige abwäschet, darnach sich alle Farbe verlieret; Zudem auch die Frucht im Mutterleibe ernähret wird, ehe noch die geringste Spur vom rothen Geblüte zu bemercken. Als ist es billig zu schlüssen, daß das gereinigte Blutwasser einig und allein die Nahrungsmaterie abgebe.  
  Andere meynen, daß der Nervensaft zur Nahrung der festen Theile bestimmet sey: Ob nun wohl nicht zu läugnen, daß dieser, als das edleste und auserlesenste Theil des Flüßwassers, die Nervenfasern ernähre; dennoch wird niemand, der des Flüßwassers Geschicklichkeit und des Nervensaftes Wenigkeit genau einsiehet, leichtlich sagen, daß dieser gantz alleine den gantzen Cörper ernähre, und daß das Blutwasser nichts dazu beytrage.  
  Die Theile, so da sollen ernähret werden, sind die festen Theile des Leibes, dahero zur Vollzühung der Nahrung unumgänglich nöthig ist, daß selbige ihre natürliche Stärcke und Krafft haben: denn daferne selbige daran schadhaft oder gar verderbt sind; so fallen die Löchergen zusammen, nehmen den Nahrungssaft schwerlich an und verhindern solchergestalt die Nahrung, welches nicht geschiehet, wenn die nähernde Materie in die geöffneten Löchergen eintreten kan.  
  Die Art und Weise der Nahrung be-  
  {Sp. 537|S. 286}  
  stehet theils in einer Durchseigung des nährenden Saftes, theils in desselben genauer Vereinigung mit dem ernährenden Theile. Denn er sickert entweder aus den Seitenlöchergen der äussersten Schlagädergen, ehe sich selbige in die Blutadern begeben, oder tritt aus den äussersten Spitzen der Schlagädergen, oder fällt, wenn er sich in den Nerven und andern dergleichen Theilen, die kein Blut führen, befindet, gleich einem Thau auf die Fasern und dererselben Löchergen.  
  Wenn nun den in den Löchergen angelangten nährenden Theilgen, andere, die vornemlich von der Bewegung des Hertzens angetrieben worden, folgen und jene fortstossen; so hängen sie sich endlich vermöge der Ruhe und ihres Berührens, an die Fasern an, ernähren selbige und breiten und dehnen sie so wohl in die Länge als in die Breite aus.  
  Es sind zwar einige Physiologisten, welche nicht zugeben wollen, daß der nährende Saft nach der obbeschriebenen Art vom Blute abgesondert werde, sondern vielmehr glauben, daß an den äussersten Endgen der Schlagädergen Drüsen liegen, welche diesen Saft von dem Blute absonderten, wie solches Haver in seiner Osteologie … und ferner lehret; Allein da benannter Schrifftsteller selbst die angeführten Drüsen niemahls gesehen, sondern sich selbige nur eingebildet und gemuthmasset hat; auch über das zur Absonderung nicht allezeit, wie er vergeblich meynet, Drüsen nöthig sind; als kan man seiner Meynung keinesweges Beyfall geben.  
  Die Ursachen, so die Nahrung befördern, sind verschiedene: angesehen hierher gehören:  
 
1) Das Drucken der Säfte, welches von der Bewegung des Hertzens und der Schlagadern kommt.
2) Die beständige Nachfolge der Theilgen, die sich unter einander fortstossen.
3) Die Lebensgeister, als eine höchst bewegliche und subtile Materie, die den gantzen Cörper hin und wieder durchwandert.
 
  Denn solchergestalt tritt nicht nur der nährende Saft in die Löchergen der Theile ein und vereiniget sich auf das genaueste mit einander; sondern er trocknet auch nach dem die feuchten Theilgen, die sich nicht verdicken lassen, entweder verrauchet oder zurücke geflossen, aus, und verwandelt sich endlich in einen festen Theil.  
  Der Nutzen der Nahrung ist, jedem festen Theile des Leibes seine gehörige Stärcke, Krafft und Grösse zu geben: Denn der Cörper wird so lange ernähret, biß die Fasern so weit ausgedehnet, daß sie von dem nährenden Safte nicht mehr ausgebreitet werden können, welches bey den Menschen gemeiniglich im zwanzigsten und vier und zwanzigsten Jahre zu geschehen pfleget.  
  Einige läugnen, daß die sattsam ausgedehnten beinernen Fasern dem Cörper in seinem Wachsthume die Grentzen setzen, weil, nach Havers Meynung, diese Würckung vielmehr dem Beinhäutlein zu zuschreiben wäre: Wie aber dergleichen zarte Haut dem starcken Knochen, wenn er einen grössern Raum verlanget, widerstehen könne, ist nicht leichtlich einzusehen, zumahl da das Gegentheil an den widernatürlicher Weise ausgetretenen Knochen vielmahls zu bemercken.
  • Joh. Böhn. Circul. anatomic. physiologic. Progymnas. VII, p. 113. u. f.
  • Michael Ettmüller in Fundament. Medicin. ver. …
  • Philipp Verheyen in Supplement. Anatomic.
  {Sp. 538}  
   
  Tract. ...
   
  • Michael Alberti Introduct. in Universam Medicin.
  Von der Nahrung überhaupt haben geschrieben
  • Cornel. Progymnasm. de nutritione.
  • Deusing Exercitation. de nutrimenti in corpore elaboratione,
  • und viele andere.
     

HIS-Data 5028-23-535-3: Zedler: Nahrung HIS-Data Home
Stand: 16. Oktober 2023 © Hans-Walter Pries