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Zedler: Keuschheit HIS-Data
5028-15-547-8
Titel: Keuschheit
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 15 Sp. 547
Jahr: 1737
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 15 S. 285
Vorheriger Artikel: Keuschberg
Folgender Artikel: Keusch-Lamm
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text Quellenangaben
  Keuschheit, ist eine Mäßigung derer Liebes-Leidenschafften.  
  GOtt hat den Menschen nicht als einen Klotz geschaffen, welcher gegen das andere Geschlecht unempfindlich sey: Denn so würde das menschliche Geschlechts bald untergehen, wo alle Lust zum Beyschlaffen aufhörte. Bleibt nun die Begierde darnach im gehörigen Schrancken in Absicht auf den Göttlichen Endzweck, so ist der Mensch keusch. Sollte demnach wohl derjenige mit Recht diesen Namen führen, der kein Vermögen hat, denen Lüsten des Fleisches Gnüge zuthun.  
  Alte verlebte Personen, welche ihr Cörper in Ausübung derer Fleisches-Lüste verläst, sind deswegen noch nicht keusch zu nennen, weil keine sinnliche Zeugen einiger Unkeuschheit können aufgestellet werden. Wollte ihr Cörper so mit fort, als ihr Wunsch und Gedencken auch die Fleisches-Lüste gerichtet sind, so  
  {Sp. 548}  
  besorge ich, daß viele unter ihnen es jüngern in einen schändlichen Leben zuvor thun würden. Kan ein Tiberius Alters und Schwachheits halber nicht mehr so munter in den Liebes-Kriege streiten, vergnügt er sich desto mehr daran, wenn dergleichen in seiner Gegenwart geschiehet, und die in seinem Palaste häuffig aufgestellten geilen Bildnüße sind offenbare Merckmahle seiner unkeuschen Begierden. Suetonius Tib. …
  Oder sollte man wohl eine alte ausgediente Vettel unter die keuschen Frauen zehlen, weil sie niemand mehr verlanget: Es darff also vor Rechts wegen niemand den schönen Titel keusch führen, der nicht würcklich seine Liebes-Leidenschafften mäßiget. Dabey bestehet nun nicht, in Gedancken denen Lüsten nachzuhängen, und sich nur in Acht zu nehmen, daß keine öffentliche Zeugen der Unkeuschheit auftreten können.  
  Keuschheit ist die Eigenschafft eines vernünfftigen Wesens; denn denen unvernünfftigen Thieren eignet man weder Keuschheit noch Unkeuschheit zu, weil sie lediglich nach dem Trieb ihrer Natur ohne den geringsten freyen Willen thun. Wer sich also vor keusch ausgeben will, muß ohne den geringsten Zwang eintzig aus Vorstellung vernünfftiger Gründe seine Liebes-Leidenschafften in Zaum zu halten wissen.  
  Dies bestehet vor allen Dingen im Gemüthe, ohne welches diese Tugend nur ein verstelltes Wesen seyn würde, so daß eine äusserliche gute Aufführung uns nur betrügen würde; wie es denn nicht selten geschiehet, daß man endlich an Leuten, die äusserlich einen keuschen Wandel von sich weisen, die abscheuligste Fleisches-Wercke entdecket.  
  Ist nun aber das Gemüth wahrhafftig wohl eingerichtet, kan es nicht anders seyn, es muß sich in äusserlichen Bezeigen ein sittsames Wesen äussern. Es mögen also die zusehen, die geile Stellungen, unflätige Zoten oder doch unbedachtsame Reden von Liebes-Sachen vorbringen, und doch noch dabey vor keusch wollen angesehen seyn, oder doch wenigstens nicht erlauben wollen, daß man auf ein dahinter steckendes unkeusches Gemüthe schliessen solle.  
  Unser gantzes Wesen ist so eingerichtet, daß in das äusserliche uns bringt, was innenwendig verborgen. Äussert sich nun was unkeusches, muß nothwendig innerlich der Grund dazu seyn. Bessere also nur dein Hertz, mäßige in denselben deine Neigungen zur Fleisches-Lust, wird sich bald mehr Keuschheit in deinen Thaten blicken lassen.  
  Durch Beraubung derer Gliedmassen, die etwa zu Ausübung der Lust-Seuche am meisten dienen, ist die Begierde zu sündigen noch nicht gehoben. Doch damit kanst du etwas beytragen, wenn du deinem Fleische entziehest, was es nur geil machet. Umgang mit dem andern Geschlecht, besonders mit geilen Personen, essen und trincken, so überflüßig Feuer in dein Geblüte bringe, zu viele Ruhe und Müßiggang flammen die geile Gedancken des Hertzens nur mehrer an; welches wenn du es ihm enziehest, die Nahrung ihm also entgehet, und du dich also leichte in den Schrancken halten kanst.  
  Man bilde sich aber nicht etwa dabey ein, als ob Keuschheit und Unkeuschheit nun vom ledigen Stande sich sagen lies-  
  {Sp. 549|S. 286}  
  sen. Der gröste Hauffe ist zwar freylich dieser Meynung, und bildet sich ein, der Ehestand bedecke und rechtfertige auch die gröbsten Ausübungen derer Liebes-Leidenschafften, wenn sie nur von ordentlichen zusammen gegebenen Mann und Weib verübet würden, gleich als ob dieselben mit den Eintritt in den Ehestand aller Beherrschung ihrer Leidenschafften entbunden würden. Wir unsers Orts halten davor, daß die Verbindlichkeit dazu nur desto stärcker werde, ie weniger die Obrigkeit die Ubertreter dieser Tugend bestraffen kan.  
  Wo es aber an dem, daß jeder Stand seine Gesetze hat, muß nothwendig der Ehestand davon nicht ausgeschlossen seyn. Sollte GOtt als der Stiffter desselben wohl gewollt haben, daß in demselben allen Fleisches-Lüsten ein unumschräncktes Feld geöffnet würde? das sey ferne. Wir können also nicht umhin, denenjenigen Eheleuten eine Unkeuschheit beyzumessen, die über und ausser ja wider den Zweck ihres Standes derer Liebes-Freyheiten sich bedienen; denn alles, was nicht auf den Zweck einer Sache zielt, ist unrecht und Sünde.  
  Zu geschweigen, daß ein allgemeines Vorurtheil ist, denen Leuten werden, sobald sie nur das Ehe-Bette betreten, alle Schrancken der Ehrbarkeit geöffnet, und wären sie nun berechtiget, öffentlich darwider zu handeln. Daher sie sich nichts daraus machen, die Heimlichkeiten des Ehe-Bettes öffentlich kund zu machen, nicht bedenckende, daß sie in anderen Gemüthern die Funcken zur Liebes-Lust aufblasen, dabey sie wenigsten auch die häuffigen Ungelegenheiten des Ehe-Standes nicht verschweigen sollten, wodurch hingegen manche auch von ihrer unbedachtsamen Liebes-Lust würden abgehalten werden. Daher der Eifer jenes ernsthafften Römischen Censoris nicht zu mißbilligen, der einen seiner Mitbürger deswegen mit Schimpff aus dem Raths-Stande stieß, weil er seine Frau, welches ihm zu Hause nicht immer verwehrt gewesen, öffentlich gekiesset.  
  Dabey fällt noch die Frage zu erörtern vor, ob es erlaubet sey, seine Keuschheit wider den, der ihn Tort thun will, mit Ermordung desselben zu vertheidigen. Wir wissen wohl, wie viel fast bey allen Völckern darauf gehalten worden, daß ihrer Töchter und Weiber Keuschheit unverletzt behalten werde, so daß wider die Verletzer dererselben die gröste Schärffe erlaubet gewesen. Wir sind auch nicht in Abrede, daß nach einmahl verlornen Keuschheit die Person selbst, in der sie verletzet worden, den grösten Bewegungs-Grund verloren, weiter keusch zu leben. Ja wenn wir endlich ein Auge auf die menschliche Gesellschafft haben, müssen wir bekennen, daß ihr Werth um ein grosses verringert, und die verlorne Hochachtung sie ausser Stand setzet, ein ihrem Stande anständige Heurath zu thun.  
  Weil aber durch die geraubte Keuschheit nur der Werth, ob zwar ein sehr grosser, der verletzten Person genommen wird, so, daß sie doch noch beym Leben bleibt, und sich also als auch andern noch nützlich seyn kan, als können wir solche Heldinnen nicht vor gerecht erkennen, welche wegen Verlust ihrer Keuschheit mit jener Lucretia sich selbst ein Leid  
  {Sp. 550}  
  anthun, oder doch den Rauber derselben mit Verlust seines Lebens belegen, weil Ehre und Leben nicht gleichgültige Güter sind. Zudem Augustinus de Libero Arbitr. … de Ciu. Dei … schon nicht unrecht davon gehalten, die Keuschheit bestehe vornehmlich in Gemüthe, ohne dessen Beystimmung sie niemanden genommen werden könne.  
  Hiernächst, so sind ja in der bürgerlichen Gesellschafft noch andere Mittel, wodurch der Verlust der Ehre wieder zu ersetzen, als z.E. Ehren-Erklärung, ein Ersatz am Gelde, womit die Geschwächte ihre Schande bedecken könne, u.d.
  • Thomasius Jurisprud. diuin. …
  • Henneberg Disp. an mulier violent. pudicitiae inuasorem salua conscientia occidere possit, Leipzig. 1704.
  Ubrigens giebt uns die heil. Schrifft von letzt beschriebenen Tugend der Keuschheit folgendes.  
  Sie nennet sie ein Wort, welches nicht iedermann fasset, sondern denen es gegeben ist, Matth. 19, 11.
  wie Paulus solches donum continentiae als eine heroische Keuschheit empfangen, und wegen der Nothdurfft seiner Zeiten wünschte, daß alle Menschen wären wie er, 1. Cor. 7, 7.
  oder, da ein Mensch gleich von den bösen Lüsten seine Anfechtung hat, daß er doch in solchem Kampffe sich tapffer erweiset, und ein lediger Mensch sein Fleisch samt den Lüsten und Begierden creutziget. Gal. 5, 24.
  Enthält sich von fleischlichen Lüsten, welche wider die Seele streiten. 1. Petr. 2, 11.
  Solche Keuschheit nun ist eine feine Christen-Tugend, der sich iedermann befleißigen soll, 1. Theß. 4, 3. 4. 5.
  auch eheliche Personen,
  • 1. B. Mos. 2, 18.
  • Ebr. 13, 4.
  und Jungfrauen, 1. Cor. 7, 34.
  Solche zu überkommen ist nöthig  
 
  • das liebe Gebet,
Sirach 23, 4. 5. 6.
 
  • 1. B. Mos. 39, 9.
  • Sir. 28, 27. 28.
 
  • c. 9, 7-14.
  • Matth. 5, 29.
  Keuschheit hat ein schönes Lob und Belohnung bey GOtt und den Menschen,
  • B. der Weish. 3, 13.
  • Sir. 26, 19.
  • Gal. 5, 21.
  • Off. Joh. 14, 8.
  Exempel der Keuschheit findet man an  
 
  • Abimelech,
1. B. Mos. 26, 10.
 
  • denen Söhnen Jacobs, Ruben ausgenommen,
c. 34. 7. 25.
 
  • Joseph,
c. 39, 8. 9.
 
  • Mose,
4. B. Mos. 31, 17. 18.
 
  • Boas,
Ruth 3, 7. 8.
 
  • an den Priester Abimelech,
1. Sam. 21, 4.
 
  • Hiob,
Job. 31, 1.
 
  • Sara, Raguels Tochter,
Tob. 3, 16.
 
  • Susanna,
Hist. Sus. v. 23.
 
  • Judith,
8, 4.
 
  • Joseph, der Jungfrauen Marien vertrauten Mann,
Matth. 1, 19.
 
  • an der Jungfrauen Marien, des Herrn Christi Mutter,
Luc. 1, 34.
 
  • der Prophetin Hanna,
c. 2, 36.
     

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Stand: 27. Februar 2013 © Hans-Walter Pries