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Quellenangaben |
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Fall des ersten Menschen, wenn wir die drey
Wörter,
Böse, Erb-Sünde und Fall des ersten
Menschen genau ansehen, so wird sich finden,
daß jedes eine besondere Abhandlung
verdiene. |
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Denn Böse ist das general-Wort, so bald im
physischen, bald
moralischen
Verstande
genommen wird, und bey dem man
erwegen kan
Theils seinen
Ursprung, Theils seine
Fortpflantzung. Den Ursprung des Bösen bestimmt
man entweder aus der blossen
Vernunfft, oder aus
der heiligen Schrifft, und da ist es eben der Fall des
ersten Menschen. Die Fortpflantzung
nennt man
eigentlich die Erb-Sünde. Erwegen wir also den
Ursprung des Bösen nach Anleitung der Heil.
Schrifft, so heist er der Fall unserer ersten
Eltern. |
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Erstlich
fragt sichs: Ob ein
Mensch aus der
Natur durch seine
Vernunfft diesen Fall
erkennen
könne? wobey wir dasjenige, was wir hiervon bey
denen
Heyden antreffen, mit dem, was die
Vernunfft an sich selbst thut, nicht vor eins halten
müssen, indem nicht alles, was die Heyden
vorgetragen, aus der Vernunfft allein, sondern
auch aus der Tradition kommen, mithin müssen wir
hier wieder zwey Fragen aus einander setzen: |
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1) |
ob die Heyden eine
Erkenntniß von diesem Fall gehabt?
Huetius in
Quaestionibus Alnetanis …
meynet, |
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{Sp. 162} |
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die Heyden hätten von der
Sünde unserer ersten Eltern nichts
gewust;
hingegen Pfanner Systemate Theol. gentil. …
schreibet ihnen ein- und die andere
Erkenntniß von
dieser
Sache zu, mit welchem es auch
Wolff de
Manichaeismo ante Manichaeos … hält. Denn es
sey gleichwohl ausser Streit, daß sie in
verschiedenen Fabeln etwas von dem Paradiese
und dem herrlichen
Zustande unserer ersten Eltern
darinnen zu
verstehen gegeben, welches Huetius
in Demonstratione Euangelica und in Quaestion.
Alnet. erwiesen, woraus zu
vermuthen, daß sie
auch etwas von der
Veränderung dieses
Standes
gehöret, zumahl Spanhem. ad Callimach. Hymn.
… die Fabel de malis Hesperidum dahin ausleget,
daß sie den Fall des ersten Menschen
anzeige. |
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Grotius hat deswegen
einen Streit mit dem Riueto gehabt, welcher
letztere denen
Heyden diese
Erkenntniß auch
abgesprochen; dem aber Grotius in voto pro pace
ecclesiastica contra examen Riueti … wiederspricht,
und beruffet sich auf den Mornaeum de Ver. Rel.
Christ. 17. welcher dergleichen Nachricht in denen
heydnischen Büchern angetroffen, worauf Riuetus
in Apologetic. … antwortet. |
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- Crenius in
Animaduers. Philol. et histor. …
- Jo. Schmid
Disputat. de Peccato Originis a gentilibus
ignorato.
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Daß sie von dem ersten
Zustande derer
Menschen durch die
Tradition ein
und die andere Nachricht gehabt, daran ist kein
Zweiffel, welches sonderlich aus dem Hesiodo zu
ersehen; so ist auch nicht zu
leugnen, daß sie von der
Veränderung des ersten
glücklichen Zustandes
was gehöret; das aber eben der Haupt-Umstand,
wie der erste Mensch durch die verbotene Frucht
gefallen, ihnen zu Ohren kommen, oder wenn
dieses gleich Anfangs auch geschehen, solche
Tradition unter ihnen erhalten worden, kan wohl
nicht so leicht erwiesen werden. Denn daß man
ein- und die andere Fabel dahin deuten kan, macht
die
Sache noch nicht aus, weil noch dahin stehet,
ob derer Poeten Absicht mittels des Auslegers
Erklärung überein komme? |
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2.) |
Ob die sich selbst
gelassene
Vernunfft ohne Hülffe der Tradition
diesen Fall
erkennen könne? Es haben zwar Jo.
Belinus dans les Preuves convaincantes du
christianisme, Paris 1666. 4. und Ludouicus
Ferrandus in Not. ad Psalm. 50. solches davor
gehalten, wie wohl ohne
Grund. Denn wie dieses
überhaupt eine Geschichte, die ohne
historische
Nachricht
unmöglich kann
erkannt werden, so
findet sie weder einiges
Principium, woraus sie die
Nothwendigkeit dieses alles erkennen könnte,
noch einige
Ursache von dem
würcklichen
Verderben der
menschlichen
Natur,
davon ein jeglicher aus
eigener
Erfahrung kann überzeuget
seyn, auf den Fall zu
schlüssen, sondern kommt
weiter nicht, als daß einmahl mit dem
Menschen eine
Veränderung müsse vorgegangen
seyn. |
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Von der Beschaffenheit
des Paradieses, von der verbotenen Frucht kann
sie nichts
wissen, und wenn man ihr gleich aus der
heiligen Schrifft
vorstellet, wie durch diese
Sünde
sogleich ein Habitus des
Bösen entstanden, und
der
Tod als eine
Straffe anzusehen, so ist ihr
dieses unbegreifflich. Also bleibt die Lehre von
dem Fall des ersten Menschen eine solche
Sache,
die wir nur aus dem geoffenbarten Worte GOttes
wissen können. |
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Wenn aber ein
Philosophus mit seiner
Vernunfft darüber kommt,
so fragt sichs vors andere; ob die Vernunfft diesen
Fall mit der Gü- |
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{Sp. 163|S. 97} |
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tigkeit
GOttes zusammen
reimen kan? Es haben sich zwar einige unter
denen Heyden gefunden, die GOtt zum
Urheber
des
Bösen, oder der Sünde gemacht, wie aus des
Euripidis Versen, [ein Satz Griechisch] zu ersehen,
ja die Poeten sind bisweilen so verwegen, gottlos,
und zugleich so einfältig gewesen, daß sie
gedichtet, die Götter trieben die
Menschen zum
bösen an. |
-
Clericus in Hesiodum
…
- Pfanner in Systemat. Theol. …
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Doch wer nur das
geringste Nachdencken hatte, sahe alsbald, daß
dieses schnurstracks wieder das Wesen GOttes
sey, daher auch der gröste
Theil unter denen
Heyden
erkannte,
GOtt sey ein heiliges und gütiges Wesen, |
davon viele Zeugnisse,
- Pfanner in
Systemat. Theol. gentil. …
- Huetius in Quaestion.
Alnet. …
- und Spanhem ad Julian. …
zusammen getragen, |
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und das gab eben
Gelegenheit
zu dem andern Abwege, daß man auf zwey
Principia
verfiel, u. von dem einen das
gute, von den andern
aber das böse herleitete. |
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Es haben auch einige aus
den
Worten
Jacobi 1, 13. GOtt ist nicht ein
Versucher zum Bösen,
schlüssen
wollen, daß in
der ersten Kirche dieser
Irrthum
bey einigen gefunden, als käme das böse von GOtt her. Zu den neuern Zeiten hat
sich der
berühmte
Peter
Bayle bey dieser
Materie viele Schwürigkeiten
eingebildet, indem er vorgabe, es machte die
Vernunfft wieder die Lehre der
heiligen Schrifft vom
Fall des ersten Menschen, wegen der Güte
GOttes, wie die dabey bestehen wollte,
unauflößliche Einwürffe, weil aber gleichwohl die
heilige Schrifft die
Wahrheit
sage, so
müste sich
die Vernunfft dem
Glauben unterwerffen; man sähe
aber inzwischen nicht, wie man das manichaeische
Systema aus der Vernunfft
gründlich widerlegen
könnte, worüber ein grosser Streit entstanden,
davon unter dem
Titel
Böse,
Tom. IV. p. 392.
gehandelt worden. |
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Vorjetzo aber nur
desjenigen Irrthums des Bayle zu gedencken, so
giebt er vor, die
Vernunfft hielte dafür,
GOtt hätte
dem Menschen keinen
freyen Willen geben
sollen,
folglich würde der Mensch nicht haben fallen
können, oder wenigstens hätte GOtt, da er den Fall
vorher gesehen, so hätte er ihn doch verhindern
sollen, und da er dieses nicht gethan, so könnte
dieses die Vernunfft mit seiner Gütigkeit nicht
zusammen reimen, bringt auch
unterschiedene
Instantzen von
menschlichen Wohlthätern vor. |
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Dieses scheint nun der
gröste Stein des Anstosses zu seyn. Es haben
einige davor gehalten, man sey nicht
verbunden
auf diesen Punct zu antworten, wie denn Meisner in Philos. sobria
schreibet:
non tenemur ad
quaestionem hanc curiosam magis, quam
fructuosam respondere, sufficit nobis voluntas Dei,
cujus decreta et decretorum
caussae licet nobis
ignotae, semper tamen justae sunt. |
- Calouius in System. …
- Jaquelot Examin. Theol. …
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Doch es läst sich auch
darauf noch antworten. Es ist überhaupt eine
Schwachheit, daß man den
göttlichen Wohlthäter
nach einem Menschen will abmessen und
beurtheilen, zwischen welchen doch ein gar
grosser
Unterschied ist. Wenn ein gemeiner
Mann
einen beschencket, so achtet man es weit geringer,
als wenn ein grosser Printz einem etwas giebet,
wenns gleich in der
That etwas schlechtes und
weniges ist, wiewohl das
gute, so
GOtt gegeben, auch nach seiner Grösse und
Weitläufftigkeit nicht genug kan geschätzet werden, zumahl wenn man dasselbige
nicht auf den Menschen allein, sondern auf der
gantzen
Welt Zusammenhang ziehet: denn
wegen de- |
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{Sp. 164} |
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rer Menschen allein, die
nur einen
Theil der Welt ausmachen, hat GOtt die
einmahl nach seiner Weisheit gemachte Gesetze der Natur zu ändern nicht
nöthig
gehabt, hat auch nicht wieder seine Gütigkeit gehandelt, daß er den Fall
zugelassen, welchen er vorher gesehen. |
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Ein
Vater
kan nicht getadelt werden, wenn er einen ungerathenen
Sohn
in
Unglück stecken lässet, im Fall er sich und seine Familie ruiniren
müste, wenn er ihn retten
wollte. Ja
spricht
Bayle, nimmermehr kann das ein Wohlthäter
heissen, der einem Wohlthaten erweiset, von denen er
weiß, daß sie dem,
dem sie gegeben werden, zum
Schaden ausschlagen werden. Es ist
wahr, daß
die Geschencke, die man giebt, wenn man vorher siehet, daß sie schaden
werden, als Geschencke eines Feindes anzusehen sind, denn es steckt
eine
Boßheit dahinter. Wer will aber dieses von
GOtt gedencken, geschweige sagen?
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Ist gleich, wendet man
ferner ein, keine böse Absicht darhinter gewesen,
so hätte er doch das Unglück verhindern können.
Wenn ein
Vater einem kleinen
Kinde die
Freyheit
lässet, daß es mit einem spitzigen Messer spielen
darff, so giebt er Achtung, daß seine Freyheit nicht
zum bösen ausschlägt, und so bald er gewahr wird,
daß sich das Kind stechen dürffte, so verhindert er
solches. Es hätte dieses GOtt thun können, wenn
er nach seiner uneingeschränckten und absoluten
Gewalt handeln wollen, daß ers aber nicht gethan,
ist aus wichtigen und seiner Weißheit gemäsigen
Ursachen geschehen. Denn hätte er das
moralische
Böse verhindern wollen, so wäre
nöthig gewesen, daß die
Menschen ihre Freyheit
verlohren, wodurch sie keine Menschen blieben
wäre. |
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Es ist aber auch hier noch
ein Unterscheid zwischen denen Menschen und
GOtt; indem die Menschen eine
Verbindlichkeit, ein
vorhergeschehenes
Unglück, wo es
möglich ist,
abzuwenden, auf sich haben, welches man von
GOtt nicht sagen kann. Ja die Menschen müssen
offt einander Wohlthaten erweisen, und wenn
gleich der Wohlthäter
vermuthet, es werde ein
Mißbrauch dabey vorfallen, so können sie es doch
nicht abschlagen, und in diesem Fall ist nicht
einmahl der menschliche Wohltäter
Schuld daran,
als hätte er wieder seine Gütigkeit gehandelt,
z.E.
es hat ein
Vater einen krancken
Sohn, von dem zu
vermuthen, wenn er jetzo stürbe, so würde er
seelig sterben; dem ungeachtet ist er
verbunden,
ihn durch die
Ärtzte curiren zu lassen, wenn er
gleich
wahrscheinlich
schlüsset, er werde seiner
erlangten Gesundheit mißbrauchen, selbige wieder
verderben, auch wohl in seinen
Sünden dahin
sterben. Geschicht dieses, so kan man ja nicht
sagen, der Vater oder Wohltäter ist Schuld daran,
indem er ihm eine Wohlthat erwiesen, von der er
vorher gesehen, daß er sie zu seinem Verderben
mißbrauchen werde. |
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Hieraus siehet man so
viel, daß die
Regel, die
Bayle von denen
Wohlthätern setzet, auch in Ansehung derer
menschlichen nicht schlechter Dings wahr. Auf
solche Weise ließ
GOtt nach seiner Weißheit den
Fall des ersten Menschen zu, und nachdem das
Böse dadurch
würcklich entstunde, so muste sich
die göttliche Gerechtigkeit äussern, wodurch aber
seine Gütigkeit nicht aufgehoben wurde. Denn
diese
bewegte ihn, das
Reich
der Gnaden aufzurichten, und zwar auf solche Art, daß die
unendliche Weisheit, Gütigkeit und
Gerechtigkeit
hervor leuchtete, welche wir nicht von einander
trennen dürffen. |
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Meynt
Bayle, GOtt hätte
gleich den gefallenen Menschen wieder zu Gnaden
annehmen können, so hatte er dieses nach seiner
Allmacht |
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{Sp. 165|S. 98} |
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thun können, wo wäre
aber seine Gerechtigkeit geblieben, die ihm eben
so
wesentlich, als seine Gütigkeit zukommt, welche
beyde hier miteinander
verknüpfft werden musten,
so daß überall seine Weißheit hervor leuchtet.
Denn daß
GOtt die
Menschen nicht mit
Gewalt will
selig machen, ihnen die geistliche
Kräffte
gutes zu
thun nach und nach
mittheilet, dergestallt, daß
noch alle
Zeit
sündliche Schwachheiten zurück
bleiben, geschicht aus heiligen und weisen
Ursachen. Es würden die Menschen weder die
Wichtigkeit und Herrlichkeit der göttlichen Gnade
noch die Tieffe ihres Elends recht
erkennen und
empfinden. Wenn ein Mensch niemahls kranck
gewesen, so wird er keine sonderliche
Empfindung
von dem Gute der Gesundheit haben, und wenn
überhaupt keine
Übel wären, so würde man die
Güter nicht mehr achten. |
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Es haben aber gleichwohl
die Frommen so viel Creutz und
Unglück in der
Welt? man bildet sich
wahrhafftig vielmahls die
Anzahl derer Übel in der Welt grösser ein, als sie in
der
That ist. Gottlose halten manchen Zufall, der
einen Frommen betrifft, vor ein Unglück, davor es
aber der Fromme nicht ansiehet, der unter andern
bey seiner
Armuth wohl ebenso vergnügt, als der
Reiche bey seinen grossen Schätzen. So wenig
man sagen kann, daß die Ruthe dem ungezogenen
Kinde, und bittre Artzeney dem Patienten
schädlich; so wenig kann man Fromme bey ihren
wiedrigen Zufällen vor unglücklich schätzen.
GOtt
bestätigte die guten Engel gleich dergestallt im
Guten, daß sie nicht sündigen können, welches
auch bey dem
Menschen
möglich gewesen wäre,
wo nicht seine Weißheit einen andern Weg beliebet
hätte. Denn wie er nach derselbigen einen
Wohlgefallen an dem
Unterscheid, und an der
Abwechselung derer Creaturen hat; so hat er mit
Fleiß diesen Unterscheid unter denen heiligen
Engeln und denen Menschen setzen wollen, daß
jene bey ihrer Freyheit
beständig das Gute, diese
aber das Gute oder das Böse
erwehlen
könnten. |
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Es ist dieses eine wichtige
Materie, an deren
wahren
Erkenntniß sehr viel gelegen, damit man in
der
Theologie, und zwar in dem
Articel von der
Sünde, von der Gnaden-Wahl, von der ewigen
Verdammniß in keine
schädliche
Irrthümer verfalle.
Es
erkennt die
Vernunfft
gantz deutlich, daß
GOTT
auf keine Weise
Schuld an dem sündlichen
Zustand derer
Menschen habe, und die
manichäische Lehre höchst
ungereimt und
abgeschmackt sey, welche aber gleichwohl in der
christlichen Kirche viel Unruhe verursachet
hat. |
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Die Supralapsarii lehren, daß GOtt eine
gewisse Anzahl derer Menschen zu ihrem
Verderben, und eine andere Anzahl zur Seligkeit
erschaffen, und deßwegen den Adam zum Fall
praedestiniret; die Infralapsarii, daß GOtt,
nachdem er den Fall vorher gesehen, einige zur
Verdammniß, andere zum ewigen
Leben
ausersehen, und die so genannten Vniuersalistae
kommen auch auf gefährliche
Dinge,
wenn sie gleich etwas gelinder
erklären, |
welches
Wolff de
Manichaeismo ante Manichaeos mit mehrern
ausgeführet. |
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