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Zedler: Unkeuschheit HIS-Data
5028-49-1823-1
Titel: Unkeuschheit
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 49 Sp. 1823
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 49 S. 927
Vorheriger Artikel: Unkeusches Wesen
Folgender Artikel: Unkeuschheit wider die Natur
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text Quellenangaben
  Unkeuschheit, ist dasjenige Laster, da man der geilen Lust unvernünfftig nachhängt.  
  Unter den natürlichen Begierden, die allen Menschen von Natur eingepflantzet sind, stehet auch die Lust zum Beyschlaff. Wie nun die Menschen nach dem Falle geneigt sind, solche Begierden nicht nach der Absicht GOttes; sondern zu einer blossen sinnlichen angenehmen Empfindung einzurichten; also muß, nach der Philosophie zu reden, solche unordentliche Neigung durch die Vernunfft regieret werden. Thut man dieses bey der Lust zum Beyschlaff, so entstehet daraus die Tugend zur Keuschheit. Auf solche Weise ist die Unkeuschheit das Laster, da man der geilen Lust nach dem Triebe des verderbten Willens mit Hintansetzung der Vernunfft nachhängt.  
  Sie äussert sich in der Rede, wenn man unanständige und geile Discourse, sie bestehen nun in blossen Erzehlungen; oder in Schertzreden und Urtheilen, mündlich oder schrifftlich vorbringt; in den Geberden, wenn man eine freche und auf die Geilheit abzielende Einrichtung des Gesichts annimmt, wenn sich Weibs-Personen entblössen, u.s.f. und in der That durch ordentliche fleischliche Vermischung, und zwar ausser der Ehe durch Hurerey, und in der Ehe durch Ehebruch, oder wenn Eheleute die Dämpffung der fleischlichen Lust zu ihrem Haupt-Zweck setzen.  
  Man recommendiret zwey Mittel wieder die Unkeuschheit an, das erste ist Nüchternheit, das andere ist die Arbeitsamkeit. Erasmus, den man nicht für den Keuschesten zu seiner Zeit gehalten hat, wiederleget dieses in einem Brieffe, den er im 1524 Jahr geschrieben, und welcher ein schönes Gemählde von den Neigungen seines Hertzens enthält. Wir wollen nur diese zwey Züge daraus entwerffen.  
  Er versichert, daß er niemahls ein Sclave der Venus gewesen, und daß er auch wegen der grossen Arbeit des Studierens nicht Muse darzu gehabt; daß aber endlich die Fehler, die er von dieser Seite begangen haben könnte, bereits vor langer Zeit aufgehöret hätten, indem ihn das Alter von diesen Tyrannen befreyet, weswegen er dasselbe sehr angenehm fände. Diese letzten Worte enthalten viel Tugend, und es finden sich nur gar zuviel Leute, die sich desselben nicht ohne eine grausame Lüge bedienen können.  
  Die Nüchternheit betreffend, so hätte Erasmus nicht sagen können, was einem Christlichen Philosophen anständiger wäre, und wenigern Leuten zukäme, was er gesaget:
  Et juvenis cibum ac potum semper ita sumsi, ut pharmacum. Ac saepenumero dolui, non licere sine cibo potuque perpetuo degere. Veneri nunquam servitum est, ne vacavit quidem in tantis studiorum laboribus. Et si quid fuit hujus mali jam olim ab eo tyranno me vindicavit aetas, quae mihi hoc nomine gratissima est. Erasmus V. Lib. XXIII
  Von zwey Dingen, die er vorgiebt, eines, daß er seinen Leib nur wegen einer Art der Nothwendigkeit genährt, und daß er die Speisen, als eine Artzeney und Hülffs-Mittel zu sich genommen; das andere, das ihm seine Studien nicht viel Muse gelassen hätten, ist das erste glaubwürdig, und das andere durch die grosse Anzahl von Büchern, die er herausgegeben, unstreitig bewiesen.  
  Allein wenn diese zwey Sachen einmahl festgesetzt sind, so kan man dasjeni-  
  {Sp. 1824}  
  ge vernünfftiger Weise nicht leugnen, was er von seiner Keuschheit versichert. Er giebt sie nicht für vollkommen aus: Er bekennet, daß er nicht allezeit der unreinen Liebe wiederstanden habe: Allein er leugnet, daß er bey dieser Unbilligkeit ihr Sclave gewesen; er behauptet, daß er niemahls derselben Unterthan gewesen, wenn er gleich nicht allezeit derselben Herr seyn können. Ein Mensch, der viel Muse hätte, und seinen Cörper sehr sorgfältig fütterte, würde der Lügen verdächtig seyn, wenn er diese Sprache führte:  
  [4 Zeilen lateinische Verse] Ovid. de Remed. Amor. …
  sine Cerere et Libero friget Venus saget Terentz Eunuch. …
  Distento ventre, distenduntur es, quae ventri adhaerent, spricht der H. Hieronymus.
  Man wende uns nicht ein, daß es sehr arbeitsame, und nüchterne Manns-Personen gebe, die dennoch die Unreinigkeit sich mehr als zu sehr belieben lassen. Einige wenige Ausnahmen von der allgemeinen Regel, die sich auf die verborgenen Eigenschafften des Temperaments gründen, dürffen uns nicht zum Wegweiser dienen, wenn es auf die Beurtheilung unsers Nächsten ankommt.  
  Und also muß man so lange als man nicht weiß, daß Erasmus von einem Temperament gewesen, welches durch die allgemeine Regel einen Strich gemacht hat, glauben: Daß er durch die nachläßige Pflegung seines Leibes und durch sein fleißiges Studieren den Stachel der Liebe stumpf gemacht, und sich vor derselben Dienstbarkeit verwahret hat.  
  Man füge dazu, daß sein Stand, der erworbene Nahme und die Profeßion, welche er trieb ein weiser und ehrlicher Mann zu seyn, ihn nothwendiger Weise verpflichtet haben, den Schein zu vermeiden, und sich zur Übertretung der Keuschheits Gesetze nicht anders als mit grosser Behutsamkeit verleiten zu lassen. Allein darzu wird ein Mensch von grosser Muse erfordert; man darff sein Gesicht nicht nach der pöbelhafften Venus, nach einer solchen Thais wenden, die den ersten, den besten, der nur kommt, stehenden Fusses abfertiget; sondern man muß sich nach solchen Personen umsehen, die auch ihrerseits verbunden sind, den Schein zuvermeiden.  
  Sie erfodern Vorbereitungen; sie lassen sich nach allen Förmlichkeiten belagern: Haben sie sich übergeben, so ist es eine Pfründe, welche die Gegenwart und tausenderley grosse und kleine Sorgfältigkeiten erfodert: Es ist ein Himmel, der nicht mehr, wie zuvor, beständig einerley Klarheit erhält: Kaltsinnigkeiten, Eyffersucht, Klagen, Erläuterungen, Zwiespalten, Wieder-Versöhnungen bringen an denselben unaufhörliche Veränderungen hervor, und dieses ohne die geringste Regel:  
  [5 Zeilen lateinische Verse]  
  {Sp. 1825|S. 928}  
  Terent. Eunuch. …
  Es ist seltsam, daß man nicht mehr als einmahl, in diese Gattung der Verbindlichkeit fält. Man entzieht sich derselben allezeit mit einem Stück von der Kette, das gar bald eine neue Gefangenschafft zuwege bringt:  
  [5 Zeilen lateinische Verse] Pers. Satyr. …
  Sonst ist noch zu mercken, daß nach der Parallele de la doctrine de Payens avec celle des Jesuites … die Herren Jesuiten in ihren Lehren der Unkeuschheit das Wort starck reden. Es ist in angeführten § von denen, welche andern in ihren unkeuschen Vorhaben behülflich sind, die Rede. Davon sagt Casp. Hurtado, ein Jesuite, daß ein Diener auf Befehl seines Herrn könne Achtung geben, wo ein Frauenzimmer hingehe; er könne ihr die Präsente überbringen, seinen Herrn begleiten wenn er sie besuche, ihm den Fuß halten, wenn er zu ihr zum Fenster hineinsteige. Er kan zur Concubine gehen und sagen: Herus meus te vocat. Potest eam ad domum heri comitari et januam aperire et eis lectum sternere: Non tamen potest eam invitare ad actum ipsum inhonestum cum hero.  
  Cornelius a Lapide selbst sagt von der Susanna, daß sie in der Gefahr des Lebens, in welcher sie sich befand, sich nur hätte passive verhalten, und anstatt ihres Geschreys sagen dürffen: Non consentio actui, sed patiar et tacebo. Die Bücher aus denen der Verfasser diese Sätze der Jesuiten genommen, sind auf das sorgfältigste angeführet. Deutsche Acta Erudit. XI Th. …
  Man hält zwar immer davor, als ob Epicurus ein grosser Patron der Unkeuschheit gewesen, ja seine Schüler ihr höchstes Gut darinnen gesucht hätten: Allein folgender Satz aus der Sitten Lehr kan uns von dem Gegentheil dessen überzeugen:  
  „Alle Unkeuschheit, heißt es, und Austritte sind zuverletzen, weil dieselbigen so gar keine Wollust bringen, daß sie vielmehr die gesunde Vernunfft verborgen, und der Gesundheit schädlich sind. Bruckers Philosoph. Hist. II Theil …
  Wenn man die Materie von der Unkeuschheit weitläufftig ausgeführet lesen will, muß man das Buch lesen, welches in Verlegung des Waysen- Hauses zum Vorschein gekommen und folgenden Titel führet: Überzeugende und bewegliche Warnung vor allen Sünden der Unreinigkeit und heimlichen Unzucht, darinnen aus Medicinischen und Theologischen Gründen vernünfftig vorgestellet wird, 1) Was für Gefahr, 2) Schulden und Gerichte und 3) für Rettungs-Mittel desfalls vorhanden. Aus Liebe und Verbindlichkeit zum menschlichen Geschlecht, sonderlich aber zur studierenden Jugend auf Schulen und Universitäten, mit züchtiger Feder und tiefer Ehrfurcht vor GOtt entworffen 1740 in 8. Gelehrte
  {Sp. 1826}  
    Neuigkeiten Schlesiens 1740.
  Siehe auch den Artickel: Unzucht.  
     

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Stand: 26. Februar 2013 © Hans-Walter Pries