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Zedler: Verliebte Narren HIS-Data
5028-47-1113-22
Titel: Verliebte Narren
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 47 Sp. 1113
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 47 S. 570
Vorheriger Artikel: Verliebte Muscel
Folgender Artikel: Verliebte Personen
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text Quellenangaben
  Verliebte Narren, nennen wir insgemein  
  {Sp. 1114}  
  solche Personen beyderley Geschlechtes, die aus verkehrter und geiler Lust gegen einander auf eine offt lächerliche Art entzündet sind.  
  Als Kennzeichen verliebter Leute bemercket man in der Physiognomie und Chiromantie folgende:  
  1) Wenn in der Hand das Cingulum Veneris gantz oder doppelt vorhanden.  
  2) Wenn sich grosse Puncte in dem Cingulo Veneris finden.  
  3) Wenn die Soror Vitalis vorhanden.  
  4) Ferner die Soror Mensalis.  
  5) Eine starcke Linie, so aus der Vitali in das Interstitium, des Zeiger und Mittel-Fingers, oder des Mittel- und Gold-Fingers gehet.  
  6) Wenn die Naturalis am Ende gespalten ist.  
  7) Eine doppelte Hepatica.  
  8) Circkel, tieffe Puncte, Creutze, Sterne oder durchschnittene Linien, wie ein Rost, oder nur zwey starcke Linien in Monte Veneris.  
  9) Wenn Via lactea vorhanden.  
  10) Wenn die zarten Linien in denen obersten Gelencken der Finger wie Räder zusammen lauffen.  
  11) Eine krumme Mercurial-Linie in der Hand.  
  12) Puncte oder krumme Linien in der Radice des kleinen Fingers.  
  13) Wenn die Naturalis und Mensalis sich conjungiren, welches aber auch Unglück vor das Frauenzimmer bedeuten soll.  
  14) Wenn eine Linie aus der Mensali in den Venus-Berg gehet.  
  15) Wenn Linea Veneris vor der Stirn gantz gefunden wird.  
  16) Ein gespalten Kinn, welches auch falsche Leute bemercket.  
  17) Eine lange oder dicke Nase.  
  18) Schwartze Augen, oder die einen nach der Seite ansehen.  
  Solche verliebte Leute nun ziehen an einem sehr schweren Joche, welches sie nicht so leichte wieder abzuschütteln vermögend sind, wenn sie sich einmahl darunter begeben haben. Ob es aber gleich schwer hergehet, sich in diesem Stücke aus der Sclaverey in die Freyheit zu setzen; so muß man doch thun, was man kan, um nicht gäntzlich dahin gerissen zu werden, in dem kein närrischerer Affect als eben dieser ist. Es ist dahero nöthig, daß man die Lust welche die Geilheit und verkehrte Verliebung gewähret, wohl erweget, und mit dem Verdrusse vergleichet, der daraus erwachsen kan.  
  Was nun das erste betrifft, so hat man vor allen Dingen die Eitelkeiten verliebter Personen zu bedencken, die in vielen Dingen ein sonderbares Vergnügen suchen, darinnen in der That keines zu finden, als weil man sichs einbildet. Dahin ist bey vielen die Berührung einiger Theile des Leibes zu rechnen, darinnen in der That nichts vergnügliches zu finden, als in so weit dadurch die Brunst erreget, erhalten und vermehret, und das Andencken der aus dem Beyschlaffe genossenen oder zu geniessen verlangten Lust erneuert wird. Daher wir auch finden, daß die Hottentotten, deren Weiber ihre Brüste bloß tragen, einen auslachen, der darnach greiffet, weil sie nicht begreiffen können, wie ein Mensch darinnen einiges Vergnügen suchen kan.  
  Nächst diesem ist auch zu überlegen, daß die Lust, so aus dem Beyschlaffe genossen wird, nur einen Augenblick dauret, und kürtzer ist als alle übrige Lust der Sinnen. Auch ist dabey zu erwegen, daß, wie alle Lust der Sinnen, also auch diese empfindlicher ist, je ungewohnter sie ist, hingegen sich gar sehr verringert, je mehr man ihrer gewohnet.  
  Was den Verdruß betrifft, damit ein Geiler und verliebter Narr seine Lust bezahlen  
  {Sp. 1115|S. 571}  
  muß, so ist derselbe nach den verschiedenen Umständen unterschiedlich, und öffters nicht geringe. Verliebte Gedancken geben bisweilen zur Melancholie Gelegenheit, absonderlich, wenn der Verliebte in seiner Hoffnung, des Geliebten theilhafftig zu werden, ist getäuschet worden, da denn solche Personen gerne für sich alleine sind, und nichts thun, sondern nur ihren Gedancken nachhängen, und mit keinem Menschen ein Wort reden, endlich aber gantz aberwitzig werden, und sich nichts anfechten lassen.  
  Doch geschiehet dieses nur bey verliebten Personen, die viel vom melancholischen Temperamente besitzen, da im Gegentheil andere ihre verliebten Neigungen zu verstehen geben, auch wohl gar Personen von dem andern Geschlechte anfallen, mit denenselben verliebt thun wollen, und endlich gar darüber rasen; wie denn Nicolai Blegnys Zodiaco gallico, einer vor Liebe unsinnig gewordenen Nonne Meldung geschiehet, bey welcher man, nachdem man sie geöffnet, den lincken Eyerstock als eine Faust groß angetroffen: Daher die Alten den mit geilen und unkeuschen Gedancken verhaltenen Saamen nicht unbillig ein Gifft genennet.  
  Wer mit verliebten Gedancken eingenommen ist, der wird wenigstens dadurch ungeschickt auf andere Dinge zu dencken, indem ihn dieselben in Nachdencken stöhren, und, da sie die Brunst von neuem erwecken, und das Andencken der genossenen Lust erneuern, das Gemüthe beunruhigen: Welches denn nicht eher sich lässet zufrieden stellen, als bis man seine Lust von neuen gebüsset.  
  Daher pfleget es gar offt zu geschehen, daß diejenigen, welche ihrer Geilheit eine Genüge thun, von ihren ordentlichen Verrichtungen gantz abgezogen werden, dieselben verabsäumen, und sich dadurch um ihre gantze zeitliche Wohlfahrt bringen. Exempel geben auf Academien diejenigen Studiosi, die hierüber ihr Studiren verabsäumen und, ohne etwas gelernet zu haben, leer wieder nach Hausse reisen.  
  Weil aber die Geilheit immer grösser wird, je mehr man ihr eine Genüge thut, indem die Einbildungs-Krafft um so viel mehr auf einmahl vorstellet, je mehr man Lust von und bey Liebes-Wercken genossen, und dadurch den Affect verstärcket; so ist daraus gar wohl zu begreiffen, daß die geile Brunst den verliebten Menschen um so viel mehr beunruhigen muß, je mehr er dieselbe zu erfüllen sich angelegen seyn lässet. Und da immer ein Laster aus dem andern abstammet, so wäre es leicht, jedoch weitläufftig zu zeigen, in was für Arten der Laster nach verschiedenen Umständen verliebte Narren durch Geilheit verleitet werden.  
  Wer in verbotenen Liebes-Wercken zu viel thut, der bringet sich um seine Gesundheit: Welches noch mehr, und zwar öffters mit Gefahr des Lebens geschiehet, wenn man mit unreinen Weibes-Bildern zu thun hat. Es gehet auch selten bey dergleichen Lebens-Art ohne unnöthige Verschwendung des Vermögens ab, weilen doch meistentheils geile Weibes-Personen, so dürftig sind, Gewinn suchen: andere hingegen auch für das Maul etwas gutes dabey haben wollen, bey welchen Umständen sich also so wohl Manns-Personen in Schulden und Armuth setzen, als auch öffters Weibes-Personen das ihre liederlich durchbringen. Darüber leidet  
  {Sp. 1116}  
  auch öffters unser guter Nahme bey andern nicht ein geringes, und kan dadurch der Mensch sich in eine Nachrede setzen, welche ihm an seinem gantzen zeitlichen Glücke sehr hinderlich ist, wie absonderlich bey Weibs-Personen zu geschehen pfleget.  
  Unterweilen wenn viele bey einer Person ihre Brunst löschen wollen, entstehen daraus Uneinigkeiten, Schlägereyen, ja öffters wohl gar Mord und Todschlag. Werden Weibes-Personen durch verbotenen Beyschlaf schwanger, so stehet es öffters übel um die Frucht, als welche sie bald in Mutter-Leibe unterdrücken, ehe sie das Tages-Licht erblicket; bald um das Leben bringen, ehe sie kaum in die Welt gekommen; bald durch versagte nöthige Pflegung ihr unter die Erde verhelffen; bald und zwar gemeiniglich übel auferziehen.  
  Man kan auch noch über dieses das Unglück erwegen, so daraus im gemeinen Leben erwachsen kan. Hierher gehören die Strafen, die auf gewisse Arten der Geilheit und verbotenen Liebes-Wercke gesetzet worden, als die Strafe des Feuers auf Sodomiterey und Knabenschänderey; die Strafe des Schwerdts auf Ehebruch an einigen Orten.  
  Gleichergestalt hat man ins besondere das Unheil zu erwegen, welches aus gewissen Arten der Geilheit unter allerhand Fällen entstehet; wovon insonderheit der Ehebruch aus der blossen Erfahrung gar vieles zeigen kan. Wir finden hier überhaupt zweyerley zu erinnern.  
  Weil keine Vorstellung wieder einen so hefftigen Affect, als die geile Liebe ist, etwas fruchtet, die nicht auch selbst einen starcken Eindruck in das Gemüthe machet; so muß man darauf bedacht seyn, daß man durch Fabeln und Exempel den unglücklichen Zustand geiler Personen begreiffen lernet.  
  Darnach haben wir hauptsächlich zu mercken, daß, weil eingewurtzelte Gewohnheiten schwer zu ändern sind, man von Jugend auf darauf zu sehen hat, wie man keusch und züchtig werde, auch alle Gelegenheit zu unkeuschen Wercken, und alle Gesellschafft, die einen darzu verleiten könnte, vermeiden lerne, wenn man nehmlich nicht werden will, was andere mit ihren Schaden sind, nehmlich verliebte Narren.  
  Cicero berichtet an einem Orte von dem verliebten Alcäus, daß obgleich Alcäus sonst viele Herzhafftigkeit bezeuget, er doch seine Verse mit übermäßiger Knabenschänderey angefüllet habe. Fortis vir in sua Republica cognitus, quae de juvenum amore scripsit Alcaeus? Als ein Verliebter vergleicht er sich mit einem Schweine, welches da es eine Eichel frißt, schon wieder eine andere mit den Augen verschlinget. Ich bin eben so, sagte er, indem ich ein schönes Mägdgen genieße, so wünsche ich mir schon, ein anderes [2 Zeilen griechischer Text]  
  Scipio Gentilis führet dieses in seinen Noten über die Schutzschrifft des Apulejus … an: Aus Engelland berichtete man im Jahr 1738, daß unterschiedene Verliebte einander ums Leben gebracht. Nahe bey Chiswick fand man im October den todten Cörper eines Mädgens in der Themse. Weil dieser nun auf eine grausame Art zugerichtet, und also von einem Mörder hineingeworffen war; so ward deßwegen eine scharffe Untersuchung angestellet, da sichs denn wieß, daß  
  {Sp. 1117|S. 572}  
  eine Manns-Person, welche dem Mädgen seit drey Jahren her aus Liebe nachgegangen war, allem Ansehen nach der Mörder gewesen; dahero er auch so gleich in gefängliche Verhaft gezogen wurde.  
  Ein andere hingegen vermeynete es nicht so böse mit seinem Mädgen, verursachte aber dennoch in eben diesem Monate ihren Tod. Dieses gieng so zu: Ein junger Kerl stund zu London mit einem Mädgen an einem Brau-Kessel. Indem er ihr nun einen Kuß geben, sie es aber nicht leiden, sondern sich widersetzen wolte, fielen sie alle beyde rücklings in den Kessel, und verbrannten sich so elendiglich, daß das Mädgen diese Kurtzweile so bald mit dem Tode bezahlen muste.
  • Anleit. zu den curiösen Wissenschafften ...
  • Wolffs Gedancken von dem Gesellsch. Leben der Menschen ...
  • Cicero Quaest. Tuscul. …
  • Bayle Hist. und Crit. Wörter-Buch unter Alcäus, I Th. …
  • Hist. Jahr-Buch 1738. …
     

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Stand: 3. April 2013 © Hans-Walter Pries